News: Verräterischer Knick
Man kann sich das folgendermaßen vorstellen: Ein Elektron bewegt sich durch das Metall und lenkt aufgrund seiner Coulombkraft die positiven Atomrümpfe des Kristalls aus ihrer Ruhelage. Eine Art Wellenbewegung entsteht. Man spricht auch von Gitterschwingung oder von der Anregung eines Phonons – dem quantenmechanischen Teilchen einer solchen Schwingung. Ein zweites Elektron kann nun wie ein Surfer auf die entstandene Welle aufspringen und lenkt seinerseits das Kristallgitter aus, was wiederum das erste Elektron beeinflusst. Die schwache Elektron-Elektron-Bindung bewirkt, dass ein Cooper-Paar entsteht. Derartige Paarteilchen gehorchen nun einer anderen statistischen Beschreibung und können ungehindert den Kristall passieren – also widerstandslos Ladungen transportieren.
Diese BCS-Theorie, die ihren Schöpfern 1972 den Nobelpreis für Physik einbrachte, vermochte erfolgreich alle bekannten Supraleiter beschreiben – bis 1986. In diesem Jahr entdeckten Georg Bednorz und Alexander Müller vom IBM Research Laboratory in Rüschlikon, dass eine Reihe keramischer Kupferoxid-Verbindungen auch bei "hohen" Temperaturen bis zu 30 Kelvin noch supraleitend ist (Nobelpreis für Physik 1987). In der Folgezeit fanden Wissenschaftler in aller Welt ähnliche Keramiken, und ein Supraleitungsrekord jagte den nächsten. So liegen heute die höchsten bekannten Übergangstemperaturen weit oberhalb von 100 Kelvin.
Die Theorie tat sich jedoch schwer, die neue Gruppe von Supraleitern zu integrieren. Zwar gingen Physiker weiterhin davon aus, dass sich die Elektronen zu Paaren zusammenschließen, jedoch vermuteten sie, dass die Phononen dabei keine oder nur eine nebensächliche Rolle spielen. Wissenschaftler schlugen andere, exotischere Wechselwirkungen vor. So sollte beispielsweise ein magnetischer Mechanismus für den Effekt verantwortlich sein. Entsprechende Beweise waren bislang allerdings spärlich gesät.
Nicht ohne Grund, wie nun Alessandra Lanzara von der Stanford University und ihre Kollegen vom Lawrence Berkeley National Laboratory und der University of Tokyo meinen. Die Wissenschaftler untersuchten drei verschiedene Kupferoxid-Supraleiter [1]. Dazu stießen sie mit Synchrotronstrahlung Elektronen aus dem Kristall und überprüften so deren Energie und Impuls – ein gängiges Verfahren, das als winkelauflösende Photoemissions-Spektroskopie bekannt ist.
Normalerweise besteht ein linearer Zusammenhang zwischen der Energie der Elektronen und ihrem Impuls, die Forscher beobachteten jedoch bei allen drei Materialien im Bereich zwischen 50 und 80 Millielektronenvolt einen Knick in der entsprechenden Kurve. Dies ist von Metallen her gut bekannt und verstanden. Dort ist er das untrügliche Zeichen für eine Kopplung von Phononen und Elektronen. Insbesondere der Energiebereich, in dem sich dieses Merkmal zeigte, spricht sehr für Phononen. Sollte nun doch der altbekannte Phononen-Mechanismus für die Supraleitung bei hohen Temperaturen verantwortlich sein?
Tatsächlich erweisen sich viele der Argumente, die damals gegen die bewährte Theorie sprachen, als nicht wasserdicht, wie Philip Allen von der State University of New York in Stony Brooks anmerkt [2]. Einige sind offensichtlich schlichtweg falsch, wie die Behauptung, dass sich die Temperaturabhängigkeit des elektrischen Widerstands nicht mit dem konventionellen Bild einer Elektron-Phonon-Wechselwirkung beschreiben lässt. Dass dies doch funktioniert – zumindest bei einem Material – zeigte Allen bereits in einer früheren Arbeit [3].
Offenbar ist nun alles wieder offen. Der Mechanismus der Hochtemperatur-Supraleitung ist noch lange nicht vollständig geklärt. Allen meint, falls dies je der Fall sein sollte, so wäre sicherlich wieder ein Nobelpreis für Supraleitung fällig.
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