Ulrich von Hutten: Wehe, Luft und Freiheit!
Noch auf der Flucht schreibt Hutten seinem Erfurter Freund Eoban Hessus, er habe sich nun »aus dem Kriegsgetümmel zu wissenschaftlicher Muße zurückgezogen und ganz an das Schreiben begeben«. Es ist ihm auch gar nichts weiter geblieben außer einer alten Schreibfeder, kein Buch, kaum Papier.
Hutten ist am Ende. Von Syphilis zerfressen, politisch verfemt, gescheitert. Auf einer einsamen Insel im Zürichsee hat er Zuflucht gefunden, er ist abgebrannt und gibt sich dennoch zuversichtlich: Die deutschen Zustände glaubt er »in kurzem erfreulich geändert« zu sehen »durch Vertreibung der Tyrannen«. Damit meint er die selbstherrlichen Landesfürsten und den Klerus, die Parteigänger des Papstes. »Seht ein: Die Luft der Freiheit weht!«, hatte er den Pfaffen geschrieben und glaubte bis zuletzt daran.
Vier Wochen später, am 29. August 1523, heute vor 500 Jahren, ist der Poet und Patriot, der leidenschaftliche Streiter mit Worten und Waffen, der glücklose Ulrich von Hutten, tot.
Man hatte es früh schon bemerken können, damals, 35 Jahre zuvor: Im jungen Hutten keimte Aufbruchstimmung. Wer Ende der 1480er Jahre kurz hinter Steinau von der Reichs- und Messestraße Frankfurt–Leipzig sein Pferd nach Süden lenkte, gelangte zu einem Bergkegel und zur Burg des fränkischen Rittergeschlechts derer von Hutten. Großvater Lorenz hatte die Steckelsburg wieder einmal reparieren lassen. Seit Jahrzehnten stritten sich die Huttens mit den Gebietsfürsten um die Rechtmäßigkeit des nur halbwegs legalen Baus; Ulrichs Vorfahren hatten ihn fast exakt an Ort und Stelle eines ehemaligen Raubritternests errichtet.
Von altem Adel war man nichtsdestoweniger, und so wurde auch Ulrich erzogen, wie von alters her ein Ritter erzogen wurde. Dabei steckte das Rittertum längst in seiner finalen Existenzkrise. Die Kaiser stellten private Kriegsunternehmer ein, wenn sie Krieg führen wollten. Die Landwirtschaft – immer noch die wichtigste Einkommensquelle vieler Ritter – warf weniger ab als früher. Handwerk und Handel bescherten jetzt Wohlstand, aber fast ausschließlich den Städtern. Die großen Fürstengeschlechter streckten die Hände nach den ersten Industrien aus, besonders nach der Waffen schaffenden Metallurgie. Und wenn sie ihre zunehmend komplexe Verwaltung besetzen wollten, dann wandten sie sich an die bürgerlichen Studierten. Nicht an die meist bildungsfeindlichen Ritter.
Neidvoll blickte man von den Zinnen ins Land. Zumal das Leben auf einer Ritterburg so romantisch nicht war. Dies wissen wir von Hutten selbst. Brieflich schildert er Jahre später, nur leicht satirisch überspitzt, dem Humanisten Willibald Pirckheimer, womit sich deren Bewohner herumschlugen.
»Das sind unsere Annehmlichkeiten«, schreibt Hutten, »das ist unsere Muße und Ruhe! Die Burg … ist nicht zur Behaglichkeit, sondern zur Sicherheit erbaut, mit Graben und Wall umgeben, im Innern eng, durch Stallungen … im Platz begrenzt; daneben finstere Kammern, die mit Kanonen, Pech und Schwefel … angefüllt sind; überall der Geruch nach dem Pulver der Kanonen; dann die Hunde und der Hundedreck …! Reiter kommen und gehen, unter ihnen Räuber, Diebe und Mörder; denn meistens stehen unsere Häuser allen offen, da wir entweder nicht wissen, wer der Betreffende ist; oder auch nicht viel danach fragen.«
Hutten soll in der Kirche Karriere machen
Früh bog Hutten ab von den ausgetretenen Wegen und wagte sich vor ins Unbekannte, hin- und hergerissen zwischen der Sehnsucht nach einer ruhigen Literatenexistenz und der aufwallenden Streitlust, die ihm schon von Geburts wegen durch die Adern pulste.
