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Geophysik: Tiefgründig

Über drei Jahre sind inzwischen vergangen, seit ein Tsunami in Südostasien die Küsten überrollte und hunderttausende Todesopfer forderte. Kaum vorstellbar, dass eine solche Katastrophe auch das Mittelmeer heimsucht - doch weiß die Historie durchaus davon zu berichten. Nun haben Forscher den Ursprung der Flutwelle ermittelt, die einst Alexandria zerstörte.
Tsunami
Hätte es die Geschichte von der Sintflut nicht schon gegeben, sie wäre am 21. Juli im Jahr 365 n. Chr. geboren worden: Nach einem schweren Erdbeben, das den gesamten östlichen Mittelmeerraum erschütterte, rasten Flutwellen über die flachen Küstenbereiche, überschwemmten fruchtbares Land, zerstörten Siedlungen und töteten tausende Menschen bis nach Ägypten und Sizilien. Prominentestes Opfer: Alexandria – allein hier starben den Überlieferungen zufolge 50 000 Personen.

Es war nicht das erste schwere Beben in der Region, und es wird auch nicht das letzte gewesen sein. Denn dank des Nordwärtsdrangs der Afrikanischen Platte, die sich hier unter die Eurasische Platte schiebt, steht der geknautschte Untergrund ständig unter Spannung und ist von Störungszonen und Bruchlinien durchzogen. Insbesondere im Osten des Meeresbeckens, wo zwischen den beiden großen Platten noch die kleinere Anatolische Platte geknetet wird, kommt es immer wieder zu schweren Erschütterungen entlang der Nordanatolischen Verwerfung. Ein solch schwerer Tsunami wie zu Zeiten Alexandrias jedoch blieb eher die Ausnahme.

Beth Shaw von der Universität Cambridge und ihre Kollegen begaben sich nun auf Spurensuche nach dem Auslöser für das Beben von 365 n. Chr. Wichtige Vorarbeit hatte bereits Captain Thomas Abel Brimage Spratt von der Royal Navy geleistet, als er 1851 für den südwestlichen Teil der Insel Kreta "viele marine Spuren" notierte – bis zu zehn Meter über dem Meeresspiegel. Und da sich diese auch durch die Überreste eines römischen Hafen in Phalasarna zogen, schloss er scharfsinnig, dass sich die Insel wohl während oder nach römischen Zeiten gehoben haben musste. 1982 bestimmten Forscher das Alter dieser ehemaligen Küstenlinie auf 2000 Jahre und machten als Ursache für die Hebung ein Erdbeben verantwortlich – da lag es natürlich nahe, das Ereignis mit dem Beben von 365 n. Chr. zu verknüpfen.

Ein Beben, ein Tsunami ...

Wirklich bewiesen war der Zusammenhang aber nie: Die verwendeten Methoden sind viel zu unsicher für eine so genaue Datumsangabe – plusminus 200 Jahre sind nicht einfach wegzudiskutieren. Und zudem war noch immer unklar, ob die zehn Meter Höhenunterschied in einem Rutsch oder mehreren kleinen Schritten erfolgt waren. Um diese offenen Fragen zu klären, zogen die Forscher nun die ehemaligen Zeitzeugen heran: die Überreste von Korallen, Moostierchen und Seedatteln (Lithophaga ssp.) – bohrenden Muscheln –, die sie an verschiedensten Orten im gesamten westlichen Kreta sammelten und deren Alter sie mittels Radiokarbonmethode bestimmten.

Für 13 dieser Korallen und Moostierchen, die sich in den meist älteren Muschelbohrlöchern niedergelassen hatten, ermittelten die Wissenschaftler ein Alter um 365 n. Chr. auf etwa plusminus siebzig Jahre genau, und elf von ihnen konnten immerhin bei einer Genauigkeit von etwa 140 Jahren auf diese Zeit datiert werden. Die Verteilung der Altersbestimmungen im Rahmen der Unsicherheit ergab außerdem, dass die Hebung innerhalb weniger Jahrzehnte erfolgt sein musste.

Zeit für eine gründliche Modellierung der Geschehnisse. Shaw und ihre Kollegen entlarvten mögliche Störungslinien als Ursprungsorte des Bebens und versuchten, das Geschehen nachzustellen. Das wahrscheinlichste Szenario entwickelte sich in einer etwa hundert Kilometer langen Verwerfung nahe der hellenischen Subduktionszone: Hier zeigt sich eine Verschiebung von etwa zwanzig Metern – und eine daraus errechnete Magnitude für das Beben von 8,3 bis 8,5.

... und eine Insel im Aufwärtstrend

Das damalige Beben ist damit vergleichbar mit dem Seebeben vor Sumatra aus dem Jahr 2004 – ebenso wie der damit simulierte Tsunami: Auf dem offenen Meer gerade einmal sechzig Zentimeter hoch, raste eine Wellenfront entlang der afrikanischen Küste nach Osten in Richtung Nildelta und zerstörte den Damm zur vorgelagerten Insel Pharos. Die Bewohner von Alexandria sahen sich damals also einer ähnlich zerstörerischen Wasserwand gegenüber wie vor drei Jahren die Menschen in Indien, Thailand und Indonesien.

Womit sich natürlich die Frage stellt: Wie groß ist die Gefahr einer solchen Flutwelle heute? Schließlich gab es mindestens einen Nachfolger: 1303 zerstörte ein Beben der Magnitude 8 mit folgendem Tsunami die Insel Rhodos und das östliche Kreta. Und da Afrika auch weiterhin nach Norden strebt, stehen weitere solcher Beben ins Haus.

Auch hier liefert die Simulation Antworten, unterstützt von Messungen der seismischen Aktivität in der Region. Demnach verlaufen neunzig Prozent der Plattenbewegungen ohne Widerstand: Sie gleiten sanft untereinander. Bis sich wieder eine ähnliche Spannung in der schuldigen Störungszone aufbaut, die sich damals in einem plötzlichen 20-Meter-Rutsch entlud, müssten 5000 Jahre vergehen. Dazu passt, dass sich bislang keine Hinweise auf ein ähnlich starkes Beben in den letzten 6000 Jahren fanden – womit sich auch klärt, dass die Insel wohl in einem Rutsch anstieg.

Doch könnte dieser Prozess natürlich auch in anderen Verwerfungen auftreten – das Beben von Rhodos beispielsweise spielte sich schließlich woanders ab. Ziehe man das in Betracht, so die Forscher, dann verkürze sich die Spanne bis zum nächsten solchen Ruck auf 800 Jahre. Den letzten dieser Größenordnung gab es 1303 – weshalb die Forscher auch schließen: "Wir sollten der heutigen Tsunami-Gefahr im östlichen Mittelmeerraum unsere Aufmerksamkeit widmen."

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