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Therapieforschung: Was wirklich hilft

Eine Psychotherapie wirkt erstaunlich gut bei verschiedenen psychischen Störungen. Sind bestimmte Verfahren besser als andere? Und was daran ist für den Erfolg verantwortlich? Ein Überblick über aktuelle Erkenntnisse aus der Psychotherapieforschung.
Psychotherapiesitzung mit zwei Jugendlichen

Vor 70 Jahren sorgte eine Veröffentlichung des Psychologen Hans Jürgen Eysenck (1916–1997) für Wirbel. Seine provokante These: Psychotherapie sei im Endeffekt nicht wirksamer als gar keine Behandlung. Er hatte 24 Studien ausgewertet, laut denen 66 Prozent der Patienten von einer Psychotherapie profitierten. Da ihm keine wirkliche Kontrollgruppe zur Verfügung stand, nutzte er zum Vergleich Daten von Patienten, die in einer überfüllten Psychiatrie oder vom Hausarzt behandelt worden waren und bei denen er davon ausging, sie hätten keine oder kaum Psychotherapie erhalten. Dennoch ging es ihnen hinterher ähnlich gut. Das verleitete ihn zu seiner Annahme, der Erfolg von Psychotherapie unterscheide sich nicht bedeutsam von einer Spontanheilung.

Heute weiß man um die methodischen Mängel der Untersuchung, aber damals sorgten Eysencks Befunde für Aufregung – und zwangen Psychotherapeuten dazu, die Wirksamkeit ihres Verfahrens nachzuweisen. Eine regelrechte Kaskade an Überblicksarbeiten, so genannten Metaanalysen, entstand, welche die bisherige Studienlage statistisch zusammenfassen, um eine Gesamtaussage zu treffen.

Doch was ist Psychotherapie überhaupt? Keine einfache Frage, schließlich versammeln sich unter dem Begriff diverse Verfahren, die sich seit dem 20. Jahrhundert in rasantem Tempo entwickelt haben. »Wir schauen heute auf eine nicht zu überblickende Zahl von unterschiedlichen therapeutischen Interventionen«, schreibt Mark Helle von der Hochschule Magdeburg-Stendal in seinem 2019 erschienenen Buch »Psychotherapie«.

Nur drei der vielen Behandlungsformen gelten in Deutschland derzeit als anerkannte Psychotherapieverfahren im Sinne der Psychotherapie-Richtlinie. Bei diesen erstatten die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Den drei Verfahren liegt ein umfassendes Theoriesystem zu Grunde, und ihre Wirksamkeit ist wissenschaftlich belegt. Dazu zählen psychoanalytisch begründete Psychotherapieverfahren (die tiefenpsychologisch fundierte und die analytische Psychotherapie), die Verhaltenstherapie sowie die Systemische Therapie (siehe »Kurz erklärt«).

Kurz erklärt:

Drei Behandlungsformen sind in Deutschland anerkannte Psychotherapieverfahren im Sinne der Psychotherapie-Richtlinie:

Psychodynamisch orientierte Verfahren wie die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die analytische Psychotherapie halten ungelöste innere und zwischenmenschliche Konflikte für die Ursache seelischer Erkrankungen, daher spielt die Beschäftigung mit der Vergangenheit, vor allem der Kindheit, eine wichtige Rolle in der Therapie. Sie fußt auf der von Sigmund Freud entwickelten Psychoanalyse, hat sich aber im Lauf der Zeit weiterentwickelt.

Die Verhaltenstherapie legt ihren Fokus stärker auf das Hier und Jetzt. Die Kernidee: Ungünstiges Verhalten ist erlernt – und kann daher wieder verlernt werden. Durch die Behandlung sollen problematische Denk- und Verhaltensmuster erkannt und verändert werden.

Die Systemische Therapie legt dagegen besonderen Wert auf den sozialen Kontext. Probleme einer Person versteht sie als eine Störung im System, also im sozialen Umfeld wie beispielsweise in der Familie oder im Arbeitsumfeld.

Angeleiteter Lernprozess

Obwohl in jeder Therapierichtung eigene Theorien über die Ursachen psychischer Störungen, Traditionen und spezifische Behandlungsverfahren existieren, gibt es Gemeinsamkeiten: Psychotherapie ist ein Lernprozess, so beschreiben es der Tübinger Psychotherapieprofessor Martin Hautzinger und seine Kollegen im Buch »Psychotherapie«. Sie zielt darauf ab, das Verhalten, die Einstellungen und das Erleben einer Person durch Erfahrungen und Erkenntnisse zu verändern.