Schwächlich, aber verständig schien auch dem Vater der kleine Ritter, berichtet der Literaturwissenschaftler Eckhard Bernstein in seiner Hutten-Biografie. Der Vater, dessen Namen er trägt, übergeht den Erstgeborenen als Nachfolger auf dem Gut und liefert ihn dem Klerus aus. Der Dienst als Priester oder Mönch versprach jungen Adligen Einkommen und Aufstiegsmöglichkeiten. So hieß das erste Reiseziel des jungen Ulrich Fulda, einen kleinen Tagesritt nördlich gelegen. Was Ulrich erlebt haben mag im benediktinischen Konvent? Stumpfsinn, Drill, Ungerechtigkeit, Missbrauch? Darüber schweigt er – doch das, was er später über die Kirche schreibt, lässt erahnen, dass sie ihn ihre Macht hat spüren lassen.
Vermutlich 1503, Hutten ist 15, geht er für zwei Jahre an die Erfurter Universität, ohne die Mönchsgelübde abgelegt zu haben. Die meisten Hochschulen im Reich bestehen erst seit weniger als 50 Jahren. Die Erfurter Universität ist mit 125 Jahren die älteste und ein Zentrum des Humanismus. Bald gehört auch der geistig frühreife Hutten diesem Kreis an, gewinnt Freunde fürs Leben.
Im Kern des humanistischen Weltbildes und Strebens steht der intellektuell und moralisch gebildete, im Diesseits mehr noch als im Jenseits verwurzelte, vollkommene Mensch. Diese Bildung wird ihm zuteil durch Auseinandersetzung mit den unverfälschten Quellen antiker Weisheit und Wissenschaft – und zwar nicht verzerrt durch die Brille christlicher Dogmen, wie sie die Scholastiker sahen. Allein das schon brachte die Humanisten in den schroffsten Gegensatz zu den Theologen, deren Treiben sie mit Argwohn sahen. Ihr geliebtes Werkzeug war die Philologie, die Wissenschaft von der Sprache und ihrem Gebrauch, angewendet natürlich insbesondere auf die Texte der Antike.
Neben der Gelehrsamkeit fand Ulrich noch andere Annehmlichkeiten, berichtet der Hutten-Biograf Helmut Spelsberg in »Aber Hutten kehrte nicht um«. Die Folge: Syphilis. ein damals unheilbares Leiden, tückisch, denn es verläuft in eskalierenden Schüben, zwischen denen der Erkrankte jahrelang scheinbar Ruhe hat.
Die Diagnose allein beweist keinen sexuell ausschweifenden Lebenswandel. Die Seuche fegte zu dieser Zeit über Europa hinweg; jeder Zehnte steckte sich an, und von diesen starb jeder Zwanzigste daran.
Auch wenn an Hutten zeitlebens das Etikett eines Humanisten klebte, war er, wenn überhaupt, dann kein typischer. Ziel der meisten Humanistenkarrieren war eine Pfründe oder Professur, gestützt auf ein gesamteuropäisches Gelehrtennetzwerk, das in Städten und Bischofssitzen gedieh. Der Reformation und den drohenden politischen Verwerfungen standen die Humanisten meist distanziert gegenüber, anders als Hutten, der auf dem Pferd genauso zu Hause war wie in der Schreibstube und den Konflikt mit Worten und dem Schwert als notwendig erachtete: »Unser Vorsatz kann aber nit wohl ohne Schwertschlag und Blutvergießen Fortschritte machen«, wird er Jahre später schreiben.
Poesie als Kampfmittel
Seine Studien krönte er nie mit einem akademischen Grad. Dass Hutten in neun Jahren an nicht weniger als sieben Universitäten eingeschrieben war, hatte allerdings auch praktische Gründe. Der »arme Ritter« war des Öfteren abgebrannt. Die Schulden zwangen ihn zu häufigen Ortswechseln. 1510 lässt ihm der Greifswalder Professor Henning Lotze seine Habe einschließlich seiner Kleidung buchstäblich vom Leib pfänden – auf der Landstraße mitten im Winter, behauptet der Beraubte. Blanke Waffen weiß Hutten zu gebrauchen. Nun entdeckt er eine schärfere Waffe: sein Wort. Bei den Erfurter Humanisten hatte er Latein gelernt. In einem langen Gedicht greift er Lotze öffentlich an. Und findet Gefallen daran: Die Kampfschrift wird zu seinem bevorzugten Genre. Der Buchdruck hatte sich in den wenigen Jahrzehnten seit seiner Erfindung in alle deutschen Städte ausgebreitet. Nun gab es einen Markt, der sich für Meinungen interessierte – auch für die des jungen, eloquenten Hutten.
