Grönland: Riesiger Canyon unter dem Eis entdeckt
Er gleicht dem nordamerikanischen Grand Canyon und war trotz seiner gewaltigen Ausmaße doch lange versteckt – ein Team von Forschern um Jonathan Bamber an der University of Bristol entdeckte jetzt unter dem grönländischen Eis einen 750 Kilometer langen, 10 Kilometer breiten und bis zu 800 Meter tiefen Graben. Die Schlucht entstand bereits vor der Vergletscherung und dient damit wohl seit mehreren Millionen Jahren als Kanal für Schmelzwasser unter dem grönländischen Eis ins Meer.
Der Canyon fiel den Forschern auf, als sie die Landschaft mithilfe von Radaraufnahmen kartierten, die über mehrere Jahrzehnte hinweg von amerikanischen, britischen und deutschen Forschern für große Flächen Grönlands gesammelt worden waren. Radargeräte senden Radiowellen aus, die das Eis mit einer bestimmten Frequenz durchdringen, von den Gesteinsschichten darunter aber reflektiert werden – mit diesem Prinzip ließ sich das Profil des Geländes unter dem Eisschild aus der Luft erfassen. Dabei bildete sich im Nordosten der überraschend große Graben ab: Er dehnt sich vom Zentrum des grönländischen Eisschilds bis an dessen äußeren nördlichen Rand aus und endet dort gemeinsam mit dem Petermann-Gletscher im Meer.
Die mäandrierende Form ihrer Neuentdeckung ließ die Forscher gleich vermuten, dass der Canyon als Wasserkanal fungiert. Tatsächlich strömten wahrscheinlich schon Flüsse durch seine Schluchten, als Grönland noch eisfrei war. Mögliche Fließrichtungen und Strömungsstärken in dem subglazialen Graben konnten die Forscher mithilfe eines mathematischen Modells nachvollziehen. Sie hatten dabei drei Szenarien bedacht: die Landschaft vor der Vergletscherung, das heutige Grönland und eine komplett mit Eis überzogene Insel. Fehlen die Gletscher auf Grönland, kann der Canyon tatsächlich zum Bett für einen stromstarken Fluss aus dem Süden bis an die Küste im Norden werden. Lasten hingegen Eismassen von oben auf dem Canyon, wie es momentan der Fall ist, wird ein Teil des Wassers durch die Schluchten geleitet; der andere Teil dagegen seitlich heraus unter den Eisschild gedrückt, wo er ebenfalls abfließt. Deshalb gibt es auf Grönland zwar Wasserschichten unter dem Eis, aber keine ausgeprägten, isolierten Seen wie in der Antarktis, wo die Eisschilde über deren Wasseroberfläche gleiten.
Komplettiert wird das Bild der subglazialen grönländischen Wasserleitung durch kleinere Kanäle im Petermann-Gletscher: Sie münden genau dort ins Meer wo auch der Canyon sein Ende hat. Bisher nahm man an, Meeresströmungen hätten die 200 Meter tiefen und bis zu zwei Kilometer breiten Kerben ins Gletschereis gefressen – vielleicht trug aber auch Schmelzwasser aus dem Inland auf seinem Weg in die offene See zu ihrer Entstehung bei.
"Eine Entdeckung dieser Natur zeigt, dass die Erde noch nicht alle ihre Geheimnisse preisgegeben hat. Ein 750km-langer Canyon versteckt unter dem Eis für Millionen von Jahren ist an sich schon ein atemberaubender Fund, seine Erforschung ist aber auch wichtig zum besseren Verständnis von Grönlands Vergangenheit", ordnet David Vaughan vom British Antarctic Survey die Entdeckung ein. "Gletschereis trägt zum Ansteigen der Meeresspiegel bei, und dieser Fund hilft uns, aktuelle Veränderungen besser einzuordnen."
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