Schlafmangel: Wachgehaltene Erinnerung
Dass sich Erinnerungen im Schlaf verfestigen, merkt man meist erst, wenn er auf Dauer gestört ist. Ein jetzt entdeckter Mechanismus könnte für Unausgeschlafene Abhilfe schaffen.
Auch wenn der Abend im Theater nach Meinung aller Beteiligten "einfach unvergesslich" war – legt man sich anschließend zur Ruhe, ist keineswegs gesagt, dass das am nächsten Morgen noch genauso gilt. Denn zu diesem Zeitpunkt hat das Gehirn längst nicht alle Erinnerungen und Eindrücke verdaut und abgespeichert. Zunächst schweben sie in einem höchst fragilen Zustand. Erst im Lauf der Nacht konsolidieren sie sich, beispielsweise indem neue Synapsen entstehen und dadurch die zuvor flüchtigen Gedächtnisbahnen verfestigen.
Will sich der Schlaf dagegen partout nicht einstellen, ist die Erinnerungsleistung am nächsten Tag nachweislich schlechter. Vor allem wer auf Dauer unter Schlafmangel leidet, muss daher mit Gedächtnislücken rechnen. Welche Vorgänge dabei im Gehirn gestört sind, versuchen Forscher schon seit Längerem zu entschlüsseln – mit wechselndem Erfolg. Einem Team von Neurowissenschaftlern um Christopher Vecsey und Ted Abel von der University of Pennsylvania in Philadelphia könnte nun womöglich ein entscheidender Schritt gelungen sein, indem sie durch eine Testreihe an Mäusen nachwiesen, an welcher Stelle es im komplizierten System "Erinnerung" bei Schlafentzug hakt.
Verantwortlich für die nächtliche Gedächtnisbildung ist ein zellinterner Prozess, der als Langzeitpotenzierung (LTP) bezeichnet wird und unter anderem durch heftiges Feuern eines Neurons ausgelöst wird. Dadurch nimmt dessen Wirkung auf nachgeschaltete Zellen dauerhaft zu – nur so entstehen die nötigen Verknüpfungen im Hirn, die noch nach Jahren wieder reaktiviert werden können. Allerdings handelt es sich bei der LTP nicht um einen einzelnen Vorgang, sondern gleich um eine ganze Batterie von Mechanismen, die sich in der Dauerhaftigkeit ihrer Wirkung unterscheiden. Dem Team um Vecsey und Abel ging es vor allem darum, herauszufinden, welcher davon durch Schlafentzug gestört wird.
Hippocampus unter dem Mikroskop
Dazu mussten die Forscher das Erinnerungsvermögen ihrer Labortiere zunächst auf die Leistung einzelner Zellen herunterbrechen. Nicht das ganze Tier stand demnach im Mittelpunkt, sondern lediglich dessen in Scheiben geschnittener Hippocampus, diejenige Hirnregion also, in der die entscheidenden Prozesse stattfinden. Unter dem Mikroskop brachten sie einzelne Hippocampusneurone zum Feuern und maßen dann, wie das Gewebe darauf reagierte.
Bekannt war, dass sich über die Frequenz, Dauer und Häufigkeit der elektrischen Reize steuern lässt, welche Art von LTP angestoßen wird. Dabei zeigte sich, dass in Präparaten von Tieren, die zuvor fünf Stunden wach gehalten wurden, ausschließlich diejenige Form von LTP signifikant schwächer verlief, die über den Signalgeber cAMP operiert.
cAMP (cyclisches Adenosinmonophosphat) nimmt im Nervensystem – und nicht nur dort – eine Schlüsselrolle als zellinternes Signalmolekül ein, das die Zelle auf bestimmte Reize hin aus dem weit verbreiteten "Zelltreibstoff" ATP (Adenosintriphosphat) herstellt. Damit tritt sie eine Kaskade von weiteren Signalen los, an deren Ende zumindest im Rahmen der Langzeitspeicherung das Ablesen bestimmter Gene steht. Diese liefern das Material für Synapsenverbesserung oder sogar -neubau. In den Hippocampusscheiben der Mäuse war das bedeutsamste dieser Gene, der Transkriptionsfaktor CREB, tatsächlich nachweislich schwächer aktiviert.
