Trilobiten: Die gepanzerten Urzeittiere pflanzten sich mit Greifgliedern fort
Die Trilobiten bildeten eine der erfolgreichsten Klassen im Tierreich. Die gepanzerten, käferartigen Gliederfüßer, die nach ihrem charakteristischen in drei Lobi (»Lappen«) unterteilten Körper benannt sind, gehörten zu den ersten Lebewesen mit einem hartschaligen Körperbau. Sie entstanden vor etwa 520 Millionen Jahren. Fossilien belegen, dass sie fast 300 Millionen Jahre lang in den Ozeanen der Erde umherstreiften. Bis heute haben Paläontologinnen und Paläontologen über 20 000 Arten identifiziert, die über sehr unterschiedlich geformte Körperteile wie Platten, Antennen und Stacheln verfügten. Russell Bicknell von der australischen University of New England beschreibt die ausgestorbenen Gliederfüßer als gutes Beispiel dafür, welche diversen und bisweilen überraschenden Wege evolutionäre Prozesse durchlaufen. Salopp formuliert: »Evolution, geh doch nach Hause, du bist betrunken«, scherzt der Paläobiologe.
Trotz der vielfältigen und reichen Überlieferung an Fossilien ließ sich bislang aber nicht feststellen, wie sich Trilobiten fortpflanzten. Eine außergewöhnliche Versteinerung hat nun die Datenlage verändert: Fachleute haben damit erstmals Hinweise auf die Anatomie der Fortpflanzungsorgane gefunden. Offenbar verfügten die urzeitlichen Meeresbewohner über Extremitäten zum Greifen, mit denen ein männlicher Trilobit das Weibchen während der Paarung festhalten konnte.
Grundsätzlich ist es schwierig, bei ausgestorbenen Tieren den Fortpflanzungsvorgang zu rekonstruieren– vor allem wenn es sich um Wirbellose handelt. »Das Fortpflanzungsverhalten zu erforschen, ist schwierig, weil dazu oft nichts die Zeiten überdauert hat«, sagt die Paläontologin Sarah Losso von der Harvard University – zusammen mit Javier Ortega-Hernández, der ebenfalls an der Harvard University tätig ist, hat sie das neue Fossil in der Fachzeitschrift »Geology« veröffentlicht. Einige Körperteile der Trilobiten wie Beine, Antennen oder die Fortpflanzungsorgane haben aus weichem Gewebe bestanden; sie fossilisierten deshalb nur selten. Dass die Lebewesen aber tatsächlich Beine hatten, schließen Paläontologen aus Art Gelenkpfannen in den Außenschalen einiger Arten oder aus Abdrücken in den Fossilien. Doch von Paarungsorganen hatten sich bisher keine Spuren finden lassen.
Gab es einen »Trilobitenpenis«?
Die Forschung hat diese Überlieferungslücke auch deshalb nicht schließen können, weil sich falsche Annahmen etabliert hatten. Einige Fachleute gingen davon aus, dass sich die Fortpflanzungsstrategien der Trilobiten denen der Säugetiere ähnelten. Man suchte daher nach Körperteilen wie einem »Trilobitenpenis«, der bis heute nicht identifiziert werden konnte. So zu forschen, sei eben keine geeignete Vorgehensweise, davon ist der Paläontologe Thomas Hegna von der State University of New York in Fredonia überzeugt, der nicht an der aktuellen Studie beteiligt war.
Die Forschungslage änderte sich, als Losso und ihr Kollege das 508 Millionen Jahre alte Fossil eines Trilobiten aus dem berühmten Burgess-Schiefer in der kanadischen Provinz British Columbia genauer untersuchten. Bei dem versteinerten Tier handelt es sich um ein Exemplar der Art Olenoides serratus, das gut erforscht und durch viele Fossilien aus dem Burgess-Schiefer belegt ist.
Trilobiten hatten Klaspern
Der Trilobit verendete in einer kaum überlieferten Position: Er lag auf der Seite und nicht wie die meisten Olenoides auf dem Rücken oder dem Bauch. Zudem waren seine Gliedmaßen ausgestreckt und sehr gut erhalten, selbst einzelne Gelenke sind zu erkennen. Zu diesen Extremitäten gehören kurze, paarige Greifer, die heute noch bekannten Fortpflanzungsorganen – den so genannten Klaspern – sehr ähnlich sehen.
Bei Meeresbewohnern sind diese Art von Begattungsorganen recht verbreitet. Damit halten männliche Tiere ihre Partnerin fest, während sie ihr Sperma abgeben. Klaspern finden sich bei Garnelen, Wasserinsekten oder Haien, ebenso bei Pfeilschwanzkrebsen (Limulus polyphemus), die Trilobiten äußerlich stark ähneln.
Pfeilschwanzkrebse und Trilobiten sind zwar nicht eng miteinander verwandt. Fachleute gehen aber davon aus, dass die ausgestorbenen und noch existierenden Gliederfüßer dieselbe Nische besetzen. Beide bewegen sich über den sandigen Meeresboden und ernähren sich von dem, was zum Meeresgrund fällt. »Es gab sogar einige Trilobitenarten, die im Grunde genau wie ein Pfeilschwanzkrebs aussehen«, sagt Russell Bicknell, der an der Studie von Losso und Ortega-Hernández nicht mitgewirkt hat. Deshalb dienen die Pfeilschwanzkrebse oft als Vorbild, um den Lebenszyklus und das Verhalten der Trilobiten zu rekonstruieren.
Das Fossil aus dem Burgess-Schiefer ist ein Rosettastein der Paläontologie
Der Vergleich zwischen den Klaspern der Pfeilschwanzkrebse und den Greifern von Olenoides serratus half Losso und Ortega-Hernández denn auch, die vermeintlich verkümmerten Beinchen im Fossil richtig zu benennen. Die Klaspern deuten zudem darauf hin, dass die Körper von männlichen und weiblichen Trilobiten bei einigen Arten unterschiedlich aufgebaut waren. Die Kollegen »haben ein Fossil à la Rosettastein gefunden, das es uns ermöglicht, die bisherigen Theorien über einen Geschlechtsdimorphismus zu bestätigen«, sagt Bicknell. »Das ist eine wirklich schöne und wichtige Ergänzung.«
Losso gibt jedoch zu bedenken, dass möglicherweise nicht alle Trilobitenarten dieses Merkmal hatten. »Bei Olenoides serratus Klaspern zu finden, bedeutet nicht, dass sich alle Trilobiten auf diese Weise fortpflanzten«, sagt sie. Dennoch stelle die Studie einen wichtigen Fortschritt für die Paläontologie der Trilobiten dar. Die Erkenntnis würde für künftige Arbeiten sicher von Bedeutung sein. Es zeige sich auch, dass die Tiere eine größere Vielfalt an spezialisierten Gliedmaßen entwickelt hatten als bisher angenommen – und das schon relativ früh in ihrer Entwicklungsgeschichte.
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