»Psychotherapie ist eine über Sprache vermittelte komplexe Behandlung«, erklärt Christoph Flückiger, Professor für Allgemeine Interventionspsychologie und Psychotherapie an der Universität Zürich. Die Kommunikation stehe im Zentrum. In der Psychotherapie dürften Menschen ihre Probleme gegenüber einem geschulten Zuhörer offen ansprechen. Ziel sei herauszufinden, wie man eine schwierige Situation ändern kann. Und das dann aktiv zu tun.

»Psychotherapie wird eben nicht einfach wie ein Medikament appliziert, sondern entfaltet sich in einem Raum, der gemeinsam von Psychotherapeut und Patient gestaltet wird«, so Mark Helle. Im psychotherapeutischen Prozess kämen mindestens zwei Individuen, nämlich Therapeut und Patient, ins Spiel, die sich unter anderem durch ihre Lebensgeschichte, ihre Persönlichkeitszüge, Lebenswelten und Reaktionsmuster auszeichnen. Die Herausforderung der Psychotherapieforschung sei es daher, allgemein gültige Erkenntnisse und übergeordnete Regeln aus einem höchst individuellen Prozess zwischen den beiden abzuleiten.

Zwei von drei Patienten profitieren deutlich

»Im Durchschnitt profitieren um die 70 Prozent deutlich von einer Psychotherapie«, sagt Jürgen Margraf, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum. Weniger als zehn Prozent helfe die Behandlung nicht, einem kleinen Teil von ihnen geht es sogar schlechter. »Es macht allerdings einen großen Unterschied, ob eine Person mit Ängsten, einer Suchtproblematik oder mit psychotischen Symptomen wie Wahnvorstellungen in die Behandlung kommt.« Menschen mit einer spezifischen Phobie, die in der Spezialambulanz für Angststörungen in Bochum behandelt werden, profitieren etwa zu weit über 90 Prozent. Darauf seien sein Team und er eben spezialisiert. »Es hängt auch davon ab, wo man hingeht.«

Wie gut Psychotherapie funktioniert, verdeutlicht beispielsweise das IAPT-Programm (Improving Access to Psychological Therapies), durch das in Großbritannien mehr als eine Million Patientinnen und Patienten jährlich eine evidenzbasierte psychologische Behandlung bei Angst und Depression erhalten. Es wurde vor rund zehn Jahren in der Hoffnung entwickelt, dass anschließend viele von ihnen wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, was die Kosten für Sozialleistungen senken sollte. Ziel war es, Menschen mit psychischen Störungen den Zugang zur Psychotherapie zu erleichtern und die immensen Wartezeiten, bei denen das Land trauriger Rekordhalter war, zu reduzieren. Das Besondere an dem Programm ist die stetige Verlaufskontrolle in über 90 Prozent aller Sitzungen.

Heilungsraten bei Angst | Im Rahmen des IAPT-Programms in Großbritannien erhalten jährlich mehr als eine Million Menschen eine Psychotherapie bei Depressionen und Ängsten. Zwei von drei Patienten geht es nach der Behandlung besser. Die Heilungsrate liegt im Schnitt bei 51 Prozent, das heißt, fast die Hälfte erfüllt anschließend nicht mehr die Diagnosekriterien. Die Zahl unterscheidet sich aber von Störung zu Störung.

Dank einer Psychotherapie im Rahmen des IAPT-Programms verbesserten sich die Symptome bei zwei Dritteln der Teilnehmenden. Die Heilungsrate lag bei 51 Prozent. Davon spricht man, wenn Personen nicht mehr die Diagnosekriterien erfüllen. Bei spezifischen Phobien wie etwa Flugangst betrug sie 64 Prozent, bei Agoraphobie 37 (siehe »So gut wirkt Psychotherapie«).

Verblüffend effektiv

»Das ist ziemlich sensationell«, findet Margraf. Denn die Ergebnisse stammten von keiner Forschungsstudie unter optimalen Bedingungen, sondern von einer Evaluation der Behandlung unter Routinebedingungen. Zu den Genesenen kommen noch all jene dazu, denen es hinterher besser geht, obwohl sie immer noch die Diagnosekriterien erfüllen.

