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Vaginales Mikrobiom: Eine gute Scheidenflora schützt auch das ungeborene Kind

Eine ausbalancierte, von Laktobazillen geprägte Bakterien-Community bewahrt Frauen vor Infektionen und sogar vor Krebs. Was kann frau tun, um das eigene vaginale Mikrobiom in einem guten Gleichgewicht zu halten?
Laktobazillen auf rosa Hintergrund
Nur in der menschlichen Vagina sind Laktobazillen in der Mehrheit. Bei Menschenaffen und anderen Säugetieren machen Milchsäurebakterien kaum mehr als ein Prozent des Mikrobioms aus.

Die Mikroorganismen, die den weiblichen Genitaltrakt besiedeln, führen im wahrsten Sinn des Wortes ein Nischendasein. Dabei sind sie für die Gesundheit einer jeden Frau entscheidend: Das Mikrobiom in Vulva und Vagina beeinflusst nicht nur das Risiko für sexuell übertragbare Infektionen. Es wirkt sich auch auf Empfängnis und Schwangerschaft aus und spielt eine Rolle dabei, ob eine Frau an einem gynäkologischen Tumor erkrankt oder nicht.

Dank moderner molekularbiologischer Methoden ist es in den letzten Jahren gelungen, das vaginale Mikrobiom besser zu erforschen und dadurch Antworten auf Fragen zu finden, die jede Frau und auch jedes Paar interessieren sollten: Was macht eine gute Scheidenflora aus? Wie verändert sie sich im Lauf des Lebens, und wie beeinflusst das Mikrobiom den Verlauf einer Schwangerschaft? Was kann frau tun, um das eigene vaginale Mikrobiom in einem guten Gleichgewicht zu halten?

Die Vagina – was lebt denn da?

Jeder durchschnittliche Erwachsene besteht aus rund 30 Billionen Körper- und 38 Billionen Bakterienzellen, rechneten Ron Sender, Shai Fuchs und Ron Milo vom israelischen Weizmann Institute of Science vor einigen Jahren vor. Die meisten der Mikroorganismen hielten sich im Dickdarm auf, gefolgt von Zahnbelag, Dünndarm, Speichel, Haut, Magen und Zwölffingerdarm. Der weibliche Genitaltrakt tauchte in dieser Publikation nicht auf.

Dabei beherbergt auch die Vagina ein großes Mikroökosystem. Forschende beziffern die Zahl der dort lebenden Bakterien auf zehn bis hundert Milliarden. Diese Bakterien gehören zu mehr als 560 verschiedenen Arten. Den weitaus größten Anteil bei Frauen im gebärfähigen Alter stellen Milchsäurebakterien (Laktobazillen). Welche Bakterien konkret vorkommen, ist täglichen Schwankungen unterworfen – etwa je nach Zyklusphase oder sexueller Aktivität –, wird aber auch langfristig durch die Gene beeinflusst, durch Ernährung, sportliche Aktivität, Hormone, Antibiotikagaben sowie Erkrankungen oder Infektionen.

Das Mikrobiom der Vagina steht in andauerndem Austausch mit demjenigen des Darms, erklärt Werner Mendling vom Deutschen Zentrum für Infektionen in Gynäkologie und Geburtshilfe am Universitätsklinikum Wuppertal. Oral zugeführte Laktobazillen beispielsweise sind ein bis zwei Wochen später auch in der Vagina nachweisbar. »Ein gutes vaginales Mikrobiom zeichnet sich dadurch aus, dass Laktobazillen dominieren, wodurch der pH-Wert sehr niedrig liegt, also im sauren Bereich unter pH 4,5«, sagt Mendling.

Milchsäurebakterien dominieren

Nur die Vagina von Homo sapiens habe diese Laktobazillen-Dominanz, so der Gynäkologe. Bei Menschenaffen und anderen Säugetieren machten Milchsäurebakterien kaum mehr als ein Prozent des Mikrobioms aus – verbunden mit einer vielfältigen Mischung verschiedener Bakterien und einem neutralen pH-Wert. Möglicherweise habe sich die schützende Rolle der Laktobazillen beim Menschen im Zusammenhang mit der ständigen sexuellen Empfängnisbereitschaft, mit der Schwangerschaft und der Zeit nach der Geburt entwickelt – Phasen, in denen das Risiko für Geschlechtskrankheiten und geburtshilfliche Komplikationen groß sei, schreiben Hans Verstraelen und andere Forschende des Universitätsklinikums Genf.

