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Spiritismus: Forscher, die mit Toten sprechen

Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts hatten Bedeutendes erreicht. Da glaubten viele, der denkbar größte Durchbruch kündige sich bereits an: durch Klopfgeräusche aus dem Jenseits.
Schrenck-Notzing bei einer Séance
Albert von Schrenck-Notzing (links) war gleichermaßen Pionier der Psychologie wie auch der Parapsychologie. Diese Fotografie einer Lichterscheinung, die sein Medium Eva Carrière produziert haben soll, publizierte er in seinem wissenschaftlichen Werk »Materialisations-Phänomene« von 1914.

In Hydesville, einem kleinen Ort im amerikanischen Bundesstaat New York, waren im Februar 1848 im Hause eines Mr. Fox seltsame Klopfgeräusche zu vernehmen. Eine der drei Töchter des Herrn Fox antwortete spontan durch Fingerschnippen und erhielt als Antwort gezielte Klopflaute, die zu einem Frage-und-Antwort-Spiel führten. Es stellte sich heraus, dass die Geräusche vom Geist eines früheren Bewohners stammten, der ermordet und im Keller begraben worden war.

Die Foxes übersiedelten nach Rochester, wo die Klopfgeräusche weitergingen, allerdings nur in Anwesenheit der Kinder, dafür aber vor einem stetig wachsenden Publikum. Trotz diverser Bemühungen war es nicht möglich, die Ursache der rätselhaften Laute ausfindig zu machen.

Bald danach erregten äußerst seltsame Vorgänge in Stratford, Connecticut, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Hier handelte es sich nicht um die Kontaktaufnahme eines Ermordeten, sondern um die sehr handgreiflichen Aktivitäten eines Poltergeists. Im Haus des Geistlichen Dr. Eliakim Phelps kam es am 10. März 1850 zu einem außergewöhnlichen Vorfall. Bei der Rückkehr vom Sonntagsgottesdienst stellte die Familie fest, dass die zuvor verschlossenen Haustüren offenstanden und im Haus Möbel umgeworfen, Geschirr zerbrochen und Bücher verstreut worden waren. Einbrecher schieden als Erklärung aus, da weder Schmuck noch Geld fehlten. Am selben Tag blieb Phelps allein im Haus, um zu sehen, ob sich weitere Vorfälle ereignen würden, vernahm aber nichts.

Bei einem Rundgang stellte er fest, dass im Speisezimmer eine Gruppe von lebensgroßen Frauenfiguren versammelt war, die Kleidungsstücke aus dem Besitz der Phelps anhatten und völlig lebensecht wirkten. Wer diese Figuren geschaffen hatte und wie sie in das Zimmer gelangt waren, blieb ein Rätsel. In der Folge begannen auch Gegenstände durch die Luft zu fliegen oder plötzlich aus dem Nichts aufzutauchen, und die Kinder, besonders der elfjährige Henry, wurden damit attackiert. Nach mehreren Monaten verließ die Familie entnervt das Haus und verbrachte den Winter in Philadelphia. Nach der Rückkehr im Frühjahr ereigneten sich keine weiteren Vorfälle mehr. Alle Versuche, die Ursache der gespenstischen Geschehnisse zu ergründen, scheiterten.

Aus Furcht wird Neugier

Wohl seit Menschen ihre Verstorbenen bestatten, trieb sie auch die Angst um, die Toten könnten zurückkehren und unter den Lebenden wandeln. Die Furcht vor Wiedergängern manifestiert sich etwa in der vielfach belegten Sitte, Leichname, die man des Vampirismus verdächtigte, im Grab mit Pflöcken oder Steinen zu fixieren. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts ereignete sich jedoch ein grundlegender Perspektivwechsel im Umgang mit den Toten. Von nun an bestimmte nicht mehr die Angst vor ihnen das Denken vieler Menschen, sondern vielmehr der Wunsch, mit ihnen in direkten oder indirekten Kontakt zu treten – der Spiritismus war geboren.

Zu den ersten, die vorgaben, diesen Kommunikationskanal öffnen zu können, gehörten jene Fox-Schwestern, die schon als kleine Kinder mit den Klopfgeräuschen Aufmerksamkeit erregt hatten. Ihre Fähigkeit erwies sich als äußerst lukrativ. Auf Betreiben ihrer älteren Schwester tingelten sie durch die USA und lockten tausende zu ihren Fragerunden mit dem Geist.