In Bologna, wo ihn sein Vater hingeschickt hatte, damit er sich endlich für ein hohes Amt qualifiziere, eskaliert 1512 Huttens finanzielle Lage. Der Krieg, den Kaiser Maximilian I. und Franzosenkönig Ludwig XII. um die Kontrolle Italiens ausfochten, führte zum Ausbleiben des väterlichen Stipendiums, was den jungen Ritter zum Rückzug zwang. Da ihm nicht einmal mehr das Reisegeld geblieben war, verdingte er sich als Söldner, das Draufhauen in jeder Form hatte er schließlich gelernt. Und auch privat zeigt er sich wehrhaft. Bei einem Wirtshaushandel nimmt er es mit gleich fünf arroganten französischen Adligen auf, tötet einen von ihnen und schlägt die übrigen in die Flucht.
Zurück in Deutschland folgen der Invektive gegen Lotze etwa ein Dutzend weitere. Hutten wird einer der Hauptautoren der satirischen »Dunkelmännerbriefe«, die zu den spektakulärsten publizistischen Erfolgen der deutschen Renaissance zählen. Zwischen 1515 und 1517 erschien eine Serie von Briefen fiktiver Mönche und Theologen, in der die Universitäten ebenso ins Lächerliche gezogen werden wie die seit Jahrhunderten beklagten Übelstände in der römischen Kirche. Auf Latein führten Hutten und seine Mitautoren den Beweis, wie bankrott und rückständig der theologisch-wissenschaftliche Komplex intellektuell und moralisch geworden war.
Auch politisch werden Huttens Anliegen ernster. Aus seiner Beobachtung italienischer Verhältnisse resultierten Einsicht und Mut, Kaiser Maximilian persönlich öffentlich anzurufen und ihn aufzufordern, gegenüber den Franzosen nicht klein beizugeben. Ebenso ruft er ihn zum Kreuzzug gegen die bedrohlichen Osmanen auf. Keinesfalls aber solle der Kaiser dem Papst Geld für einen Kreuzzug geben; dieses würde nur in den Schatullen der Prälaten versickern. Rom sieht er als die erste unter den fremden Mächten, die die deutschen Fürsten gegeneinander aufstachelten und das große Reich im Herzen Europas in einem Schwächezustand hielten.
Rhetorische Attacken auf Papst und Klerus
Rom erhob Gebietsansprüche unter Bezugnahme auf eine angebliche Schenkungsurkunde des römischen Kaisers Konstantin. Dass diese so genannte Konstantinische Schenkung eine Fälschung war, wies 1440 der italienische Humanist Lorenzo Valla nach. Hutten sorgte für eine deutsche Ausgabe von Vallas Schrift. So lernte auch Luther sie kennen und machte sie zu seiner schärfsten Waffe gegen die päpstliche Macht. Politisch gefährlich wurde diese Macht dadurch, dass westlich des Rheins ein starker Gegner erstand, der mit der Kurie paktierte: Frankreich. Dieser Umstand machte die Bekämpfung Roms zu einem Akt deutscher Selbstbehauptung – auch für Hutten, schreibt der Historiker und Politikwissenschaftler Herfried Münkler über »Die politischen Ideen des Humanismus«.
Dies sind die Ziele, für die Hutten sein kurzes Leben lang streiten wird: die Behauptung Deutschlands gegen die umgebenden Staaten – samt der dazu notwendigen Überwindung inneren Zwistes – und die Behauptung gegen den anmaßenden und ausbeuterischen Klerus. Letzteres bringt ihn in die Nähe der aufkeimenden Reformation eines Martin Luther. Er lernt ihn nur aus Briefen kennen, bleibt selbst altgläubig. Er wird denselben Sanktionen zum Opfer fallen wie Luther. Aber er wird sich nicht behaupten.
Wie sensibel die Machtbalance im Reich war und wie dreist einzelne Fürsten dies ausnutzten, erfährt Hutten durch einen heimtückischen Mord an einem Verwandten.
Auf einem Jagdausflug im Mai 1515 hatte der Herzog von Württemberg seinen Stallmeister Hans von Hutten, Ulrichs Vetter, in eine Falle gelockt und erstochen, weil dieser ihm eine Affäre mit seiner Ehefrau versagt hatte. Die Bluttat entehrte die gesamte Familie Hutten – und trat eine jahrelange militärische und juristische Fehde los. Für Ulrich war sie erneut Anlass, seine scharfe Feder zu zücken. Seine Reden gegen den Herzog und ein Feldzug der Huttischen mit ihren Verbündeten veranlassten Kaiser Maximilian, den Württemberger in die Reichsacht zu tun. Zeitweilig – ein härteres Durchgreifen verboten ihm die politischen Verhältnisse.
