Pulsare: Quantenwirbel beschleunigen Neutronensterne
Neutronensterne gehören zu den faszinierendsten Objekten, die unser Universum bevölkern. Das erste nachgewiesene Anzeichen für diese schwer fassbaren Himmelskörper waren im Jahr 1967 entdeckte periodische Radiopulse, die so gleichförmig waren, dass einige sie als außerirdischen Kommunikationsversuch interpretierten. Heute wissen wir, dass solche Signale von schnell rotierenden und magnetisierten Neutronensternen stammen – Pulsaren (siehe SuW 11/2023, S. 19). Diese Überreste von massereichen Sternen gehören zu den dichtesten Objekten im Universum: Ihre Masse ist vergleichbar mit derjenigen unserer Sonne, während ihr Radius nur etwa zehn Kilometer beträgt. Da sich Materie unter derart extremen Bedingungen nur schwierig beschreiben lässt, ist der innere Aufbau von Neutronensternen noch nicht vollständig verstanden (siehe SuW 4/2021, S. 26). Beobachtete Veränderungen in ihrer Rotation geben jedoch wichtige Hinweise.
Seltsame Glitches
Pulsare drehen sich sehr schnell um die eigene Achse, typischerweise innerhalb von Sekunden oder gar Sekundenbruchteilen, und können elektromagnetische Wellen in Form eines Strahlungskegels aus den magnetischen Polen emittieren. Wenn dieser nicht genau auf der Rotationsachse liegt, kommt es zu einem Leuchtturmeffekt: Der Strahlungskegel streift mit jeder Umdrehung des Pulsars über den Himmel. Wenn er zufällig in Richtung Erde zeigt, kann das Signal von Teleskopen aufgezeichnet werden. Diese Pulse können optisch – wie beim Pulsar im Krebsnebel – oder in Form von Radiofrequenzpulsen auftreten. Sie kommen periodisch mit extremer Präzision bei der Erde an. Doch es wurden auch kurzzeitige Abweichungen in diesem eigentlich sehr regelmäßigen Signal beobachtet. Die Pulse geben den Wissenschaftlern Hinweise auf die faszinierende innere Struktur dieser Objekte.
Im Lauf der Zeit drehen sich Neutronensterne immer langsamer, weil durch den Leuchtturmeffekt Rotations- in Strahlungsenergie umgewandelt und abgestrahlt wird. Ähnliches passiert, wenn man zum Beispiel ein Fahrrad auf den Kopf stellt und eines der Räder in Drehung versetzt: Es verlangsamt sich allmählich auf Grund der Reibung der Lager.
Ab und zu unterbricht jedoch der Neutronenstern den bekannten Verlangsamungsprozess und dreht sich plötzlich wieder schneller. Diese sprunghafte Änderung der Rotationsfrequenz wird als Glitch bezeichnet und kann sehr präzise von der Erde aus gemessen werden, obwohl sie sehr klein ist, und zwar um den Faktor 10–12 bis 10–3 geringer als die eigentliche Rotationsfrequenz des Pulsars. Was ist die Ursache dieser Glitches? Eine wissenschaftliche Hypothese besteht darin, dass der Neutronenstern unterschiedliche Schichten aufweist, die sich teilweise in einem exotischen Quantenzustand befinden, bekannt als Supraflüssigkeit. In dieser können ungewöhnliche Quanteneffekte auftreten, die möglicherweise direkten Einfluss auf den ganzen Stern haben.
