News: Neue alte Knochen
Im Jahr 1994 wurde "Lucy" jedoch geschlagen. Damals veröffentlichte Tim White von der University of California in Berkeley die Beschreibung von 4,4 Millionen Jahre alten Fossilfunden, die zunächst den Namen Australopithecus ramidus erhielten. Die Unterschiede zu A. afarensis waren jedoch so erheblich, dass sich die Forscher bereits ein Jahr später genötigt sahen, ihren Fund einer neuen Gattung zuzuordnen. Seitdem galt Ardipithecus ramidus, wie das Wesen jetzt heißt, als unser ältester Vorfahr.
Bis jetzt. Denn jetzt stieß Whites Doktorand Yohannes Haile-Selassie in der äthiopischen Region Middle Awash, wo auch A. ramidus gefunden wurde, auf neue alte Knochen. Die Datierung ergab ein Alter von 5,2 bis 5,8 Millionen Jahre. Die Überreste aus Kiefer-, Arm-, Hand- und Fußknochen von mindestens fünf Individuen sind damit etwa eine Million Jahre älter als A. ramidus und übersteigen das Alter von A. afarensis sogar um zwei Millionen Jahre. Nur der so genannte Millennium-Mann, der inzwischen auf den Namen Orrorin tugenensis hört, ist mit sechs Millionen Jahren noch älter. Bei ihm ist sich die Wissenschaft allerdings noch nicht einig, ob es sich wirklich schon um einen Vormenschen oder noch um einen Affen handelt.
Haile-Selassie ordnet seinen Fund als Unterart von A. ramidus ein und nennt sie Ardipithecus ramidus kadabba, wobei kadabba in der Sprache der hier lebenden Afar "Stammvater" bedeutet. Die wenigen Knochen deuten zumindest darauf hin, dass das Wesen bereits auf zwei Beinen lief. Haile-Selassie hofft auf weitere Funde und betont, dass die entdeckte Kreatur sich wahrscheinlich "als so unterschiedlich herausstellen wird, dass ein neuer Artname nötig wird". Einen solchen hat er schon parat: Ardipithecus kadabba.
Unterstützung fand Haile-Selassie von Geologen und Geophysikern, die nicht nur das Alter der Schicht bestimmten, sondern auch versuchten, die ökologischen Bedingungen jener Zeit zu rekonstruieren. Dabei erwies sich als vorteilhaft, dass die Hominidenknochen nicht allein, sondern zusammen mit den Überresten von mehr als 60 Säugetierarten gefunden wurden.
Nach den Analysen von Giday WoldeGabriel vom Los Alamos National Laboratory und seinen Kollegen lebte A. ramidus kadabba in einer waldreichen, feuchten Umgebung, die etwa 1500 Meter höher lag als heute. Damit erscheint der Ursprung des Menschen in einem neuen Licht. "Die Erwartung war, dass wir die ersten Hominiden in Savannen-Grasländern vor etwa acht Millionen Jahren finden würden", erklärt Stanley Ambrose von der University of Illinois. "Doch das geschah nicht." Damit scheint erst Australopithecus vor etwa 4,4 Millionen Jahren den Weg in die offene Savanne gefunden zu haben.
Ob A. ramidus kadabba im Hominiden-Stammbaum wirklich unmittelbar nach der Verzweigung zwischen Mensch und Schimpanse steht, wovon Haile-Selassie überzeugt ist, bleibt bei seinen Wissenschaftlerkollegen umstritten. Die wenigen Funde erlauben ihrer Meinung nach – wie bei O. tugenensis – noch keine eindeutige Zuordnung. Fred Spoor vom University College London bestreitet, dass beide Fälle "wirklich wasserdicht" sind. Damit bleibt Darwins Frage immer noch unbeantwortet.
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