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Epigenetik: Neuer Bluttest soll Krebs früher erkennen

Ein neuer Bluttest soll eine Krebserkrankung Jahre früher feststellen können als herkömmliche Methoden. Das klingt gut, die Sache hat aber nicht nur einen Haken.
Das Blut von Menschen, die an Krebs erkrankt sind, enthält auch Tumor-DNA

Je eher man eine Krebserkrankung erkennt, desto besser kann man sie in der Regel behandeln. Kleine und örtlich begrenzte Tumoren lassen sich leichter entfernen als große oder als solche, die schon gestreut haben. Die Patienten brauchen weniger hoch dosierte Medikamente und haben in der Regel höhere Überlebenschancen.

Ein Forscherteam um den Biotechnologen Kun Zhang von der University of California in San Diego berichtet nun, wie sie künstliche Intelligenz nutzen, um im Blut spezielle Krebsmuster zu erkennen. Mit diesem Test könne man Tumoren im Magen, in der Speiseröhre, im Darm, in der Lunge oder der Leber bereits vier Jahre früher finden, als es herkömmliche Untersuchungsmethoden vermögen, schreibt das Team im Fachmagazin »Nature Communications«.

Für die Studie verwendeten die Forscher Blutproben von 605 Menschen im Alter zwischen 35 und 85 Jahren, die im Zuge einer großen chinesischen Langzeitstudie gesammelt worden waren. Zum Anfangszeitpunkt zeigten die Probanden noch keine Symptome einer Krebserkrankung, bei 191 davon wurde aber im Lauf der nächsten vier Jahre Krebs diagnostiziert. Bei 95 Prozent dieser Personen hätte ihre Methode die Krebserkrankung bereits vorher erkannt, schreiben die Wissenschaftler.

Ein Muster für alle Krebsarten?

Das Verfahren, im Blut eine Krebserkrankung festzustellen, bezeichnen Fachleute als Liquid Biopsy. Dabei werden zirkulierende Tumorzellen oder deren Erbgut mittels DNA-Sequenzierung in der Probe nachgewiesen. Bislang funktionieren solche Verfahren aber meist nur bei Menschen, bei denen bereits auf herkömmliche Art Krebs diagnostiziert wurde – etwa mittels einer Darmspiegelung, eines Abstrichs des Gebärmutterhalses oder einer Röntgenuntersuchung (siehe »Krebsfrüherkennung in Deutschland«).

Krebsfrüherkennung in Deutschland

Laut der Broschüre »Krebs in Deutschland« der Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister und des Zentrums für Krebsregisterdaten erkranken hier zu Lande jedes Jahr fast 500 000 Menschen neu an Krebs. Vor allem auf Grund der demografischen Entwicklung rechnen die Experten bis 2030 mit einem Anstieg um rund 23 Prozent. Bei Männern ist Prostatakrebs am häufigsten, bei Frauen Brustkrebs. Darm- und Lungenkrebs steht bei beiden Geschlechtern an zweiter Stelle.

Bislang werden zur Früherkennung je nach Krebsart verschiedene Methoden angewandt, beispielsweise eine Darmspiegelung, ein Abstrich des Gebärmutterhalses oder eine Röntgenuntersuchung der Brust (Mammografie). Bei einer gründlichen Inspektion der Haut (Hautkrebs-Screening) kann ein Arzt krankhafte Veränderungen frühzeitig entdecken. Auch für Prostatakrebs gibt es eine Vorsorgeuntersuchung. Die Kosten dafür übernehmen – zumindest ab einem gewissen Lebensalter – die Krankenkassen. Für manche Krebserkrankungen, etwa in der Leber oder der Lunge, gibt es noch keine solchen Untersuchungen. Unkomplizierte und zuverlässige Blutprobentests könnten daher Abhilfe schaffen.

