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Physik: Wie man einem Schwarzen Loch entkommt

Was Schwarze Löcher einmal verschluckt haben, sollten sie eigentlich nie mehr freigeben. Doch ist dem wirklich so, oder gibt es ein Schlupfloch?
Schwarzes Loch (künstlerische Darstellung)

Am 10. April 2019 bekam die Menschheit zum ersten Mal die unmittelbare Umgebung eines Schwarzen Lochs zu sehen. Zuvor hatte das Team des Event Horizon Telescope (EHT) weltweit verteilte Observatorien vernetzt und auf die Galaxie M87 gerichtet. Nach intensiver Auswertung präsentierten sie das Ergebnis: eine Aufnahme des Objekts im Zentrum der Galaxie, das die 6,5-milliardenfache Masse unserer Sonne auf sich vereint. Das war eine atemberaubende Leistung – der erste direkte Blick auf eines der geheimnisvollsten Objekte des Universums. Darüber hinaus geben solche Bilder und ähnliche Beobachtungen vielleicht neue Hinweise auf die Lösung eines ebenso hartnäckigen wie grundlegenden physikalischen Rätsels.

Dabei handelt es sich um das so genannte Informationsparadoxon. Es dreht sich um die Frage, was mit der Information über Dinge geschieht, die in ein Schwarzes Loch stürzen. Die darauf aufbauenden Überlegungen machen allem Anschein nach die bloße Existenz von Schwarzen Löchern mit den quantenmechanischen Gesetzen unvereinbar: jenen Regeln, denen sämtliche Materie im Universum auf kleinsten Skalen folgt. Diese Inkonsistenz aufzulösen, könnte nicht weniger als eine Revolution erfordern – wie vor einem Jahrhundert beim Sturz der klassischen Physik durch die Quantenmechanik.

Theoretiker haben im Lauf der letzten Jahrzehnte viele Ideen untersucht, mussten dabei aber praktisch ohne direkte Hinweise aus Experimenten auskommen. Das erste Bild eines Schwarzen Lochs rückt solche Daten endlich in greifbare Nähe. Zukünftige EHT-Beobachtungen könnten enthüllen, wie sich die Objekte mit der Zeit entwickeln. Dazu kommen seit 2016 immer mehr Messungen von kollidierenden Schwarzen Löchern durch Gravitationswellenobservatorien.

Gravitationstheorie: Das Dunkel der Schwarzen Löcher

Veröffentlicht am: 19.02.2020

Laufzeit: 0:03:24

Sprache: deutsch

Hyperraum TV ist ein von der Medienwissenschaftlerin und Wissenschaftshistorikerin Susanne Päch betriebener Spartensender für Wissenschaft und Technologie.

So geheimnisvoll sie sind, so allgegenwärtig scheinen Schwarze Löcher im Kosmos zu sein. Die jüngsten Messungen sind nur die neuesten und deutlichsten Beweise dafür, dass die Objekte tatsächlich real sind. Doch ihre Existenz passt nicht reibungslos zu den heutigen Grundlagen der Physik. Die Prinzipien der Quantenmechanik sollten sich eigentlich in allen Vorgängen in der Natur widerspiegeln, aber sobald sie auf Schwarze Löcher angewendet werden, führen sie zu einem Widerspruch.

Sturz ohne Wiederkehr

Das Problem entspringt einer der scheinbar einfachsten Fragen, die wir in Bezug auf Schwarze Löcher stellen können: Was passiert, wenn etwas hineinfällt? Dazu müssen wir zunächst ein wenig genauer umreißen, was die Frage bedeutet. Unseren derzeitigen quantenmechanischen Gesetzen zufolge wandeln sich Materie und Energie ständig ineinander um, und ein Teilchen wird manchmal nach bestimmten Regeln zu einem anderen. Nur eines darf nie verloren gehen: Information. Sofern wir die vollständige Beschreibung eines Systems auf Quantenebene kennen, sollten wir immer in der Lage sein, seine früheren Zustände und möglichen zukünftigen Entwicklungen genau zu berechnen. Etwas präziser formuliert sollte unsere Frage also lauten: Was geschieht mit Quanteninformationen in einem Schwarzen Loch? Das führt zurück zu dem Grundgedanken hinter den Objekten.