Eine 2021 veröffentlichte Metaanalyse von Forschenden um Sarah Wakefield untersuchte die Effektstärke der Intervention im Rahmen des IAPT-Programms. Dieses auch als »Cohens d« bezeichnete standardisierte statistische Maß gibt an, wie groß ein Effekt ist, zum Beispiel wie sehr sich Patienten mit einer Psychotherapie von einer Kontrollgruppe ohne Behandlung unterscheiden. Der Vorteil: Es macht Aussagen über die praktische Relevanz eines Effekts, da es im Vergleich zum Signifikanzwert p nicht von der Stichprobengröße abhängt. Stattdessen setzt es den Mittelwertsunterschied mit der Streuung aller Messwerte ins Verhältnis.

Die Wissenschaftler errechneten eine Effektstärke von Psychotherapie bei Depressionen von 0,87 und bei Angststörungen von 0,88. Ab 0,8 spricht man von einem großen Effekt, ab 0,5 von einem mittleren und ab 0,2 von einem kleinen. Zum Vergleich: Die Effektstärke einer Bypass-Operation liegt bei 0,8, einer Pharmakotherapie bei Arthritis bei 0,61 und von Aspirin zur Herzinfarktprävention bei lediglich 0,07 (siehe »So gut wirkt Psychotherapie«). Inzwischen gibt es hunderte Metaanalysen zur Wirksamkeit von Psychotherapie. Ihre Effektstärke liegt im Schnitt bei 0,88 (je nach Störung bei 0,35 bis 1,37). Das Verfahren wirkt auch besser als ein Placebo.

So gut wirkt Psychotherapie | Psychotherapie ist mit einer Effektstärke von 0,88 auch im Vergleich zu anderen medizinischen Behandlungen sehr wirksam. Der Therapieforscher Lars-Göran Öst von der Universität Stockholm fand in einer 2008 veröffentlichten Metaanalyse für die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) Effektstärken bei Angst- und Zwangserkrankungen zwischen 0,97 und 2,4. Ab 0,8 spricht man von einem großen Effekt.

Allerdings kommen die durchaus wirksamen Verfahren nicht unbedingt bei den Menschen an, die sie brauchen. Laut Daten der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde nehmen weniger als 20 Prozent der psychisch erkrankten Personen professionelle Hilfe in Anspruch. Und wenn, dann erst spät: Sieben Jahre dauert es im Schnitt, bis sich jemand mit einer affektiven Störung wie einer Depression in eine Psychotherapie begibt. Die Hürden sind offenbar hoch. Umso wichtiger erscheint es, sie abzubauen, zum Beispiel indem der Zugang zur Behandlung erleichtert wird und die Wartezeiten verkürzt werden. Darüber hinaus braucht es Offenheit im Umgang mit psychischen Störungen, um Betroffenen ihre Ängste und Sorgen zu nehmen und die Stigmatisierung abzubauen.

Für ganz entscheidend hält Margraf die Frage, ob Menschen kurz- oder langfristig von einer Behandlung profitieren. Schließlich verlaufen psychische Störungen häufig chronisch. »Es ist ein bisschen wie beim Abnehmen. Mal vorübergehend abnehmen, ist ja schön und gut. Aber was wirklich zählt, sind langfristige Effekte.

»Dauerhafter Erfolg nach dem Ende einer Behandlung ist nur für die Psychotherapie belegt«, sagt er. »Die Wirkung von Medikamenten verschwindet dagegen rasch, sobald sie abgesetzt werden.« Das sei eindeutig bei Angststörungen, Depressionen und ADHS der Fall und möglicherweise auch bei Schizophrenie.

Es zählt, was langfristig wirkt

Eine randomisierte kontrollierte Studie von Psychologen um Keith Dobson von der kanadischen University of Calgary spricht dafür, dass der positive Effekt von Antidepressiva im Lauf der Medikation nachlässt. Das Team untersuchte, wie viele von rund 200 Patienten mit Depressionen zwei Jahre nach der Behandlung einen Rückfall erlitten. Zuvor hatten diese entweder das Antidepressivum Paroxetin aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), eine kognitive Verhaltenstherapie oder eine rein behaviorale Verhaltensaktivierung erhalten. Bei der Hälfte der medikamentös behandelten Patienten ersetzten die Forschenden das Medikament zu Beginn der Studie durch ein Placebo, bei den restlichen ein Jahr später. Das Ergebnis: Während der Einnahme kam es zu mehr Rückfällen als nach einer abgeschlossenen kognitiven Verhaltenstherapie oder nach einer Verhaltensaktivierung (siehe »Weniger Rückfälle nach Psychotherapie«). Beide Verfahren seien mindestens so wirksam wie die Dauermedikation und eine kostengünstigere Alternative mit länger anhaltenden Effekten, so das Fazit der Autoren.

