Visuelles System: Volkszählung im Auge
Ein winziger Würfel Nervengewebe aus der Netzhaut beschäftigte über 200 Studierende vier Jahre lang. So viel Zeit beanspruchte die Rekonstruktion von 950 Nervenzellen aus der Retina einer Maus mit gut einer halben Million Verknüpfungen. Ein Team um Moritz Helmstaedter vom Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg tüftelte den genauen Bauplan des Quaders von nur 0,1 Millimeter Kantenlänge per Computer aus [1].
Für die digitale Karte der inneren Augenhaut schnitten die Forscher aus Deutschland und den USA den Gewebewürfel in hauchdünne Scheiben und scannten die Schichten mit einem Elektronenmikroskop. Rechner werteten diese Schnitte aus. Da die Algorithmen des Programms bislang noch lückenhaft sind, justierten Studierende die Analyse in über 20 000 Arbeitsstunden nach.
Für den bisher kartierten Teil der Retina ließ sich entschlüsseln, welche Schaltkreise in der Netzhaut vorkommen und wie diese funktionieren. Dabei entdeckten die Forscher auch einen neuen Zelltyp aus der Klasse der Bipolarzellen. Die bislang unbekannten Neurone spielen vermutlich eine Rolle bei der Gewöhnung an veränderte Lichtverhältnisse.
Die Retina des Auges ist kein bloßer Fotoapparat, der Aufnahmen von der Außenwelt macht. In ihrem komplexen Netzwerk werden Sehreize sortiert, gefiltert, verrechnet und anschließend an das Gehirn weitergeleitet. Für die Forscher ist die erfolgreiche Rekonstruktion ein wichtiger Schritt, um das so genannte Konnektom zu vermessen – also die gesamten Verknüpfungen des Gehirns zum Beispiel einer Maus.
Dem Konnektom ist auch ein Team vom Howard Hughes Medical Institute bei der Taufliege Drosophila melanogaster auf der Spur [2]. Bei dem Insekt gelangt die optische Information vom Komplexauge über mehrere Schaltstellen in das Gehirn. In über 12 000 Stunden kartierten die Forscher 379 Neurone eines dieser Zentren und zeigten so, dass miteinander verknüpfte Neurone beim Bewegungssehen dieselbe Raumrichtung verarbeiteten.
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