Sommersonnenwende: Wie viel Sonne braucht der Mensch?
16 bis 17 Stunden: So lange strahlt in Deutschland am Tag der Sommersonnenwende die Sonne vom Himmel auf uns herab – zumindest, wenn sich keine Wolken dazwischenschieben. Der 21. Juni markiert auf der Nordhalbkugel den längsten Tag und die kürzeste Nacht des Jahres und ist bereits seit Jahrtausenden Anlass für Feierlichkeiten, bei denen mit traditionellen Bräuchen und Zeremonien der Leben spendenden Sonne gehuldigt wird. Noch heute treffen sich zu diesem Ereignis Tausende am Monument Stonehenge in England, um hier dem Sonnenaufgang entgegenzufiebern. Der berühmte Steinkreis aus der Jungsteinzeit, der exakt auf die Sommersonnenwende ausgerichtet wurde, ist nur ein Zeugnis davon, wie sehr der strahlende Himmelskörper die Menschheit seit jeher fasziniert hat.
Doch heutzutage ist bei den meisten das Verhältnis zur Sonne wohl eher zwiegespalten: Zwar sehnen wir in jedem trüben Winter den Tag herbei, wenn sie wieder unseren Körper aufwärmt und unsere Stimmung und den Vitamin-D-Spiegel steigen lässt. Wir wissen aber auch um ihre negativen Seiten: dass die Sonne unsere Haut verbrennen und altern lassen kann und womöglich Hautkrebs droht. Sobald im Sommer die Sonnenstrahlen wieder intensiver sind, stehen wir vor dem Dilemma: Wie soll man die Sonne genießen, ohne sich zu gefährden? Wie viel Sonne ist zu viel – wie viel zu wenig für den Körper?
Bis in die 1960er Jahre stellte sich diese Fragen kaum jemand. Das hatte weniger mit Gesundheitsaspekten als vielmehr mit gängigen Schönheitsidealen zu tun. Gebräunte Haut galt bis dahin als Zeichen harter körperlicher Arbeit im Freien, Blässe hingegen deutete auf Wohlstand und Bildung hin. Dann revolutionierte der Bikini die Strandmode, und der Massentourismus sorgte dafür, dass Menschen ihren Urlaub vermehrt in sonnenreichen Regionen am Strand verbrachten. Sonnenbaden stand danach jahrzehntelang für Freiheit, Gesundheit und ein sorgenfreies Leben.
»Auch heute wissen noch immer zu wenig Menschen, dass sie für exzessives Sonnenbaden später einen hohen Preis bezahlen«Birgit Hiller, Biologin
»Die gestiegenen Zahlen für Hautkrebs in Deutschland belegen, dass besonders das geänderte Freizeitverhalten in den 1960er und 1970er Jahren in der breiten Bevölkerung eine Rolle spielt – die Zeit, als braun schick wurde«, sagt Birgit Hiller, Biologin beim Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ). Noch bis in die 1980er Jahre galt stark gebräunte Haut – im Winter durch intensive Sonnenstudiobesuche ermöglicht – als Ideal für einen gesunden und attraktiven Körper. Erst mit dem Wissen um die Risiken von zu viel Sonne, der Rolle von UV-Strahlung und der Sorge ums Ozonloch wurde dieser Trend gebremst. »Doch auch heute wissen noch immer zu wenig Menschen, dass sie für exzessives Sonnenbaden später einen hohen Preis bezahlen», erklärt Birgit Hiller.
Etwa 4000 Menschen in Deutschland starben 2020 an Hautkrebs. Das sind 53 Prozent mehr als noch im Jahr 2000. Rund 258 000 Menschen in Deutschland erhielten 2018 eine Diagnose für hellen Hautkrebs, etwa 35 000 für den gefährlicheren schwarzen Hautkrebs (malignes Melanom). Dabei hat sich die Inzidenz, also die Zahl der Neuerkrankungen, die in einem Jahr pro 100 000 Menschen auftreten, in den vergangenen Jahrzehnten sowohl für den hellen als auch für den schwarzen Hautkrebs vervier- bis verfünffacht. »Man muss sich im Klaren sein, dass gebräunte Haut bedeutet, dass in der Haut eine Hautalterung geschehen ist, und gerötete Haut, dass bereits ein Hautschaden aufgetreten ist«, erklärt Birgit Hiller, die auch Verantwortliche für Strategische Initiativen beim DKFZ in Heidelberg ist. Seit UV-Strahlung als Hauptursache für hellen und als Risikofaktor für schwarzen Hautkrebs erkannt wurde, starteten westliche Industrieländer Präventionskampagnen. Diese empfehlen der Bevölkerung seit Jahren, sich nur sehr wenig der Sonne auszusetzen. Laut Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) reicht es aus, wenn man Gesicht, Hände und Arme unbedeckt und ohne Sonnenschutz zwei- bis dreimal pro Woche der Sonne aussetzt – und zwar jeweils nur die Hälfte der Zeit, in der man sonst durch die UV-Strahlen ungeschützt einen Sonnenbrand bekommen würde. Bei hellen Hauttypen sind dies etwa zwölf Minuten. Mehr Zeit in der Sonne sei zu vermeiden.
