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Teleskope: Astronomen ziehen mondwärts

Schon immer suchen Astronomen Orte fern der Zivilisation, um ungestört das Universum zu beobachten. Bald steht der nächste große Schritt auf die Rückseite des Mondes an.
Radioteleskope vor Sternenhimmel

Eigentlich sind Teleskope auf dem Mond nicht neu: Die Astronauten John Young und Charles Duke errichteten ein Teleskop mit einem 7,5 Zentimeter großen Spiegel, mit dem sie Aufnahmen von Sternhaufen, Gasnebeln und der Großen Magellanschen Wolke auf Fotoplatten brachten. Doch das Ende des Apollo-Programms 1972 sowie das beginnende Zeitalter der um die Erde kreisenden Teleskope beendeten diese kurze Episode lunarer Astronomie. Dabei blieb der Mond für viele Forscher das nächste logische Ziel, bis heute.

In den letzten Jahrhunderten wanderten Teleskope immer höher hinaus, weg von dem Streulicht der Städte, weg von Straßen, Autos und allen anderen menschlichen Strahlungsquellen. Die weltgrößten Teleskope stehen heute in den ungastlichsten Gegenden der Erde: in den trockensten Wüsten, auf kilometerhohen Vulkanbergen oder in der Antarktis. Aber noch immer sind nicht alle Störquellen ausgeschaltet; neben der Atmosphäre ist das der Strahlungsgürtel der Erde, der beständig störende Radiosignale aussendet und so einen Teil der kosmischen Signale blockiert.

Astronomische Beobachtungen auf dem Mond sind seit Jahrzehnten für viele Sternforscher ein Traum, der derzeit so realistisch erscheint wie lange nicht mehr. Denn fast alle Raumfahrtmächte fokussieren sich derzeit wieder auf den Erdtrabanten. Allein in den vergangenen zehn Jahren starteten zehn Raumsonden aus vier Ländern zu ihm. 2013 landete mit dem chinesischen Jadehasen der erste robotische Mondrover seit vier Jahrzehnten. Derweil werden die Mondpläne immer ambitionierter: Die NASA plant eine Raumstation am Mond, der ESA-Chef spricht von einem Dorf, und chinesische Forscher von einer Mondbasis. Es scheint daher fast sicher: Schon bald werden wieder Menschen auf dem Mond landen.

»Bei einer Mondmission darf nicht ein lunares Teleskop fehlen, das dazu geeignet wäre, eine der wichtigsten Fragen der Menschheit zu beantworten: Was sind unsere kosmischen Ursprünge?«
Joseph Silk

Viele Astronomen beobachten diese Entwicklungen mit Wohlwollen, hatten Raumfahrtagenturen den Mond doch nach 1972 weitgehend links liegen gelassen. Doch sie beobachten auch eine Parallele zu den 1960er Jahren, als der Flug zum Mond zunächst vor allem politisch motiviert wurde: »Diese Initiativen [zum Mond zurückzukehren] sind eher technisch und ökonomisch als wissenschaftlich«, schreibt der US-Astronom Joseph Silk im Januar 2018 in einem Kommentar beim Magazin »Nature«. »Wenn wir nicht heute damit anfangen, wird dabei ein wichtiges Detail fehlen – ein lunares Teleskop, das dazu geeignet wäre, eine der wichtigsten Fragen der Menschheit zu beantworten: Was sind unsere kosmischen Ursprünge?«

Lücke im Lebenslauf des Universums

Joseph Silk klingt geradezu euphorisch: Die Mondrückseite sei der beste Ort des inneren Sonnensystems für niederfrequente Radiosignale. Sie sei der einzige Ort, um bestimmte Fingerabdrücke des Urknalls überhaupt nachweisen zu können. Es geht um Radiosignale bei 21 Zentimetern, die für eine entscheidende Epoche des jungen Universums stehen. Vor 13,76 Milliarden Jahren nämlich – 380 000 Jahre nach dem Urknall – bildeten sich aus Protonen und Elektronen die ersten neutralen Atome, und das Universum wurde durchsichtig. Dieses Ereignis dokumentiert die kosmische Hintergrundstrahlung, die messbar ist. Über die Zeit danach wissen die Forscher dagegen bis heute fast nichts. Erst einige hundert Jahrmillionen später entstanden die ersten Sterne, von denen die hellsten wohl neue sensitive Instrumente wie das 2019 startende James-Webb-Teleskop auflösen könnten. »Davor haben wir eine Lücke im Lebenslauf des Universums«, sagt Heino Falcke von der Radboud Universität Nijmegen in den Niederlanden.