Neutronensterne und Quantenphysik
Eine Supraflüssigkeit ist eine Quantenflüssigkeit, die ohne innere Reibung fließt. Das führt zu Phänomenen, die im Alltag nicht beobachtet werden. Wenn man zum Beispiel einen rotierenden Eimer mit einer normalen Flüssigkeit füllt, rotiert sie nach einer Weile synchron mit dem Eimer mit. Das liegt an der Reibung der Teilchen in der Flüssigkeit an den Wänden des Eimers. Wenn man den Eimer jedoch mit einer Supraflüssigkeit füllt, passiert etwas Seltsames: Bei sehr niedrigen Geschwindigkeiten bleibt die Supraflüssigkeit einfach stehen, während bei hohen Geschwindigkeiten zahlreiche identische winzige Tornados, so genannte quantisierte Wirbel, entstehen. Sie sind quantisiert, weil sie jeweils den gleichen Drehimpuls tragen. Das Ausbilden dieser Wirbel ist die einzige Möglichkeit für die Supraflüssigkeit, den Drehimpuls der Rotation aufzunehmen, weil sie sich nicht wie eine normale Flüssigkeit drehen kann. Im Zentrum der Wirbel wird die Supraflüssigkeit verdrängt, und es entsteht ein Loch.
In den letzten Jahrzehnten wurden supraflüssige Eigenschaften – oder Suprafluidität – in vielen verschiedenen Systemen beobachtet, von flüssigem Helium bis zu Bose-Einstein-Kondensaten (siehe SuW 10/2019, S. 26, und SuW 9/2020, S. 24). In all diesen Beispielen wurde der Zustand bei sehr niedrigen Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt bei –273,15 Grad Celsius erreicht. Bei diesen ultrakalten Temperaturen hat es keinen Sinn mehr, sich Atome als kleine Billardkugeln vorzustellen. Stattdessen werden sie zu nicht unterscheidbaren, wellenartigen Objekten, deren Überlappung untereinander zur Suprafluidität führt. Warum sollte diese Physik für einen Neutronenstern, einen Himmelskörper mit einer Temperatur um zehn Millionen (107) Grad Celsius im Inneren, relevant sein?
Tatsächlich gibt es neben der Temperatursenkung eine andere Möglichkeit, Zugang zur Quantenwelt zu erhalten, und zwar durch das Erhöhen der Dichte. Die Dichte eines Neutronensterns nimmt mit der Tiefe zu. Die äußere Kruste ist ein normales festes Material, das aus einem Gitter von neutronenreichen Kernen besteht. Aber bei zunehmender Dichte in der inneren Kruste sind die Kerne so eng gepackt, dass die Neutronen »heraustropfen«, sich untereinander zu überlappen beginnen und eine supraflüssige Hintergrundstruktur bilden. Diese supraflüssige Struktur ist nicht gleichförmig, sondern besitzt noch teilweise die kristalline Struktur der darunterliegenden Kerne. Aus dieser Perspektive ist die innere Kruste eines Neutronensterns gleichzeitig fest und supraflüssig (siehe »Aufbau eines Neutronensterns«).
Kleine Wirbel, große Wirkung
Was sind die Konsequenzen einer gleichzeitigen Suprafluidität und einer kristallinen Struktur in einem Neutronenstern? Erstens erzeugt die Rotation des Sterns quantisierte Wirbel, wie bei jeder Supraflüssigkeit. Im Gegensatz zu auf der Erde beobachteten Supraflüssigkeiten, die einige zehn oder hundert Wirbel enthalten, sollen es bei Neutronensternen auf Grund ihrer Größe und ihrer Rotationsgeschwindigkeit bis zu 1017 sein. Diese Zahl folgt aus dem Gesamtdrehimpuls des Sterns, geteilt durch den geschätzten Drehimpuls eines Quantenwirbels. Zweitens werden diese Wirbel durch die Struktur dazu gezwungen, sich zwischen die Kristallstellen zu platzieren. Die Wirbel verdrängen aus ihrem Zentrum die Supraflüssigkeit, ganz ähnlich einem Wasserwirbel. In einer Kristallstruktur platzieren sie sich daher automatisch an Stellen, welche bereits eine niedrigere Dichte aufweisen, das heißt zwischen den Gitterstellen mit hoher Dichte, weil die Wirbel hierfür eine möglichst geringe zusätzliche Energie benötigen. Aus beiden Punkten ergibt sich eine vollständige Erklärung für den Glitch-Mechanismus: Die Emission von Strahlung verlangsamt die äußere Kruste des Sterns. Auf Grund der Suprafluidität kann sich die innere Kruste nicht anpassen; stattdessen behalten die in ihr gefangenen Wirbel ihren Drehimpuls und sorgen für das Beibehalten der ursprünglichen Geschwindigkeit.