Trotzdem sorgen sich manche Menschen, ob sie mit so wenig Sonnenstrahlen in den Sommermonaten auskommen, um die lichtarmen Monate im Winter durchzuhalten. Forschende untersuchen seit einigen Jahren nicht nur die negativen Effekte wie Hautkrebs oder Hautalterung, sondern auch die positive Wirkung der Sonne und ob diese bei einem zu ängstlichen Umgang mit Sonnenlicht verloren geht.
Wie viel Vitamin D ist genug?
Die Sonne spielt eine bedeutende Rolle für zahlreiche Hormone in unserem Körper, insbesondere für das für viele Körperprozesse so wichtige Hormon Vitamin D. Nur rund 10 bis 20 Prozent unseres Vitamin-D-Bedarfs lässt sich mit hiesigen Essgewohnheiten decken – auch, weil wir fett- und Vitamin-D-reiche Fische wie Makrelen nicht oft genug zu uns nehmen. Die Sonne hingegen hilft Menschen in europäischen Breitengraden rund 80 bis 90 Prozent ihres benötigten Vitamin-D-Bedarfs aufzubauen. Da das Hormon einige Körperreaktionen anstößt, wie knochenstärkende, stoffwechseltreibende, neurologische und immunologische Funktionen, ist es für unseren Körper unverzichtbar. Durch die ultraviolette Strahlung der Sonne wird die Vorstufe von Vitamin D, das 7-Dehydrocholesterol, zu seiner noch inaktiven Form umgebaut. »Diese wird weiter zur Leber und Niere transportiert und erst dort in die aktive Form des Hormons umgewandelt«, erklärt Stefan Pilz, der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Endokrinologie und Stoffwechsel.
Hautkrebsexperten oder auch das BfS sprechen sich dafür aus, dass nur wenige Minuten ausreichten, um genügend Vitamin D zu produzieren und für den lichtarmen Winter vorzuhalten. Stefan Pilz ist da skeptischer: »Die Halbwertzeit der Vitamin-D-Speicherform, des 25-Hydroxyvitamin-D, beträgt etwa zwei bis drei Wochen.« Daher gehen laut ihm Endokrinologen davon aus, dass man mit der Vitamin-D-Reserve nicht über den Winter kommt, selbst wenn man im Sommer und Herbst genügend im Freien gewesen ist.
»In den vergangenen Jahren kam es durch Überdosierungen zunehmend zu Vitamin-D-Vergiftungen«Julia Podlogar, Pharmakologin
Sollte man also in den Wintermonaten das Vitamin in Form von Tropfen oder Tabletten einnehmen? Viele Menschen sind überzeugt davon und decken sich mit Vitamin-D-Präparaten in Apotheken oder Drogerien ein. Nicht nur die Pharmakologin Julia Podlogar aus Münster sieht diese Entwicklung kritisch. Sie und andere Experten warnen davor, hohe Dosen des Vitamins einzunehmen, ohne dass diese ärztlich verordnet wurden. »In den vergangenen Jahren kam es durch Überdosierungen zunehmend zu Vitamin-D-Vergiftungen von Säuglingen, Kindern und Erwachsenen«, sagt die Abteilungsleiterin für Arzneimittelinformation der Apothekerkammer Westfalen-Lippe. Dabei hätten manche wohlmeinende Gesundheitsbewusste zuweilen eine tägliche Dosis von bis zu 20 000 Internationalen Einheiten (IE) Vitamin D eingenommen – mit schweren Folgen. 800 IE wären für einen Erwachsenen die empfohlene Menge. Der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft wurde im Jahr 2022 der Fall eines sieben Monate alten Säuglings gemeldet, der mit Gewichtsabnahme, Austrocknung und Wachheitsdefizit auf die Intensivstation aufgenommen wurde. Im Sonogramm fielen Kalziumablagerungen an der Niere auf. Das Deutsche Ärzteblatt berichtete: »Das Gespräch mit den Eltern ergab, dass der kleine Patient zwar anfänglich die ärztlich verordnete Vitamin-D-Prophylaxe mit 500 IE pro Tag erhalten hatte. Seit etwa fünf Monaten war auf Anraten von Freunden jedoch auf ein hochkonzentriertes Nahrungsergänzungsmittel umgestellt worden, das über das Internet bezogen wurde.« Das Baby erhielt so täglich 40 Tropfen des Präparats mit rund 40 000 IE Vitamin D – es wurde schlicht langsam mit zu viel Vitamin D vergiftet. Sein Zustand besserte sich jedoch durch die Vorbehandlung im Krankenhaus nach einigen Monaten wieder.
