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Schwarze Löcher: Hatte Stephen Hawking wirklich Unrecht?

Der Mathematiker Roy Kerr fand einen vermeintlichen Fehler in der Beschreibung Schwarzer Löcher durch Roger Penrose und Stephen Hawking. Doch sein Argument ist nicht stichhaltig.
Künstlerische Darstellung des Schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie M87, das gerade einen Jet ausstößt.
Hawking war für seine Arbeit zu Schwarzen Löchern bekannt. Roy Kerr hatte einen vermeintlichen Fehler in einer der Arbeiten entdeckt – seine Argumentation erweist sich aber als nicht zutreffend.

Im Dezember 2023 ging eine Schlagzeile durch die populärwissenschaftliche und Tagespresse, wonach sich Stephen Hawking in Bezug auf Schwarze Löcher geirrt habe. Hintergrund war eine Arbeit des neuseeländischen Mathematikers Roy Kerr vom Dezember 2023, in der er einen vermeintlichen Fehler von Hawking und seinem Kollegen, dem Nobelpreisträger Roger Penrose, offenlegte. Demnach sei die Behauptung von Hawking und Penrose falsch, dass Schwarze Löcher stets eine »Singularität« (die häufig mit bis in die Unendlichkeit anwachsenden physikalischen Messgrößen gleichgesetzt wird) in ihrem »Inneren« bergen müssten. Den Nachweis führte Kerr durch ein vermeintliches Gegenbeispiel. Dieses erweist sich bei näherer Analyse allerdings als nicht zutreffend. Der Begriff der Singularität, auf den sich Penrose und Hawking stützten, ist deutlich komplizierter gefasst, was Kerr in seinem Argument nicht berücksichtigt.

Astrophysikalische und kosmologische Phänomene werden heute durch die allgemeine Relativitätstheorie beschrieben, die Albert Einstein zwischen 1907 und 1915 entwickelte. Mittlerweile stellt sie eine der am besten bestätigten Theorien der gesamten Physik dar. In dieser taucht die Schwerkraft nicht als gewöhnliche Kraft auf, sondern entsteht durch die Raumzeit-Geometrie, die ihrerseits durch Materie gekrümmt wird. Wie jedes System von allgemeinen Grundgleichungen der Physik haben auch die einsteinschen Feldgleichungen zahlreiche Lösungen. Einige davon besitzen aber so überraschende, bisweilen sogar bizarr anmutende Eigenschaften, dass sich Fachleute fragen, ob die durch diese Lösungen beschriebenen Raumzeit-Geometrien in der Natur überhaupt realisiert sein können.

Zu solchen »exotischen« Lösungen gehören insbesondere solche, die Penrose und Hawking »singulär« nennen. Es gibt kein gutes Argument, sie von vornherein auszuschließen: In der theoretischen Physik gilt das Prinzip, dass jede Lösung einer ernst zu nehmenden Theorie zunächst einmal selbst ernst zu nehmen ist.

Was bedeutet eigentlich »singulär«?

Doch an dieser Stelle kommt es schnell zu Missverständnissen: »Singulär« sein bedeutet gemäß Penrose und Hawking nicht automatisch, dass die Raumzeit auch eine Singularität enthält. Es gibt also nicht zwingend eine Stelle in der Raumzeit, an der eine physikalische Größe wie Massendichte, Druck oder Temperatur unendliche Werte erreicht. Solche Unendlichkeiten stellen zwar eine Singularität dar, aber die Umkehrung muss nicht erfüllt sein: Nicht jede singuläre Raumzeit enthält eine unendliche physikalische Größe.

Der wissenschaftliche Ruhm von Penrose und Hawking gründet sich unter anderem auf ihren »Singularitätentheoremen« der Jahre 1965 bis 1970. Damit gelang es ihnen, mathematisch zu beweisen, dass singuläre Raumzeiten nicht etwa vereinzelte Ausnahmen unter den Lösungen der einsteinschen Feldgleichungen bilden – sondern sogar typischerweise auftreten. Wesentlich für diesen mathematischen Erfolg war es, den Begriff der singulären Raumzeit präzise zu fassen.

