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Singles: Solo und glücklich

»Du hast immer noch niemanden gefunden?« Solche Fragen können am Ego kratzen. Warum es vielen Singles dennoch gut geht – und ab der Lebensmitte sogar immer besser.
Junger Mann hört mit geschlossenen Augen auf dem Sofa Musik und lächelt selig
Für die glücklichen Momente im Leben braucht man nicht unbedingt einen Partner oder eine Partnerin. (Symbolbild)

Über dem Fenster hängt ein Rennrad, in der Ecke lehnt ein Surfbrett. An den Wänden: Urlaubsfotos aus aller Welt. Bernd Strobels Zweizimmerwohnung ist eine echte Junggesellenbude. Der große, sportliche Mann ist in seinen Fünfzigern, wirkt aber deutlich jünger. Bis vor ein paar Jahren hat er mit Frau und Sohn zusammengelebt. Jetzt ist er wieder Single – und sehr zufrieden: »Ich kann tun und lassen, was ich möchte«, sagt er und lacht schelmisch.

Strobel ist kein Einzelfall: Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts wohnte 2022 in knapp 41 Prozent der Haushalte in Deutschland bloß jeweils eine Person. 1950 waren es nicht einmal halb so viele. Im Vergleich zu anderen EU-Ländern gehört Deutschland zu den Spitzenreitern. Nur in manchen skandinavischen und baltischen Staaten lebten 2022 mehr Menschen allein.

Allein leben ist nicht gleichbedeutend mit Single sein. Viele Paare leben – freiwillig oder unfreiwillig, beispielsweise aus beruflichen Gründen – getrennt. Als Single bezeichne man dagegen meist Personen, die gerade keine romantische Beziehung führen, sagt Tita Gonzalez Avilés, die an der Universität Mainz zu Partnerschaften forscht. Singles gibt es in großer Bandbreite: Menschen, die noch nie einen Partner oder eine Partnerin hatten, und solche, die wieder Single sind. Manche waren wie Strobel verheiratet, haben vielleicht sogar Kinder, sind jedoch getrennt, geschieden oder verwitwet. Personen, die regelmäßig Dates haben, aber keine offizielle Beziehung führen, zählen ebenfalls dazu. Die Grenzen sind fließend. Das mache es schwierig, aus Daten und Studien allgemeine Schlüsse zu ziehen, sagt die Psychologin.

Jugendliche und junge Erwachsene sind häufig Single. Etwa die Hälfte der Deutschen haben bis zum 16. Geburtstag bereits mindestens eine erste romantische Beziehung begonnen. Doch wer sich mehr Zeit lässt, ist deshalb nicht zwangsläufig gefrustet, zeigen Daten von pairfam (Panel Analysis of Intimate Relationships and Family Dynamics), einer seit 2008 jährlich laufenden deutschlandweiten Befragung zum Beziehungs- und Familienstand. Gonzalez Avilés hat die Daten während ihrer Doktorarbeit an der Universität Jena ausgewertet und erklärt: »Nicht das Vorhandensein einer Beziehung ist ausschlaggebend für einen positiven Selbstwert, sondern die eigene Zufriedenheit mit dem Beziehungsstatus.« Zudem können im Jugendalter andere Dinge bedeutsamer sein, wie Freundschaften, Sport, weitere Hobbys oder schulische Leistungen.

Mit der Zeit wächst jedoch der Stellenwert einer Partnerschaft. »Du bist immer noch allein? Willst du keine Familie?« Fragen wie diese kennt vermutlich jeder Single, der die 30 überschritten hat. Sie können schmerzen und am Selbstwert kratzen. Vor allem in Gesellschaften, wo die meisten Menschen heiraten oder in einer festen Partnerschaft leben. Laut der Verbrauchs- und Medienanalyse von 2022 waren die meisten Singles in Deutschland unter 30 oder über 70 Jahre alt. Dazwischen waren es deutlich weniger. Die pairfam-Daten decken nur den Altersbereich zwischen 14 und 50 Jahren ab. Hier zeigt sich: Bis etwa 35 nimmt der Anteil der Partnerschaften stark zu und bleibt dann relativ stabil.

