News: Pavian-Hippies
Wenn jemand wirklich Ellbogen im Leben braucht, dann ein männlicher Pavian - gegen bissige Konkurrenz in der Affen-Hierarchie nach oben zu kommen, ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Aber muss das so sein?
Wären die Paviane der "Waldhorde"-Affenfamilie Menschen und hätten eine Kultur des Geschichtenerzählens, wahrscheinlich würden sich alle Mitglieder in kalten Savannennächten nah bei einem alten Weibchen scharen, um sich ihre Stammbaum-Saga berichten zu lassen. Es wäre eine spannende Geschichte, denn in dieser Pavianfamilie hatte sich, ausgelöst durch tragisch-glückliche Umstände, nichts weniger als eine erfolgreiche friedliche Revolution ereignet. Gut, das Robert Sapolsky und Lisa Share von der Universität Stanford die Erzählarbeit übernehmen können.
Schon in den 1980er Jahren beobachteten die Forscher das Leben der von ihnen "Waldhorde" getauften Paviangruppe in Kenia, einem typischen Papio-anubis-Sozialverband von rund 60 Tieren. Das Leben in der Gruppe war damals, ganz arttypisch, wenig lustig: Viele aggressive Affenmännchen stritten sich bis aufs Blut um Hierarchie und Weibchen, unterjochten und tyrannisierten zum Frustabbau alle greifbaren Schwächeren, kurz – benahmen sich wie Paviane. Konziliantes Sozialverhalten ist deren Sache nicht gerade, sind Verhaltensforscher sich einig.
1986 entdeckten und eroberten die streitbarsten und vitalsten Männchen der kenianischen "Waldhorde" den Zugang zu einem nahe gelegenen Müllplatz als Futterquelle – mit fatalen Folgen: Sie alle erkrankten und verendeten dort an einer lokal grassierenden Tuberkulose. Zurück blieben, nach Abebben der Seuche, schließlich nur die Weibchen und jene zaghaften Pavianmänner der Gruppe, die den Weg zur Müllkippe und den dortigen Nahrungsverteilungskampf stets gescheut hatten.
Naturnahe Verhaltensforschung kann man mit dem übrig gebliebenen Haufen nicht mehr treiben, fanden Sapolsky und Share. Die Überlebenden pflegten etwa einen schlicht uncharakteristisch friedlichen Umgang miteinander: Männchen stritten kaum mit Schwächeren, Weibchen waren, auch ohne massiv beeindruckt und erobert zu werden, nicht spröde, sondern freundlich entgegenkommend – eine einfach unrealistische Hippie-Kommune der Paviane, wohl ein Artefakt, ausgelöst durch dramatische Eingriffe in Genpool und Population sowie ein massiv verschobenes Geschlechterverhältnis. Sapolsky und Share überließen die Horde sich selbst.
Bis sie 1996 ihre Beobachtungen wieder aufnahmen. Und eine Überraschung erlebten: Die Gruppe war immer noch genauso sozial verträglich und friedlich im Umgang miteinander wie zehn Jahre zuvor. Und dass, obwohl kein einziges der verträglichen Männchen aus der Vergangenheit noch der Horde angehörte, denn Pavianmänner verlassen mit der Pubertät stets ihre Familien und schließen sich anderen Verbänden an. Offenbar hatten sich alle der in zehn Jahren neu zu der Gruppe gestoßenen männlichen Tiere den örtlichen friedlichen Gegebenheiten angepasst, und nicht etwa umgekehrt die rauen Sitten gewöhnlicher Paviane eingeführt – eine Friedenskultur war entstanden, die offenbar von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Hierarchien werden hier zwar weiter – etwas zivilisierter – ausgefochten, viel rangniedrigere Tiere aber werden beispielsweise stets in Ruhe gelassen. Mit wohltuenden Folgen, wie die Wissenschaftler zeigen: Der Spiegel von Stresshormonen war in subdominanten, aber nicht tyrannisierten Männchen deutlich niedriger als in vergleichbaren Affen aus Kontrollhorden.
Wie entsteht, hält und tradiert sich eine derartige lokale Verhaltenskultur in Pavianen? Ganz sicher sind sich die Forscher ohne weitere Beobachtungen nicht, bieten aber verschiedene mögliche Modelle an. Offenbar spielen wohl die Weibchen eine kulturschaffende Hauptrolle: Vielleicht haben sie gelernt, sanfteres Sozialverhalten nicht länger dadurch zu bestrafen, dass sie sich Männchen abhängig von deren Aggressivität gewogen zeigen; vielleicht belohnen sie stattdessen den Verzicht auf aggressive Energieverschwendung durch eine allgemein breiter gestreute Zuwendung? Genau jenes generell freundlich entgegenkommende Verhalten beobachteten die Forscher tatsächlich in der "Waldhorde"-Paviangruppe gegenüber neu eintreffenden Männchen. Und warum sollten diese auch kämpfen, wenn einem die Trauben in den Mund wachsen? So sammelt sich weniger Stress, und damit auch weniger Veranlassung zum Frustabbau gegenüber Schwächeren, mit allen positiven Folgen.
