Chemische Evolution: Vererbte Händigkeit
Links oder rechts? Die Entscheidung ist längst gefallen: Was ein "ordentlicher" Organismus ist, der benutzt nur L-Aminosäuren, in deren Strukturformel die Aminogruppe links steht. Dabei wären die D-Aminosäuren mit der Gruppe auf der rechten Seite genauso gut. Warum sind unsere Zellen also so wählerisch?
Um gleich zu Anfang eine beliebte Legende richtig zu stellen, die sich durch eine Vielzahl populärwissenschaftlicher Artikel zieht und auch in einige Lehrbüchern zu finden ist: Doch, es gibt in der Natur D-Aminosäuren, sogar in richtigen biologischen Organismen. Einige Bakterien bauen zum Beispiel D-Aminosäuren in Antibiotika ein, mit denen sie der Konkurrenz ein unfriedliches Ende bereiten wollen. Die Mär von der rein L-Aminosäure-haltigen biologischen Welt stammt vermutlich daher, dass D-Aminosäuren nicht über den herkömmlichen Weg der Proteinsynthese verknüpft werden, sondern dafür ganz spezielle Enzyme bemühen. Deshalb trifft man die D-Form nur in wenigen Molekülen an, aber sie kommt eben vor.
Das Problem mit D und L steckt im Detail. Chemisch unterscheiden sich die beiden Versionen nicht voneinander, aber sobald an ein Kohlenstoffatom vier verschiedene Partner gebunden sind, gibt es zwei Möglichkeiten, sie anzuordnen. Es entstehen dabei Bild und Spiegelbild, die nicht durch Drehungen miteinander zur Deckung gebracht werden können. Da die Moleküle also räumlich anders aussehen, sprechen Wissenschaftler von Stereoisomeren. Den Effekt nennen sie auch Chiralität, nach dem griechischen Wort für Hand, denn linke und rechte Hand sind das wohl auffallendste Beispiel für gespiegelte Strukturen. Und wer einmal versucht hat, mit der linken Hand eine Schere oder Computermaus zu bedienen, der weiß, dass es Schwierigkeiten gibt, wenn das Werkzeug nicht zur Händigkeit passt. Genau die gleichen Probleme gibt es mit D-Aminosäuren, die in das aktive Zentrum eines Enzyms für L-Aminosäuren wollen: Es klemmt an allen Ecken und passt doch nicht. Vor das Entweder-Oder gestellt, hat die Natur sich – mit wenigen Ausnahmen – für die L-Aminosäuren entschieden und den Vorgang der Proteinsynthese für diese Form optimiert.
Wieso sind die Würfel jedoch nicht zugunsten der D-Aminosäuren gefallen? War das nur Zufall, oder gab es einen bestimmten Grund? Auf der Suche nach einer Antwort haben Koji Tamura und Paul Schimmel vom Scripps Research Institute nun eine interessante Hypothese vorgeschlagen: Die Biologie bevorzugt L-Aminosäuren, weil sie bei den Nukleinsäuren ganz auf die D-Form setzt.
Die beiden Forscher stützen sich in ihrem Modell auf mehrere Annahmen, Beobachtungen und neue Experimente. Zunächst gehen sie davon aus, dass frühe Lebensformen oder sogar deren chemische Vorgänger vor allem RNA-Moleküle (Ribonukleinsäure) als Speicher für Informationen und für die Katalyse chemischer Reaktionen nutzten. Während die Speicherfunktion noch immer von den Nukleinsäuren DNA und RNA ausgeübt wird, ist die Katalyse heutzutage die Aufgabe von spezialisierten Proteinen, den Enzymen. Aber es gibt Beispiele, in denen Nukleinsäuren sich selbst zerschneiden oder andere Vorgänge beschleunigen. Diese Fähigkeiten sind also durchaus vorhanden, und so ein Alleskönner mag in der Anfangszeit des Lebens tatsächlich für beides zuständig gewesen sein. Einer der Bausteine von RNA-Molekülen ist der Zucker Ribose, von dem es ebenfalls zwei Stereoisomere gibt. Anders als bei den Aminosäuren finden sich in heutigen RNAs praktisch nur D-Ribosen. Wenn schon parteiisch, dann doch wenigstens ausgeglichen.
Die Schicksale und Aufgaben von RNA und Aminosäuren sind vielfach miteinander verknüpft. So bindet eine als tRNA bezeichnete Nukleinsäure gezielt eine bestimmte Aminosäure und transportiert sie zur nächsten Proteinfabrik in der Zelle. Tamura und Schimmel fragten sich, ob bei diesem Kontakt die Chiralität bereits eine Rolle spielt. Dafür stellten sie den Vorgang stark vereinfacht im Reagenzglas nach: An eine Minihelix aus RNA sollten sich D- und L-Aminosäuren binden. Siehe da: Die L-Form lagerte sich etwa viermal häufiger an die RNA als die D-Variante. Eine klare Bevorzugung also, obwohl bei dem Experiment keine Enzyme vorhanden waren, die zwischen den Stereoisomeren unterschieden konnte. Der Grund für die Diskriminierung könnte somit in der Chiralität des RNA-Bestandteils D-Ribose liegen. Was würde dann aber geschehen, wenn die RNA mit L-Ribose aufgebaut wäre? Die Wissenschaftler synthetisierten eine entsprechende RNA, wie sie in der Natur nicht vorkommt und machten wieder den Bindungstest mit den Aminosäuren. Tatsächlich bevorzugte die RNA diesmal D-Aminosäuren, fast im gleichen Ausmaß wie zuvor die L-Form.
