Naturschutz: Phosphor macht fett
Wer Vielfalt schützen will, muss die Ursachen ihres Rückgangs kennen – sonst geht so manche Rettungsaktion daneben. Dazu gehört auch, althergebrachte Meinungen auf den Prüfstand zu stellen. Denn das Übel nährt sich manchmal an ganz anderer Wurzel.

© Elena Lapshina (Ausschnitt)

© Franziska Tanneberger (Ausschnitt)
Sumpf-Stendelwurz | Die gefährdete Sumpf-Stendelwurz (Epipactis palustris), eine Orchidee, lebt an Standorten mit geringer Phosphor-Verfügbarkeit.

© Aat Barendregt (Ausschnitt)
Sumpf-Herzblatt | Auch die Rote-Liste-Art Parnassia palustris, das Sumpf-Herzblatt (rechts), ist ein Phosphormangel-Überlebenskünstler.
Denn bislang gilt Stickstoff in unseren Breiten als Mangelfaktor im Boden-Nährstoffangebot. Damit wäre er auch hauptverantwortlich für den Rückgang unter Magerkost prosperierender Arten. So haben zahlreiche Studien und Feldbeobachtungen einen engen Zusammenhang zwischen steigender Produktivität und Stickstoffkonzentration und sinkender Biodiversität gezeigt.

© Franziska Tanneberger (Ausschnitt)
Torfhügel | Aufgewölbte Torfhügel, so genannte Palsen, bieten in der Tundra zahlreichen gefährdeten Arten einen einzigartigen Lebensraum.
Die Botaniker analysierten von den Niederlanden und Belgien über Polen bis nach Sibirien die Artenzusammensetzung verschiedener feuchter Standorte – von Mooren und Sümpfen bis Feuchtwiesen –, zählten die Rote-Liste-Vertreter als Repräsentanten gefährdeter Magerlebensräume und ermittelten den limitierenden Nährstoff anhand einer Elementanalyse pflanzlicher Biomasse. Der Clou an der Sache: Je weiter die Forscher gen Osten kamen, desto weniger Stickstoff steht für die Pflanzen im Angebot, da der Eintrag durch die Luft immer geringer wird.

© Max Rietkerk (Ausschnitt)
Wasjugan-Moor | Ein Blick aus dem Hubschrauber über die endlosen Weiten des Wasjugan-Moores in Westsibirien, die größte noch intakte Moorlandschaft der Welt: Auch hier gedeihen unter Phosphormangel viele pflanzliche Magerkostspezialisten, die in ihrem Bestand bedroht sind, weil ihr Lebensraum immer knapper wird.

© Jochen Kassan (Ausschnitt)
Sumpfgebiet | Ein Sumpfgebiet in Westsibirien: Niedrige Phosphorgehalte ermöglichen hier eine artenreiche Vegetation anderswo verdrängter Arten.
Wieso das – gibt es mehr Phosphormangel-Spezialisten als Stickstoffmangeldulder? Das ist unwahrscheinlich, da sich dann die Artenzahl an den beiden Typen von Magerstandorten deutlich unterscheiden müsste – und das tut sie nicht. Auch passt die Erklärung nicht, dass es mehr phosphorlimitierte als stickstoffbegrenzte Standorte gibt: Ausgerechnet im gut gedüngten Beneluxgebiet zeigt sich genau das Gegenteil.

© Franziska Tanneberger (Ausschnitt)
Der Ob bei Nowosibirsk | Das Tal des Ob in der Nähe von Nowosibirsk beeindruckt durch seinen Artenreichtum.
Wenn aber Phosphor das Hauptproblem ist und nicht Stickstoff, dann ist auch klar, warum so manche Pflegemaßnahme wirkungslos bleibt: Anders als Nitrat, das im Bodenwasser gelöst recht schnell auf Reisen geht, bleibt Phosphat, eng an Tonminerale gebunden, an Ort und Stelle und damit noch lange verfügbar. Gerade ehemalige Äcker knabbern noch lange an diesem internen Düngervorrat. Um die Hungerkur erfolgreich zu machen, ist daher ein viel umfassenderer Ansatz als Mähen und Beweiden nötig.
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