Vulkane: Unbewacht tickende Zeitbomben
Apokalyptische Szenen spielen sich gerade wieder am Sinabung ab: Kilometerhohe Rauchsäulen stehen in der Luft, glühende Gesteinsströme schießen die Flanken des Vulkans hinab, Asche bedeckt das Land rund um den indonesischen Feuerberg auf der Insel Sumatra. Mehrere zehntausend Menschen mussten evakuiert werden; immerhin kam bislang noch niemand körperlich schwerer zu Schaden. Doch der Vulkanologe Erik Klemetti von der Denison University in Granville, Ohio, warnt: "In einem Umkreis von bis zu 20 Kilometern ist der Aufenthalt lebensgefährlich."
Die Rauchzeichen zeigen jedenfalls, dass selbst über Jahrhunderte schlummernde Vulkane entlang des Indo-Pazifischen Feuerrings nicht abgeschrieben werden dürfen – denn ihre Ruhe ist mitunter trügerisch. 2010 erwachte der Sinabung nach 400 Jahren wieder zum Leben, und seitdem beobachten Vulkanologen sein Treiben mit Sorge. Denn anders als seine berühmteren – und als gefährlicher eingestuften – Kollegen wie der Krakatau im Meer zwischen Sumatra und Java oder der Merapi auf Java selbst wurde der Sinabung nicht permanent überwacht. Entsprechend wenig wissen die Geologen über sein Treiben. "Die andauernden Eruptionen sind ein Problem, da kaputte Instrumente direkt am Vulkan auf Grund der aktuellen Gefahr nicht gewartet oder ersetzt werden können. Die Datenlage wird also nicht besser", sagt der Vulkanologe und Risikoforscher Thomas Walter vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam.
Immerhin standen am Sinabung Messinstrumente wie Seismometer und GPS-Sender, die die Aktivitäten des Vulkans bis zum Moment des Ausbruchs erfassten – für die meisten anderen Feuerberge der Erde trifft nicht einmal das zu. "Weltweit sind rund 1500 aktive Vulkane bekannt, von denen etwa 50 bis 60 pro Jahr ausbrechen. Nur 100 bis maximal 200 stehen unter Beobachtung. Potenziell tickende Zeitbomben sind daher mitunter kaum bekannt, weil wir keine Daten über die Entwicklungen vor Ort bekommen", moniert Walter. Völlig überrascht wurden Vulkanologen beispielsweise von der Eruption des Chaitén, der im Mai 2008 überraschend und ohne Vorwarnung für die Geologen wieder zum Leben erwachte – nach einer Pause von mehr als 9000 Jahren. "Das wäre so, als würden bei uns die Eifelvulkane neuerlich aktiv werden", so Walter.
Land des Feuers
Der Mangel an geeigneten Sensoren gilt auch und gerade für arme Länder wie Indonesien, wo rund 150 Vulkane aufragen – darunter viele in dicht besiedelten Regionen wie auf Java, Bali oder in Teilen Sumatras, in denen heftige Ausbrüche tausende Menschenleben kosten könnten. Und schon mehrfach sorgten Feuerberge des Archipels in den letzten 1000 Jahren für globale Verwerfungen, weil sie mit ihren Asche- und Schwefelsäurewolken das Weltklima durcheinanderbrachten. Anno 1258 beispielsweise litten Millionen Menschen in Europa und Asien Hunger, weil die Explosion des Samalas ein Jahr zuvor auf der Insel Lombok südostlich von Bali 40 Kubikkilometer Gesteinsmaterial in die Atmosphäre pustete. Es verteilte sich mit den Luftströmungen rund um die Erde und schirmte die Sonneneinstrahlung ab: Die Temperaturen sanken vielerorts in den Keller, Dauerregen sorgte für Missernten und Überflutungen. "Entdeckt" wurde der Auslöser der Katastrophe erst durch eine Studie von Franck Lavigne von der Université Paris, der zusammen mit seinem Team historische Aufzeichnungen auf Lombok und geochemische Analysen vulkanischer Gläser auswertete.