Generell müssen sich manche Personen weniger Gedanken um ihren Vitamin-D-Spiegel machen: Normalgewichtige, naturliebende, draußen aktive und zugleich hellhäutigere Menschen zeigen grundsätzlich einen höheren Spiegel des Hormons als übergewichtige, ältere, daheim bleibende oder dunkelhäutigere Personen. Den Zusammenhang zum Gewicht erklärt Stefan Pilz mit Ablagerungsprozessen: »Übergewichtige haben niedrigere Vitamin-D-Werte, weil das Vitamin unter anderem im überschüssigen Fettgewebe abgelagert wird und da für den Körper nicht zur Verfügung steht.« Zwar könne Vitamin D aus dem Fettgewebe zurückgewonnen werde, es stehe aber nicht für eine sofortige Verwertung zur Verfügung.
Der Einfluss der Sonne auf Hormone und guten Schlaf
»Die Sonne beeinflusst jedoch nicht nur Vitamin D, sondern auch andere Hormone in unserem Körper. Besonders am Morgen kann helles Licht helfen, die innere Uhr zu regulieren«, sagt Stefan Pilz, der sich schon lange damit beschäftigt, wie sich äußere Einflüsse der Umwelt und Lebensgewohnheiten auf unser hormonelles Gleichgewicht auswirken. Licht ist für unseren Körper ein Taktgeber, denn es bestimmt unseren Schlaf-wach-Rhythmus. In unserer Netzhaut gibt es neben den Rezeptoren, die für das Sehen zuständig sind, bestimmte Ganglienzellen, die ausschließlich Helligkeit in der Umgebung registrieren. Diese Zellen enthalten Melanopsin, das besonders empfindlich auf das bläuliche Tageslicht reagiert und davon aktiviert wird. Dadurch werden Reize an die Zirbeldrüse (Epiphyse) unseres Gehirns gesendet, so dass sich unser innerer Rhythmus auf Tagesaktivität einstellt. Gleichzeitig hemmt Lichteinfall auf die Augennetzhaut die Bildung von Melatonin, das auch als Müdigkeitshormon bezeichnet wird und aus Serotonin und Tryptophan gebildet wird. Der Melatoninspiegel steigt erst wieder bei fehlendem Lichteinfall abends an.
Dass der Winter müde macht und unsere Stimmung drückt, lässt sich nach einer gängigen, wenn auch nicht unumstrittenen These dadurch erklären: Demnach wird im dunkleren Winter vermehrt Melatonin gebildet – und zwar bis zu 80 Prozent mehr als im Sommer. So steht weniger Serotonin zur Verfügung, das als aktivierend und stimmungsaufhellend gilt und deshalb auch Glückshormon genannt wird. Es reguliert nicht nur unsere Stimmung, sondern senkt zudem unseren Appetit und verbessert den Schlaf. Auch vollständig blinden Menschen sowie Personen, die viel reisen oder oft nachts arbeiten und tagsüber schlafen, kann die fehlende Sonne – oder Sonne zur falschen Zeit – zu schaffen machen. Die fotosensiblen Zellen der Netzhaut brauchen die Tageslichtreize und zwar zur wachen Zeit, um im Hypothalamus den richtigen Takt für die innere Uhr vorzugeben. Eine der belastendsten Auswirkungen fehlender Lichtreize am Tag können Einschlaf- und Durchschlafprobleme sowie ein 25-Stunden-Rhythmus im Gegensatz zum üblichen 24-Stunden-Schlaf-wach-Rhythmus sein.