Irgendwann kann diese unausgeglichene Situation mit merklich unterschiedlichen Rotationsgeschwindigkeiten nicht mehr aufrechterhalten werden: Einige Wirbel entkommen kollektiv aus der inneren Kruste und übertragen ihren Drehimpuls auf die äußere Kruste. Ähnliches passiert auch, wenn jemand ein Auto mit hoher Geschwindigkeit fährt und anfängt zu bremsen. Am Anfang ist es nicht notwendig, den Gang zu wechseln, aber nach einer Weile muss man auf einen niedrigeren Gang schalten, damit der Motor mit höheren Drehzahlen weiterlaufen kann. In dieser Analogie ist der Gangwechsel der Übergang der Wirbel in die Kruste, die dadurch einen Glitch verursachen. Berechnungen mit diesem Modell können beobachtete Störungen immer besser erklären. Der Datensatz aus Beobachtungen von Pulsaren ist allerdings beschränkt und der Einfluss verschiedener Sternparameter schwierig zu ermitteln. Das Untersuchen von Störungen auf kleiner Skala – mit Hilfe von präzise kontrollierbaren Quantensystemen – verspricht Abhilfe.
Quantensimulation und Modellrechnungen
In den letzten Jahrzehnten hat sich das Forschungsfeld der ultrakalten Quantengase als ideales Werkzeug herausgestellt, um verschiedenste quantenphysikalische Phänomene zu simulieren. Dies liegt vor allem an dem Umstand, dass in Quantengasen sowohl die äußeren Bedingungen als auch die inneren Wechselwirkungen außergewöhnlich präzise kontrolliert werden können. Man sollte hier nicht an Gase im alltäglichen Sinn denken, sondern eher an ein Modellsystem, einen Quantensimulator. Ein Quantensimulator ist ein präzise kontrollierbares Quantensystem (in unserem Fall das Quantengas), mit dem man das Verhalten eines anderen Systems (das man nicht kontrollieren oder direkt untersuchen kann, wie zum Beispiel einen Festkörper oder in unserem Fall einen Neutronenstern) bestmöglich nachbildet und untersucht. Hier werden automatisch auch alle Quanteneffekte berücksichtigt. Bei klassischen Simulationen ist das nur bei sehr kleinen Systemen mit einer Hand voll Teilchen möglich.
In diesem Forschungsfeld ist ein Objekt, das sowohl supraflüssige als auch kristalline Eigenschaften aufweist, unter dem Namen »Suprafestkörper« bekannt. Ein solcher wurde erstmals im Jahr 2019 in Experimenten mit ultrakalten dipolaren Atomen der Elemente Erbium und Dysprosium erzeugt, die sich wie kleine Magnete verhalten. Dabei organisieren sich die Atome, wenn sie auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt abgekühlt werden, zu einer kristallinen Struktur, in der sie über einen supraflüssigen Halo miteinander verbunden sind. Damit sind sie ein gutes Analogon zur inneren Kruste von Neutronensternen (siehe »Strukturvergleich Neutronenstern und dipolarer Suprafestkörper«).