»Wenn Sie ein Medikament nehmen, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie es länger nehmen. Und dann kommt ein Rattenschwanz an Problemen hinzu, etwa Libidoverlust oder ein höheres Risiko für Demenz«, sagt Margraf. Tatsächlich ist der Verbrauch von Antidepressiva seit den 1990er Jahren in Ländern wie den USA und Großbritannien stark angestiegen, in Deutschland zwischen 1990 und 2016 um fast 750 Prozent. Die Medikamente werden auch über immer längere Zeit verschrieben. In den vergangenen Jahren mehren sich Hinweise darauf, dass Entzugserscheinungen wie Unruhe und Missempfindungen lange unterschätzt wurden. Allein deshalb muss das Absetzen immer langsam und unter ärztlicher Beobachtung erfolgen.

Weniger Rückfälle nach Psychotherapie | Eine Untersuchung von Wissenschaftlern um Keith Dobson von 2008 deutet darauf hin, dass die positive Wirkung von Antidepressiva mit der Zeit nachlässt. Während der Einnahme kam es zu mehr Rückfällen als bei Patienten, die zuvor (bis zum Zeitpunkt 0) eine kognitive Verhaltenstherapie (KVT) oder Verhaltensaktivierung erhalten hatten.

Margrafs Rat: »Fangen Sie also, wenn möglich, gar nicht damit an. Machen Sie Sport, achten Sie auf eine gesunde Ernährung und ausreichend Schlaf, bauen Sie Stress ab. Alle wissen, dass das gut ist, aber die meisten machen es dennoch nicht. Und versuchen Sie, Ihre unmittelbare Freude an solchen Aktivitäten zu entdecken.«

Natürlich seien die langen Wartezeiten auf einen Therapieplatz ein Problem, doch es herrschten auch falsche Vorstellungen. Etwa die, man müsse Menschen durch Medikamente erst therapiefähig machen. Dafür gebe es keinen Beleg. »Hausärzte haben häufig das Gefühl: Wenn ich kein Rezept ausstelle, denkt der Patient, ich bin kein guter Arzt.« Könne jemand beispielsweise nicht schlafen, würde es statt eines Schlafmittels mehr helfen, draußen spazieren zu gehen, keinen Alkohol zu trinken und gesunde Schlafrituale zu entwickeln.

Um die langfristigen Effekte der kognitiven Verhaltenstherapie zu untersuchen, befragten Margraf und sein Team 2019 rund 250 Patientinnen und Patienten, die in den vergangenen 5 bis 20 Jahren (im Schnitt vor 8 Jahren) auf Grund einer psychischen Störung wie einer Depression, Angst- oder Essstörung in der Bochumer Universitätsambulanz behandelt worden waren. »38 Prozent hat die Therapie sehr genutzt, 29 Prozent deutlich« (siehe »Dauerhafte Effekte«).

Dauerhafte Effekte | Psychotherapie wirkt erstaunlich langfristig. 5 bis 20 Jahre nach einer Behandlung an der Universitätsambulanz in Bochum gaben 38 Prozent der ehemaligen Patienten an, die Therapie habe ihnen sehr genützt.

Trotz solcher Erfolge darf man allerdings nicht außer Acht lassen, dass die Behandlung manchen Patienten nach wie vor nicht hilft. Woran liegt das, und wie kann man das ändern?

»Ein Teil von ihnen bekommt nicht das geeignetste Therapieverfahren für ihre Symptome«, glaubt Margraf. Ein Beispiel: Jemand geht mit einer Spinnenphobie zu einer psychodynamischen Therapeutin, die mit ihm über seine frühe Kindheit und seine Mutter spricht. Dabei ist gut belegt, dass die kognitive Verhaltenstherapie bei spezifischen Phobien schnellere und bessere Erfolge erzielt als andere Interventionen. Ein weiteres Problem ist, wenn die Ziele nicht richtig besprochen wurden – und Therapeut und Patient zumindest implizit andere Erwartungen an die Behandlung haben.