Heino Falcke gehört zu den Treibern einer neuen lunaren Radioastronomie. Er setzte sich für ein radioastronomisches Instrument an Bord eines geplanten europäischen Mondlanders ein – und gab auch nach dessen Streichung nicht auf. Dieser Tage macht sich ein von seiner Gruppe mitentwickeltes Instrument stattdessen auf den Weg nach China, wo es mit einer Raumsonde verbunden wird. Diese wird im Mai starten und als Relaissatellit für die nächste chinesische Mondlandung der Sonde Chang'e-4 Ende 2018 fungieren, aber gleichzeitig das erste radioastronomische Instrument zum Mond bringen. Für Falcke ist es kaum mehr als ein erster Schritt: »Wir wollen ausprobieren, ob wir auf der Mondrückseite gute Messwerte bekommen können«, sagt der Radioastronom.

Die nächsten Schritte zu einem lunaren Radioteleskop wären anspruchsvoller: Falcke und seine Kollegen würden am liebsten tausende oder sogar Millionen kleine Messantennen im Regolith auf der Mondrückseite platzieren. Ein solches Messnetzwerk würde ähnlich wie das Low Frequency Array (LOFAR) funktionieren, das mit über 1000 Messstationen in ganz Europa seit 2010 das größte Radioteleskop der Erde ist. Diese Messantennen sind simpel: »Sie bestehen eigentlich nur aus drei Drähten mit ein bisschen Elektronik dazwischen«, sagt Falcke. Prinzipiell sei es daher möglich, viele winzige LOFAR-Antennen einfach auf der Mondrückseite abzuwerfen. Allerdings müssten die Signale dieser Antennen zusammengeführt, verarbeitet und zur Erde übertragen werden. Daher hätten die Forscher auch nichts gegen Menschen vor Ort, die gelegentlich Wartungsarbeiten vornehmen.

Kalte Teleskope dank Mondkrater

Längst gibt es noch andere Ideen, den Mond für astronomische Forschung zu nutzen, etwa mit einem natürlich gekühlten Infrarotteleskop. Ein großer Teil der Infrarotstrahlung nämlich wird von der Erdatmosphäre blockiert, Weltraumteleskope im Erdorbit aber müssen aufwendig gekühlt werden, wobei das Kühlmittel Helium wie beim Infrarotteleskop der ESA Herschel nach vier Jahren aufgebraucht ist. Stattdessen sollte man diese Teleskope »in permanent beschatteten Kratern nahe des Mondsüdpols errichten«, schlägt Joseph Silk vor. »Denn hier wurden Temperaturen von nur 30 Kelvin gemessen.«

Zusätzlich böte sich der Mond auch für Teleskope im sichtbaren Licht, im Ultravioletten oder für sogenannte Submillimeterwellen an, die für gute Resultate aber ähnlich wie moderne irdische Teleskope miteinander gekoppelt werden müssten. Die Technik namens Interferometrie ist bei irdischen Teleskopen gut erprobt, erfordert aber die exakte Überlagerung des aufgefangenen Lichtes. »Für solche interferometrische Beobachtungen ist fester Grund entscheidend«, sagt Heino Falcke, »was wohl auch der Grund dafür ist, warum uns das bislang nur auf der Erde gelungen ist.« Der Mond böte diesen festen Grund.

