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Ordnung und Chaos: Vibrierende Metallkugeln formen riesigen Quasikristall

Was passiert, wenn man tausende millimetergroße Metallkügelchen eine Woche lang schüttelt? Sie ordnen sich zum größten je erzeugten Quasikristall an.
Kaleidoskopischer Hintergrund
Muster, die einer festgelegten Symmetrie folgen, üben eine seltsame Faszination aus.

Tausende winzige Metallpartikel, die eine Woche lang in einer flachen Schale geschüttelt wurden, haben sich zum größten Quasikristall zusammengefunden, der bislang erzeugt wurde. In Filmaufnahmen beobachtete ein Forschungsteam der Université Paris-Saclay in Frankreich erstmals, wie sich millimetergroße Metallkugeln spontan zu einer außergewöhnlichen Kombination aus Ordnung und Chaos zusammensetzten. Die Physikerinnen und Physiker berichten darüber in einer noch nicht von Fachkollegen begutachteten Veröffentlichung auf dem Preprintserver »ArXiv«.

Kristalle sind der Inbegriff von Ordnung, Symmetrie und Eleganz. Ihre Bausteine – Atome, Moleküle oder Ionen – wechseln sich in strenger Regelmäßigkeit ab und bilden gleichmäßige Muster und Strukturen. In Quasikristallen dagegen ordnen sich die Atome zwar ebenfalls regelmäßig an, aber die Ordnung funktioniert nur über kurze Strecken, danach passt es nicht mehr. Diese Materialien müssen also immer wieder neu ansetzen, um ihre geordnete Struktur zu bilden – über lange Strecken betrachtet sind sie völlig unregelmäßig.

Das liegt daran, dass ihre Grundelemente fünf-, acht- oder zehnzählige Symmetrien haben. Solche Formen erlauben im Gegensatz zu vier- oder sechszähligen Symmetrien keine regelmäßigen, auch platonisch genannte, Anordnungen – ebenso wie man zwar mit Vierecken den Boden lückenlos kacheln kann, aber eben nicht mit regelmäßigen Fünfecken. Dass es dennoch Strukturen auf Basis der »verbotenen« Symmetrien geben konnte, wurde lange Zeit bestritten und von vielen Wissenschaftlern abgelehnt. Erst im Jahr 1982 konnte der Physiker Daniel Shechtman experimentell nachweisen, dass es sie gibt. Die Analyse einer Legierung aus Aluminium und Mangan zeigte unter dem Mikroskop die unbestreitbaren Merkmale eines geordneten Materials, dem jedoch die sich unendlich wiederholenden, periodischen Muster eines Kristalls fehlten. Im Jahr 2011 erhielt Shechtman für seine Forschung den Chemie-Nobelpreis.

Hart und stabil

Quasi- oder auch Pseudokristalle sind seitdem an vielen Orten aufgetaucht – im Labor, in der freien Natur und sogar in den unendlichen Weiten des Alls. Darauf zumindest lässt sich anhand von Meteoritenfunden schließen. Sie scheinen sich spontan aus Teilchen in verschiedenen Größenordnungen zu bilden, darunter auch aus Objekten, die sich durch leichtes Rütteln neu anordnen lassen. Auf Grund ihrer Härte und Oxidationsstabilität werden sie als Zuschlagstoff für verschiedene Legierungen und als Kompositmaterialien untersucht, aber auch als mögliche Katalysatoren etwa zur Herstellung von Wasserstoff aus Methanol.

Ausgehend von Computersimulationen ermittelten die französischen Forscher zunächst ein Verhältnis von kleinen zu großen Teilchen, deren Gemisch eine großräumige Quasikristall-Symmetrie bilden kann. Auf dieser Grundlage führten sie ein Experiment durch, bei dem 3840 nichtmagnetische Stahlkügelchen mit zwei verschiedenen Durchmessern – einmal knapp 2,4 Millimeter und einmal halb so groß – in einem flachen Behälter zusammengebracht wurden. Die Partikel wurden mit einer Frequenz von 120 Hertz in Schwingung versetzt. Das Ganze filmte das Team mit einer Kamera.

Nach 720 Stunden hatten die Forscher einen guten Überblick darüber, wie sich die Kügelchen anordnen, und vor allem, auf welche Art und Weise sich die Muster im Zeitverlauf periodisch oder auch aperiodisch wiederholen. »Wir haben erstmals die zeitabhängige Systemkonfiguration bei makroskopischen Quasikristallen untersucht«, schreiben sie in ihrem Bericht. »Unsere Beobachtungen geben Aufschluss über unerforschte dynamische Eigenschaften der quasikristallinen Selbstorganisation.«

Es entstanden drei Grundelemente: Dreiecke aus großen Kugeln mit einer kleineren dazwischen oder Quadrate aus großen Kugeln, in deren Mitte sich entweder eine oder vier kleinere Kugeln befanden. Sie bilden gemeinsam eine so genannte Penrose-Parkettierung – ein regelmäßiges, über lange Strecken aber nichtperiodisches Muster, das die zweidimensionale Entsprechung der dreidimensionalen Quasikristalle ist.

Indem sie die Aufnahmen des Experiments mathematisch analysierten, stellten die Forscher fest, dass die Formen die Oberfläche vollständig bedecken, sich jedoch nie regelmäßig wiederholen. »Ausgehend von einer flüssigkeitsähnlichen ungeordneten Phase beginnen die Körner, sich lokal in Kacheln anzuordnen, die sich schließlich ausrichten und einen Quasikristall mit achtzähliger Symmetrie bilden«, heißt es im Bericht. Das sei so in Simulationen vorhergesagt, aber noch nicht experimentell in nichtatomaren Systemen beobachtet worden. »Diese Ergebnisse sind nicht nur der Beweis für einen neuartigen Weg zur spontanen Bildung von Quasikristallen, sondern auch von grundlegendem Interesse für die Verbindung zwischen statistischer Gleichgewichts- und Nicht-Gleichgewichts-Physik.«

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