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Qumran-Rollen: Was in DNA geschrieben steht

Zu Abertausenden Fragmenten sind die Schriftrollen vom Toten Meer zerfallen. Nun wollen Forscher das Puzzle mit Hilfe von DNA lösen: Verrät sie, welche Stücke zusammengehören?
Schriftrolle vom Toten Meer - ein Fragment aus dem Buch Jesaja

Oft kommt es nicht vor, dass Forschung an alten Handschriften im Magazin »Cell« veröffentlicht wird. Das Fachblatt zählt zu den angesehensten Zeitschriften für Zell- und Molekularbiologie. Und so ging es in dem Artikel über Schriftrollen vom Toten Meer, der vor einigen Tagen erschien, auch weniger um deren Inhalt als um das Schreibmaterial: Erforscht wurde die genetische Verwandtschaft der Tiere, von denen das Pergament einst gewonnen wurde.

Die Schriftrollen vom Toten Meer sind mit gut 1000 Texten der wichtigste archäologische Bücherfund aus dem Umfeld der frühen jüdischen und christlichen Kultur. Die ältesten stammen aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert, die jüngsten datieren ins 1. Jahrhundert n. Chr. Verschiedene religiöse Gruppen jener Zeit, manche davon »Sekten« nach unserem heutigen Verständnis, verfassten darauf zentrale Werke der Zeit, darunter zahlreiche Bücher von Torah und Bibel.

Dass sie heute noch erhalten sind, ist dem heißen und trockenen Klima der Judäischen Wüste zu verdanken, wo sie im Lauf der 1940er und 1950er Jahre zum Vorschein kamen. Manche sind in gutem Zustand und ohne Weiteres lesbar. Die meisten aber sind zerfallen, zum Teil in kleinste Stücke. Das Gesamtverzeichnis führt insgesamt 25 000 Fragmente auf.

Die Frage, welche davon von ein und demselben Manuskript stammen und in welchem Verhältnis diese Manuskripte zueinander stehen, hat seit der Entdeckung Laien und Forscher aller Art beschäftigt. Das meist dilettantische Vorgehen der Anfangsjahre hat dabei viele Informationen zerstört, die in der archäologischen Fundsituation eigentlich enthalten gewesen wären.

Für Jahrtausende geschützt | In nur schwer zugänglichen und staubtrockenen Höhlen überdauerten die Pergamente gut zwei Jahrtausende lang die Zeit. Erst als Einheimische ihren Wert auf dem Antikenmarkt erkannten, wurden sie geborgen.

Die ersten Pergamentstücke erschienen 1947 auf dem Antiquitätenmarkt im britischen Mandatsgebiet Palästina. Beduinen, die in der Region der West Bank als Nomaden lebten, hatten sie einem Zwischenhändler angeboten. Eine geläufige Geschichte zur Entdeckung lautet, ein kleiner Junge habe Steine in eine Felsspalte geworfen und das Geräusch zerbrechender Tonkrüge gehört. Die Lage des Ortes, der heute als »Höhle 1« katalogisiert wird, mag aber nicht recht zu dieser Abenteuergeschichte passen.

Nachdem die ersten Pergamente einen Abnehmer gefunden hatten, scheinen die Beduinen der Region sich gezielt auf die Suche begeben zu haben. Innerhalb weniger Jahre fanden sie zehn weitere Höhlen, in denen alte Handschriften lagerten. Europäische Philologen, die sich für die Funde zu interessieren begannen, konnten der Entwicklung nur hinterherlaufen.

Wie wenig man wirklich über die Entdeckungsgeschichte der Schriftrollen weiß, verdeutlicht der Fund einer zwölften Höhle im Jahr 2017. Außer den Scherben von Tongefäßen, wie sie zur Aufbewahrung der Texte verwendet wurden, fand sich nur ein Stückchen unbeschriebenes Pergament – und eine Spitzhacke aus den 1950er Jahren.

Ob die Texte, die hier wohl gelegen haben, heute Teil des Bestands sind und fälschlicherweise anderen Fundstellen zugeordnet wurden, ist nicht geklärt. Um die Bedeutung der Texte zu verstehen, ist es aber unabdingbar, Fragmente zu Manuskripten zuzuordnen und Manuskripte zu ihrer geografischen Herkunft.

Fragmente zu Manuskripten, Manuskripte zu ihrer Herkunft

Nun bestehen gut 90 Prozent der Manuskripte aus Pergament, aus ungegerbter Tierhaut. Da liegt es nahe, einen genetischen »Fingerabdruck« zu gewinnen und so zu erkennen, welche Fragmente zu welchem Tier gehört haben. Die erste Veröffentlichung, die dieser Idee folgte, erschien bereits 1996 – und damit zu einem Zeitpunkt, als die Methoden der genetischen Analyse für diesen Zweck eigentlich noch nicht bereit waren. Entsprechend skeptisch wurde sie gesehen, zumal ihr Erstautor Scott Woodward von der Brigham Young University zwei Jahre zuvor mit der vermeintlichen Entdeckung von Saurier-DNA von sich reden gemacht hatte.

Dass sich aus den alten Pergamenten wirklich lesbares Erbgut extrahieren lässt, belegte aber schließlich eine Untersuchung aus dem Jahr 2000. Seit 2009 beschrieb dann Timothy Stinson, Literaturprofessor an der North Carolina State University, die Idee, das Schriftrollenpuzzle mit Genetik anzugehen. Er verfasste dazu eine Reihe von Essays und Artikeln, deren Ausgangspunkt Gespräche mit seinem Bruder, einem Biologen, gewesen waren, wie Stinson heute erzählt.

