14 Faktoren: Wie sich das Risiko für Demenz senken lässt
Bis zu 45 Prozent der Demenzfälle könne man verhindern oder hinauszögern, gelänge es, 14 wichtige Risikofaktoren zeitlebens zu eliminieren. Das berichtete die Lancet-Kommission für Demenzprävention auf der internationalen Konferenz der Alzheimervereinigung (AAIC 2024) im Juli 2024. Einige nicht an der Arbeit beteiligte Fachleute halten den kalkulierten Rückgang zwar für zu optimistisch, eine Demenzprävention aber grundsätzlich für sinnvoll. Die Empfehlungen der Expertengruppe sollen in jeder Lebensphase und selbst bei einer genetischen Veranlagung noch greifen.
Bei der »Lancet Commission on dementia prevention, intervention, and care« handelt es sich um ein internationales Team von 27 führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die regelmäßig die aktuelle Datenlage in der Demenzforschung auswerten. Den bereits 2020 vorgestellten zwölf Risikofaktoren fügte die Kommission jetzt zwei weitere hinzu: erhöhte LDL-Cholesterinwerte und einen unbehandelten Sehverlust. Den Experten ist bewusst, dass schwer zu beurteilen ist, ob ein Faktor wirklich ursächlich zur Krankheitsentstehung beiträgt oder ob er aus anderen Gründen im Vorfeld einer Demenz gehäuft auftritt. Zudem könnte etwa eine Depression (zumal in höherem Alter) auch umgekehrt die Folge einer nicht offenkundigen demenziellen Entwicklung sein. Außerdem sind etliche Faktoren nicht unabhängig voneinander. All dies hat die Expertengruppe versucht bei der Beurteilung zu berücksichtigen. Bei den 14 vorgestellten Risikofaktoren kommt sie jedoch zu dem Schluss, dass die Datenlage eine Präventionsempfehlung rechtfertigt.
»Demenzprävention durch einen gesünderen Lebensstil findet bereits statt«Frank Jessen, Klinikdirektor
Tatsächlich ist der Einfluss äußerer, das heißt nichtgenetischer Umstände auf die Entwicklung einer Demenz nicht zu leugnen. Zwar wird sich die Zahl der Demenzkranken auf der Welt bis 2050 voraussichtlich fast verdreifachen: von 57 Millionen im Jahr 2019 auf 153 Millionen bis zur Mitte des Jahrhunderts. Doch das bedeutet nicht, dass das Risiko, daran zu erkranken, stetig steigt. Vielmehr ist in den älteren Altersgruppen der Anteil der Menschen, die an Demenz leiden, in etlichen Ländern zurückgegangen – was sich nicht genetisch erklären lässt. »Demenzprävention durch einen gesünderen Lebensstil findet bereits statt. Die Häufigkeit von Demenzen nimmt prozentual in Bezug auf das Alter in vielen Ländern, auch in Deutschland, seit Jahren ab«, bestätigt Frank Jessen, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uniklinik Köln, auf Nachfrage des Science Media Center Deutschland.
Stefan Teipel leitet die Forschungsgruppe Klinische Demenzforschung am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Rostock und vermutet, dass die Nachkriegsgeneration von einer besseren Gesundheitsversorgung und mehr Bildung profitiert. Gerade bei den Frauen könne zudem eine Rolle spielen, dass sie weniger geraucht haben als frühere Generationen, so der Medizinprofessor. Auch für ihn spricht einiges dafür, dass Präventionsbemühungen bei Demenz funktionieren können.
Die 14 wichtigsten Risikofaktoren für Demenz – und wie man sie reduzieren könnte
1. Schwerhörigkeit: sieben Prozent (prozentualer Rückgang der Anzahl der Fälle in einem bestimmten Zeitraum, wenn dieser Risikofaktor beseitigt wird) durch Bereitstellung von Hörgeräten für alle Menschen mit Hörverlust und Verringerung schädlicher Lärmbelastungen.
2. Erhöhtes LDL-Cholesterin: sieben Prozent; Erkennung und Behandlung eines hohen LDL-Cholesterinspiegels ab einem Alter von etwa 40 Jahren.
3. Geringe Bildung: fünf Prozent; gute Schulbildung für alle Kinder sicherstellen.
4. Soziale Isolation: fünf Prozent; Förderung unterstützender Gemeinschaftseinrichtungen und Wohnformen, die soziale Kontakte erleichtern.
5. Depression: drei Prozent; Depressionen erkennen und wirksam behandeln.
6. Schädel-Hirn-Traumata: drei Prozent; Tragen von Helmen und Kopfschutz bei Kontaktsportarten und beim Fahrradfahren.
7. Luftverschmutzung: drei Prozent; Verringerung der Luftverschmutzung (unter anderem Feinstaub und Stickoxide) durch strengere Luftreinhaltemaßnahmen, außen und innen (Kamin- und Ofenheizung).