Bisher sind über 260 verschiedene Arten von Milchsäurebakterien bekannt. 20 davon konnten in der Vagina nachgewiesen werden. Dort hat man es hauptsächlich mit Lactobacillus crispatus, L. grasseri, L. jensenii und L. iners zu tun. Laktobazillen reagieren sehr empfindlich auf Behandlungen mit Antibiotika, besonders stark auf Beta-Laktam-Antibiotika und Clindamycin, weniger stark auf Doxicyclin und gar nicht auf Metronidazol.

Laktobazillen regulieren die Immunantwort

Laktobazillen schützen die vaginale Gesundheit von Frauen auf vielen Ebenen: Sie setzen Moleküle frei, die verhindern, dass sich potenziell krankmachende Bakterien überhaupt an die Schleimhautzellen anlagern können. Bei der Übermacht an Laktobazillen haben Krankheitserreger in Konkurrenz um Nährstoffe kaum eine Chance. Das von den Milchsäurebakterien produzierte Laktat wirkt virusabtötend. Auch Chlamydien fühlen sich in Gegenwart von Laktat außerordentlich unwohl und sterben ab.

Die Milchsäurebakterien wirken zudem regulierend auf das Immunsystem vor Ort, indem sie die Produktion bestimmter immunologischer Botenstoffe auslösen. L. crispatus scheint hier besonders hilfreich zu sein: »Es bildet am meisten D-Laktat, das dafür sorgt, dass immunologisch alles stimmt«, erklärt Werner Mendling. Die andere chemische Variante des Laktats, das L-Laktat, kann die immunologische Balance stören, Entzündungen fördern und damit die vaginale Barrierefunktion verringern – aufsteigende Infektionen und (sollte eine Schwangerschaft vorliegen) sogar Frühgeburten können die Folge sein.

»In einem guten vaginalen Mikrobiom dominieren Laktobazillen, wodurch der pH-Wert sehr niedrig liegt«Werner Mendling, Gynäkologe

Lactobacillus iners bildet ausschließlich das »schlechte« L-Lactat und nimmt bei Störungen des bakteriellen Gleichgewichts in der Scheide zu. Unklar ist bislang aber noch, ob diese Bakterienart zum Ungleichgewicht beiträgt oder sich bei stressigen äußeren Bedingungen besser anpassen kann als etwa L. crispatus. In einer aktuellen Studie versuchen US-Forschende von der Harvard University in Cambridge besondere Stoffwechseleigenschaften von L. iners – den besonderen Appetit auf die Aminosäure Cystein – zur therapeutischen Blockade zu nutzen, wenn diese weniger wünschenswerten Laktobazillen zum Beispiel nach einer Antibiotikatherapie im vaginalen Milieu überhandnehmen.

Vagina-Mikrobiom und Pilzinfektionen

Bei rund 70 Prozent der Bevölkerung ist der Pilz Candida albicans dauerhaft anzutreffen, bei 10 bis 20 Prozent nur gelegentlich. Eine Besiedlung des weiblichen Genitaltrakts bedeutet nicht zwingend, dass die Betroffenen Symptome einer vaginalen Pilzinfektion wie Juckreiz oder ungewöhnlichen Ausfluss entwickeln.

Ein Grund dafür: Laktobazillen setzen eine ganze Reihe von Faktoren frei, die die Vermehrung von Candida in der Scheide hemmen: Chitinasen und Wasserstoffperoxid greifen die Pilzzellen direkt an. Das »Sekretom« der Laktobazillen, also die Gesamtheit aller von ihnen abgesonderten Stoffe, sorgt dafür, dass Candida schlechter an den Schleimhautzellen anhaften kann. Die Bakterien erhöhen die Schleimproduktion in der Vagina und verstärken die Zellverbindungen in den Wandzellen, die »tight junctions«, wodurch die Barrierefunktion verbessert wird und Pilzzellen weniger weit ins Gewebe vordringen können.

Wenn beispielsweise nach einer Antibiotikatherapie einer bakteriellen Halsentzündung die Laktobazillen in der Scheide verringert sind, kann sich Candida albicans eventuell stärker ausbreiten. Ein Problem, das viele Frauen schon am eigenen Leib erfahren haben: Musste ein Infekt antibiotisch behandelt werden, zeigen sich kurz danach die Anzeichen einer vaginalen Pilzinfektion.