Die Fox-Schwestern | Als Teenager begann Maggie Fox (links) mit ihrer Schwester Kate (Mitte) die Karriere als Medium. 1888 gaben sie öffentlich zu, dass ein Trick hinter den Klopfgeräusche steckt. Selbst davon ließen sich viele Anhänger nicht in ihrem Glauben beirren.

Auch die Poltergeistgeschichte von Stratford blieb nicht folgenlos, rief sie doch einen gewissen Andrew Jackson Davis auf den Plan. Er besuchte die Phelps und entwarf in der Folge eine Theorie der Geisterwelt, die für die Entstehung der »Spiritismus« oder »Spiritualismus« genannten Kulturströmung bestimmend wurde. Das schreibt etwa der Historiker Diethard Sawicki in seinem 2002 erschienen Buch »Leben mit den Toten«.

Davis wurde 1826 in Blooming Grove im Staat New York geboren und erhielt nur eine einfache Schulbildung. 1838 hörte er einen Vortrag über Hypnose und wurde kurz darauf von einem ortsansässigen Schneider in Trance versetzt, wobei seine große Begabung als »Medium« auffiel – als Vermittler zwischen der normalen Welt und dem Reich der Geister. In dieser Funktion wirkte er mit großem Erfolg und schrieb zudem eine Reihe von Büchern, in denen es um die Enthüllungen ging, die ihm jenseitige Wesen bei seinen Trancen hatten zuteilwerden lassen. Nach Davis (beziehungsweise seinen übernatürlichen Informanten) ist die Menschheit ein lebendiges Ganzes, das in engstem Kontakt mit der Geisterwelt steht. Diese unterscheide sich von der Diesseitswelt nur durch die fehlende materielle Präsenz. Nach den 1850er Jahren trat Davis nicht mehr prominent in Erscheinung – wohl aber die Geister, die er rief.

Sitzung am schwebenden Tisch

Anders als bei reinen Spukerscheinungen besteht das wichtigste Kennzeichen des Spiritismus in der bewussten und geplanten Kontaktaufnahme mit der »Anderswelt« der Geister und Gespenster. Dazu war nach Ansicht der Spiritisten prinzipiell jeder Mensch in der Lage. Allerdings schien es besonders begabte Personen zu geben, die sich als Vermittler anboten; ohne eines oder mehrere solcher Medien versprachen die Kontaktversuche wenig bis gar keinen Erfolg. Neben einem oder gar mehrerer Medien waren bei den Séancen genannten Zusammenkünften gewöhnlich weitere Teilnehmer anwesend, die den Vermittlern in die Geisterwelt ihre Kontaktwünsche vortrugen.

Eingehende Beschreibungen solcher Séancen und der dort angeblich beobachteten Vorgänge finden sich in dem sehr ausführlichen »Bericht über den Spiritualismus«, der von der Londoner »Dialektischen Gesellschaft« erstellt wurde und 1875 in deutscher Übersetzung erschien. Demnach waren Gestaltung und Ablauf immer ähnlich: Ein abgedunkelter Raum, in dem lediglich einige Kerzen brannten, ein Tisch, um den sich alle Anwesenden setzten und die Hände flach auf die Tischplatte legten, wobei sich die Hände untereinander berühren konnten, aber nicht mussten.

Nun versuchte das Medium, Kontakt zu einem Geist aufzunehmen. Der konnte sich durch Klopfgeräusche bemerkbar machen, es konnte aber auch sein, dass das Medium Botschaften aus dem Jenseits in »automatischer Schrift«, also vermeintlich ohne bewusste Willenssteuerung, niederschrieb. Manchmal sprach der Geist auch durch das Medium, das dann eine völlig andere Stimme hatte als gewöhnlich. Aber das war noch lange nicht alles. Bei manchen Séancen bemerkten die Teilnehmer, wie sich der Tisch plötzlich in die Höhe hob, obwohl alle Teilnehmenden ihre Hände auf der Tischplatte aufgelegt hatten; ferner konnten Geistgestalten auch sichtbar in Erscheinung treten.

