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News: Prägende Begegnung

Spinnenmännchen, aufgepasst: Der erste Schwarm der Angebeteten zu Teenagerzeiten entscheidet über Lebensgefahr oder Liebesglück.
Glänzende Seide mit verlockendem Duft kann Männchen schon mal den Kopf verdrehen – und kosten. Derart vernebelt ist nichts mehr vor ihnen sicher; glückseligst stürzen sich die Achtbeiner auf Freiersfüßen in jedes Liebesabenteuer – selbst junge Geschlechtsgenossen müssen sich der haarigen Avancen erwehren. Doch kein Gewinn ohne Risiko: Eine falsche Bewegung, und Spinnenmann landet nach der innigen Umarmung nicht sicher wieder auf dem Boden, sondern direkt im Magen der Angebeteten.

Beinahe willkürlich – zumindest wenig nachvollziehbar – scheint die Entscheidung der Spinnendame über Leben und Tod. Doch liegt die Ursache des Verhaltens womöglich nicht in der Gegenwart, sondern in der Vergangenheit der gefährlich wankelmütigen Seidenproduzentinnen. Denn wie Eileen Hebets von der Cornell University herausfand, hinterlässt der erste Mann, dem ein Spinnenweibchen-Teenager noch vor dem endgültigen Erwachsenwerden begegnet, den entscheidenden Eindruck für den Rest des Lebens.

Auch Spinnenmännchen haben ihre Mittel und Wege, vor einer Auserwählten im besten Licht zu erscheinen und sie so von einem Schäferstündchen zu überzeugen. Wolfsspinnen der Art Schizocosa uetzi greifen hierbei zu einem aparten braun-schwarzen Streifenmuster auf den Vorderbeinen, die sie in kunstvoller Gymnastik präsentieren, unterstützt von wahren Trommelwirbeln mit den Füßen und dem Körper, um dem Weibchen auch über den Untergrund glühende Leidenschaft zu signalisieren. Jene Muster sind unterschiedlich stark ausgeprägt: Manche sind beinahe schwarz, andere zeigen sich als zarte dunkle Bänder auf hellbraunem Grund.

Hebets hatte nun Männlein und Weiblein in deren Jugendstadien gesammelt und sie anschließend zunächst in Einzelbehausungen groß gezogen. Als die Männchen die letzte Häutung und damit ihr Teenagerdasein hinter sich gelassen hatten, rückte ihnen die Wissenschaftlerin mit dunklem Nagellack zuleibe. Mit rein braun oder schwarz überpinselten Vorderbeinen entließ sie die frisch erwachsenen Achtbeiner nun in die Laborwelt, um Weibchen zu erobern.

Diese allerdings sind mit dem letzten Entwicklungsschub etwas später dran als die Männchen und haben daher noch gar kein Interesse – und auch noch gar nicht die Fähigkeit – zu amourösen Abenteuern. Trotzdem merkten sich die Spinnen-Lolitas offenbar das Aussehen der durch Pheromon-getränkte Seide paarungswilliger Spinnendamen kopflos gemachten Rendezvous-Anwärter: Als sie später, nun selbst herangereift, Männchen zum Vernaschen bekamen, wählten sie Träger vertrauter Beinkleider für den Nachwuchs und Vertreter fremder Farben für den Nachtisch. Und je häufiger die jungen Mütter in spe zuvor werbenden Männchen eines Typs gegenüber standen, desto hungriger zeigten sie sich anschließend bei den anders gefärbten Artgenossen.

Solche früh gezogenen Lehren fürs Leben, auch die Männerwahl betreffend, kennt man zahlreich aus der Welt der Wirbeltiere. Für Wirbellose jedoch sind sie eher rar – und doch: Allein unter Wolfsspinnen beeinflussen erste Erfahrungen im Jugendalter nachweisbar das Jagdverhalten, Lernvermögen und die Entwicklung des zentralen Nervensystems. Dass der erste Mann auf Spinnenfrauen ebenfalls prägend wirkt, ist damit nur ein weiterer Punkt auf der Liste und keineswegs neu für die Wirbellosenwelt: Heuschreckendamen zeigen ein ähnlich wählerisches Verhalten, wenn sie in der Kindheit nur bestimmten gekratzten Liebesgesängen lauschen durften.

Allerdings prägten in Hebets' Versuch die Extreme, während in freier Natur ein Farbenmischmasch die Regel ist. Außerdem stellt sich die Frage, wie häufig ein weiblicher Spinnenteenager nun wirklich liebeshungrigen Männchen begegnet – ganz abgesehen davon, dass diese dann, anders als im Experiment, verschieden gefärbt sein dürften. Schon ist die Lage weit weniger eindeutig – und damit wohl auch die Wahl, ob die gestattete innige Umarmung dem Erwählten nur den Kopf verdreht oder auch kostet.

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