8. Rauchen: zwei Prozent; Ausweitung der Maßnahmen zur Eindämmung des Rauchens, etwa Preiskontrollen, Anhebung des Mindestalters für den Erwerb von Zigaretten und Rauchverbote.
9. Sehverlust: zwei Prozent; Screening von Sehbehinderungen und Behandlung für alle zugänglich machen.
10. Körperliche Inaktivität: zwei Prozent; Ermutigung zu Bewegung.
11. Bluthochdruck: zwei Prozent; Vorbeugung und Reduzierung von Bluthochdruck ab einem Alter von 40 Jahren. Der systolische Blutdruck (oberer Wert) sollte maximal 130 mmHg betragen.
12. Diabetes: zwei Prozent; Vermeidung von Übergewicht, Beschränkung zuckerhaltiger Ernährung.
13. Übergewicht: ein Prozent; Aufrechterhaltung eines gesunden Gewichts und möglichst frühzeitige Behandlung von Fettleibigkeit.
14. Exzessiver Alkoholkonsum: ein Prozent; Reduzierung des Alkoholkonsums durch Preiskontrollen und stärkere Sensibilisierung für die Risiken eines übermäßigen Konsums.
Ziele der Demenzprävention
Der Bericht der Kommission enthält eine ganze Reihe von Empfehlungen, die sich an den Einzelnen, aber auch an Regierungen richten. »Die gesamte Gesellschaft ist gefragt, die Politik und Entscheider auf überregionaler und kommunaler Ebene«, sagt Steffi Riedel-Heller, Direktorin des Instituts für Sozialmedizin am Universitätsklinikum Leipzig: »Es geht zum Beispiel darum, Städte so zu konzipieren, dass Menschen sich besser bewegen können, oder Möglichkeiten für soziale Kontakte zu schaffen.« Die Top 3 der Empfehlungsliste sind die Behandlung von Hörverlusten, eine gute Bildung und die Kontrolle des LDL-Cholesterins, was für die Gesundheit der Blutgefäße wichtig ist. Diskutiert werden im Bericht neben den 14 ausgewiesenen Risikofaktoren noch weitere Einflüsse, etwa die Schlafqualität oder auch die Gesundheit des Zahnfleischs. Allerdings hielten diese den Bewertungskriterien der Kommission bisher nicht stand.
Die empfohlenen Veränderungen zielen zum einen direkt oder indirekt darauf ab, pathologische Veränderungen im Gehirn zu verringern. Dazu zählen etwa Entzündungsprozesse, die Schädigung von Blutgefäßen und die Bildung von ß-Amyloid-Plaques. Zum anderen sollen sie helfen, die »kognitive Reserve« zu vergrößern. Mit diesem Konzept erklären etliche Fachleute, warum viele ältere Menschen trotz demenztypischer Veränderungen im Gehirn keine Demenzsymptome zeigen. So könnte ein trainingsbedingter Aufbau besonders effizienter Hirnnetzwerke bewirken, dass sich strukturelle Schädigungen nicht oder erst später auswirken.
»Was gut ist für die Herzgesundheit, ist auch für die Hirngesundheit gut«Stefan Teipel, Demenzforscher
Die Expertengruppe berechnete, dass die Fallzahlen durch perfekte Kontrolle der LDL-Cholesterinwerte um rund sieben Prozent und durch die konsequente Behandlung von Sehverlusten um zwei Prozent abnehmen würden. Könnte man alle 14 Risikofaktoren vollkommen eliminieren, ließen sich in der Summe 45 Prozent der Demenzerkrankungen verhindern oder hinauszögern. Stefan Teipel hält den Wert allerdings für zu hoch gegriffen: »Ich denke, die 45 Prozent liegen im oberen Randbereich dessen, was man erwarten kann, und die Wirklichkeit liegt deutlich darunter.«
Auch für Frank Jessen sind 45 Prozent eher eine »theoretische Zahl«. Dennoch fordert er: »Es muss allgemein bekannter werden, dass auch das Gehirn durch eine gesunde Lebensweise geschützt werden kann, nicht nur das Herz.« Sein Kollege Stefan Teipel sieht das offenbar ähnlich und schlägt vor, die Präventionsprogramme für kardiovaskuläre Erkrankungen in Hinblick auf Demenz zu stärken. »Was gut ist für die Herzgesundheit, ist auch für die Hirngesundheit gut«, erklärt Teipel: »Es lohnt sich also doppelt, in Prävention zu investieren.«
Anm. d. Red.: In der ursprünglichen Version des Artikels hatten wir im Kasten versehentlich Prozentzahlen aus einer früheren Veröffentlichung der Expertenkommission angegeben. Wir haben den Fehler korrigiert.
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