Prävention: Teamsport für den Geist
Fußball, Volleyball, Handball, das kennt jeder, aber haben Sie auch schon einmal etwas von Ultimate-Frisbee oder Gateball gehört? All diese sportlichen Aktivitäten haben etwas gemeinsam: Die Beteiligten mühen sich nicht einzeln ab, sondern arbeiten gemeinsam gegen ein gegnerisches Team. Das bringt nach neueren Erkenntnissen eine Reihe von Vorteilen für die psychische Gesundheit mit sich, und zwar für junge Menschen ebenso wie für Senioren oder für Personen mit seelischen Erkrankungen.
Neuropsychologische Tests legen zudem positive Effekte von Mannschaftssport auf Denkprozesse – die Kognition – nahe. Das gilt etwa für das Arbeitsgedächtnis (das Informationen für die Dauer einer Handlung speichert), die Planungsfähigkeit, die kognitive Flexibilität (seine Strategie ändern können) und die Inhibition (einen Impuls zu Gunsten anderer Optionen verwerfen). Diese so genannten exekutiven Funktionen sind in Spielsituationen stark gefragt. Stellen Sie sich vor, wie sich ein Basketballspieler in vollem Lauf blitzschnell gegen den ursprünglich geplanten Ballpass zu einem Mitspieler entscheiden muss, damit er ein anderes Teammitglied anspielen kann, das sich unter dem Korb gerade frei läuft.
Vielfältige Anforderungen an Körper und Geist
Gleich mehrere exekutive Funktionen treten hierbei auf den Plan: Das Arbeitsgedächtnis erlaubt es, die Positionen möglichst vieler Spieler zu berücksichtigen, die Inhibition lässt ihn den schon angesetzten Wurf abbrechen, und dank kognitiver Flexibilität kann er zu einer neuen Strategie wechseln.
Exekutive Funktionen sind natürlich nicht nur beim Sport wichtig, sondern auch im Alltag, gleichgültig ob beim Lernen und Arbeiten, im Haushalt, beim Einkauf, im Straßenverkehr oder in Gesprächen. Letztlich sollten wir immer vor dem Handeln nachdenken, Versuchungen widerstehen, konzentriert bleiben, uns an veränderte Situationen anpassen und neue Blickwinkel einnehmen können.
Neben den speziellen kognitiven Anforderungen unterscheidet sich der Team- vom Individualsport in der Art der körperlichen Aktivierung. Das Spielen in der Gruppe gegen ein gegnerisches Team verlangt ausdauernde, aber wechselnd komplexe motorische Anstrengungen auf moderatem bis hohem Niveau. Schnelle Richtungs- und Rhythmusänderungen bringen jeden Spieler außer Atem, ob jünger oder älter, weniger gut trainiert oder topfit. Das Beispiel Basketball illustriert die vielfältigen Bewegungsabläufe: Rennen, Verteidigen, Dribbeln, Passen, Fangen, Springen, Werfen auf den Korb – das fordert Koordination, Beweglichkeit, Ausdauer, Kraft sowie einen guten Gleichgewichtssinn.
Seit etlichen Jahren erforscht ein Team um Torbjörn Vestberg von der Universität Örebro in Schweden die kognitive Leistungsfähigkeit von Teamsportlern systematisch. Bereits 2012 verglich er drei Gruppen: Die erste spielte Fußball in Schwedens höchster Liga, die zweite kickte zwar in einer tieferen Liga, trainierte aber mit den Erstligisten zusammen, und eine dritte stellte die Kontrollgruppe dar. Die Mitglieder der beiden erstgenannten Gruppen waren im Schnitt kreativer sowie besser im Multitasking, in der Inhibition und wenn es um das flexible Ausrichten der Aufmerksamkeit ging. Außerdem waren die Probanden der ersten Mannschaft den Sportlern aus der niedrigeren Liga überlegen. Vestberg schloss daraus, dass besonders gut entwickelte exekutive Funktionen den Erfolg der Profispieler bedingen.