Bluttests zu entwickeln, die früher anschlagen, ist schwierig. Denn besonders in frühen Stadien einer Krebserkrankung befinden sich nur sehr geringe Mengen Tumor-DNA im Blut. Zudem gibt es unglaublich viele Mutationen, die zur Entstehung von Krebs führen können. Das Team um Zhang suchte daher nicht nur nach krebstypischen Erbgutsequenzen, sondern auch nach bestimmten epigenetischen Markierungen. Dabei handelt es sich um Methylgruppen, die an gewisse Regionen des Erbguts gekoppelt sind und als eine Art An-/Ausschalter für Gene dienen. Krebszellen fehlen diese Moleküle mancherorts, andere Bereiche ihres Erbguts sind hingegen stärker methyliert als die von gesunden Zellen.

In öffentlich zugänglichen Datenbanken fanden die Forscher fast 600 Stellen, an denen sich das Methylierungsmuster im Genom von menschlichen Krebszellen von jenem normaler Zellen unterscheidet. Rund 300 davon entdeckten sie anschließend auch beim Vergleich von Blut- und Gewebeproben gesunder und krebskranker Menschen. Diese Stellen nutzten sie als Erkennungsmerkmal – und zwar für alle fünf Krebsarten. Denn überraschenderweise fand das Team keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Methylierungsmustern von Magen-, Speiseröhre-, Darm-, Lunge- oder Leberkrebszellen.

Um diese generellen »Krebsmuster« zu erkennen, trainierte die Arbeitsgruppe eine künstliche Intelligenz (KI) mit Blutproben von Krebspatienten und gesunden Menschen. In anschließenden Tests lag die Treffsicherheit der KI bei 88 Prozent. Die Spezifität betrug 96 Prozent, das bedeutet, vier Prozent der Proben waren falsch positiv, die zugehörigen Probanden waren also nicht nachweislich an Krebs erkrankt – oder zumindest noch nicht. Denn bei 95 Prozent jener Menschen, bei denen im Lauf der Langzeitstudie Krebs diagnostiziert worden war, fand der Test schon in den Proben, die sie ein bis vier Jahre zuvor abgegeben hatten, krebstypische Methylierungsmuster.

Die Autoren betonen jedoch, dass ihr Test nicht vorhersagen kann, ob ein Mensch im Lauf seines Lebens Krebs entwickeln wird. Der Ansatz sei lediglich dazu geeignet, Patienten zu identifizieren, die bereits Tumoren entwickelt haben, die mit heutigen Nachweismethoden unentdeckt bleiben. Dies könne besonders für Menschen hilfreich sein, die bereits wissen, dass sie zum Beispiel erblich bedingt ein hohes Krebsrisiko aufweisen.

Viele Fragen bleiben offen

Der Test sei sorgfältig entwickelt worden, seine Sensitivität und Spezifität seien recht gut, sagt Sonja Loges. Die Wissenschaftlerin leitet die Abteilung für Personalisierte Medizinische Onkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg und ist Direktorin der Stabsstelle für Personalisierte Onkologie am Universitätsklinikum Mannheim. Von einer klinischen Anwendung sei das Verfahren aber noch sehr weit entfernt. Das liege zum einen daran, dass die Patientenproben in der Studie nur rückblickend untersucht wurden. Um die Aussagekraft des Test zu bewerten, sei es notwendig, eine klinische Studie durchzuführen, bei der prospektiv fortlaufend Blutproben entnommen und untersucht werden, sagt die Onkologin.

Zudem müssen die Daten in einer weiteren, möglichst internationalen Patientenkohorte validiert werden, um sicherzustellen, dass die Korrelation der untersuchten Methylierungsmuster und dem Vorhandensein von Krebs nicht nur in der asiatischen Bevölkerung auftritt. Die Beobachtung, dass es bei verschiedenen Krebsarten offenbar einheitliche Muster gibt, hält Loges zwar für sehr interessant, sie werfe aber gleichzeitig Fragen auf. Sie wundert sich, weshalb die Forscher gerade diese fünf Krebsarten ausgewählt haben. Die Autoren argumentieren, diese seien für die höchste Zahl an Todesfällen in China verantwortlich. Ganz schlüssig sei das aber nicht, sagt Loges. »Wenn das wirklich ein unabhängiges Muster ist, müsste es ja in allen Krebsarten zu finden sein«, gibt sie zu bedenken.