Sie entstammen ursprünglich Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie, welche die Gravitation als Folge einer Krümmung von Raum und Zeit beschreibt. Die verzerrte Raumzeit verbiegt die Flugbahnen von allem darin, inklusive des Lichts. Wenn eine Masse in einer genügend kleinen Umgebung ausreichend stark konzentriert ist, dellt sie die Raumzeit so sehr ein, dass selbst Licht nicht mehr entkommen kann. Die Region, ab der das Licht gefangen ist, bezeichnen Physiker als Ereignishorizont. Und da nichts schneller reisen kann als Licht, bleibt alles innerhalb dieser Grenze stecken, einschließlich Informationen.

Hinzu kommt die wohl bedeutendste Entdeckung des 2018 verstorbenen Theoretikers Stephen Hawking. Er sagte 1974 voraus, dass Schwarze Löcher nicht ewig existieren, sondern irgendwann verdampfen. Denn gemäß der Quantenmechanik gibt es ständig und überall Paare von »virtuellen Teilchen«. Typischerweise vernichtet sich ein solches Duo, bestehend aus einem Teilchen und seinem Gegenstück aus Antimaterie, schnell wieder selbst. Aber wenn es sich in der Nähe des Ereignishorizonts eines Schwarzen Lochs bildet, könnte einer der Partner entweichen. Er trägt Energie weg, während der andere in den Ereignishorizont stürzt. Das Gesetz der Energieerhaltung erfordert nun, dass das Schwarze Loch daraufhin Energie verliert. Die Emission dieser Hawking-Strahlung lässt das Schwarze Loch schrumpfen und zerstört es mit der Zeit vollständig.

Das Problem: Die austretenden Teilchen enthalten keine Informationen darüber, was ursprünglich in das Schwarze Loch gelangt ist. Daher scheinen Hawkings Berechnungen zu zeigen, dass Quanteninformationen, die in ein solches Objekt fallen, gemeinsam mit diesem irgendwann spurlos verschwinden – unvereinbar mit der Quantenmechanik.

Die Erkenntnis löste eine tiefe Krise in der Physik aus. Früher kam es oft zu entscheidenden Fortschritten, wenn es gelang, solche Spannungen im Theoriegebäude aufzulösen. So schien beispielsweise zu Beginn des 20. Jahrhunderts die klassische Physik die Instabilität aller Atome vorherzusagen, im offensichtlichen Widerspruch zur Existenz stabiler Materie. Die um den positiv geladenen Kern laufenden negativ geladenen Elektronen müssten wegen ihrer steten Richtungswechsel unablässig elektromagnetische Strahlung aussenden, also ständig Energie verlieren und deswegen spiralförmig in die Tiefe stürzen. 1913 vermutete Niels Bohr, Elektronen könnten sich innerhalb quantisierter Bahnen aufhalten, auf denen sie ihre Energie behielten. Die radikale Idee spielte eine Schlüsselrolle auf dem Weg zu einem umfassenderen quantenmechanischen Weltbild, das die Natur grundlegend neu ordnete. Zunehmend scheint es, als würde die Krise rund um Schwarze Löcher zu einem weiteren Paradigmenwechsel in der Physik führen.

Als Hawking 1974 zum ersten Mal den Effekt der heutzutage nach ihm benannten Strahlung erkannte, meinte er, die Quantenmechanik müsse falsch und die Vernichtung von Information möglich sein. Doch einige Physiker ermittelten bald, dass entsprechend geänderte Regeln katastrophale Folgen für die Energieerhaltung hätten und mit der gegenwärtigen Beschreibung des Universums unvereinbar wären. Anscheinend muss die Lösung an anderer Stelle gesucht werden.