Hans-Erik Scharfen und Daniel Memmert von der Deutschen Sporthochschule in Köln bestätigten 2019 in einer Metastudie, dass Profisportler egal welcher Disziplin generell kognitiv leistungsfähiger sind als Amateure oder Menschen, die gar keinen Sport treiben. Kurz darauf untersuchten Kyle Burris und seine Kollegen an der Duke University in den USA mit Hilfe einer ganzen Reihe neuropsychologischer Tests die Exekutivfunktionen, die Wahrnehmung und die motorischen Fertigkeiten von rund 2300 Sportlerinnen und Sportlern. Diese schnitten jeweils in dem Bereich auffallend gut ab, der in ihrer Disziplin sehr stark gefordert wird.
Schnellere Augenbewegungen, bessere Auge-Hand-Koordination
Personen, die eine kontaktlose Sportart wie etwa Baseball oder Tennis trieben, erreichten beispielsweise die besten Ergebnisse bei Aufgaben, die die visuelle Reaktionszeit messen. Fußball- oder Basketballspieler wiesen dagegen ein besseres Arbeitsgedächtnis auf. Zudem waren die Stärken abhängig vom Geschlecht: Männer zeigten schnellere Augenbewegungen bei der Betrachtung naher und ferner Objekte, wogegen Frauen bei der Auge-Hand-Koordination brillierten.
Kognitive Unterschiede finden sich bereits bei Sport treibenden Kindern. 2021 traktierte ein Team um Silke De Waelle von der belgischen Universität Gent 170 Mädchen im Alter von acht bis zwölf Jahren mit ganzen Testbatterien zur kognitiven Leistung. Die Probandinnen gingen entweder einem Mannschaftssport (Basketball, Volleyball, Fußball, Hockey), einem Individualsport (Fahrradfahren, Schwimmen, Leichtathletik) oder lediglich dem Schulsport nach. In Tests, welche die Gesamtheit aller exekutiven Funktionen erfassten, erzielten letztlich nur die Mannschaftssportlerinnen bessere Ergebnisse.
Jedoch stellt sich die Frage, ob Teamsportler nicht schon von vornherein mit besseren exekutiven Fähigkeiten gesegnet sind, so dass sie an dieser Betätigung auch mehr Freude finden. Lassen sich exekutive Funktionen durch Sport wirklich zusätzlich fördern – und falls ja, welche Art von Training ist besonders geeignet? Hinweise liefert eine 2019 publizierte Übersichtsarbeit von Adele Diamond und Daphne Ling vom Psychiatrischen Institut der University of British Columbia in Vancouver. Das Ergebnis: Ob Yoga, Laufen, Krafttraining oder Mannschaftssport – quasi jede Art von Bewegung scheint sich irgendwie positiv auf den Geist auszuwirken.
»Es ist unwahrscheinlich, dass ein langweiliges Training kognitive Verbesserungen erzielt«Adele Diamond, Daphne S. Ling, Kognitionsforscherinnen
Allerdings deutet die Metaanalyse der beiden Forscherinnen darauf hin, dass eine sportliche Betätigung die exekutiven Fähigkeiten vor allem dann voranbringt, wenn sie kognitiv möglichst anspruchsvoll ist. Und darin sind Mannschaftsballsportarten etlichen individuellen Sportaktivitäten wie zum Beispiel purem Kraft- oder Ausdauertraining auf dem Hometrainer überlegen.
Kinder profitieren mental vom Sport
Viele Untersuchungen zu den Wirkungen von Sport befassen sich mit Erwachsenen, bei Kindern und Jugendlichen ist die Datenlage dünner. Aber es gibt einige Interventionsstudien, die direkte Effekte eines Sportprogramms auf Kinder erfassten. 2010 beispielsweise publizierten Catherine Davis und ihr Team von der University of Georgia eine Arbeit mit 170 Teilnehmern, in der sie beobachtet hatten, wie ein dreimonatiges tägliches Sportprogramm (inklusive spaßorientiertem Fußball und Basketball) die Exekutivfunktionen von übergewichtigen Sieben- bis Elfjährigen beeinflusst. Tatsächlich verbesserten sich bei jenen Kindern, die per Los der Sportgruppe zugeordnet worden waren, nicht nur die exekutiven Fähigkeiten, sondern auch die Mathematiknoten, und zwar abhängig davon, wie regelmäßig sie mitmachten. Zudem stieg bei ihnen die Aktivität im präfrontalen Kortex, einem Teil des Gehirns, der an planvollem Handeln maßgeblich beteiligt ist.