Für diesen Nachweis betrachteten Hawking und Penrose mathematische Kurven in der vierdimensionalen Raumzeit, die entweder frei fallenden Punktmassen oder Lichtstrahlen entsprechen – solche Erweiterungen von Bahnkurven in vier Dimensionen nennt man Weltlinien oder in diesem speziellen Fall »kausale Geodätische«. (Dabei steht »kausal« dafür, dass diese Weltlinien nur Bewegungen von höchstens gleich der Lichtgeschwindigkeit beschreiben, und »Geodätische« dafür, dass es sich um kräftefreie, also frei fallende Bewegungen handelt.) Für diese Kurven führt man einen Parameter ein, der »affine Länge« genannt wird. Für eine Punktmasse entspricht dieser im Wesentlichen der Zeit, die eine Uhr anzeigen würde, die sich entlang der Weltlinie bewegt. Für den Lichtstrahl gilt diese Übereinstimmung (affine Länge gleich der von der Uhr angezeigten Zeit) aber nicht. Nach den Konzepten der speziellen Relativitätstheorie kann eine Uhr nicht auf Lichtgeschwindigkeit bewegt werden – im Grenzfall einer beliebig nahe an die Lichtgeschwindigkeit heranreichenden Geschwindigkeit würde auf der Uhr überhaupt keine Zeit mehr vergehen. Um die Länge einer Kurve in der vierdimensionalen Raumzeit zu messen, muss man aber neben den räumlichen auch die zeitlichen Komponenten berücksichtigen – was im Fall von Lichtstrahlen daher ein Problem darstellt. Deshalb wird die affine Länge eingeführt, damit man auch Weltlinien von Lichtstrahlen eine Art Länge zuordnen kann.

Plötzlich endende Kurven

Kernbestandteil einer singulären Raumzeit, wie Hawking und Penrose sie definierten, ist, dass sie »unvollständige« kausale Geodätische enthält, die »nichtfortsetzbar« sind. Unvollständig bedeutet, dass der affine Längenparameter nicht alle Werte umfassen kann: Die auf der mitgeführten Uhr angezeigte Zeit kann also einen bestimmten Wert nie übersteigen. Nichtfortsetzbar bedeutet, dass sich diese Unvollständigkeit nicht durch einfaches Verlängern der Kurve aufheben lässt. Anschaulich heißt das, dass Punktteilchen oder Photonen nach endlicher affiner Zeit in der betreffenden Raumzeit nicht weiter existieren können.

»Man kann nicht schließen, dass eine Singularität notwendigerweise vom Typ ›unendliche Krümmung‹ sein muss«Roger Penrose, Stephen Hawking, Physiker

Physikalisch würde man sich das gerne so erklären, dass das Teilchen oder Photon nach endlicher affiner Länge zum Beispiel in einen Bereich unendlicher Energiedichte gerät und deshalb zerstört wird. Von einer solchen intuitiven Erklärung haben Penrose und Hawking aber bewusst Abstand genommen, wie sie in ihrer 1970 erschienenen Arbeit erläutern: »Man kann aus dem Korollar nicht schließen, dass eine solche Singularität notwendigerweise vom Typ ›unendliche Krümmung‹ sein muss. Obwohl man daraus schließen könnte, dass eine ›maximal ausgedehnte‹ Raumzeit (...) in gewissem Sinne beliebig große Krümmungen erhalten sollte, gibt es dennoch andere Möglichkeiten, die zu berücksichtigen sind.«

Grund für diese Abstraktion war das Ziel, möglichst allgemeine Aussagen zu treffen, die weitestgehend von den spezifischen Eigenschaften der Materie unabhängig sind – außer den allgemein gültigen (etwa, dass Energiedichten positiv sind und Energie nicht mit Überlichtgeschwindigkeit strömen kann).

Zur vollständigen Definition einer singulären Raumzeit haben Penrose und Hawking noch eine wesentliche Bedingung hinzugenommen, um triviale Fälle auszuschließen, in denen singuläres Verhalten nur »vorgetäuscht« wird. Das passiert nämlich dann, wenn die Raumzeit selbst fortsetzbar ist (zu unterscheiden von der Fortsetzbarkeit bei Geodätischen): sie sich also als Teil einer größeren, regulären Raumzeit auffassen lässt.

Ohne diese Forderung könnte der singuläre Charakter einer Raumzeit einfach dadurch entstehen, dass man aus einer ursprünglich regulären Raumzeit ein Stück entfernt, etwa einen einzelnen Punkt. Alle vormals durch diesen Punkt laufenden Kurven lassen sich dann nicht mehr über den Wert der affinen Länge, bei der sie in der ursprünglichen Raumzeit diesen Punkt passierten, hinaus fortsetzen. Eine solche Raumzeit täuscht ihr singuläres Verhalten nur vor, denn sie verliert es wieder, sobald man die fehlenden Punkte ergänzt. »Aus diesem Grund legen wir das Postulat der Nichtfortsetzbarkeit zu Grunde«, schrieb Hawking in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1967. Das Attribut »singulär« wird also nur an solche Raumzeiten vergeben, die nichtfortsetzbar sind. Diese Tatsache ist der Grund, weshalb Kerrs Argument nicht zutrifft.

Eine Raumzeit heißt also nach Penrose und Hawking singulär, wenn sie erstens nichtfortsetzbar ist und zweitens nichtfortsetzbare kausale Geodätische enthält, die unvollständig sind. Die »Singularitätentheoreme« zeigen dann, dass gemäß den Gesetzen der allgemeinen Relativitätstheorie singuläre Raumzeiten nicht nur vereinzelt auftreten.