Besonders spektakulär waren Fotografien, die von dem Mediziner Albert von Schrenck-Notzing (1862–1929) aufgenommen wurden. Man sieht darauf Personen, aus deren Mund angeblich so genanntes »Ektoplasma« quillt. Schrenck-Notzing zählt zu den Pionieren der Psychologie ebenso wie der Parapsychologie, was seinem Ruf als seriöser Forscher nicht geschadet hat. Er stand mit zahlreichen interessierten Kollegen in Verbindung, so seit 1894 mit dem französischen Physiologen Charles Richet (1850–1935), der 1913 den Nobelpreis für Medizin erhielt. Richet und Schrenck-Notzing beschrieben das Ektoplasma als »feinstoffliche« Substanz, die bei in Trance befindlichen Medien aus den Körperöffnungen austreten sollte. Worum es sich bei dem Material handelte, das auf den Aufnahmen zu sehen ist, und wie diese zu Stande kamen, ist bis heute ungeklärt.

Begeisterte Akademiker

Séancen waren spätestens seit den 1880er Jahren in vielen westlichen Ländern enorm populär. Natürlich häuften sich dadurch auch Berichte über dabei erlebte außerordentliche, also paranormale Vorkommnisse, was die Aufregung erneut steigerte. Allerdings flaute im Lauf der Zeit das öffentliche Interesse auch wieder ab, was zum einen daran lag, dass im Endeffekt immer nur bereits Bekanntes vorfiel, und zum anderen daran, dass sich Naturwissenschaftler, Philosophen und Ärzte zum überwiegenden Teil skeptisch bis ablehnend verhielten.

Der Geist aus der Zeitung | In den Sitzungen mit Schrenck-Notzing ließ Eva Carrière auch Gesichter erscheinen. Skeptiker erkannten einige davon wieder: Sie hatte sie offenbar aus dem Magazin »Le Miroir« ausgeschnitten und teils übermalt. In die Séancen könnte das Medium sie mit Hilfe einer mutmaßlichen Komplizin geschmuggelt haben: Juliette Bisson, die mit dem Wiener Forscher die Untersuchungen leitete.

Doch das Urteil der Fachwelt war keineswegs so einhellig, wie es heute der Fall ist. Im Gegenteil, gerade die akademisch Gebildeten hielten mit ihrer Leidenschaft für den Spiritismus die Beschäftigung mit dem Thema am Laufen. Wortkreationen wie »Telekinese« oder »Telepathie« verliehen dem Spiritismus die Aura des Wissenschaftlichen. Das Paranormale zu erforschen, sei es am Feierabend oder ganz offiziell im Rahmen der universitären Tätigkeit, erfreute sich noch vor 100 Jahren unter Fachleuten einer Beliebtheit, deren Ausmaß heute überraschen mag.

Sie hatte ihren Grund in der durchaus realistischen Einschätzung des ziemlich begrenzten Erklärungspotenzials der damaligen Naturwissenschaften. Physikalische Phänomene wie der Magnetismus, die Elektrizität, Licht und Wärme sowie die meisten chemischen Reaktionen waren gar nicht oder nur rudimentär erforscht, geschweige denn verstanden. Dazu kamen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert völlig unerwartete Entdeckungen wie die der Radioaktivität oder der Röntgenstrahlen. Vor diesem Hintergrund konnte man durchaus argumentieren, dass bei den Séancen bislang noch nicht bekannte Naturkräfte in Erscheinung träten.

Dazu kam, dass sehr viele mehr oder minder glaubwürdige Berichte über Spukerscheinungen von der Antike bis zur (damaligen) Gegenwart vorlagen, man denke nur an die Ereignisse im Hause Phelps. Sie alle konnten als ungewollte, aber deshalb nicht weniger reale Manifestationen von Geistwesen interpretiert werden. Natürlich gab es auch viele, die gar keine rationalen Erklärungen suchten, sondern einfach teuflische oder himmlische Mächte wirken sahen. Diese Gruppe soll aber hier außer Betracht bleiben.

Alfred Russel Wallace und das Geisterreich

Ein prominenter naturwissenschaftlich gebildeter Verfechter des Spiritismus war Alfred Russel Wallace (1823–1913), der unabhängig von Charles Darwin eine Theorie der Evolution entwickelte und die Biogeografie begründete. In einer Zuschrift an die Londoner »Times«, die am 4. Januar 1873 abgedruckt wurde, berichtet Wallace, dass er seit etwa 1865 eigene Untersuchungen durchgeführt habe, die »das Vorkommen von auf keine bekannte oder denkbare [!] physikalische Ursache zurückzuführenden Töne und Bewegungen« ergeben hätten. Das unterscheidet Wallace von vielen anderen Parapsychologen seiner Zeit: Indem er nicht nur bekannte, sondern auch denkbare physikalische Ursachen ausschloss, ließ er als Erklärung nur noch die Möglichkeit außernatürlicher Eingriffe in die Diesseitswelt übrig.