Eine Arbeitsgruppe um Marianna Alesi von der Universität Palermo führte 2015 und 2016 zwei aufeinander folgende Studien mit mehreren Dutzend Jungen im Alter von rund neun Jahren durch: Bei den Teilnehmern verbesserten sich nach einem sechsmonatigen Fußballtraining die visuelle Unterscheidung von Objekten, das räumlich-visuelle Arbeitsgedächtnis (sich merken, wo auf einem Bildschirm verschiedene Objekte zu sehen waren), die Aufmerksamkeit, die Planungsfähigkeit und die Inhibition. Körperlich gesehen waren die trainierten Kinder am Ende der Intervention schneller, hatten eine bessere Koordination und mehr Kraft in den Beinen.
Sport für die Älteren
Und wie steht es um die Senioren? Lange dachte man, dass Mannschaftssportarten fürs Alter weniger geeignet sind. Angesichts der vielen positiven Effekte sollte man jedoch betagtere Menschen ebenfalls dazu ermutigen – so sieht es auch der Sportwissenschaftler Michel Audiffren. Der Professor an der Université de Poitiers beobachtet schon seit mehr als zehn Jahren die Vorteile regelmäßiger sportlicher Betätigung für die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit Älterer. Aber können sie wirklich noch von kämpferischen und anstrengenden Sportarten profitieren?
2022 führte ich zusammen mit Kollegen von der Université Paris-Cité eine kleine, dreimonatige Studie mit 15 über 60-Jährigen durch, die zweimal pro Woche ein einstündiges Sportprogramm absolvierten. Das Training umfasste auch Basketball, Volleyball, Rugby und Boxen, wobei alles auf die jeweilige körperliche Verfassung zugeschnitten war. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Teilnehmer dadurch im Vergleich zu einer inaktiven Gruppe zumindest einen Teil ihrer kognitiven Fähigkeiten deutlich verbesserten, nämlich das Planungsvermögen und ihr räumlich-visuelles Kurzzeitgedächtnis (beispielsweise das Erinnern der Anordnung verschiedener Objekte für einen begrenzten Zeitraum).
Der Sport im Team oder gegen einen Gegner ist nicht nur körperlich anstrengend, sondern erfordert auch viele taktische Überlegungen und das Vorwegnehmen der Entscheidungen der anderen. So geht man davon aus, dass die Kombination von Zusammenarbeit und Spielen gegeneinander die exekutiven Funktionen besonders stark trainiert.
Die Mannschaft: Eine Motivationsquelle für körperliche Betätigung
Seit 2010 untersucht Hélène Amieva, Neuropsychologin an der Université Bordeaux, mit ihrem Team, was Menschen am meisten dabei hilft, den inneren Schweinehund zu überwinden und etwa die Ernährung zu ändern oder Sport zu treiben – und kam zu dem Schluss: Es ist der soziale Kontakt. Die Tatsache, zu einer Gruppe zu gehören, erhöht die Wahrscheinlichkeit, damit weiterzumachen. Außerdem steigern ein spielerischer Rahmen und der Austausch mit Teampartnern oder Gegenspielern einfach den Spaß.