Übersehener Faktor: Soziale Umwelt

Zudem findet Margraf es wichtig, einen bisher vernachlässigten Faktor in den Blick zu nehmen: den Einfluss der sozialen Umwelt auf das Therapieergebnis. »Psychologen schauen auf das Individuum, nicht so sehr auf die Gesellschaft«, sagt er. In der Universitätsambulanz behandelt er Menschen aus dem Ruhrgebiet, die sich hinsichtlich Einkommen, Wohnverhältnissen oder Bildung stark unterscheiden. Anhand der Adresse der Patienten, die Rückschlüsse auf den sozialen Status zulässt, gelang es ihm erstaunlich gut vorherzusagen, wie dauerhaft die Symptome nachließen. Künftig wird er mit der Stadt Bochum ein Modellprojekt in einem Viertel durchführen, das als sozialer Brennpunkt gilt. Dabei sollen soziale Faktoren der Therapie in den Fokus genommen und Jugendämter sowie Lehrer beteiligt werden.

»Nur weil Studien zeigen, dass eine Intervention wirkt, wissen wir nicht automatisch, was genau daran wirkt und warum«, sagt Wolfgang Lutz, Psychotherapieforscher und Professor an der Universität Trier. Oft werde einfach angenommen, dass jene Prozesse wirken, welche die verhaltenstherapeutische oder psychodynamische Theorie postulieren. Allerdings ist der Nachweis, was in einer Psychotherapie hilft, deutlich schwerer zu erbringen als der, dass sie hilft.

Den Gedanken, alle Therapien würden durch gemeinsame Faktoren wirken, äußerte 1936 erstmals der US-amerikanische Psychologe Saul Rosenzweig (1907–2004). Wie er beobachtete, führten verschiedene Verfahren zu ähnlichen Ergebnissen. Daher ging er davon aus, dass sie wahrscheinlich durch Elemente helfen, die allen gemeinsam sind. Er nutzte ein Zitat aus Lewis Carrolls Buch »Alice im Wunderland«, in dem der Vogel Dodo plötzlich das Ende eines Wettrennens verkündet und feststellt: »Alle haben gewonnen, und alle müssen Preise erhalten.« Dieses so genannte »Dodo-Bird-Verdict«, dass alle Ansätze vergleichbare Wirkungen haben und sich nicht wesentlich voneinander unterscheiden, ist zum Gegenstand heftiger Debatten in der Psychotherapie geworden. Tatsächlich sind die Effektstärkenunterschiede zwischen den Therapieformen eher klein. Ist es dann egal, welche davon ein Patient erhält?

»Das Dodo-Bird-Verdict wird manchmal falsch verstanden«, sagt Flückiger. »Es ist überhaupt nicht so, dass jede Psychotherapie gleich gut helfen würde. Es gibt viele Variationen. Die einen wirken, die anderen nicht. Im Durchschnitt wirken sie allerdings erstaunlich robust.« Das Dodo-Bird-Verdict könne zudem nur Aussagen über Verfahren machen, die wissenschaftlich untersucht wurden. »Was es eigentlich sagt: Die Erfolgsvarianz innerhalb einer Therapieschule ist höher als zwischen den Schulen. Die Therapierichtungen erklären also nicht wahnsinnig viel an der Outcome-Varianz.« Oder mit anderen Worten: Die Unterschiede innerhalb einer Therapieschule sind größer als die zwischen Schulen. Das bedeutete aber längst nicht, dass es egal ist, was der Behandler macht.

»Nur weil Studien zeigen, dass eine Intervention wirkt, wissen wir nicht automatisch, was genau daran wirkt und warum«Wolfgang Lutz, Psychotherapieforscher

Gemeinsamkeiten betonen

Allgemeine Wirkfaktoren kommen in jeder Form der Psychotherapie vor und sind im Vergleich zu spezifischen nicht Bestandteil der Technik, die ein Therapeut im Rahmen seiner Ausbildung erlernt hat. Beispiele für solche störungs- und therapieschulenübergreifenden Komponenten sind die Bereitschaft des Patienten zur Veränderung und die Qualität der Beziehung zwischen ihm und dem Behandler. Dass allgemeine Faktoren in der Psychotherapie wirken, bestreitet keiner mehr ernsthaft. Doch wie groß ist ihr Anteil am Erfolg? Inzwischen gehen viele Fachleute davon aus, dass die Rolle spezifischer Komponenten überschätzt wurde – und gemeinsame Elemente entscheidender sind. »Durch die Idee der allgemeinen Wirkfaktoren lässt sich der Schulenstreit überwinden«, glaubt Flückiger. Das Schulendenken hält er sowieso für eine überholte Konstruktion.