Außerdem stimmt sie skeptisch, dass die Forscher mehr als die Hälfte der Probanden, bei denen am Ende der Studie Krebs diagnostiziert wurde (das waren insgesamt 575), von ihrer Auswertung ausgeschlossen haben. Die Probenaufbereitung um das Jahr 2007, als die Langzeitstudie gestartet habe, sei noch nicht so gut gewesen wie heute, schreiben die Autoren. Doch auch wenn manche Proben tatsächlich von schlechter Qualität gewesen seien, sei in der aktuellen Studie sicherlich eine gewisse Selektion vorhanden, sagt Loges.

Vage Ergebnisse verunsichern

Falls ein einheitliches, krebstypisches Methylierungsmuster tatsächlich existiere, würde man zwar wissen, dass es Krebszellen im Körper gäbe – aber noch längst nicht wo, sagt die Onkologin Loges. Bildgebende Verfahren seien heute noch nicht in der Lage, mikroskopisch kleine Tumoren sichtbar zu machen. Es ist also fraglich, mit welcher Diagnostik ein solcher Verdacht abgeklärt – und ein vorhandener Tumor gegebenenfalls gleich entfernt werden könnte. Lodges findet daher, dass die Studie zwar ein hoch relevantes Forschungsthema behandele, sie zweifelt aber am momentanen Nutzen: »Ein solcher Test ist nur klinisch anwendbar, wenn sich daraus eine klare Konsequenz für den Patienten ergibt.«

Dass unklare Ergebnisse zur Verunsicherung führen, glaubt auch der Gynäkologe und Onkologe Anton Scharl. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Gemeinsam mit fünf anderen verfasste seine Fachgesellschaft Anfang 2019 eine Stellungnahme zu einem anderen Bluttest, der damals für große mediale Aufmerksamkeit sorgte.

Heidelberger Forscher hatten in einer Pressekonferenz vermeldet, dass ihr Bluttest auf Brustkrebs die Erkrankung in 75 Prozent der Fälle zuverlässig anzeige. Sie hatten das Blut von 500 Brustkrebspatientinnen auf 15 verschiedene Biomarker untersucht. Noch im selben Jahr würde der Test die klinische Anwendung gehen, hieß es. Das löste zunächst Begeisterung aus: In einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Heidelberg wurde das Verfahren als »Meilenstein in der Brustkrebsdiagnostik« bezeichnet, die »Bild« betitelte es sogar als »Weltsensation aus Deutschland«.

Zweifel an voreiligen Testergebnissen

Aber: Besagte Studie war zu jener Zeit noch nicht einmal abgeschlossen. Die Ergebnisse wurden bis heute nicht in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift publiziert. Hinzu kamen Ungereimtheiten bei der Vermarktung des Tests. Die deshalb eingeleiteten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Mannheim wurden inzwischen eingestellt – der Test ist noch immer nicht auf dem Markt. Laut der Heidelberger »Rhein-Neckar-Zeitung« ergaben die Untersuchungen einer extern eingesetzten Kommission, dass der Test eine »dramatisch hohe« Fehlerquote aufweist.

Die medizinischen Fachgesellschaften äußerten sich kritisch: »Wir halten Schlussfolgerungen über die Validität und den klinischen Nutzen für verfrüht und raten ausdrücklich davon ab, diagnostische oder therapeutische Entscheidungen basierend auf Blutuntersuchungen zu treffen, die nicht von nationalen oder internationalen Leitlinien empfohlen werden«, heißt es in der Stellungnahme. Es sei wichtig, solche Testergebnisse unter Studienbedingungen zu validieren und zu überprüfen. Denn: »Falsch positive Befunde führen zu einer erheblichen psychischen Belastung betroffener Frauen.«

Ähnliches gelte auch für den neuen Test, sagt Onkologe Scharl. Für das Screening gesunder Personen sei die Methode so noch nicht geeignet. Eine Spezifität von 95 bis 96 Prozent bedeute, unter 100 Menschen seien immer noch vier oder fünf, denen Krebs diagnostiziert wird, obwohl sie völlig gesund sind. »Es besteht die Gefahr, dass man Menschen umsonst jahrelang beunruhigt«, sagt der Mediziner. Die Studie sei zwar hochinteressant und die Forschung auf einem guten Weg, man müsse mit solchen Ergebnissen aber weiterhin sehr vorsichtig sein.

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