»Für Singles ist es ungünstig, wenn Partnerschaften so normativ sind. Das kann sie unter Druck setzen und sich negativ auf ihr Wohlbefinden auswirken«, sagt Gonzalez Avilés. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Studien zu dem Ergebnis kommen, Singles würden im Schnitt über ein etwas geringeres Wohlbefinden verfügen. Metaanalysen zeigen außerdem: Singles haben ein höheres Sterberisiko als Verheiratete. »Die Unterschiede sind zwar relativ klein, aber konsistent«, fasst Gonzalez Avilés die Ergebnisse zusammen. Wie andere Fachleute kritisiert sie, in vielen Studien seien Singles »stiefmütterlich« behandelt worden. Oft wird bloß zwischen Personen unterschieden, die in einer Partnerschaft sind, und solchen, die es nicht sind. Doch Singles sind äußerst verschieden. »Wenn man eine Gruppe von Menschen in ihrem Mittelwert vergleicht, sagt das wenig über die einzelnen Personen aus«, erklärt die Psychologin.

So sind Singles, die sich eine Partnerschaft wünschen, in der Regel unzufriedener als solche, die das nicht tun. Viele Studien erfragen allerdings nicht, ob jemand freiwillig Single ist. Zumal sich das mitunter nicht klar beantworten lässt: Mancher sucht vielleicht einen Partner oder eine Partnerin, weiß aber auch die Vorteile des Singlelebens zu schätzen. Andere gehen keine Beziehung ein, weil sie nur für kurze Zeit in einer Stadt oder einem Land leben. Eigentlich hätten sie jedoch gerne eine Beziehung. Umfragen zufolge ist etwa jeder zweite Single unfreiwillig allein.

Typisch Single?

Hängt das mit dem Charakter zusammen? Um das herauszufinden, befragte Menelaos Apostolou, Professor an der Universität Nikosia in Zypern, rund 1400 Studierende einer zyprischen Privat-Uni zu ihrem Charakter und ihrem Beziehungsstatus. Dabei kam heraus: Die Extravertierten, also die Geselligen und Kontaktfreudigen unter ihnen, blieben seltener unfreiwillig Single als die eher Introvertierten. Wer sich als offen beschrieb, blieb häufiger freiwillig und auch für längere Zeit allein. Anhand einer ähnlichen Stichprobe meint Apostolou außerdem Eigenschaften gefunden zu haben, die für ein unfreiwilliges Singlesein prädestinieren. Dazu zählt: nicht gut flirten zu können, schüchtern oder sehr wählerisch zu sein.

Stimmt das? Und falls ja: Lassen sich gewisse Eigenschaften »trainieren«? Gonzalez Avilés findet das schwierig. Logischerweise täten sich extravertierte Personen leichter, jemanden kennen zu lernen. »Aber ich weiß nicht, ob sich Introvertierte zwingen sollten, auf Partys zu gehen oder in Kontakt mit vielen Menschen zu treten.« Wer sich dabei unwohl fühlt, zieht andere Menschen wohl eher nicht an.

Es lassen sich weitere Faktoren identifizieren, die offenbar ebenfalls Einfluss darauf haben, wie glücklich oder unglücklich jemand als Single ist. Wer gerne Sex mit vielen verschiedenen Partnern haben möchte, ist als Single besser dran, ebenso wie Menschen, die besonderen Wert auf Autonomie und Unabhängigkeit legen. Wer hingegen Angst davor hat, Single zu sein, ist als solcher vermutlich weniger glücklich. Auch Menschen, die Bindungsängste haben oder allgemein Beziehungen meiden, sind mit dem Singleleben tendenziell unglücklicher. Das scheint zunächst ein Widerspruch, aber oft wünschen sich diese Menschen eine Partnerschaft. Sie tun sich nur schwer damit, stabile und glückliche Bindungen aufzubauen – egal ob mit Partnerin, Partner oder anderen Bezugspersonen. Wer keine Bindungsängste hat, ist als Single ebenfalls eher zufrieden.

Durch Befragung von mehr als 86 000 Internetnutzern zwischen 18 und 70 Jahren kam ein US-Team zu dem Ergebnis, dass Bindungsängste bei jungen Menschen deutlich häufiger sind als bei älteren. Lernen wir erst mit dem Alter, eine gesunde Beziehung zu führen? Schließlich entwickelt sich die Persönlichkeit weiter – nicht zuletzt durch gescheiterte Versuche. »Die Persönlichkeit unterliegt dem Einfluss enger, intimer Beziehungen«, bestätigt Franz Neyer, Professor für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Umgekehrt beeinflusse die Persönlichkeit, wie man Beziehungen gestalte. Wer in der Mitte des Lebens keinen Partner (mehr) habe, habe mit hoher Wahrscheinlichkeit schon Beziehungserfahrungen gemacht und gehe bei der Suche vielleicht selektiver vor.