Das Gehirn schüttet bei allen körperlichen Aktivitätsspitzen, egal um welchen Sport es sich dabei handelt, entspannende Endorphine aus sowie Serotonin und Dopamin, die mit Stimmung und Wohlbefinden in Verbindung stehen. Etliche Studien zeigen zudem, dass moderate und regelmäßige körperliche Betätigung jeglicher Art dazu beitragen kann, Depressionen zu überwinden und manchen Patienten sogar besser hilft als Medikamente. Aber möglicherweise führt das Ausüben von Teamsport zu einem weiteren Punktvorteil. Bereits 2016 befasste sich Catherine Sabiston von der University of Toronto mit dem Zusammenhang zwischen sportlicher Aktivität im Jugendalter und depressiven Symptomen bei jungen Erwachsenen. Anhand von 860 Studierenden konnte ihr Team zeigen: Je länger ein Jugendlicher in der weiterführenden Schule einen Mannschaftssport getrieben hatte – egal welchen –, desto niedriger war das Risiko für spätere depressive Symptome. Dieser langfristige Zusammenhang fand sich bei Probanden mit individueller sportlicher Betätigung nicht.
2021 bestätigten Forscher um Sara Ann Johnston und Weihun Cheng den Teambonus in einer Intervention, als sie 291 Studierende einer chinesischen Universität in zwei Gruppen aufteilte: Die Mitglieder der ersten Gruppe begannen mit Mannschaftssport, die der zweiten durchliefen ein körperlich anstrengendes Aerobic-Tanztraining. Nach zwölf Wochen Sport hatten alle Teilnehmer ihr Depressionsrisiko gesenkt, die Teamsportler allerdings stärker. Dabei verringert laut zahlreichen Studien vor allem regelmäßiges Tanzen, das sowohl kunstvolle als auch körperliche Komponenten hat, ebenfalls Stress und depressive Symptome.
Höhere Lebensqualität
Bei all den Vorteilen, die der Teamsport mit sich bringt, kann man sich leicht vorstellen, dass sich der positive Einfluss auf die Lebensqualität als Ganzes erstreckt. 2021 bestätigte eine Gruppe um Camila Cassemiro Rosa von der Universität São Paulo in Brasilien diese Hypothese. Ihre Daten zeigen, dass Mannschaftssport sowohl die Lebensqualität als auch die Qualität des Schlafs von Kindern und Jugendlichen stärker verbessert als andere körperliche Betätigung. Vielleicht sind es das gemeinsame Ziel, die Kooperation und die Verantwortung gegenüber der Gruppe, die den Unterschied machen.
Auch eine 2021 publizierte Zweijahresstudie von Stewart Vella an der australischen University of Wollongong mit mehr als 4000 Acht- bis Zehnjährigen kommt zu dem Schluss, dass Mannschaftssport dem Individualsport überlegen ist, was den Zugewinn an körperlichem und psychischem Wohlbefinden betrifft.
Das Fußballspielen verbesserte auch die Lebensqualität von Personen mit psychotischen Erkrankungen wie Schizophrenie
Positive Effekte zeigen sich zudem bei Erwachsenen, die unter seelischen Erkrankungen einschließlich Psychosen leiden. Im Jahr 2017 analysierten Bettina Friedrich und Oliver Mason vom University College London in England 16 Studien zu den Auswirkungen des Fußballspielens. Regelmäßig betrieben, verringerte es demnach nicht nur depressive Symptome und erhöhte das körperliche Wohlbefinden, es verbesserte sogar die Lebensqualität von Personen mit psychotischen Erkrankungen wie Schizophrenie.
Teamsport für jedes Alter
Inzwischen haben Vereine damit begonnen, auch für weniger junge Menschen passende Abteilungen zu schaffen. So finden sich beispielsweise inklusive Angebote für Basketball, Fußball, Handball, Fünf-Spieler-Rugby (eine Variante der Sportart, die schon mit fünf Spielern pro Mannschaft auf einem kleineren Feld gespielt wird) und andere Mannschaftssportformate für jede Altersstufe, die an die körperlichen und kognitiven Bedürfnisse der Spielenden angepasst sind. Egal wie alt man ist oder wie es um die eigenen körperlichen Voraussetzungen steht: Es lohnt sich, im eigenen Umfeld nach Angeboten zu recherchieren, bei denen man in einer Gruppe aktiv sein und Spaß haben kann.
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