Viele Wissenschaftler vermuteten anfangs, Schwarze Löcher würden vielleicht nicht vollständig verdampfen, sondern irgendwann damit aufhören. Dann ließen sie, auf eine winzige Größe geschrumpft, in ihren Überresten die ursprünglichen Informationen schlicht zurück. Aber wenn das wahr wäre, entstünden Berechnungen zufolge solche Überreste auch im Rahmen alltäglicher physikalischer Vorgänge bei gewöhnlicher Materie. Das hätte für diese katastrophale, zerstörerische Konsequenzen – von denen wir nichts beobachten.

Nur eine Reise mit Überlichtgeschwindigkeit führt aus einem Schwarzen Loch heraus

Offensichtlich ist grundsätzlich etwas faul. Es ist verführerisch zu schließen, der Fehler liege bei Hawkings Analyse. Vielleicht entweichen parallel zur Hawking-Strahlung irgendwie doch Informationen aus einem Schwarzen Loch. Die Herausforderung besteht allerdings darin, dieses Szenario mit einem anderen grundlegenden Konzept der heutigen Physik in Übereinstimmung zu bringen, dem Prinzip der Lokalität. Es besagt, dass sich Informationen von einem Ort zum anderen niemals rascher als mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Aber entsprechend der Definition von Schwarzen Löchern ist der einzige Ausweg aus einem solchen, schneller als das Licht zu reisen, und das gilt gleichermaßen für Informationen. In den vier Jahrzehnten seit Hawkings Entdeckung haben Physiker nach einem Schlupfloch gesucht, das im Rahmen der konventionellen Physik bleibt, jedoch keines gefunden.

Eine Lösung schien zum Greifen nahe, als die Physiker Malcolm Perry und Andrew Strominger 2016 gemeinsam mit Hawking einen möglichen Fehler in der ursprünglichen Analyse aufdeckten. Dieser würde bedeuten, dass Informationen tatsächlich nie vollständig in ein Schwarzes Loch gelangen, sondern stattdessen auf der Außenseite eine Art Abdruck hinterlassen. Die drei Kollegen nannten das Phänomen »weiches Haar«. Es scheint genaueren Untersuchungen allerdings nicht standzuhalten, und die meisten Experten glauben heute nicht daran. Vielmehr dürften radikalere Schritte nötig sein.

Eine nahe liegende Idee ist: Ein unbekannter physikalischer Vorgang unterbindet die Entstehung echter Schwarzer Löcher. Im Prinzip brechen dabei sehr große Sterne am Ende ihres Lebens unter der Schwerkraft ihrer Masse unaufhaltsam zusammen. Aber was ist, wenn sie nie dieses Stadium erreichen und sich vielmehr in etwas verwandeln, das sich berechenbarer verhält? Schließlich ist das bei masseärmeren Sternen wie unserer Sonne der Fall – ihre Überreste bilden zum Beispiel so genannte Weiße Zwerge oder Neutronensterne. Vielleicht hindern unbekannte Gesetze der Physik größere Sterne daran, zu Schwarzen Löchern zu werden, und lassen ausgedehnte Überreste entstehen.

Es gibt allerdings keine plausiblen Modelle dafür, was solche Objekte stabilisieren soll. Keine bekannte Kraft kann den endlosen Kollaps unter der Schwerkraft aufhalten, und jede denkbare Physik, die das täte, würde allem Anschein nach überlichtschnelle Signalübertragung von einer Seite der zusammenfallenden Materie zur anderen erfordern.

Bei einem verwandten Konzept könnten Schwarze Löcher sich umwandeln, nachdem sie sich gebildet haben, jedoch lange bevor sie verdampfen. Das Produkt dieses Vorgangs würde dann die ursprünglichen Informationen enthalten. Aber wie man es auch dreht und wendet: Derlei Prozesse verletzen das Prinzip der Lokalität, da Informationen aus dem Inneren des Schwarzen Lochs auf den Überrest übergehen.