Replika einer Schriftrolle | Das Pergament lieferten Ziege, Schaf und Rind. Lässt sich aus der Zugehörigkeit zu bestimmten Abstammungslinien ablesen, welche Fragmente zusammengehören?

Die Sequenzierung alter DNA ist in den Jahren seitdem noch einmal erheblich weiterentwickelt worden. Es ist selbst ein gigantisches Puzzlespiel, das den Fachleuten mit immer kürzeren Fragmenten der Erbsubstanz gelingt. Insbesondere vier Institute, mit den Max-Planck-Instituten in Jena und Leipzig liegen zwei davon in Deutschland, konkurrieren darum, wer aus noch weniger Probenmaterial und noch älteren Funden nützliche Information gewinnt. Meist stehen dabei die genetischen Spuren der frühesten Menschheitsgeschichte im Mittelpunkt. Mittlerweile ist es Forschern sogar gelungen, menschliche DNA direkt aus dem Lehm am Boden einer eiszeitlichen Karsthöhle zu gewinnen.

Genetik verrät, aus welcher Herde ein Tier stammte

Nun hat es eine Forschergruppe um den Genetiker Oded Rechavi mit der bisher weitreichendsten genetischen Analyse von Fragmenten vom Toten Meer in das erwähnte Biologenblatt »Cell« geschafft. Sie gingen dabei von der Annahme aus, dass eine Buchrolle, soweit möglich, immer nur aus der Haut eines Tiers oder wenigstens eines Tiers derselben Art gemacht wurde. Das scheinen ihre eigenen Genanalysen vollständiger Rollen auch zu bestätigen. Darauf aufbauend konnten sie mehrere Stücke ihren jeweiligen Manuskripten zuordnen. Zumindest einmal liefern sie Anhaltspunkte dafür, denn die Fehlerspanne ist bei ihren Ergebnissen nach wie vor recht groß.

Wer nur wissen will, ob die Haut einst einer Ziege, einem Schaf oder einem Rind gehörte, kann dies durch Proteinanalyse in Erfahrung bringen. Dabei suchen die Fachleute im Pergament nach Proteinen, die für die jeweilige Art typisch sind, was übrigens nach deutlich geringeren Probenmengen verlangt als die Gensequenzierung.

Deutlich mehr aber verrät der Blick ins Genmaterial. Er hat den großen Vorteil, Hinweise darauf zu geben, woher das Tier stammte. Die Forscher bestimmten hierfür die Zugehörigkeit der Tiere zu Haplogruppen, Sammlungen kleiner Mutationen in jenen Bereichen des Erbguts, die im Körper nicht ausgelesen werden. Dadurch dass diese Veränderungen weder schaden noch nutzen, werden sie ohne evolutionäre Auswahl durch die Generationen weitergetragen. Um den Einfluss der wenigen männlichen Zuchttiere in Grenzen zu halten, wählten sie die Haplogruppen der mitochondrialen DNA, die nur über die weibliche Linie vererbt werden.

Rechavi, der an der Universität Tel Aviv forscht, und sein Team wandten dieses Verfahren nun auf Pergamentrollen wie die der »Lieder zum Sabbatopfer« an. Sie wurden einst in Höhlen bei Qumran am nördlichen und bei Masada am südlichen Ende des Toten Meeres gefunden. Wie sich zeigt, sind die Tiere, deren Haut das Material für die Qumran-Rollen lieferte, genetisch nah verwandt. Das Exemplar aus Masada dagegen nicht. Das legt nahe, meinen die Autoren, dass die »Lieder zum Sabbatopfer« damals eine weite Verbreitung fanden. Sie waren nicht an den Ort und womöglich die Glaubensgemeinschaft gebunden, die den kleinen Ort Qumran bewohnte.

Ein Netz aus Tieren, Herden und Haltungstraditionen

Von zwei Fragmenten des Buchs Jeremia, die man bisher als zusammengehörig betrachtete, stellte sich heraus, dass sie von Kalb und Schaf stammen. Sie waren also höchst wahrscheinlich nicht Teil desselben Manuskripts. Die Forscher stehen außerdem auf dem Standpunkt, dass Rinderhäute nicht aus der Gegend von Qumran stammen könnten, da Rinderhaltung in der Wüste unmöglich sei. Dass es dennoch Bücher auf Rinderhaut gibt, zeige also, dass das Fundspektrum aus der Gegend von Qumran überregionale Bedeutung habe.

Matthew Collins, der in Cambridge und Kopenhagen interdisziplinäre Gruppen zur Erforschung alter Pergamente leitet, sieht in der jüngsten Veröffentlichung einen wichtigen, wenn auch nur graduellen Fortschritt. »Solche genetischen Zuordnungen sind komplexer, als man meinen sollte. Die Verunreinigungen sind überall. Diese Studie hat die Methode breiter und tiefer angewandt als alle bisherigen.«

Wenn die Methoden der Gruppe um Rechavi mit der Zeit auf immer mehr Fragmente angewandt würden, dürfte ein komplexes Beziehungsnetz aus individuellen Tieren, Herden und Tierhaltungstraditionen erkennbar werden. Legt man es über die bisherigen, philologischen Überlegungen zu diesen Funden, könnte es das Verständnis der Schriftrollen vom Toten Meer wesentlich verbessern.

Und dann ist da noch ein Problem, das durch kürzlich – vermeintlich – neu entdeckte Fragmente wieder Aufmerksamkeit erhalten hat. »Tierhäute dieses Alters zu finden, ist nicht schwierig«, sagt Matthew Collins. »Mit Fälschungen muss man immer rechnen.« Mit einer DNA-Analyse könnte man den Fälschern das Handwerk legen: Denn dass sie alte Pergamente aus dem richtigen Ort oder gar vom selben Tier auftreiben, ist so gut wie ausgeschlossen.

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