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Molekulare Interaktionen: Protonen-Paparazzi

In der Welt der Chemie zählen Protonen durchaus zu den VIPs. Da bleibt auch ihr intimstes Privatleben nicht unbehelligt. Berliner Forscher bestätigen nun mit neuen optischen Instrumenten Jahrhunderte alte Spekulationen.
Hydronium
Sie sind niemals ganz allein. Dessen sind sich die Sensationsreporter, die Adeligen und Filmstars hinterjagen, sicher. Irgendein geheimes Verhältnis, irgendeine Liebelei wird doch wohl aufzudecken sein, hoffen sie, wenn sie ihre Objektive an der Côte d'Azur auf die Jachten der Reichen richten. Dafür, dass die Promis sich auch wirklich nicht einsam fühlen, sorgen die Paparazzi mit ihrer permanenten Anwesenheit schon selbst.

Nie allein sind auch andere allgegenwärtige Akteure. Ihnen ist es bislang jedoch versagt geblieben, die Titelseiten der Klatschpresse zu füllen. Kein Wunder, denn ihre Fangemeinde ist ungleich kleiner. Und das, obwohl sie weder in blauem Blut, noch in dem an den Fürstenmund geführten Cocktailglas oder auch in den an den Bug der Jacht schlagenden Wellen fehlen. Ihr Name schließlich erklärt ihre Massenuntauglichkeit. Es geht um Wasserstoffionen, die sich heute einmal ganz ungeniert im Fokus unserer Aufmerksamkeit baden dürfen.

Prominentester Vertreter ist das H+-Ion, dessen Überzahl beispielsweise den Essig sauer macht. Auch dieses einsame, von seinem Elektron verlassene Proton tritt in einer wässrigen Lösung nie für sich, sondern immer nur in Gesellschaft auf. Zusammen mit einem ganz normalen Wassermolekül bildet es das Hydronium-Ion H3O+, das desgleichen nicht alleine bleibt. Von den Bünden, die sich zwischen benachbarten Wassermolekülen formen, sind die bekanntesten das Zundel-Kation (H5O2+) und das Eigen-Kation (H9O4+).

Doch das ist längst nicht die ganze Geschichte. Wer gerade mit wem liiert ist, ändert sich bei den Molekülen vom Geschlechte H2O ständig. Wie es das unvermeidliche thermische Gewoge will, reichen Wassermoleküle mal diesem, mal jenem Nachbarn die Hand – und zwar über elektrostatische Wechselwirkungen zwischen Sauerstoff- und Wasserstoffatomen, die so genannten Wasserstoffbrückenbindungen. So entsteht im Wasser ein feines Geflecht gegenseitiger und ständig wechselnder Beziehungen.

Schon lange bevor Forscher eine Vorstellung von diesem Netzwerk hatten, machten sie sich Gedanken darüber, wie sich Protonen wohl im wässrigen Milieu auf dem Weg von der Säure zur Base fortbewegen. Am Beginn dieser Tradition steht die 200 Jahre alte Überlegung des deutsch-baltischen Gelehrten Theodor von Grotthuss. Sie hat die wissenschaftlichen Diskussionen bis heute überlebt und firmiert unter dem Namen "Grotthuss-Mechanismus". Nach diesem bewegen sich Protonen nicht eigenmächtig und frei, sondern springen von Wassermolekül zu Wassermolekül – sie lassen sich quasi durchreichen.

In der Folge formulierten Chemiker und Physiker dann immer genauere Prognosen, wie die Zwischenzustände, die bei der Wanderschaft der Protonen auftreten, aussehen könnten, darunter die Zundel- und die Eigen-Kationen. Es gab nur ein Problem – es waren allesamt Hypothesen. Gesehen hatte die ominösen Beziehungskisten zwischen Wasser und Protonen bislang keiner.

Zwar bestätigten Ende der 1990er Jahre aufwändige Computersimulationen die Theorien und damit auch das Auftreten verschiedener Übergangszustände. Im Experiment ließen sich diese allerdings nicht ertappen. Das liegt an dem Trick, mit dem sich Zundel-Ion, Eigen-Ion und Konsorten der Öffentlichkeit entziehen. Die Protonen sind einfach zu schnell. Sie wandern mit so hoher Geschwindigkeit von der Säure zur Base, dass die kurzfristigen Techtelmechtel nicht nachzuweisen sind.

Doch jetzt hat das Versteckspiel ein Ende. Erik Nibbering und seinen Kollegen vom Berliner Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie ist es nun gelungen, mit ultrakurzen Laserblitzen Schnappschüsse der Protonenbewegung zu machen. Sein Gerät ermöglicht ihm Aufnahmen im Abstand von 150 Femtosekunden. Wie kurz das ist, wird klar, wenn man weiß, dass ein Lichtstrahl, der es in einer Sekunde fast bis zum Mond schafft, nach 100 Femtosekunden gerade einmal die Strecke, die dem Durchmesser eines Haares entspricht, zurücklegt.

Weil sie die von ihnen beobachtete Säure-Basen-Reaktion zusätzlich noch verlangsamen konnten, wiesen die Berliner Forscher mit dem Laser endlich die vorhergesagten Zwischenschritte nach. "Zuvor hatten wir nur Anfang und Ende des Protonentransfers gesehen", berichtet Nibbering, der den Grotthuss-Mechanismus nun als bestätigt ansieht.

Protonenwandern | Protonen-Hopping nach dem Grotthuss-Mechanismus. Das Proton befindet sich immer bei dem blau umrahmten Hydronium-Ion. Ohne dass die Moleküle sich bewegen wander die positive Ladung – nur die Brückenbindungen ändern sich.
Der Forscher vergleicht die hüpfende Protonenwanderung mit dem Sandsacktransport beim Verstärken eines Deichs: "Eine Menschenkette reicht die Säcke effizienter und schneller durch, als wenn jeder allein die Säcke zum Deich bringen muss." Auf diese Art müssen sich weder das Proton noch die Wassermoleküle bewegen, um die positive Ladung voran zu bringen. Lediglich die Elektronen wechseln in der Transportkette ab und an ihre Besitzer.

Deshalb funktioniert der Protonenumzug sogar innerhalb von Eis, bei weit gehend starrem Molekülverband. Natrium-Ionen dagegen können das nicht. Sie müssen sich höchstselbst und ganz allein auf die Reise machen. Von den eventuellen Affären, die sie dabei erleben, wird in den Gazetten natürlich wieder nichts zu lesen sein.

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