Feuerwände und hochdimensionale Fusselknäuel

Trotz der Probleme solcher Szenarien haben Physiker näher untersucht, unter welchen Bedingungen sie doch noch möglich wären. Beispielsweise hat der Stringtheoretiker Samir Mathur 2003 einen Vorschlag vorgelegt, laut dem sich ein Schwarzes Loch in einen »fuzzball« (auf Deutsch etwa: Fusselknäuel) verwandelt oder dass sich so ein Objekt von Anfang an statt eines Schwarzen Lochs bildet. In der Stringtheorie, die auf mehr als den üblichen vier Dimensionen der Raumzeit basiert, besitzt ein Fuzzball eine komplizierte, höherdimensionale Geometrie. An Stelle der scharfen Grenze eines Schwarzen Lochs am Ereignishorizont gäbe es eher eine verwaschene Oberfläche mit seltsamen mathematischen Gebilden darauf.

Das Informationsparadoxon | Schwarze Löcher sind von der allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagte Gebilde, denen nichts entkommen kann. Inzwischen deuten diverse Beobachtungen darauf hin, dass es die Objekte wirklich gibt. Seit 1974 ist zudem klar: Sie sollten langsam an Masse verlieren und irgendwann verschwinden – mitsamt allen Informationen über die Objekte, die hineingefallen sind. Die Regeln der Quantenmechanik verbieten das allerdings. Physiker haben daher verschiedene Szenarien entwickelt, wie die Informationen erhalten bleiben könnten.

Ein etwas jüngeres Szenario ist ein von einer »Feuerwand« umhüllter Überrest. Die Wand liegt dort, wo sich der Ereignishorizont befinden würde, und beherbergt energiereiche Teilchen. Sie verbrennt alles, was ihr begegnet, und verwandelt es in reine Energie. Sowohl die Feuerwand als auch der Fuzzball teilen jedoch das Problem, nicht mit der Lokalität vereinbar zu sein, und die resultierenden Objekte hätten weitere schwer zu erklärende Eigenschaften.

Um den Widerspruch zu lösen, der sich aus der Quantenmechanik ergibt, verstößt man leicht gegen die Geschwindigkeitsbegrenzung des Lichts. Dieser Regelbruch kann ebenso katastrophale Folgen haben wie ein Herumdoktern an der Quantenphysik und führt typischerweise lediglich zu einem anderen Paradoxon. Konkret besagen die Gesetze der Relativitätstheorie: Könnte man ein Signal durch den leeren, ungekrümmten Raum schicken, das schneller als Licht ist, wäre man im Stande, mit der Vergangenheit zu kommunizieren. Die Fähigkeit, eine Botschaft in der Zeit rückwärtszusenden, führt zu allerlei unmöglichen Situationen – man könnte seine Großmutter umbringen lassen, bevor die eigene Mutter geboren wird.

Doch obwohl der Eingriff in die Lokalität im Widerspruch zu grundlegender Physik zu stehen scheint, lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Schließlich ist jede bekannte Alternative ebenfalls auf irgendeine Art verrückt. Der ausgesprochen hartnäckige Charakter der Krise deutet nachdrücklich auf eine Antwort hin, bei der das Prinzip der Lokalität auf eine subtile Weise verletzt ist, die keine Paradoxien hervorruft. Vielleicht offenbart sich die dafür nötige, spezielle Form der Delokalisierung erst in der Lösung eines der schwierigsten Probleme der heutigen Physik, der Vereinigung von Quantenmechanik und Schwerkraft. Jedenfalls ist die grundsätzliche Vorstellung von Informationen, die genau an einem Ort und nicht an einem anderen existieren, in Theorien mit Schwerkraft besonders heikel. Gravitationsfelder erstrecken sich nämlich bis ins Unendliche und erschweren so das Konzept der Lokalisierung.