Womöglich übertraf der Ausbruch des Samalas noch jenen des Vulkans Tambora auf der Insel Sumbawa, der 1815 in die Luft flog und für das "Jahr ohne Sommer" 1816 in Europa verantwortlich gemacht wird: Damals starben allein in der Umgebung des Tambora mehrere zehntausend Menschen. Die Opferzahlen der weltweiten Hungersnöte wegen der vom schlechten Wetter ausgelösten Missernten lassen sich kaum beziffern. Mit welcher Wucht der Vulkan damals in die Luft ging, zeigt sich an einem bizarren Detail: Vor jenem schicksalsträchtigen Tag im April gehörte der Berg mit seinem Gipfel in 4300 Metern über dem Meer zu den höchsten Indonesiens. Danach ragte er nur noch etwas mehr als 2800 Meter in die Höhe. Und auch der Tambora ruhte jahrhundertelang vor seiner Wiedergeburt. "Welche Vulkane überwacht werden, wird nach gesellschaftlicher Relevanz ausgesucht. Der Tambora zählt nicht dazu, obwohl er potenziell sehr gefährlich ist", erzählt Walter. In seiner unmittelbaren Nachbarschaft wohnten eben wesentlich weniger Menschen als beispielsweise auf Java, wo es ebenfalls zahlreiche gefährliche Vulkane gibt – die mit entsprechender Priorität beobachtet werden.
Der Merapi in der Nähe der javanischen Millionenstadt Yogyakarta gehört zu diesen potenten Killern, die streng überwacht werden: Acht Seismografen und andere Messgeräte zeichnen Erdbeben auf, messen magnetische Veränderungen und erkennen, wenn sich der Neigungswinkel des Vulkankegels verändert. Das deutet dann an, dass sich die Magmakammer des Vulkans füllt, weshalb dieser sich langsam aufbläht – ein Hinweis darauf, dass potenziell ein Ausbruch bevorsteht. Auch GPS-Sender können exakt wiedergeben, wie stark die Gesteinsschmelze den Berg verformt – woraus Vulkanologen mittlerweile sogar ableiten, wie hoch die Aschewolke letztlich getrieben werden könnte. Mit Hilfe eines mathematischen Modells rechneten Sigrún Hreinsdóttir von der Universität Reykjavík und ihre Kollegen die vom GPS erfassten Bewegungen des Untergrunds um und leiteten daraus ab, wie stark sich der Druck innerhalb der Magmakammer verändert. "Man stelle sich einen wassergefüllten Ballon vor: Je stärker man ihn zusammenpresst, desto höher schießt das Wasser heraus. Das korreliert miteinander", so die Geophysikerin. Tatsächlich stimmten ihre Berechnungen und die tatsächlichen Ausmaße der Eruptionswolke überraschend gut überein. In Echtzeit erfasst, könnten die GPS-Daten zusammen mit anderen Werten also vielleicht bald kurzfristig vorhersagen, wie sich explosive Ausbrüche entwickeln und ob die Aschewolken eine großflächige Gefahr für den Flugverkehr bedeuten.
Überwachung aus der Ferne
Die besten Geräte am Vulkan sind aber meist nichts mehr wert, wenn der Ausbruch erst einmal stattgefunden hat. Oft werden sie unmittelbar zerstört, oder Asche legt sich auf ihre Solarpaneele, die sie mit Energie versorgen – der weitere Verlauf der Eruption lässt sich jedenfalls nicht mehr direkt verfolgen. Verstärkt greifen die Vulkanologen daher auf Fernerkundung per Satellit zurück, etwa auf Radarmessungen, die selbst noch durch dichtesten Rauch dringen. Am Merapi erwies sich dies 2010 als segensreich, so Walter: "Als wir bemerkten, dass sich seine Aktivität veränderte, wurden wir hellhörig. Die Aufnahmen zeigten, dass sich an seiner Flanke ein neues Tal geöffnet hatte. Pyroklastische Ströme – also heiße Wolken aus Asche und Gasen – konnten dann nicht mehr nur nach Westen ausbrechen wie zuvor, sondern nun auch in Richtung Süden in dichter besiedeltes Gebiet. Mit Hilfe dieser Erkenntnisse konnte die Bevölkerung rechtzeitig gewarnt und evakuiert werden. Ansonsten hätte es vielleicht viele tausend Tote gegeben."