Strukturvergleich Neutronenstern und dipolarer Suprafestkörper
Grundlegende Strukturen von Neutronensternen lassen sich mit Suprafestkörpern nachahmen. In der inneren Kruste eines Neutronensterns (oben) sind Neutronen (türkise Kurven) und Protonen (schwarze Linien) so verteilt, dass die Mehrzahl von ihnen einige 10–15 Meter (Femtometer) Abstand zueinander hat. Sie ähneln wegen ihrer regelmäßigen Anordnung eher einem Kristall. In größeren Tiefen des Neutronensterns werden die Abstände zueinander kleiner, das heißt, die Maxima der Dichteverteilungen für Neutronen und Protonen rutschen näher zusammen. Zudem beginnen vor allem die Neutronen zunehmend, einander zu überlappen: Sie sind dann nicht mehr voneinander zu trennen und bekommen supraflüssige Eigenschaften. In simulierten Suprafestkörpern (unten) lässt sich eine analoge Situation herbeiführen, in der die überlappende Kristallstruktur zu supraflüssigen Eigenschaften führt.
In einer im November 2023 veröffentlichten Studie wurde zum ersten Mal gezeigt, dass Glitches in ultrakalten dipolaren Suprafestkörpern auftreten können. Forscher der Universität Innsbruck, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Laboratori Nazionali del Gran Sasso und des Gran Sasso Science Institute in Italien konnten die Dynamik eines Neutronensterns mit einem sich drehenden Suprafestkörper numerisch simulieren. Dafür verwendete das Team einen zweidimensionalen Suprafestkörper aus 300 000 Dysprosiumatomen mit etwas mehr als zwei Dutzend anfänglichen Quantenwirbeln. Das zeitliche Verhalten des Systems wurde mit Hilfe der Gross-Pitaevskii-Gleichung simuliert, welche die Entwicklung quantenmechanischer Systeme aus vielen Teilchen in einem Potenzial beschreibt. Sie stellt eine Erweiterung der Schrödinger-Gleichung dar und ermöglicht die Beschreibung von Quantengasen mit Hilfe einer Molekularfeldnäherung.
Der Suprafestkörper, in dem sich Quantenwirbel zwischen den Kristallstellen organisieren, kann in den Modellrechnungen manipuliert werden. Dazu zählt auch das Verändern seiner »Stärke«, die das Verhältnis zwischen kristallinen und supraflüssigen Anteilen beschreibt. Während eines aufgezwungenen Bremsvorgangs beobachtete das Team, dass es zu sprunghaften Beschleunigungen kommt, also ein Glitch ausgelöst wird, sobald ein Wirbel das System verlässt (siehe »Simulierte Sprünge«). Die Wissenschaftler konnten zudem die Stärke der Beschleunigung während eines Glitches mit der Stärke des Suprafestkörpers in Verbindung bringen. Das legt nahe, dass Glitches unterschiedlicher Stärke von freigesetzten Wirbeln aus unterschiedlich tiefen Schichten herrühren könnten: Je tiefer sich die Wirbel vorher im Neutronenstern befunden haben, desto ausgeprägter ist der Glitch. Im Gegensatz zu Neutronensternen hat man in den Simulationen Zugriff auf die Dynamik der Wirbel und die Details der Kristallstruktur, die zum Glitch führen. Damit lassen sich zukünftig Untersuchungen realisieren, die den Einfluss verschiedener Parameter bestimmen, zum Beispiel die Orientierung des Magnetfelds zur Rotationsachse.
Brücken bauen
Die Forschungsergebnisse verbinden Quanten- sowie Astrophysik und bieten eine neue Perspektive auf die innere Struktur von Neutronensternen. Das bessere Verständnis von Glitches wird zudem wertvolle Einblicke in den Aufbau und die Dynamik von Kernmaterie unter extremen Bedingungen liefern, die in Laborexperimenten auf der Erde nicht realisierbar sind. Die Existenz eines analogen Systems auf der Erde – dipolare Suprafestkörper – ermöglicht es, die Wirbel- und Kristalldynamik im Inneren von Neutronensternen zu replizieren und zu testen. Damit eröffnen sich neue Wege für die Quantensimulation von Himmelskörpern.
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