Falls Informationen aus Schwarzen Löchern entkommen, braucht es dafür möglicherweise keine dramatische Veränderung, sei es als Fuzzball, als Feuerwand oder als andere Variante eines Überrests. Nicht zuletzt deuten immer mehr Beobachtungsdaten darauf hin, dass es im Universum Objekte gibt, die wie ganz normale Schwarze Löcher aussehen und nicht messbar von Einsteins Vorhersagen abweichen. Vielleicht wirken gemäßigtere, derzeit unbekannte Effekte, die Informationen delokalisieren und aus Schwarzen Löchern austreten lassen, ohne dass wir die bisherige Vorstellung von der Raumzeit völlig über den Haufen werfen müssen. Solche Effekte habe ich theoretisch genauer untersucht und zwei viel versprechende Varianten gefunden.

Beim ersten, »starken« Szenario verändert sich die Geometrie der Raumzeit in der Nähe eines Schwarzen Lochs. Sie biegt und kräuselt sich in einer Weise, die von den enthaltenen Informationen abhängt. Aber auf sanfte Art – anders als bei der Feuerwand würde beispielsweise ein Astronaut nicht zerstört werden, wenn er in die Region stürzt, in der sich der Ereignishorizont befinden sollte. Diese Veränderungen der Raumzeit selbst können dann die Informationen übertragen.

Außerdem gibt es womöglich einen subtileren, rein quantenmechanischen Ausweg. Quantenfluktuationen der Raumzeitgeometrie in der Nähe des Schwarzen Lochs spielen dabei die entscheidende Rolle. Sie vermitteln Informationen an Teilchen, die dem Loch entkommen. In diesem »schwachen« Szenario ist der Informationsfluss immer noch stark genug, um die Quantenmechanik zu retten. Das hängt mit der großen möglichen Menge an Informationen im Schwarzen Loch zusammen. Bei beiden Modellen hätte ein Schwarzes Loch einen »Quantenhalo« um sich herum – eine kleine Wolke, aus der Informationen an die Umgebung zurückfließen.

Das Schwarze Loch im Zentrum von Messier 87 | 2019 haben Astrophysiker das Bild eines Rings aus heißer Materie um das Schwarze Loch in der Galaxie M87 erzeugt. Es entstand auf Basis von Messdaten weltweit verteilter Observatorien.

Die Szenarien scheinen zwar ebenfalls eine überlichtschnelle Übertragung von Informationen zu erfordern, erzeugen aber trotzdem nicht zwangsläufig ein Paradoxon wie beim Beispiel mit der Großmutter. Die Informationsübertragung ist nämlich an die Existenz des Schwarzen Lochs gebunden. Dessen Geometrie unterscheidet sich von der leeren, flachen Raumzeit. Und nur in dieser gilt ohne Weiteres das zuvor genannte Argument der Kommunikation mit der Vergangenheit.

Gespannter Blick auf empfindliche Instrumente

Bisher lassen sich die Quantenhalo-Szenarien aus keiner physikalischen Theorie herleiten, welche die Quantenmechanik mit der Gravitation in Einklang brächte. Sie sind lediglich denkbare Lösungsansätze für die Probleme, vor denen wir stehen, und vereinbar mit dem, was wir sehen. Falls sie zutreffen, beschreiben sie die Realität nur ungefähr. Für ein besseres Bild bedürfen unsere Vorstellungen von Raum und Zeit einer grundlegenden Neuordnung. Gegenwärtige Arbeiten zum Verständnis der Schwarzen Löcher ähneln insofern den ersten Versuchen durch Bohr und andere, die Physik des Atoms zu erklären. Die frühen Atommodelle waren ebenfalls nur grob annähernd und führten erst allmählich zu der heutigen, tiefen theoretischen Struktur der Quantenmechanik. Am Prinzip der Lokalität herumzuschrauben, mag zunächst absurd erscheinen, aber die Ideen der Quantenmechanik wirkten zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung nicht weniger verrückt.