»Singles sind oft glücklicher als Personen, die in einer unglücklichen Beziehung leben«Psychologin Tita Gonzalez Avilés, Universität Mainz

Single Bernd Strobel kann dies bestätigen: »Ich bin wählerischer geworden«, sagt er. Während seiner Ehe sei er viele, vermutlich zu viele Kompromisse eingegangen. Richtig aufgefallen ist ihm das erst, als der gemeinsame Sohn fast aus dem Haus war. Nach seinem Abitur flog die Familie gemeinsam nach Kuba. »Auf den Straßen war abends viel los, ich wäre so gerne noch mal rausgegangen. Doch meine Frau wollte auf dem Zimmer bleiben.« Also blieb er auch. Und ärgerte sich. Die Wünsche divergierten immer mehr. Als Bernds Freunde eine Reise nach Kuba planten, entschloss er sich spontan, mitzukommen. »Wir hatten eine wirklich tolle Zeit.« Das habe ihm die Augen geöffnet. Nach seiner Rückkehr trennte er sich von seiner Frau. Er schätzt das Leben, das er jetzt hat. »Wir haben einen guten Draht zueinander«, erzählt Strobel. »Wir sagen beide: Es waren einfach zu viele Kompromisse.«

Je älter die Singles, desto glücklicher

»Singles sind oft glücklicher als Personen, die in einer unglücklichen Beziehung leben«, sagt Gonzalez Avilés. Ob es männlichen oder weiblichen Singles besser gehe, lasse sich bislang nicht beantworten. Studien kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen, was wiederum der Heterogenität der Gruppen geschuldet sein könnte. Recht klar hat sich allerdings herausgestellt: Ältere Singles sind im Schnitt glücklicher als jüngere. Internationalen Studien zufolge steigt etwa ab dem 40. Lebensjahr die Zufriedenheit mit dem Singledasein. »Die Lebensmitte könnte einen wichtigen Wendepunkt für das Wohlbefinden von Alleinstehenden darstellen«, folgern die Autoren.

»Natürlich kann es auch ab 40 noch wichtig und schön sein, eine Partnerschaft zu haben. Doch der Stellenwert nimmt im Schnitt etwas ab«, erklärt Gonzalez Avilés. Statt Familiengründung rücken andere Ziele in den Vordergrund; es geht vielleicht eher um Gefährtenschaft. Das hat Neyer in seinen Studien ebenfalls beobachtet: »Ist ein gewisses Alter überschritten, sind die Menschen wieder freier in ihrer Lebensplanung und -gestaltung.« Das Modell »living apart together« – ein Paar sein, aber getrennt wohnen – habe in dieser Lebensphase über die vergangenen Jahrzehnte hinweg etwas zugenommen, berichtet der Psychologe.

»Wir leben in einer Trennungsgesellschaft«Franz Neyer, Professor für Persönlichkeitspsychologie an der Universität Jena

Haben sich die Normen insgesamt gewandelt? Die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts belegen: Die Menschen in Deutschland heiraten heute später denn je. Frauen sind bei ihrer ersten Hochzeit im Schnitt 33 Jahre alt, Männer rund 35. »Die Menschen sind häufig länger in Ausbildung, legen mehr Wert auf Autonomie und Selbstverwirklichung und haben eine längere Lebenserwartung«, erklärt Forscherin Gonzalez Avilés. Bislang verzeichne man vor allem in jüngeren Altersgruppen einen Zuwachs an Singles. Für höhere Altersgruppen gelte das zwar noch nicht, »aber ich denke schon, dass ein Wandel im Gang ist«. Es gebe inzwischen viel mehr Verständnis und Akzeptanz für diverse Beziehungsgeschichten.

»Wir leben in einer Trennungsgesellschaft«, sagt Psychologe Neyer. Früher war es vor allem für Frauen schwierig, sich scheiden zu lassen – heute ist es normal. Auf drei Eheschließungen kommt in Deutschland jährlich etwa eine Scheidung, nach durchschnittlich rund 15 Ehejahren. »Da spielen dann schon Erwägungen eine Rolle wie: Wie viel habe ich bereits in die Partnerschaft investiert, welche Alternativen habe ich noch?« Insgesamt würden Trennungen im fortgeschrittenen Alter nicht so leichtfertig vollzogen wie im jungen Erwachsenenalter.