Manche empfinden diese Definition von »singulär« als missverständlich, da daraus nicht folgt, dass singuläre Raumzeiten auch lokale physikalische Singularitäten enthalten. Um diesem Missverständnis vorzubeugen, werden die Sätze von Penrose und Hawking auch gerne als »Unvollständigkeitstheoreme« bezeichnet.

Kerrs Argument ist nicht zutreffend

In seiner im Dezember 2023 erschienenen Arbeit hat Kerr ein vermeintliches Gegenbeispiel zu den Theoremen von Hawking und Penrose vorgestellt. Darin betrachtete er eine nach ihm benannte Raumzeit-Lösung der einsteinschen Feldgleichungen, die ein rotierendes Schwarzes Loch beschreibt. Diese Lösung besitzt keine unendliche Krümmung in ihrer Mitte, sondern weist eine ringförmige Singularität um die Drehachse herum auf.

Kerr-Universum | Die Kerr-Lösung der einsteinschen Feldgleichungen beschreibt ein rotierendes Schwarzes Loch. Hinter zwei Ereignishorizonten befindet sich eine ringförmige Singularität.

Kerr betrachtete in dieser Geometrie einen Lichtstrahl, der entlang der Drehachse auf das Schwarze Loch trifft – ohne jemals die Singularität zu berühren, endet die Weltlinie auf der Höhe des singulären Rings. Kerrs Folgerung: Aus nichtfortsetzbaren kausalen Geodätischen (in diesem Fall die endende Weltlinie des Lichtstrahls) lasse sich nicht auf singuläre Raumzeiten schließen – und das widerspreche (laut Kerr) den Theoremen von Penrose und Hawking. Doch dabei hat Kerr nicht beachtet, dass die von ihm gewählte Raumzeit fortsetzbar ist. Wenn man die Kerr-Raumzeit maximal erweitert (quasi alle herausgeschnittenen Punkte ergänzt), dann verpufft sein vermeintliches Gegenbeispiel: Die Weltlinie des Lichtstrahls kann ihren Weg durch den Ring hindurch fortsetzen. Damit trifft der Singularitätsbegriff von Penrose und Hawking auf die von Kerr betrachtete Situation überhaupt nicht zu. Kerrs vermeintliches mathematisches Gegenbeispiel ist also keines.

Die Arbeit von Kerr hat einen berechtigten Kern, leidet aber an ihrer begleitenden Polemik

In der maximal erweiterten Kerr-Raumzeit gibt es aber andere als die von Kerr betrachtete Geodätische, die tatsächlich unvollständig und nichtfortsetzbar sind. Diese enden jedoch alle in der ringförmigen Singularität unendlicher Krümmung – und erfüllen somit die physikalische Erwartung.

Die Arbeit von Kerr hat einen berechtigten Kern, leidet aber an ihrer begleitenden Polemik. Berechtigt ist sicher die – allerdings längst bekannte – Kritik an der Definition des Singularitätsbegriffs. Penrose und Hawking zahlen für den mathematischen Erfolg, den die allgemeine Definition ermöglicht hat, einen Preis: Die physikalische Interpretation einer singulären Raumzeit bleibt in manchen Fällen ungewiss. Dieser Punkt wurde bereits sehr früh und ausgiebig diskutiert, etwa im Jahr 1967 von Robert Geroch. Selbst wenn eine Kritik durchaus angebracht ist, hat Kerr keineswegs ein Gegenbeispiel zu einer mathematischen Aussage von Penrose und Hawking vorgelegt.

Das Grundproblem ist, die geeignete Balance zwischen mathematischer Exaktheit und physikalisch-intuitiver Stimmigkeit zu finden

Der tiefere erkenntnistheoretische Kern betrifft das Vorgehen in der theoretischen Physik ganz allgemein. Hier besteht ein Grundproblem darin, die geeignete Balance zwischen mathematischer Exaktheit auf der einen und physikalisch-intuitiver Stimmigkeit (vermeintlicher »Realitätsnähe«) auf der anderen Seite zu finden. In der Regel wird man vor die Wahl gestellt, entweder mathematisch exakte Resultate für physikalisch nur näherungsweise zutreffende Modelle abzuleiten oder mathematisch weniger gut kontrollierte Ergebnisse für physikalisch vermeintlich realistische Modelle.

Welches der beiden oft gegenläufigen Ziele (rigoros versus realistisch) man bevorzugt, wird je nach Vorliebe und Kontext unterschiedlich beurteilt. Ein Argument zu Gunsten einer letztlich größtmöglichen mathematischen Exaktheit ist aber sicher folgendes: Ohne eine logisch zusammenhängende Kette gültiger Schlüsse lässt sich eine Theorie nicht falsifizieren. Das heißt, wenn die Folgerungen nicht zutreffen, muss auch mindestens eine Ausgangshypothese der Theorie falsch sein. Diese Möglichkeit, Aussagen kontrolliert zu widerlegen, ist essenzieller Bestandteil des Erkenntnisprozesses in der Physik und den exakten Naturwissenschaften allgemein.

Zusatzmaterial: Penrose-Diagramm

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