In so einer Situation hoffen Physiker auf experimentelle Hinweise, die auf dem Weg zu einer neuen Theorie die Richtung vorgeben. Inzwischen hat die Menschheit zwei Möglichkeiten, Schwarze Löcher zu beobachten: einerseits die Bilder der EHT, andererseits Einrichtungen wie LIGO (Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory), die Gravitationswellen von Ereignissen erfassen, bei denen Schwarze Löcher zusammenstoßen und verschmelzen. Die Wellen tragen wertvolle Informationen über die Eigenschaften und das Verhalten der Objekte, die sie erzeugt haben.

Auf den ersten Blick erscheint es überzogen, zu verlangen, mit EHT oder LIGO kleinste Abweichungen von Einsteins Beschreibung der Schwarzen Löcher zu erkennen. Denn eigentlich erwarten Physiker merkliche Unterschiede zur Relativitätstheorie erst dann, wenn die Raumzeit extrem verbogen wird. Das geschieht nahe dem Zentrum eines Schwarzen Lochs; die Krümmungen in der Nähe des Horizonts sind hingegen recht schwach. Aber das beschriebene Informationsparadoxon macht deutlich: Änderungen an den aktuellen Gesetzen der Physik sind nicht allein dafür nötig, um Phänomene tief in einem Schwarzen Loch zu beschreiben. Abweichungen von klassischen Vorhersagen offenbaren sich auch in dessen Außenbereichen. Beim Schwarzen Loch in M87 etwa umfasst der Ereignishorizont die vielfache Größe unseres Sonnensystems.

Bereits mit den heutigen Daten von EHT und LIGO lassen sich einige besonders exotische, aber grundsätzlich logisch konsistente Konstruktionen für Schwarze Löcher ausschließen. Befänden sich an der Stelle Schwarzer Löcher beispielsweise Überreste mit einem etwas mehr als doppelt so großen Durchmesser, hätten Physiker in den Daten beider Experimente Anzeichen dafür gefunden. Im Fall des EHT stammt die Strahlung, auf deren Basis das heute berühmte Bild entstand, aus einer Region, die nur etwa anderthalbmal so ausgedehnt ist wie der Ereignishorizont. Und bei LIGO entspringt ein Teil des Signals einem Bereich, bei dem sich die kollidierenden Objekte in ähnlich geringem Abstand befinden. Zwar werden die Messungen weiterhin genauer analysiert, aber offenbar zeigen EHT und LIGO sehr dunkle und sehr kompakte Objekte, die genau so aussehen, wie man es für Schwarze Löcher erwarten sollte. Eingehendere Untersuchungen der Signale liefern vielleicht mehr Hinweise auf die Quanteneigenschaften von Schwarzen Löchern. Selbst wenn es keine überraschenden Effekte gibt, könnte das einige Modelle aussortieren.

Überreste mit stark abweichendem Durchmesser sind also bereits ausgeschlossen. Aber was ist mit Szenarien, die sich nur hinsichtlich der jeweiligen Beschreibung ganz nahe am Horizont des Schwarzen Lochs unterscheiden? Für konkrete Vorhersagen müssten die Theorien von Fuzzballs, Feuerwänden und ähnlichen Überresten detaillierter ausgearbeitet sein. Immerhin gibt es einige erste Hinweise. Wenn allerdings diese Objekte kaum größer wären als der Ereignishorizont eines entsprechenden Schwarzen Lochs, könnten weder EHT- noch LIGO-Beobachtungen Unterschiede zwischen den denkbaren Strukturen aufdecken. Doch möglicherweise haben wir trotzdem Chancen.