»Wenn die Östrogene im Alter abnehmen, verändert sich auch das Mikrobiom«Werner Mendling, Gynäkologe

Bei Kindern und Frauen nach den Wechseljahren gibt es solche Vaginalmykosen kaum. Das hat unter anderem mit der Hormonproduktion, genauer mit dem niedrigen Östrogenspiegel zu tun: Candida trägt selbst Rezeptoren für Östrogen auf seiner Zelloberfläche. Das Hormon steigert seine krank machenden Eigenschaften. Der Pilz profitiert außerdem von Zucker, der aber ohne Östrogene und Laktobazillen (sie spalten den Speicherzucker Glykogen in Glukose und Maltose) kaum gebildet wird.

Schwierig – und auch schwierig zu behandeln – wird es, wenn sich Candida-Pilzzellen mit krank machenden Bakterien im Genitaltrakt zusammentun. Mit Staphylococcus aureus beispielsweise kann Candida albicansrobuste Biofilme ausbilden. Die Pilzzellen verhelfen außerdem so genannten Gruppe-B-Streptokokken (GBS) zu einer besseren Anhaftung an der Vaginalwand. Das Vorkommen von GBS im Vaginaltrakt wiederum ist mit einem höheren Risiko für Schwangerschaftskomplikationen und Frühgeburten verbunden.

Das vaginale Mikrobiom verändert sich im Lauf des Lebens

Laktobazillen kommen in geringen Mengen in jedem Alter in der Scheide vor: »Aber erst der Einfluss der Eierstockhormone von der Menarche, der ersten Regelblutung, bis zur Menopause begünstigt deren Dominanz und Bedeutung«, erklärt Werner Mendling. Laktobazillen bräuchten ein östrogenisiertes Milieu. Man nimmt an, dass der Grund dafür in der Verfügbarkeit von Glykogen liegt, dem Zuckerspeicher, den die Laktobazillen verdauen. Glykogen reichert sich aber nur unter Einfluss von Östrogen in der vaginalen Nische an.

Das vaginale Mikrobiom bei Mädchen ist weniger gut untersucht. Nach der Geburt dominieren unter dem Einfluss der mütterlichen Hormone zunächst noch für kurze Zeit die Laktobazillen. Inwieweit die Besiedlung der kindlichen Vagina abhängig ist von der Geburtsform – vaginal oder per Kaiserschnitt –, ist noch unklar. Bei Mädchen vor der ersten Regelblutung findet sich meist ein diverses Mikrobiom. Der pH-Wert ist deutlich höher als später im Leben. Zudem besteht eine höhere Empfindlichkeit für vaginale Infektionen, erklärt Mendling.

Das vaginale Mikrobiom bei Mädchen ist weniger gut untersucht

Die Vagina ist also ein dynamisches Ökosystem, das sich im Lauf des Lebens einer Frau verändert. »Wenn die Östrogene im Alter abnehmen, verändert sich auch das Mikrobiom. Eine 70 oder 80 Jahre alte Frau hat nur wenige Laktobazillen in der Vagina«, sagt Mendling. Wegen des Östrogenmangels bringe es seiner Ansicht nach auch nichts, Laktobazillen oral oder über Vaginalkapseln zuzuführen: »Sie können auf einer Straße auch keinen Rasen säen«, bringt der Gynäkologe es etwas flapsig auf den Punkt. Die Lösung bei Beschwerden könnte vaginal wirksames, niedrig dosiertes Östriol sein, das nur im unteren Urogenitaltrakt wirkt und deshalb auch Frauen gegeben werden kann, die keine Hormone nehmen möchten oder dürfen, die sich auf den gesamten Organismus auswirken würden.

Dass die Gabe von Laktobazillen bloß Sinn macht, wenn zuvor Östrogen zugeführt wurde, sehen nicht alle Fachleute so: In einer Studie japanischer Fachleute beispielsweise profitierten ältere Frauen mit wiederkehrenden Harnwegsinfekten durchaus von einem »Aufbau« des vaginalen Mikrobioms mit Laktobazillen. Die Blasenentzündungen wurden weniger, weil die Laktobazillen potenziell krankmachende E.-coli -Bakterien im Urogenitaltrakt verdrängten.