Auch Bernd Strobel hat es sich nicht leicht gemacht. Schließlich wollte er das Beste für seinen Sohn. Doch der merkte bereits, dass etwas nicht stimmte. Die Radtouren mit dem Vater gerieten zur Tortur. Rückblickend sagt Strobel: »Ich habe meinen ganzen Frust im Sport kanalisiert.« Auch aus anderen Gründen fiel ihm die Trennung zunächst schwer: Was geschieht mit dem gemeinsamen Haus? Werden sich unsere Freunde von mir abwenden?

Als Single ist man nicht automatisch einsam

Jede Trennung birgt das Risiko der Einsamkeit. Die wiederum kann krank machen. Studien zeigen: Einsame Menschen sind öfter von Depressionen, Angsterkrankungen und Demenz betroffen. Zudem sind körperliche Probleme wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs häufiger. Der Mensch ist nun mal ein soziales Wesen. Doch als Single ist man nicht automatisch einsam. Interessanterweise scheint der Beziehungsstatus mit zunehmendem Alter immer weniger über das Einsamkeitsrisiko auszusagen. Dafür muss man aber etwas tun: Beziehungen aufbauen und pflegen.

Strobel weiß das: »Von allein kommt niemand, man muss auf die Leute zugehen.« Das kann er jedoch erst seit etwa einem Jahr. Nach der Trennung stürzte er zunächst in ein tiefes Loch und entwickelte eine Depression. Doch er kämpfte sich zurück. Nicht zuletzt sein Sohn half ihm dabei. Bis heute gehen die beiden regelmäßig gemeinsam Rad fahren und wandern. Zudem hat Strobel einen großen Freundes- und Bekanntenkreis. Trotzdem gebe es Momente, in denen er denke: »Mist, du bist allein.« Zum Beispiel an Weihnachten. Inzwischen feiert er mit der Hausgemeinschaft; alle Alleinstehenden sind eingeladen. »Wir sind quasi ein Auffangbecken für Singles«, erzählt er und grinst.

»Das Vorhandensein einer Partnerschaft wird hier zu Lande immer noch stark überbewertet«Franz Neyer, Psychologe

Viele Personen, die keinen Partner oder keine Partnerin haben, sind sehr zufrieden, hat Neyer in eigenen Studien beobachtet. »Nämlich dann, wenn sie ein großes, diverses Netzwerk haben«, sagt der Psychologe. Für seine jüngste Untersuchung befragte sein Team rund 400 allein lebende Singles und Nichtsingles zwischen 35 und 60 Jahren zu ihrem Wohlbefinden und ihren Kontakten. Dabei kam heraus: Frauen unterhalten häufiger solche Netzwerke als Männer. Aus anderen Studien wisse man, dass Letztere mehr auf eine dyadische Partnerbeziehung fokussiert seien, sagt der Psychologe.

Doch das ist nicht immer so. Die Bedürfnisse sind von Mensch zu Mensch verschieden: Manche brauchen viel Nähe und Gesellschaft, andere sind gerne mal für sich. Man könne ganz unterschiedliche Formen von Beziehungen unterhalten – nicht nur mit Partner oder Partnerin, sagt Neyer. »Wahrscheinlich ist diese Diversität viel wichtiger als der Geschlechtsunterschied. Sie könnte der Schlüssel sein, um zu verstehen, warum Singles weder im jungen noch im mittleren Alter eine homogene Gruppe sind.«

Gonzalez Avilés untersucht derzeit den Einfluss des Wohnorts. »In einer Großstadt bin ich als Single vielleicht ebenso zufrieden oder noch zufriedener als in einer Partnerschaft. Auf dem Land sieht das vermutlich anders aus.« Strobel, der in einer eher ländlichen Gegend lebt, wird von Freunden immer wieder aufgefordert, sich auf einer Dating-Plattform anzumelden. »Sie sagen: Du brauchst doch wieder eine Frau«, erzählt er.

Leider werde das Vorhandensein einer Partnerschaft hier zu Lande immer noch stark überbewertet, sagt Neyer. »Für viele Menschen ist das ein essenzieller Bestandteil eines glücklichen Lebens.« Er findet, man sollte Singles nicht nur als Personen definieren, denen etwas fehle, sondern auch ihre Netzwerke betrachten. Wie sind sie eingebunden, etwa in Familie, Freundschaften und im Beruf? »Das sind wichtige Dinge, die ein gutes Leben ausmachen«, sagt der Psychologe.

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