Auf dem Erdtrabanten wären mit Flüssigteleskopen sogar exotische Teleskopformen möglich, die den Transport geschliffener Riesenspiegel unnötig machen würden: Versetzt man nämlich eine spiegelnde Flüssigkeit in Rotation, entsteht wie von selbst eine gebogene Spiegeloberfläche. Rund eine Hand voll solcher Flüssigteleskope arbeiten weltweit auf der Basis von Quecksilber. Sie sind vor allem dadurch beschränkt, dass das Quecksilber an ihrem äußeren Rand schneller an der umgebenden Luft reibt als im Zentrum, wodurch die flüssige Oberfläche kräuselt und das Bild verfälscht. Im Vakuum bestünde diese Beschränkung nicht. Daher gibt es Ideen, 100 Meter große Spiegelteleskope auf dem Mond zu errichten. Erste Experimente mit spiegelnden Metallen versetzten Flüssigsalzen verliefen vor einigen Jahren vielversprechend.

Mondstaub ist ein Problem für die Technik

Derweil sind längst noch nicht alle technischen Probleme gelöst. Dazu gehört zunächst der extreme Tag-Nacht-Rhythmus auf dem Mond: Zwei Wochen im Sonnenschein muss ein hier arbeitendes Gerät ebenso vertragen wie zwei Wochen in absoluter Dunkelheit. Die ständig beschatteten Südpolkrater mögen für astronomische Beobachtungen günstiger erscheinen, aber irgendwie müssten die Geräte hier dennoch dauerhaft mit elektrischer und teilweise auch mit Heizwärme versorgt werden.

Dazu ist bis heute nicht völlig klar, ob der Mond wirklich astronomisch ideale Bedingungen bietet. Die Apollo-Astronauten hatten erlebt, dass der Mondstaub an allem haften bleibt, wozu auch Linsen, feste Spiegel und elektronische Sensoren der Teleskope gehören würden. Denn der Staub ist durch seinen Eisenanteil elektrisch geladen und kann durch die Sonneneinstrahlung auch emporgeschleudert werden. Zuletzt könnten selbst Radioteleskope auf der Mondrückseite noch gestört werden, wenn in Zeiten schwacher Sonnenaktivität vermehrt kosmische Störstrahlung ins innere Sonnensystem vordringt.

Doch hat es letztlich vor allem eine praktische Ursache, warum bis heute auf dem Mond keine Teleskope stehen: In einer Studie über das wissenschaftliche Potential verschiedener Forschungsdisziplinen auf dem Mond schnitt die Astronomie gegenüber der Geologie oder möglichen biologischen und medizinischen Versuchen eher mittelmäßig ab. Das Fazit der Studie: Die dortigen astronomischen Möglichkeiten würden die Rückkehr des Menschen zum Mond wohl begünstigen, »aber sicher nicht vorantreiben.« Der Aufruf von Joseph Silk greift diese Kritik auf: Die Astronomen müssten klarer formulieren, welches wissenschaftliche Potential sich in ihrem Feld bietet.

»Wenn wir wirklich ungestört messen wollen, müssen wir schon tief hinein ins australische Outback ziehen – oder auf den Mond«
Heino Falcke

Auch Heino Falcke ist klar, dass die Astronomen eher die Rolle wissenschaftlicher Trittbrettfahrer einnehmen dürften. Denn dass auf dem Mond schon bald eine Infrastruktur für hier arbeitende Menschen installiert wird, ist unstrittig. »Das ist wie eine Autobahn, die wirtschaftliche Entwicklung in ländlichen Regionen möglich macht«, sagt Heino Falcke. Sendeantennen, lokale Rechner und vor allem ausgebildete Techniker sind die Voraussetzung, nebenbei auch die Ideen der Astronomen zu verwirklichen.

Zumindest für den Radioastronomen Falcke ist daher klar, dass der nächste Schritt der Mond ist. Seine Zunft beobachtet kosmische Radioobjekte, die schon von einem Mobiltelefon und sogar einer Küchenmikrowelle überstrahlt werden können. »Wenn wir wirklich ungestört messen wollen, müssen wir schon tief hinein ins australische Outback ziehen«, sagt Heino Falcke. »Aber auch da ist man vor Satelliten und Flugzeugen nicht sicher.« Daher gab es schon vor Jahrzehnten erfolgreiche Lobbyarbeit der Radioastronomen: 2003 verordnete die Internationale Telekommunikationsunion der erdabgewandten Mondseite eine Schutzzone, um die Arbeit zukünftiger Generationen von Radioastronomen hier nicht zu behindern.

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