Wie Sonnenwärme wirkt
Die Wärme der Sonne spielt ebenfalls eine Rolle für unsere Aktivität sowie für bestimmte Körpervorgänge. »Alle biochemischen Reaktionen im Körper lassen sich auch durch Hitze und Kälte beeinflussen«, sagt Günter Stalla, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). Wärmereize werden von Rezeptoren in unserer Haut erfasst und über Nervenfasern ins Gehirn zur Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse weitergeleitet, die Prozesse zur Temperaturregulation des Körpers steuert. »Dort werden Hormone ausgeschüttet, die gefäßerweiternd und durchblutungsfördernd wirken«, erklärt Günter Stalla.
Doch bewirkt Wärme nur eine Steigerung des Pulses und einen schnelleren Blutfluss oder hat die Sonne noch andere, anregende Effekte? Bekannt ist, dass sich durch Wärme die Muskulatur entspannt, die Gelenkflüssigkeiten fließen besser und Nervenbahnen entlastet werden, da sie so weniger Schmerzreize weiterleiten. Durch die bessere Durchblutung werden auch bestimmte Stoffwechselprodukte schneller transportiert und mehr immunologische Botenstoffe in Umlauf gebracht, unser Immunsystem wird also positiv beeinflusst.
Auch ein anderes Hormon, Proopiomelanocortin (POMC), das durch die Sonne angeregt wird, soll sich laut Studien positiv auf unser Immunsystem auswirken, Entzündungen hemmen sowie unseren Stoffwechsel regulieren. Bekannt ist zudem die ankurbelnde Wirkung der Sonne auf unser Hautmikrobiom und auf Endorphine, die schmerzsenkend, stimmungshebend und stresssenkend wirken.
Wie Studien außerdem zeigen, regt die ultraviolette Strahlung der Sonne die Produktion von Stickstoffmonoxid in unserer Haut an. Der gasförmige Neurotransmitter verbessert nicht nur unsere Schlafqualität und sexuelle Aktivität: Er wirkt auch gefäßerweiternd und kann dadurch dafür sorgen, dass unser Blutdruck sinkt. Zusätzlich helfen seine hämodynamischen Eigenschaften, die körpereigene Antwort auf Stress zu bekämpfen.
Die saisonalen Schwankungen von Sonne, Wärme, Kälte, Feuchtigkeit und Wind auf den Menschen haben also direkten Einfluss auf viele Vorgänge in unserem Körper und somit auf unsere Gesundheit. Das zeigt sich in den dunklen Monaten, ist Stefan Pilz überzeugt: »Im Winter steigt die Erkrankungshäufigkeit der Menschen, und ihre Blutdruck- und Blutzuckerwerte sind meist schlechter«, sagt der Endokrinologe.
Kann die Sonne auch Krebs vorbeugen?
»Normale Sonnenexposition stärkt die Gesundheit.« Diese Hypothese veröffentlichte ein niederländisches Ärzteteam um Han van der Rhee im Jahr 2016. Trotz des klaren Risikos für Hautkrebs und bestimmte Augenerkrankungen gibt es laut seinem Forscherteam ebenfalls vermehrt beobachtende und experimentelle Evidenzen und Daten dafür, dass ein normaler Umgang mit der Sonne vielen anderen Krankheiten vorbeugt, so etwa Darm-, Brust- und Prostatakrebs sowie multipler Sklerose, Bluthochdruck und Diabetes mellitus.
Auch ein schwedisches Forscherteam um Pelle Lindqvist kam 2022 in einem Review zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie die niederländischen Kolleginnen und Kollegen: Es wertete die Daten von 750 Schwedinnen der MISS-Kohorte (»Melanoma in southern Sweden«) aus, bei der 30 000 Frauen alle zehn Jahre befragt werden, und verglich dabei die Frauen mit den niedrigsten und höchsten Sonnenraten. »In unserem 20-Jahre-Follow-up zeigten ›sonnenanbetende‹ Frauen ein um 20 Prozent höheres Risiko für schwarzen Hautkrebs, aber auch ein um 23 Prozent niedrigeres Risiko, an einem allgemeinen anderen Krankheitsgrund zu sterben.« Im Vergleich zu den Sonnenliebhaberinnen, die regelmäßig ein Solarium besuchten, zeigten Frauen, die die Sonne mieden, ein um bis zu 40 Prozent höheres Risiko, an einem krebsassoziierten Tod zu sterben.
Experten wie Han van der Rhee und Pelle Lindqvist sind sich sicher, dass die Empfehlung, Sonne zu meiden, »mehr Schaden als Nutzen anrichten kann, weil gleichzeitig das Risiko für weitere Erkrankungen wie Myokardinfarkte und Schlaganfall ansteigt«.