So eindrücklich die Erlebnisse auf einer Séance gewesen sein mochten, einen überzeugenden Beweis für die Existenz der Jenseitswelt lieferten sie nicht. Kaum noch Zweifel würden dagegen direkte »Materialisationen« zulassen, Fälle also, in denen man den Geist sehen, berühren oder besser noch: fotografieren könnte. Der Chemiker William Crookes (1832–1919) versuchte genau das – und vermeldete bald schon einen schier unglaublichen Erfolg.

William Crookes, der Geisterfotograf

Crookes entstammte der Familie eines Schneiders, trat mit 16 Jahren ohne besondere Vorbildung in das Chemische Institut der Royal School of Miners (das spätere Royal College of Chemistry) in London ein, entdeckte 1861 das Element Thallium, erforschte Kathodenstrahlen und die Szintillation, die Aussendung von Licht aus einem energetisch angeregten Körper. Von 1913 bis 1915 war er sogar Präsident der berühmten Royal Society. Als Physikochemiker unzweifelhaft ausgewiesen, interessierte sich Crookes auch für die Telekinese und die Geisterfotografie. Beides untersuchte er in enger Zusammenarbeit mit dem damals bekannten Medium Daniel Dunglas Home (1833–1886) und publizierte darüber von 1871 bis 1874 im anerkannten »Quarterly Journal of Science«. Als Medium für seine »Geisterfotografien« wählte er die damals 15-jährige Florence Cook (um 1856–1904), mit der er mehr als zwei Jahre lang Séancen abhielt. Bei diesen Sitzungen erschien häufig eine Geistergestalt, die sich selbst »Katie King« nannte und die Materialisation einer Hofdame der Königin Anna Stuart (1665–1714) sein sollte.

Auffallend ist, dass sich das Medium und die Geistererscheinung nie gleichzeitig zeigten; wenn sich der Geist der Katie King materialisierte, befand sich Cook in einem abgedunkelten und durch einen Vorhang abgetrennten Nebenzimmer. Beide sahen sich recht ähnlich, allerdings war King einen halben Kopf größer und hatte helleres Haar. Man darf sich diesen »Geist« nicht wie einen üblichen Geist vorstellen, als mehr oder weniger durchsichtiges Etwas, sondern als eine Gestalt, die von einem lebendigen Menschen nicht zu unterscheiden war. Crookes befühlte ihren Puls, lauschte ihrem Atem, schnitt eine Haarlocke ab und ging so weit, sie – mit ihrem Einverständnis – zu küssen. So beschreibt es jedenfalls der dänische Psychologe Alfred Lehmann in seinem sehr inhaltsreichen Werk »Aberglaube und Zauberei« aus dem Jahr 1898.

Die naheliegende Annahme, dass ein so menschlich-handgreiflicher Geist vielleicht gar kein Geist sei, sondern eben doch ein Mensch, lehnte Crookes ab. Er hielt es für ausgeschlossen, dass ein junges unschuldiges Mädchen fähig sei, ihn jahrelang zu hintergehen und zu täuschen. Lieber sah er es als plausibel an, dass Katie King eine Emanation des Mediums, ein Ergebnis ihrer psychischen Kraft sei.

Pseudomaterialisation | Die Aufnahme zeigt Crookes neben den »Geist der Hofdame Katie King«. Erst eine Séance bei einer Spiritistenvereinigung enttarnte den Schwindel.

Die British Association of Spiritualists war weniger einfältig als Crookes. Bei einem Auftritt vor der Gesellschaft wurde Florence Cook als Schwindlerin enttarnt. Die Spiritisten sprachen danach verschämt von einer Pseudomaterialisation. Insgesamt waren die Untersuchungen Crookes’ wohl anfänglich von Skepsis geprägt. Wie andere vor und nach ihm erlag er aber relativ bald der persönlichen Faszination der Medien und dem Wunsch, das Beobachtete möge doch echt sein.

Karl Friedrich Zöllner und die vierte Dimension

Ähnlich erging es Karl Friedrich Zöllner (1834–1882), der glaubte, mit eigenen Augen etwas gesehen zu haben, was sich aus mathematisch-logischen Gründen allein durch das Wirken von Geistern erklären ließe.