Schuldiger enttarnt
Bleibt die Frage, warum die cAMP-Kette reißt, wenn man wieder einmal die Nacht über kein Auge zugemacht hat. Auch hier fanden die Forscher eine Antwort: Der Schuldige ist PDE4, das Enzym Phosphodiesterase-4, das die Aufgabe hat, cAMP in Nervenzellen abzubauen. Bei Schlafentzug, so ergaben die Untersuchungen, kurbelt die Zelle aus noch unbekannten Gründen seine Produktion an – mit dem Effekt, dass die cAMP-Kette unterbrochen oder zumindest abgeschwächt wird.
Glücklicherweise existiert zu diesem Hemmstoff das passende Gegenmittel. Rolipram ist ein Phosphodiesterase-Hemmer, der früher unter anderem als Arzneimittel gegen Depressionen eingesetzt werden sollte, aber als Medikament nicht zugelassen wurde. Auch sein förderlicher Einfluss auf das Gedächtnis wurde bereits im Tierversuch beobachtet.
Im letzten Teil ihres Experiments hieß es für die Forscher dann nur noch, ihre Hypothese am lebenden Tier zu überprüfen. Wenn sie Recht behalten sollten, müsste auch hier der PDE-Hemmer Wirkung zeigen. Die Wissenschaftler konditionierten deshalb Mäuse darauf, einen bestimmten Käfig mit einem leicht schmerzhaften Stromschlag in Verbindung zu bringen. Setzten sie die Tiere tags darauf erneut in den Käfig, verharrten diese in einer Schutzhaltung – vorausgesetzt, sie hatten sich den Zusammenhang gemerkt.
Wie erhofft, ließ sich auch hier die Wirkung des PDE-Hemmers Rolipram nachweisen. Von den Mäusen, die den Wirkstoff verabreicht bekommen hatten, konnten sich trotz Schlafentzug alle an die Gefahr im Käfig erinnern. Diejenigen, die ohne Rolipram auskommen mussten, wiesen dagegen am nächsten Tag erhebliche Defizite auf.
Tatsächlich halten es die Autoren der Studie für denkbar, über den Umweg der PDE-Hemmer ein Medikament zur Kompensation von Schlafstörungen zu entwickeln. Mit einer solchen Pille könnte man dann vielleicht tatsächlich den Abend zuvor unvergesslich machen – trotz einer Nacht im unbequemen Hotelbett.
Will sich der Schlaf dagegen partout nicht einstellen, ist die Erinnerungsleistung am nächsten Tag nachweislich schlechter. Vor allem wer auf Dauer unter Schlafmangel leidet, muss daher mit Gedächtnislücken rechnen. Welche Vorgänge dabei im Gehirn gestört sind, versuchen Forscher schon seit Längerem zu entschlüsseln – mit wechselndem Erfolg. Einem Team von Neurowissenschaftlern um Christopher Vecsey und Ted Abel von der University of Pennsylvania in Philadelphia könnte nun womöglich ein entscheidender Schritt gelungen sein, indem sie durch eine Testreihe an Mäusen nachwiesen, an welcher Stelle es im komplizierten System "Erinnerung" bei Schlafentzug hakt.
Verantwortlich für die nächtliche Gedächtnisbildung ist ein zellinterner Prozess, der als Langzeitpotenzierung (LTP) bezeichnet wird und unter anderem durch heftiges Feuern eines Neurons ausgelöst wird. Dadurch nimmt dessen Wirkung auf nachgeschaltete Zellen dauerhaft zu – nur so entstehen die nötigen Verknüpfungen im Hirn, die noch nach Jahren wieder reaktiviert werden können. Allerdings handelt es sich bei der LTP nicht um einen einzelnen Vorgang, sondern gleich um eine ganze Batterie von Mechanismen, die sich in der Dauerhaftigkeit ihrer Wirkung unterscheiden. Dem Team um Vecsey und Abel ging es vor allem darum, herauszufinden, welcher davon durch Schlafentzug gestört wird.