Doch auch Satelliten haben einen entscheidenden Nachteil: Sie kommen meist nur in größeren Zeitabständen wieder am Zielobjekt vorbei. Manche der Späher im All benötigen bis zu 35 Tage, bis sie ihre Kameras wieder auf einen bestimmten Vulkan richten können – zu lange, um sie zur Echtzeitbeobachtung nutzen zu können. Immerhin einmal alle vier bis sieben Tage schoss der deutsche TerraSAR-X-Satellit Bilder vom Merapi, so dass die Forscher gut beobachten konnten, dass sich ein neuer Lavadom im Krater aufbaute – ein relativ sicheres Zeichen dafür, dass ein heftiger Ausbruch nahte: Der Dom aus zähflüssiger Lava verschloss den Schlot wie ein Korken, weshalb sich darunter Druck aufbaute, der irgendwann explosionsartig entwich.
Um den Nachteil der Weltraumkameras auszugleichen, greifen die Geophysiker auf weitere bodengestützte Verfahren zurück, die wie Infrarot- oder Schallmessungen aus einigen Kilometern Entfernung durchgeführt werden können. "Damit können wir wenigstens noch die Ausbruchsorte lokalisieren und das weitere Verhalten der Vulkane abschätzen", sagt Walter, der für eine Ausweitung des Messnetzes plädiert: "Wir wissen, dass die größten Ausbrüche dort drohen, wo die Ruhephasen am längsten sind. Gerade dort müsste überwacht werden, doch wer bezahlt das?"
Wie geht es am Sinabung weiter?
Auf Sumatra zumindest nutzen die Vulkanologen nun die technischen Möglichkeiten der Fernerkundung, denn der Vulkan bleibt vorerst unter verstärkter Kontrolle. "Das Risiko vor Ort ist unverändert hoch, auch wenn sich die Aktivität des Sinabung seit Mitte Dezember leicht verändert hat. Wir müssen weiterhin mit einem explosiven Verhalten rechnen", führt Thomas Walter an: "Noch gefährlicher wird es womöglich, wenn externe Effekte hinzutreten, beispielsweise starke Regenfälle, die die Explosivität schlagartig weiter erhöhen." Eine weltbedrohende Situation sei momentan allerdings nicht zu befürchten, ist er sich mit seinem US-amerikanischen Kollegen Erik Klemetti einig. "Die Eruptionen hängen eng mit dem Dom am Gipfel zusammen, der regelmäßig zusammenbricht und pyroklastische Ströme auslöst. Solange aber nicht vermehrt Magma im Untergrund nachströmt, bleiben die Folgen lokal begrenzt", so Klemetti.
Ein Ausbruch wie jener des Tambora sei daher erst einmal nicht zu erwarten, entwarnt auch Walter: "Sinabung hat derzeit noch einen Explosivitätsindex, der bei einer Stärke von zwei oder drei liegt. Tambora rangierte bei sechs oder gar sieben. Und diese Skala ist nicht einfach linear; im Bezug auf das ausgeworfene Aschevolumen war Tambora sicher rund 1000-fach stärker." Folgen für das Klima müssten ohnehin nicht befürchtet werden, so Klemetti: "Bisher waren die Eruptionen zu schwach, um größere Mengen an Staubteilchen oder Schwefeltröpfchen in die Atmosphäre zu stoßen. Die klimatischen Auswirkungen halten sich daher bislang in Grenzen." Ein Jahr ohne Sommer droht daher zumindest nicht aus dieser Ecke.
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