Gefährliches Ungleichgewicht – die bakterielle Vaginose

Ein Ungleichgewicht innerhalb des vaginalen Mikrobioms erhöht das Risiko für eine Infektion mit potenziell krebserregenden humanen Papillom-Viren (HPV) und andere sexuell übertragbare Krankheiten (sexually transmitted infections, STI) wie etwa Herpes oder Gonorrhö (Tripper). Bei einer so genannten bakteriellen Vaginose kommt es zu einem Rückgang von Laktobazillen. Andere Gruppen von Bakterien breiten sich aus – die betroffenen Frauen bemerken, dass sich die Eigenschaften der Vaginalflüssigkeit ändern. Nicht nur das Risiko für STI steigt, sondern im Fall einer Schwangerschaft auch die Gefahr für Frühgeburten: »Jede zehnte bis jede fünfte Frau in Mitteleuropa hat während der Schwangerschaft eine bakterielle Vaginose, die Frühgeburtenrate verdoppelt sich dadurch«, sagt Werner Mendling.

»Es sollte Standard werden, immer von einem gemeinsamen, partnerschaftlichen Mikrobiom auszugehen«Werner Mendling, Gynäkologe

Eine Störung des vaginalen Mikrobioms wie auch ein Ungleichgewicht bei der mikrobiellen Besiedlung des Penis können eine verringerte Fruchtbarkeit zur Folge haben, so der Gynäkologe aus Wuppertal. In einer aktuellen Studie steigerten eine bakterielle Vaginose sowie eine Infektion mit Chlamydien das Risiko für eine Unfruchtbarkeit wegen eines Verschlusses des Eileiters (Tubenfaktor) bei Frauen im südlichen Afrika um das 4– beziehungsweise 14-Fache.

Praktische Tipps für eine gesunde Scheidenflora

Was kann eine Frau für eine gesunde Scheidenflora tun? Rauchen und Cannabis-Konsum wirken sich nachweislich negativ auf die Bakteriengemeinschaft im Intimbereich aus. Die Verwendung von Vaginalduschen und eine übertriebene Intimhygiene mit ungeeigneten Produkten sind ebenfalls nicht zuträglich. Lieber Slips aus Baumwolle tragen als welche aus synthetischem Material wie Polyester. Slipeinlagen, die Plastikmaterialien enthalten, können die Vaginalflora ebenfalls nachteilig beeinflussen.

Der Gebrauch von Tampons beeinflusst das Mikrobiom fast gar nicht, weiß Werner Mendling. Um Infektionen und auch dem Toxic-Shock-Syndrom während der Periode entgegenzuwirken, rät er zu einem nicht zu häufigen Wechsel von Tampon oder Menstruationstasse – da sich die meisten daran beteiligten Staphylokokken unter Zufuhr von Sauerstoff schneller vermehren. Ebenso wichtig sei aber auch, eine zu lange Liegedauer zu vermeiden. Mendling rät: Tampons alle vier bis acht Stunden wechseln, Menstruationstassen spätestens alle acht Stunden.

Jede Antibiotikagabe beeinträchtigt auch das mikrobielle Gleichgewicht in der Scheide. Um den Laktobazillen nach einer notwendigen Behandlung wieder aufzuhelfen, können probiotische Präparate oral oder vaginal eingenommen werden. Von so genannten Jogurt-Tampons bei oder zum Schutz vor Infektionen raten Fachleute des Universitätsspitals Zürich ab: Eine Infektion könne sich dadurch sogar verschlimmern. Zudem seien die Milchsäurebakterien in Quark und Jogurt nicht identisch mit denen im Vaginaltrakt.

Auch die Rolle des Partners oder der Partnerin sollte bei Ungleichgewicht oder Infektion viel stärker in den Blick genommen werden: »Es sollte Standard werden, immer von einem gemeinsamen, partnerschaftlichen Mikrobiom auszugehen«, sagt Werner Mendling. Frauen mit behandelter bakterieller Vaginose beispielsweise hätten ein hohes Risiko für Rückfälle, wenn sie wieder mit dem gleichen Partner ohne Kondom verkehrten. Wenn der Partner ebenfalls an Symptomen einer Pilzinfektion leidet, sollte er mitbehandelt werden. »Eine routinemäßige Partnertherapie hat sich jedoch nicht bewährt«, schreiben die Frauenärzte im Netz.

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