Auch Affen entwickeln demnach soziale Kulturen – nicht genetisch vererbtes und selektioniertes Know-How, sondern in Sozialgruppen individuell erlerntes und dann über Generationen tradiertes Wissen. Da ist vielleicht auch ein vermenschlichender Blick auf unsere entfernten Verwandten erlaubt: Selbst wenn Paviane kaum je eine Kultur des Geschichtenerzählens entwickeln werden – wenn sie eine neue friedliche Kultur des Zusammenlebens erfinden, sollten wir vielleicht ganz genau hinschauen.
Schon in den 1980er Jahren beobachteten die Forscher das Leben der von ihnen "Waldhorde" getauften Paviangruppe in Kenia, einem typischen Papio-anubis-Sozialverband von rund 60 Tieren. Das Leben in der Gruppe war damals, ganz arttypisch, wenig lustig: Viele aggressive Affenmännchen stritten sich bis aufs Blut um Hierarchie und Weibchen, unterjochten und tyrannisierten zum Frustabbau alle greifbaren Schwächeren, kurz – benahmen sich wie Paviane. Konziliantes Sozialverhalten ist deren Sache nicht gerade, sind Verhaltensforscher sich einig.
1986 entdeckten und eroberten die streitbarsten und vitalsten Männchen der kenianischen "Waldhorde" den Zugang zu einem nahe gelegenen Müllplatz als Futterquelle – mit fatalen Folgen: Sie alle erkrankten und verendeten dort an einer lokal grassierenden Tuberkulose. Zurück blieben, nach Abebben der Seuche, schließlich nur die Weibchen und jene zaghaften Pavianmänner der Gruppe, die den Weg zur Müllkippe und den dortigen Nahrungsverteilungskampf stets gescheut hatten.
Naturnahe Verhaltensforschung kann man mit dem übrig gebliebenen Haufen nicht mehr treiben, fanden Sapolsky und Share. Die Überlebenden pflegten etwa einen schlicht uncharakteristisch friedlichen Umgang miteinander: Männchen stritten kaum mit Schwächeren, Weibchen waren, auch ohne massiv beeindruckt und erobert zu werden, nicht spröde, sondern freundlich entgegenkommend – eine einfach unrealistische Hippie-Kommune der Paviane, wohl ein Artefakt, ausgelöst durch dramatische Eingriffe in Genpool und Population sowie ein massiv verschobenes Geschlechterverhältnis. Sapolsky und Share überließen die Horde sich selbst.
Bis sie 1996 ihre Beobachtungen wieder aufnahmen. Und eine Überraschung erlebten: Die Gruppe war immer noch genauso sozial verträglich und friedlich im Umgang miteinander wie zehn Jahre zuvor. Und dass, obwohl kein einziges der verträglichen Männchen aus der Vergangenheit noch der Horde angehörte, denn Pavianmänner verlassen mit der Pubertät stets ihre Familien und schließen sich anderen Verbänden an. Offenbar hatten sich alle der in zehn Jahren neu zu der Gruppe gestoßenen männlichen Tiere den örtlichen friedlichen Gegebenheiten angepasst, und nicht etwa umgekehrt die rauen Sitten gewöhnlicher Paviane eingeführt – eine Friedenskultur war entstanden, die offenbar von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Hierarchien werden hier zwar weiter – etwas zivilisierter – ausgefochten, viel rangniedrigere Tiere aber werden beispielsweise stets in Ruhe gelassen. Mit wohltuenden Folgen, wie die Wissenschaftler zeigen: Der Spiegel von Stresshormonen war in subdominanten, aber nicht tyrannisierten Männchen deutlich niedriger als in vergleichbaren Affen aus Kontrollhorden.
Wie entsteht, hält und tradiert sich eine derartige lokale Verhaltenskultur in Pavianen? Ganz sicher sind sich die Forscher ohne weitere Beobachtungen nicht, bieten aber verschiedene mögliche Modelle an. Offenbar spielen wohl die Weibchen eine kulturschaffende Hauptrolle: Vielleicht haben sie gelernt, sanfteres Sozialverhalten nicht länger dadurch zu bestrafen, dass sie sich Männchen abhängig von deren Aggressivität gewogen zeigen; vielleicht belohnen sie stattdessen den Verzicht auf aggressive Energieverschwendung durch eine allgemein breiter gestreute Zuwendung? Genau jenes generell freundlich entgegenkommende Verhalten beobachteten die Forscher tatsächlich in der "Waldhorde"-Paviangruppe gegenüber neu eintreffenden Männchen. Und warum sollten diese auch kämpfen, wenn einem die Trauben in den Mund wachsen? So sammelt sich weniger Stress, und damit auch weniger Veranlassung zum Frustabbau gegenüber Schwächeren, mit allen positiven Folgen.
Auch Affen entwickeln demnach soziale Kulturen – nicht genetisch vererbtes und selektioniertes Know-How, sondern in Sozialgruppen individuell erlerntes und dann über Generationen tradiertes Wissen. Da ist vielleicht auch ein vermenschlichender Blick auf unsere entfernten Verwandten erlaubt: Selbst wenn Paviane kaum je eine Kultur des Geschichtenerzählens entwickeln werden – wenn sie eine neue friedliche Kultur des Zusammenlebens erfinden, sollten wir vielleicht ganz genau hinschauen.
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