Die Frage nach der ursprünglichen Ursache für die Wahl der L-Aminosäuren ist auch mit diesen Experimenten längst nicht geklärt. Doch offenbar beeinflussen sich Unterschiede in der Chiralität verschiedener Molekülarten, wie Ribose und Aminosäure, bereits auf einer sehr niedrigen Ebene, nicht erst duch wählerische Enzyme. Und sollte das Leben zu Anfang wirklich voll auf den Alleskönner RNA gesetzt haben, wäre die Entscheidung der Aminosäuren für ein Stereoisomer womöglich nur geerbt. Womit das Problem nur anders zu formulieren wäre: "Warum bevorzugt die Biologie D-Ribosen?"
Das Problem mit D und L steckt im Detail. Chemisch unterscheiden sich die beiden Versionen nicht voneinander, aber sobald an ein Kohlenstoffatom vier verschiedene Partner gebunden sind, gibt es zwei Möglichkeiten, sie anzuordnen. Es entstehen dabei Bild und Spiegelbild, die nicht durch Drehungen miteinander zur Deckung gebracht werden können. Da die Moleküle also räumlich anders aussehen, sprechen Wissenschaftler von Stereoisomeren. Den Effekt nennen sie auch Chiralität, nach dem griechischen Wort für Hand, denn linke und rechte Hand sind das wohl auffallendste Beispiel für gespiegelte Strukturen. Und wer einmal versucht hat, mit der linken Hand eine Schere oder Computermaus zu bedienen, der weiß, dass es Schwierigkeiten gibt, wenn das Werkzeug nicht zur Händigkeit passt. Genau die gleichen Probleme gibt es mit D-Aminosäuren, die in das aktive Zentrum eines Enzyms für L-Aminosäuren wollen: Es klemmt an allen Ecken und passt doch nicht. Vor das Entweder-Oder gestellt, hat die Natur sich – mit wenigen Ausnahmen – für die L-Aminosäuren entschieden und den Vorgang der Proteinsynthese für diese Form optimiert.
Wieso sind die Würfel jedoch nicht zugunsten der D-Aminosäuren gefallen? War das nur Zufall, oder gab es einen bestimmten Grund? Auf der Suche nach einer Antwort haben Koji Tamura und Paul Schimmel vom Scripps Research Institute nun eine interessante Hypothese vorgeschlagen: Die Biologie bevorzugt L-Aminosäuren, weil sie bei den Nukleinsäuren ganz auf die D-Form setzt.
Die beiden Forscher stützen sich in ihrem Modell auf mehrere Annahmen, Beobachtungen und neue Experimente. Zunächst gehen sie davon aus, dass frühe Lebensformen oder sogar deren chemische Vorgänger vor allem RNA-Moleküle (Ribonukleinsäure) als Speicher für Informationen und für die Katalyse chemischer Reaktionen nutzten. Während die Speicherfunktion noch immer von den Nukleinsäuren DNA und RNA ausgeübt wird, ist die Katalyse heutzutage die Aufgabe von spezialisierten Proteinen, den Enzymen. Aber es gibt Beispiele, in denen Nukleinsäuren sich selbst zerschneiden oder andere Vorgänge beschleunigen. Diese Fähigkeiten sind also durchaus vorhanden, und so ein Alleskönner mag in der Anfangszeit des Lebens tatsächlich für beides zuständig gewesen sein. Einer der Bausteine von RNA-Molekülen ist der Zucker Ribose, von dem es ebenfalls zwei Stereoisomere gibt. Anders als bei den Aminosäuren finden sich in heutigen RNAs praktisch nur D-Ribosen. Wenn schon parteiisch, dann doch wenigstens ausgeglichen.
Die Schicksale und Aufgaben von RNA und Aminosäuren sind vielfach miteinander verknüpft. So bindet eine als tRNA bezeichnete Nukleinsäure gezielt eine bestimmte Aminosäure und transportiert sie zur nächsten Proteinfabrik in der Zelle. Tamura und Schimmel fragten sich, ob bei diesem Kontakt die Chiralität bereits eine Rolle spielt. Dafür stellten sie den Vorgang stark vereinfacht im Reagenzglas nach: An eine Minihelix aus RNA sollten sich D- und L-Aminosäuren binden. Siehe da: Die L-Form lagerte sich etwa viermal häufiger an die RNA als die D-Variante. Eine klare Bevorzugung also, obwohl bei dem Experiment keine Enzyme vorhanden waren, die zwischen den Stereoisomeren unterschieden konnte. Der Grund für die Diskriminierung könnte somit in der Chiralität des RNA-Bestandteils D-Ribose liegen. Was würde dann aber geschehen, wenn die RNA mit L-Ribose aufgebaut wäre? Die Wissenschaftler synthetisierten eine entsprechende RNA, wie sie in der Natur nicht vorkommt und machten wieder den Bindungstest mit den Aminosäuren. Tatsächlich bevorzugte die RNA diesmal D-Aminosäuren, fast im gleichen Ausmaß wie zuvor die L-Form.
Die Frage nach der ursprünglichen Ursache für die Wahl der L-Aminosäuren ist auch mit diesen Experimenten längst nicht geklärt. Doch offenbar beeinflussen sich Unterschiede in der Chiralität verschiedener Molekülarten, wie Ribose und Aminosäure, bereits auf einer sehr niedrigen Ebene, nicht erst duch wählerische Enzyme. Und sollte das Leben zu Anfang wirklich voll auf den Alleskönner RNA gesetzt haben, wäre die Entscheidung der Aminosäuren für ein Stereoisomer womöglich nur geerbt. Womit das Problem nur anders zu formulieren wäre: "Warum bevorzugt die Biologie D-Ribosen?"
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