Der Leipziger Astrophysiker hatte schon 1871 in seiner Abhandlung »Über die Natur der Cometen« gefordert, eine Physik des vierdimensionalen Raums zu entwickeln. Nun stellte er die Hypothese auf, dass es sich bei den »Geistern«, deren Existenz er als weitgehend gesichert ansah, um Wesen handle, die mit Intelligenz begabt seien und in einem vierdimensionalen Raum lebten. Das hielt er sogar für experimentell überprüfbar. Zutreffend stellte er fest: Genau wie es drei Raumdimensionen braucht, um einen Knoten in eine offene Schnur zu machen, braucht es Bewohner einer vierdimensionalen Welt, um einen Knoten in ein geschlossenes Band zu knüpfen.

»Dieser Versuch – einen Knoten an einer endlosen Schnur zu schlagen – ist im Lauf von wenigen Minuten in Leipzig den 17. Dez. 1877, vorm. 11 Uhr, in Gegenwart des Amerikaners Henry Slade gelungen«, stellt Zöllner in seinen »Wissenschaftlichen Abhandlungen« fest, einem vierbändigen Opus, in dem er von 1878 bis 1881 alle seine Arbeiten publizierte. Da es physikalisch unmöglich ist, dass ein Mensch dieses Kunststück zu Wege bringt, könne auch kein Trick vorliegen, argumentierte Zöllner. Dies ist allerdings nur richtig, wenn sichergestellt ist, dass eine Vertauschung mit einer gleich aussehenden, vorher verknoteten Schnur ausgeschlossen ist. Dies konnte Zöllner jedoch nicht sicherstellen; überdies konnte sein Medium Slade dieses Kunststück auch nur während seiner Zeit bei Zöllner ausführen.

Trotzdem sah Zöllner sein Ziel als erreicht an, das Rätselhafte und Unerklärliche aus dem Bereich des Magischen oder Numinosen herauszulösen und der rationalen Weltsicht einzugliedern. Sein Erklärungsmodell war in sich schlüssig und kam ohne Rückgriff auf unbekannte Kräfte aus. Wie Albert Einstein und Max Planck hatte er erkannt, dass die klassische Physik möglicherweise nicht ausreicht, um die physische Welt zu beschreiben. Sein Problem war seine Leichtgläubigkeit, sein »Beweis« der vierten Dimension vermochte nicht zu überzeugen.

Daniel Dunglas Home | Der Amerikaner zählte zu den berühmtesten Medien seiner Generation, auch Geisterfotograf Crookes arbeitete mit dem Mann zusammen, dem großes Charisma und ebenso viel Talent beim Ausnehmen seiner Opfer nachgesagt wird.

Rätsel des (menschlichen) Geists

Wallace, Crookes und Zöllner stehen exemplarisch für dutzende angesehene Wissenschaftler, die sich hatten überzeugen lassen, dass es Dinge wie Teleportation, Telekinese, Telepathie oder Hellsehen wirklich gibt oder doch zumindest geben könnte. Und man würde es sich zu einfach machen, wenn man schlicht feststellte, diese ebenso klugen wie gebildeten Forscher hätten sich eben täuschen lassen. Ihre Verhaltensweisen werden besser verstehbar, wenn man das zeitgenössische geistige Umfeld einbezieht. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte nicht nur das frustrierende Unvermögen, die bereits gemachten Entdeckungen theoretisch einzuordnen, sondern hing zugleich dem unerschütterlichen Glauben an das allumfassende Erklärungspotenzial der Naturwissenschaften an. Etwas als unerklärbar abzustempeln, erschien in diesem Weltbild als Beleidigung des menschlichen Verstands.

Wenn in einem solchen geistig-psychologischen Umfeld ein von sich selbst und der Wissenschaft überzeugter Naturforscher erlebt, dass sich Dinge scheinbar von selbst bewegen oder Schriftzüge wie von Geisterhand entstehen, dann ist es regelrecht geboten, auf die Suche nach einer plausiblen Erklärung zu gehen. Zumal wenn Betrug ausgeschlossen erscheint.

Weshalb sich geschulte Experimentatoren allerdings derart leicht in die Irre führen ließen und lieber noch ihre Kritiker der Unwissenheit und Verbohrtheit bezichtigten, statt einzuräumen, von einem betrügerischen Medium hinters Licht geführt worden zu sein, darauf wird es wohl nur in Ausnahmefällen eine befriedigende Antwort geben. Eines zeigt es wahrscheinlich deutlich: Auch wer nach einem Geist sucht, findet am Ende doch nur den Menschen.

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