So zeigen Videoaufzeichnungen von Behandlungen, dass teilweise sehr Ähnliches gemacht wird – auch über die Therapieschulen hinweg. »Verschiedene Psychotherapien in Deutschland sind sich untereinander viel ähnlicher als eine kognitive Verhaltenstherapie in den USA und in Deutschland«, erklärt er. Ein Beispiel ist die Dauer. In Deutschland sind bis zu 40 bezahlte Sitzungen üblich, in den USA sind die Therapien kürzer, weil die Patienten sie in der Regel selbst bezahlen. Das habe auch Einfluss darauf, wie die Therapie gestaltet wird.

Flückiger erforscht unter anderem die Arbeitsallianz. Der Begriff bezeichnet die Qualität der Kollaboration zwischen Therapeut und Patient, also wie sehr beide in den Zielen der Behandlung übereinstimmen, wie gut sie zusammenarbeiten und wie sehr sie sich vertrauen. Die Arbeitsallianz gilt mit hunderten Studien als am intensivsten erforschter allgemeiner Wirkfaktor – und kann den Erfolg einer Therapie am zuverlässigsten vorhersagen.

»Die therapeutische Beziehung ist ein wichtiger, aber massiv überschätzter Faktor«, findet stattdessen Margraf. Aus seiner Sicht sind die am besten belegten Mechanismen Lern- und Gedächtnisprozesse. Frage man Patienten, was ihnen geholfen habe, werde die Beziehung zum Therapeuten so gut wie nicht genannt. »Nach einer guten Therapie sollten sie sagen: Ich hatte ein Problem, doch ich habe es bewältigt. Ich habe mir helfen lassen, doch ich bin derjenige, der es geschafft hat.« Flückiger hält dagegen: »Die Beziehung sagt nicht alles, aber auch nicht nichts. Sie ist der robusteste Prädiktor für den Erfolg einer Behandlung, den wir bisher kennen.«

Es sei jedoch nicht so, dass man sagen könne: Ist die Therapiebeziehung gut, dann ist alles gut, betont er. In der Psychologie sei nie etwas schwarz oder weiß. »Wir sprechen von erklärten Varianzen um die acht Prozent.« Damit ist gemeint: Rund acht Prozent der Erfolgsunterschiede zwischen Therapeuten sind auf ihre Fähigkeit zurückzuführen, gute Arbeitsallianzen aufzubauen. »Die einen schaffen das ein bisschen besser als andere. Und haben auch bessere Therapieerfolge.

Was zeichnet erfolgreiche Therapeuten aus?

Fähigkeiten wie Empathie, Wärme, Achtsamkeit und Resilienz spielen offenbar ebenfalls eine Rolle, aber auch, inwiefern Therapeuten sich auf das Problem fokussieren, Hoffnung vermitteln und wie überzeugend sie auftreten. Zudem sprechen neuere Befunde dafür, dass es hilfreich ist, wenn sie ihr Handeln kritisch hinterfragen.

Andere Umstände haben ebenfalls Einfluss auf den Erfolg des Behandlers. »Stellen Sie sich vor, der Therapeut befindet sich mitten in einer Scheidung, dann hat er möglicherweise nicht mehr so viel Ressourcen, um auf jeden Patienten einzugehen«, so Flückiger. Ein weiterer Faktor scheint die Anzahl an Patienten und die Lage der Praxis zu sein, etwa ob sie in einem ärmeren Viertel liegt. »Das sind alles Konglomerate, die man relativ schlecht auseinanderdividieren kann«, erklärt er.