2016 haben die Physiker Vitor Cardoso von der Universität Lissabon, Edgardo Franzin von der Universität Barcelona und Paolo Pani von der Universität Rom vorhergesagt: Wenn zwei kollidierende Objekte verschmelzen, könnte der fusionierte Überrest Gravitationswellen an seiner Oberfläche reflektieren – sofern es eine solche gibt. Diese »Echos« ließen sich im Signal aufspüren. Es ist es jedoch offen, warum derlei Strukturen überhaupt stabil sein sollten, anstatt unter ihrem eigenen Gewicht schlicht zu Schwarzen Löchern zusammenzubrechen. Freilich ist das ein allgemeines Problem sämtlicher Szenarien, bei denen ein ausgedehnter Überrest entsteht, aber angesichts der enormen Kräfte bei einer Kollision wäre das hier besonders schwer zu erklären.

Wenn wir es hingegen lediglich mit subtilen Änderungen der Raumzeitgeometrie in einer weiten Umgebung über den Horizont hinaus zu tun haben, sind die Aussichten auf eine experimentelle Überprüfung besser. In dem von mir vorgeschlagenen starken Szenario beispielsweise lenkt das Kräuseln des Quantenhalos das Licht ab, das in der Nähe des Schwarzen Lochs entlangläuft. Dies könnte sich mit der Zeit in den Bildern des EHT niederschlagen.

Detektivische Spurensuche auf dem Weg zur Neuordnung von Raum und Zeit

Gemeinsam mit dem EHT-Wissenschaftler Dimitrios Psaltis habe ich für den Fall des Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße berechnet: Die Veränderungen, die in Verzerrungen im Umfeld des Objekts auszumachen wären, liefen auf einer typischen Zeitskala von einer Stunde ab. Da das EHT mehrstündige Beobachtungen zu einem Durchschnitt kombiniert, wäre das hier kaum zu sehen. Aber die entsprechende Zeit läge beim mehr als 1000-mal größeren Schwarzen Loch in der Galaxie M87 eher im Bereich dutzender Tage. Womöglich können wir also etwas erkennen, sofern wir die EHT-Beobachtungszeit über die ursprüngliche Projektdauer von einer Woche hinaus ausdehnen. Falls das keinen Hinweis bringt, wäre weiterhin das subtilere schwache Quantenszenario möglich.

Letzteres ist auf Grund der winzigen Änderungen der Raumzeitgeometrie schwieriger zu testen. Laut vorläufigen Untersuchungen könnte die Absorption oder Reflexion von Gravitationswellen dabei anders ablaufen. Möglicherweise führt das zu beobachtbaren Effekten in Gravitationswellensignalen. Oder aber es kommt noch exotischere Physik zum Tragen.

Alle bisherigen Ansätze auf Basis der Quantenmechanik legen jedenfalls nahe, dass die Raumzeit selbst nicht fundamental ist, sondern aus einer grundlegenderen mathematischen Struktur hervorgeht. Doch Chancen auf Messungen haben wir nur, wenn wir sowohl die Observatorien des EHT als auch diejenigen für Gravitationswellen erweitern und verbessern. Für das EHT sind bereits deutlich länger andauernde Beobachtungen geplant. Im Fall der Gravitationswellen werden zusätzliche Detektoren etwa in Japan und Indien die bestehenden Einrichtungen in den USA und Europa ergänzen.

Dazu müssen weitere theoretische Anstrengungen kommen, um Szenarien für das Umfeld Schwarzer Löcher zu verfeinern und deren Ursprünge und Konsequenzen zu verstehen. Genau wie die Vorgänge in Atomen auf dem Weg zur Theorie der Quantenmechanik geholfen haben, werden Schwarze Löcher wahrscheinlich entscheidende Hinweise liefern, die nächste konzeptionelle Revolution in der Physik anzustoßen.

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  • Quellen

Giddings, S. B.: Black holes in the quantum universe. Philosophical Transactions of the Royal Society A 377, 2019

Harlow, D.: Jerusalem lectures on black holes and quantum information. Reviews of Modern Physics 88, 2016

Hawking, S. W.: Particle creation by black holes. Communications in Mathematical Physics 43, 1975

Hawking, S. W., Perry, M. J. et al.: Soft hair on black holes. Physical Review Letters 116, 2016

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