Allerdings sind ihre Studien und deren Schlussfolgerungen nicht unumstritten: Schweden ist eines der sonnenärmsten Länder der Welt – in Ländern mit mehr Sonnenstunden wie etwa Spanien oder Italien mit einer höheren Gefahr durch UV-B-Strahlen wären die Zahlen womöglich andere gewesen. Kritiker bemängeln zudem, dass bei Beobachtungsstudien »umgekehrte Assoziationen« zwischen Sonneneinstrahlung und gesunkenen Krebs- und Mortalitätsraten hergestellt werden. Es fehle der direkte kausale Zusammenhang zwischen der Therapieform, in diesem Fall der Sonne, und dem Heilungseffekt.
Die Grenzen von Beobachtungsstudien
Wieso jedoch lassen sich viele positive medizinische Effekte der Sonne beim Menschen nur indirekt beobachten und nicht eindeutig nachweisen? Zum einen hängt die Intensität eines Sonnenbads stark von individuellen Faktoren ab: Wie viel Sport treibt der Mensch? Finden viele Outdooraktivitäten statt? Hat die Person einen niedrigen BMI und somit einen höheren Vitamin-D-Spiegel? Zudem ist die Sonnenlichtaufnahme mit sozioökonomischen Faktoren, der Hautfarbe und Melaninproduktion sowie kulturellen Gewohnheiten wie beispielsweise Ganzkörperbekleidung assoziiert. Han van der Rhee betont, dass kontrollierte Studien über Sonnenlichteffekte bei Krebspatientinnen und -patienten unter Forschenden als »undurchführbar und unethisch« gelten dürften. Es gab allerdings einzelne Studien zu anderen Erkrankungen: So wurde bei 264 Multiple-Sklerose-Patientinnen und -Patienten und 69 gesunden Kontrollpersonen der Zusammenhang zwischen Sonnenexposition, ihrem Vitamin-D-Spiegel und Umweltfaktoren untersucht. Dabei schauten sich die Forschenden auch mit Hilfe von Magnetresonanztomografien (MRT) das Gesamthirnvolumen und die graue Substanz der Probanden an. Es zeigte sich, dass eine erhöhte Sonnenexposition Depressionen, Erschöpfungszustände und die Neurodegeneration reduzierte, und zwar unabhängig vom Vitamin-D-Spiegel.
Auch die Frage, ob Sonnenlicht unseren Blutdruck senkt, wurde bereits in Studien untersucht. Die Datenlage wurde allerdings in einem größeren Review bemängelt. Erstautor Robert Scragg schlussfolgert: »Bislang spricht nur eine geringe Evidenz dafür, dass Sonnenlicht unabhängig vom Vitamin-D-Effekt unseren Blutdruck und auch das kardiovaskuläre Risiko senkt.« Genauer hingeschaut, zeigte sich nach sechs Wochen in einer von zwei kontrollierten klinischen Studien ein signifikant gesunkener Blutdruck durch UV-A-Strahlung. In drei anderen Studien wurden die Probanden für eine Dauer von weniger als 30 Minuten UV-A-Strahlen ausgesetzt. In zwei der drei klinischen Probandengruppen zeigte sich eine kurzzeitige Blutdrucksenkung.
Genau dieser Ansatz der Untersuchung und die Schlussfolgerung weisen letztlich den Weg für jeden, der sich fragt, wie viel Sonne denn gut für den Körper ist: Um das Hautkrebsrisiko durch UV-Strahlen gering zu halten, sollten wir uns nur kurzzeitig vollkommen ungeschützt, also ohne Sonnencreme und Hautbedeckung, intensiven Sonnenstrahlen aussetzen. Deshalb sollte man je nach Hauttyp maximal 12 bis 30 Minuten an drei Tagen pro Woche ungeschützt in der Sonne verbringen. Doch wie so oft im Leben ist wohl die goldene Mitte die richtige Wahl. Und warum die Sonne nicht auch indirekt genießen? Unter einem Sonnenhut und in einer langen, luftigen Sommerhose, im Schatten, in überdachten Pools, hinter Glasscheiben oder unter einer überdachten Terrasse – und es sich dabei gut gehen lassen. Schließlich geht es um Balance: »Es ist wichtig, dass wir uns die Schwingungsfähigkeit unserer Hormone erhalten«, sagt Stefan Pilz. »Nicht nur die Sonne, sondern auch unsere Aktivität, unsere Ernährung, unsere Stimmung und unsere Emotionen beeinflussen unsere Gesundheit«, sagt der Arzt für Endokrinologie.
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