Laut Margraf gibt es klare Hinweise darauf, dass alles wichtig ist, was den Patienten aktiviert und ihm Hoffnung auf Besserung gibt. Darüber hinaus müsse man nach einzelnen Störungsbereichen differenzieren. Bei Depressionen könne man alles machen – und alles helfe irgendwie. Dann gebe es Störungen wie die Anorexie, bei der Psychotherapie leider insgesamt nicht sonderlich erfolgreich sei. Wohingegen bei Ängsten die Konfrontation eindeutig ein entscheidender Mechanismus sei. Was genau daran wirkt, versucht er derzeit herauszufinden. Zudem überprüft er in Experimenten, wie wichtig Selbstwirksamkeit ist. So gelingt das Extinktionslernen (das aktive Umlernen einer physiologischen Angstreaktion) etwa besser, wenn man sich vor der Konfrontation an drei Momente im Leben erinnert, in denen man eine große Herausforderung bewältigt hat.

John Norcross von der University of Scranton (USA) entdeckte zusammen mit Kollegen weitere Wirkprinzipien, die sich in Metaanalysen als bedeutsam erwiesen, beispielsweise die Bereitschaft der Betroffenen zur Veränderung sowie regelmäßiges Feedback. Lässt man Patienten und Therapeuten vorhersagen, ob die Behandlung helfen wird, zeigt sich: Patienten sind relativ gut darin, Therapeuten nicht – sie überschätzen ihren Erfolg. Bekommt der Therapeut allerdings regelmäßig Feedback, steigt die Wirksamkeit. »Es ist wichtig, dass beide Sitzung für Sitzung Rückmeldung bekommen, wie sich die Therapie entwickelt«, so Flückiger. Solche Instrumente zur Qualitätssicherung werden in Großbritannien flächendeckend eingesetzt, in Deutschland besteht noch Verbesserungsbedarf.

»Die Psychotherapieforschung ist sehr selbstkritisch«, sagt er. »Das wird manchmal missverstanden, und die Diskurse zwischen Psychotherapieforschern werden als Uneinigkeit wahrgenommen.« Dabei erlebt er das als etwas sehr Positives. Es sei ein Zeichen der Qualitätssicherung, dass so offene Debatten geführt werden.

Psychische Störungen in Zahlen

Rund ein Viertel der Erwachsenen in Deutschland sind jedes Jahr von einer psychischen Störung betroffen. Das sind fast 18 Millionen Menschen. Allerdings suchen sich weniger als 20 Prozent von ihnen professionelle Hilfe. Zudem dauert es oft sehr lange, bis Betroffene sich in Behandlung begeben; bei affektiven Störungen wie einer Depression sind es im Schnitt sieben Jahre. Am häufigsten treten Angststörungen (15 Prozent), affektive Störungen (10 Prozent) und Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch (6 Prozent) auf. Psychische Erkrankungen zählen neben Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Störungen des Bewegungsapparats zu den vier häufigsten Ursachen für den Verlust gesunder Lebensjahre. Betroffene haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine um zehn Jahre verringerte Lebenserwartung. Die direkten Kosten psychischer Störungen für das Gesundheitswesen belaufen sich auf mehr als 44 Milliarden Euro pro Jahr. 2019 waren beispielsweise 17 Prozent der Arbeitsunfähigkeitstage auf psychische Erkrankungen zurückzuführen. Diese sind auch der häufigste Grund für eine Frühverrentung.

DGPPN: Basisdaten Psychische Erkrankungen, August 2021

  • Quellen

Dobson, KS., et al.: Randomized trial of behavioral activation, cognitive therapy, and antidepressant medication in the prevention of relapse and recurrence in major depression. Journal of consulting and clinical psychology 76, 2008

Flückiger, C. et al.: The alliance in adult psychotherapy: A meta-analytic synthesis. Psychotherapy 55, 2018

Flückiger, C.: Basale Wirkmodelle in der Psychotherapie. Wer und was macht Psychotherapie wirksam? Psychotherapeut 66, 2021

Margraf, J.: Diagnostik und Therapie psychischer Störungen unter besonderer Berücksichtigung emotionaler Störungen. Sucht Aktuell 3, 2019

Von Brachel, R. et al.: Long-term effectiveness of cognitive behavioral therapy in routine outpatient care: A 5-to 20-year follow-up study. Psychotherapy and psychosomatics 88, 2019

Norcross, J. C., Lambert, M. J.: Psychotherapy relationships that work III. Psychotherapy, 55, 2018

Wakefield, S. et al.: Improving Access to Psychological Therapies (IAPT) in the United Kingdom: A systematic review and meta‐analysis of 10‐years of practice‐based evidence. British Journal of Clinical Psychology 60, 2021

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