Der Habsburger Maximilian gab sich, während er klug Deutschland modernisierte und seine Zentralmacht stärkte, einen prunkvollen altfränkischen Dekor mit Beizjagden, Festumzügen und Turnieren. Er ließ behaupten, im Zweikampf sei er unschlagbar, und hatte den Schutzheiligen der Ritter, den Drachentöter Sankt Georg, zu seinem Patron erwählt.
Nun begann sich der Kaiser auch persönlich für den jungen Mann zu interessieren, der nicht nur seinen Württemberger Kontrahenten so gekonnt traktierte, sondern auch Maximilians Kaisertum in den Mittelpunkt seiner Reichsidee stellte. Das schien dem Herrscher für seine propagandistischen Zwecke durchaus brauchbar. Und so steuerte Hutten, keine drei Jahre nach dem italienischen Fiasko, geradewegs auf den Höhepunkt seiner Karriere zu.
Als Poeta laureatus gewinnt Hutten kaiserliche Protektion
Am 12. Juli 1517 nimmt er den schreibenden Ritter Hutten unter seinen persönlichen Schutz: Er ernennt ihn in der Fuggerstadt Augsburg zum Poeta laureatus, zum »mit Lorbeer bekränzten Dichter«. Das verhieß ein besonderes Renommee, praktischer aber noch war die mit diesem Titel verbundene lebenslange Lehrbefugnis an allen Universitäten des Reiches. Als Poeta laureatus durfte Hutten künftig sogar den Kaiser persönlich anrufen, wenn ihm Unrecht geschah. Obwohl Hutten nie für längere Zeit am Kaiserhof weilte und kein offizielles Hofamt trug, also eher als eine Art »freier Mitarbeiter« gelten darf, hielt Maximilian seine Hand über ihn.
So arbeitete Hutten, zeitweise in Diensten des Mainzer Erzbischofs Albrechts von Brandenburg, weiter an seiner politischen Idee. Darin stand der Kaiser ganz oben in uneingeschränkter Machtfülle, gestützt auf die Ritterschaft, deren starke Arme Deutschland nach außen wehrhaft machen und nach innen für den Zusammenhalt sorgen sollten. Diesen Zusammenhalt sah er bedroht durch Gewaltmenschen wie seinen Württemberger Kontrahenten, aber auch durch Klerus und Orden, Roms Repräsentanten im Land. Seltsam, dass der junge Erzbischof Albrecht, als Erzkanzler und Kurfürst immerhin der zweite Mann im Reich, Huttens Angriffe auf die Kirche duldete – bis diese zurückschlug und Hutten mit der Exkommunikation belegte.
Doch nicht allein um ein politisch starkes Deutschland ging es dem Ritter. Nicht weniger ritterlich war seine Forderung nach Gerechtigkeit und Freiheit für die, auf deren Arbeit das Gedeihen eines jeden Deutschen beruhte: die Bauern. Für den gering geschätzten und ausgesaugten Stand ergriff Hutten wortgewaltig Partei und fand auch damit Resonanz. Seine Schriften wurden die meistgedruckten und -gelesenen humanistischen Werke der Zeit.
Neuer Kaiser, neues Glück?
Als Maximilian, der »Letzte Ritter«, im Jahr 1519 erst 59-jährig starb, wirbelt es das Geschick der Nation durcheinander. Sowohl die Kirche als auch ihre Gegner schöpfen neue Hoffnung. Denn Maximilians Nachfolger Karl V. sah sich als Weltbeherrscher. Deutschland war ein wichtiges, aber bei Weitem nicht das einzige Land, um das er sich kümmern musste. In den Niederlanden aufgewachsen, sprach er kaum Deutsch. Die Machterhaltung in Spanien und die Auseinandersetzung mit Frankreich – auch auf den italienischen Kriegsschauplätzen – hielten ihn in Atem. Die Weltmacht Kirche war sein natürlicher Verbündeter.
