Magnetosphärenphysik: Solare Linsenwölkchen
Wenn David Copperfield sich mit viel Pomp und Aufwand durch die chinesische Mauer zaubert, ist das nicht der Rede wert im Vergleich zu den Teilchen des Sonnenwinds: Die gelangen ohne Probleme durch den magnetischen Schild der Erde – und niemand weiß, wie sie das machen.

© ESA, Illustration Medialab (Ausschnitt)

© H. Hasegawa, Dartmouth College (Ausschnitt)
Sonnenwindwirbel | Durch das Vorbeigleiten des Sonnenwinds am Magnetfeld der Erde entstehen Wirbel in denen sich stelarer Materie verfängt und die nach und nach zu den Polen der Erde gelangt.
Noch heute erinnert ein Trümmerstück an der Decke im Kontrollraum des European Space Operations Centre (ESOC) in Darmstadt an das Desaster. Offensichtlich hat sich das Bruchstück seither als Glücksbringer bewiesen: Die Mission, die nach dem Unglück neu aufgelegt wurde, arbeitet seit dem Neustart im Jahr 2000 äußerst erfolgreich. Nun melden die Wissenschaftler eine weitere Entdeckung: Magnetische Verwirbelungen des Sonnenwindes um die Erde herum. Sie stellen eine Gefahr für Kommunikationssatelliten und Einrichtungen auf der Erde dar.
Bisher glaubte man, der Sonnenwind – ein Strom geladener Teilchen, den unser Zentralgestirn kontinuierlich ins All bläst – verbeult das schützende Erdmagnetfeld so, dass es auf der Sonnenseite platt und in die andere Richtung parabelförmig lang gestreckt ist. Ansonsten sollte er die Magnetfeldlinien aber schön glatt und eben verlaufen lassen. Wenn es doch so einfach wäre... Aktuelle Messungen der Cluster-Satelliten belehren uns eines Besseren. Die Magnetfeldlinien der Sonne und der Erde erzeugen riesige Verwirbelungen, die mit Durchmessern von bis zu 40 000 Kilometern dreimal größer sein können als die Erde.
Den Daten zufolge sammeln sich in diesen Strudeln riesige Mengen ionisierter Gase von der Sonne, die nach und nach zur Erde gelangen können, wo sie beispielsweise Polarlichter entfachen. Wissenschaftler nennen die von den Cluster-Sonden entdeckten Wirbel Kelvin-Helmholtz-Instabilitäten. Sie treten auf, wenn zwei benachbarte Strömungen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten aneinander vorbei gleiten. Ähnliche Erscheinungen sind auch auf der Erde zu beobachten, beispielsweise wenn ein Luftzug über eine Wasseroberfläche weht und dort kleine Wellen schlägt oder wenn Wind bei Föhn über einen Bergkamm streicht. Dann bilden sich oft so genannte Lenticularis oder Linsenwölkchen – für Segelflieger und Gleitschirmpiloten ein deutliches Warnsignal für mögliche gefährliche Turbulenzen.

© H. Hasegawa, Dartmouth College (Ausschnitt)
Verwirbelungen des Sonnenwinds | Computer-Simulation der Verwirbelungen des Sonnenwindes. Durch die von den Cluster-Sonden entdeckten Wirbeln dringt der stelare Sonnenwind durch das Magnetfeld der Erde und kann dort Polarlichter entfachen.

© ESA (Ausschnitt)
Cluster-Sonden mit Polarlichtern | Bei der Namensgebung der Cluster-Satelliten haben sich die Wissenschaftler von dem südamerikanischen Flair in Kourou inspirieren lassen. Sie heißen Rumba, Salsa, Samba and Tango.
Verlaufen die Magnetfeldlinien von Erde und Sonne jedoch parallel, sollte es für den Sonnenwind praktisch unmöglich sein, sich der Erde zu nähern. Nichtsdestoweniger hatten Messungen mit anderen Satelliten seit 1987 bereits nachgewiesen, dass dann sogar noch größere Mengen an Gasteilchen aus der Sonne vorhanden sind. Damit standen die Wissenschaftler lange Zeit vor einem Rätsel.
Die Strudel könnten nun die Erklärung dafür sein. Sie können gleichzeitig große Mengen der Teilchen von der Sonne durch die Magnetopause – die Grenzschicht zwischen dem Magnetfeld der Erde und dem der Sonne – schleusen. Doch noch liegen die genauen Einzelheiten dieses Sonnenwindspiels im Dunkeln. Die Cluster-Satelliten werden ein bisschen genauer hinsehen müssen, um den Trick herauszubekommen, wie so eine riesige Menge Ionen durch eine magnetische Mauer geschleust wird.
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