Hippocampus unter dem Mikroskop
Dazu mussten die Forscher das Erinnerungsvermögen ihrer Labortiere zunächst auf die Leistung einzelner Zellen herunterbrechen. Nicht das ganze Tier stand demnach im Mittelpunkt, sondern lediglich dessen in Scheiben geschnittener Hippocampus, diejenige Hirnregion also, in der die entscheidenden Prozesse stattfinden. Unter dem Mikroskop brachten sie einzelne Hippocampusneurone zum Feuern und maßen dann, wie das Gewebe darauf reagierte.
Bekannt war, dass sich über die Frequenz, Dauer und Häufigkeit der elektrischen Reize steuern lässt, welche Art von LTP angestoßen wird. Dabei zeigte sich, dass in Präparaten von Tieren, die zuvor fünf Stunden wach gehalten wurden, ausschließlich diejenige Form von LTP signifikant schwächer verlief, die über den Signalgeber cAMP operiert.
cAMP (cyclisches Adenosinmonophosphat) nimmt im Nervensystem – und nicht nur dort – eine Schlüsselrolle als zellinternes Signalmolekül ein, das die Zelle auf bestimmte Reize hin aus dem weit verbreiteten "Zelltreibstoff" ATP (Adenosintriphosphat) herstellt. Damit tritt sie eine Kaskade von weiteren Signalen los, an deren Ende zumindest im Rahmen der Langzeitspeicherung das Ablesen bestimmter Gene steht. Diese liefern das Material für Synapsenverbesserung oder sogar -neubau. In den Hippocampusscheiben der Mäuse war das bedeutsamste dieser Gene, der Transkriptionsfaktor CREB, tatsächlich nachweislich schwächer aktiviert.
Schuldiger enttarnt
Bleibt die Frage, warum die cAMP-Kette reißt, wenn man wieder einmal die Nacht über kein Auge zugemacht hat. Auch hier fanden die Forscher eine Antwort: Der Schuldige ist PDE4, das Enzym Phosphodiesterase-4, das die Aufgabe hat, cAMP in Nervenzellen abzubauen. Bei Schlafentzug, so ergaben die Untersuchungen, kurbelt die Zelle aus noch unbekannten Gründen seine Produktion an – mit dem Effekt, dass die cAMP-Kette unterbrochen oder zumindest abgeschwächt wird.
Glücklicherweise existiert zu diesem Hemmstoff das passende Gegenmittel. Rolipram ist ein Phosphodiesterase-Hemmer, der früher unter anderem als Arzneimittel gegen Depressionen eingesetzt werden sollte, aber als Medikament nicht zugelassen wurde. Auch sein förderlicher Einfluss auf das Gedächtnis wurde bereits im Tierversuch beobachtet.
Im letzten Teil ihres Experiments hieß es für die Forscher dann nur noch, ihre Hypothese am lebenden Tier zu überprüfen. Wenn sie Recht behalten sollten, müsste auch hier der PDE-Hemmer Wirkung zeigen. Die Wissenschaftler konditionierten deshalb Mäuse darauf, einen bestimmten Käfig mit einem leicht schmerzhaften Stromschlag in Verbindung zu bringen. Setzten sie die Tiere tags darauf erneut in den Käfig, verharrten diese in einer Schutzhaltung – vorausgesetzt, sie hatten sich den Zusammenhang gemerkt.
Wie erhofft, ließ sich auch hier die Wirkung des PDE-Hemmers Rolipram nachweisen. Von den Mäusen, die den Wirkstoff verabreicht bekommen hatten, konnten sich trotz Schlafentzug alle an die Gefahr im Käfig erinnern. Diejenigen, die ohne Rolipram auskommen mussten, wiesen dagegen am nächsten Tag erhebliche Defizite auf.
Tatsächlich halten es die Autoren der Studie für denkbar, über den Umweg der PDE-Hemmer ein Medikament zur Kompensation von Schlafstörungen zu entwickeln. Mit einer solchen Pille könnte man dann vielleicht tatsächlich den Abend zuvor unvergesslich machen – trotz einer Nacht im unbequemen Hotelbett.
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