Gleichzeitig gewann unter seiner Regentschaft die Reformation in Deutschland Momentum. Zum Wormser Reichstag 1521, dem ersten des 20-jährigen Monarchen, war die Stimmung aufgeheizt. Der päpstliche Gesandte Aleander schrieb nach Rom, neun Zehntel würden »Luther« schreien und das letzte Zehntel zumindest »Tod dem römischen Hof«. Gewalt drohte, unter anderem durch den Pfälzer Ritter Franz von Sickingen. Der hatte durch Kriegszüge und Erpressung ein ansehnliches Burgenimperium an sich gebracht. Nun bot er, veranlasst durch Hutten, der seit dem Vorjahr auf einer von Sickingens Burgen lebte, Luther den Schutz seiner kampferprobten Männer an. Luther, der allein auf das Wort setzte, lehnte ab.
Trotz der bedrohlichen Lage im Reich entschied Karl, seiner Allianz mit dem Papst treu zu bleiben. Auch wenn er damit seine Macht im Reich und die Einheit der mehrheitlich protestantischen Fürsten gefährdete. Ein Hutten, der glänzend gegen den Papst polemisierte und die reformierten Stände und nebenbei die marginalisierten Ritter und Bauern aufputschte, passte genauso wenig in Karls Konzept wie ein Luther, der die Stände mit theologischen Argumenten auf seine Seite zog.
Beim Pfaffenkrieg greifen die Unzufriedenen zum Schwert
Der Reichstag von Worms sollte die Reformation im Reich beenden und erreichte das Gegenteil. Luther wurde zum Widerruf seiner antikirchlichen Thesen aufgefordert, weigerte sich und wurde auf seiner Rückreise vom Sachsenherzog Friedrich dem Weisen zum Schein entführt und auf der Wartburg versteckt. Der tief enttäuschte Hutten wusste nun genau, auf welcher Seite er stand. Seine Polemik wurde greller, er wechselte die Sprache und damit das Publikum: »Latein ich (zu)vor geschriben hab / Das war eim yeden nit bekandt / Yetzt schrey ich an das vatterlandt / teutsch nation in irer sprach / Zu bringen disen dingen rach.«
»Rach bringen« sollte nun auch Sickingens Schwert. Der Pfälzer blies zum allgemeinen Aufstand der Ritter und Bauern gegen den Papst und die geistlichen Fürsten. Sein »Pfaffenkrieg« war blutig: Mit 7000 Männern griff er das erzbischöfliche Kurtrier an. Kurfürst Richard von Greiffenklau allerdings wendete mit seinen hessischen und pfälzischen Verbündeten das Blatt. Sickingen teilte Hutten mit, dass er nicht mehr für dessen Sicherheit sorgen könne. Tatsächlich fiel er wenige Monate später unter den Attacken seiner Gegner auf Burg Nanstein über Landstuhl. Hutten verfiel der Reichsacht und war damit heimat- und schutzlos.
Die Ufenau ist ein Ort, der sich idyllischer kaum vorstellen lässt. Mitten im Zürichsee liegt das 500 Schritt lange, von Baumreihen gesäumte Eiland. Der Blick kann nicht anders, als an der Alpenkette zu kleben.
Die Luft der Schweizer Freiheit weht hier zur Zeit der Reformation und die des Trotzes gegen den Kaiser, der hier nichts zu sagen hat. Das Kloster Einsiedeln hält die Insel, hat aber Wichtigeres zu tun, als sich um einzelne Gäste zu kümmern, seien sie auch der Reichsacht verfallen.
Hierhin bringt man heimlich den schwer kranken Ritter an einem Tag Anfang August 1523. Ein heilkundiger Geistlicher soll retten, was noch zu retten ist. Der Züricher Reformator Ulrich Zwingli persönlich hält seine Hand über ihn, während die letzten Tage des 35-jährigen Hutten herunterticken.
»Die Aussicht, Deutschland mittelst der Reformationsidee politisch wie kirchlich neu aufgebaut zu sehen, ging mit beiden (Hutten und Sickingen) zu Grabe«, fasst Huttens erster großer Biograf, der populäre schwäbische Schriftsteller David Friedrich Strauß (1808–1874), zusammen. »Nachdem das Kaiserthum sich der Reformation versagt hatte, war diese jetzt nur noch mittelst des Landesfürstenthums, also auf Kosten der politischen Einheit und Macht des deutschen Volkes, durchzusetzen.« Keine 100 Jahre später wird sich die Nation in diesem Streit drei Jahrzehnte lang selbst zerfleischen.
Huttens Ruf nach Freiheit als Freiheit des souveränen Geistes hat in Zeiten einer neu aufkommenden rückwärtsgewandten Bildungsfeindlichkeit nichts an Relevanz verloren. Vielleicht aktueller aber noch ist in einer Epoche grassierender Hoffnungs- und Mutlosigkeit sein Aufruf zur Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
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