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Schlinge: Welcher Knoten hält am besten?

Schon wieder ist der Schnürsenkel offen! Aber warum? Forscher haben nun eine simple Methode gefunden, um die Stabilität der gängigsten Knoten zu überprüfen – ganz ohne aufwändige Berechnungen oder Simulationen.
Stimmt der Knoten, hält der Schnürsenkel.

Meist hat mathematische Forschung kaum etwas mit dem alltäglichen Leben zu tun. Das Gebiet der Knotentheorie bildet da eine seltene Ausnahme. Knoten begegnen uns ständig, sei es in gewebten Stoffen, beim Schnüren von Schuhen oder beim Bergsteigen. Inzwischen gehen Wissenschaftler davon aus, dass Menschen schon vor einer halben Million Jahren Knoten nutzten – lange bevor das Rad erfunden wurde. Nachweislich verknoten sogar einige Affen, darunter Gorillas, Gräser, wenn sie ihre Nester bauen.

Obwohl sie so allgegenwärtig sind, bergen Knoten noch immer etliche Rätsel, die Forscher nicht zu lösen vermögen. Beispielsweise ähnelt ein Altweiberknoten, den man beim Schnüren der Schuhe bildet, dem weniger geläufigen Kreuzknoten. Wie die Erfahrung und Experimente zeigen, ist letzterer wesentlich robuster – allerdings gab es bislang kein einfaches theoretisches Modell dafür. Das hat der Mathematiker Vishal Patil vom Massachusetts Institute of Technology zusammen mit seinen Kollegen nun geändert.

Kreuzknoten versus Altweiberknoten | Den Altweiberknoten (unten) nutzen wir, um unsere Schuhe zu binden. Doch als wesentlich stabiler stellt sich der Kreuzknoten (oben) heraus, der diesem stark ähnelt.

In der Anfang Januar 2020 beim Fachmagazin »Science« erschienenen Arbeit identifizierten die Forscher drei leicht zu bestimmende Merkmale, anhand derer sie die Stabilität geläufiger Knoten beurteilen können. Patil und sein Team bestätigten ihre theoretischen Ergebnisse durch Computersimulationen und Laborexperimente. Damit haben sie eine einfache Methode gefunden, um zu erklären, warum manche Knoten besser halten als andere.

Auch wenn Knoten die Menschheit schon über Jahrhunderttausende begleiten, widmeten ihnen Wissenschaftler erst ziemlich spät ihre Aufmerksamkeit. Der erste schriftliche Nachweis, in dem verschiedene Knoten beschrieben werden, findet sich im »Iatrikon Synagogus«, einer medizinischen Abhandlung aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. Doch nach dem Dokument tauchten Knoten erst wieder im 18. Jahrhundert vermehrt in wissenschaftlichen Texten auf. Das lag vor allem daran, dass es damals viele Seefahrer gab, die sich über die nützlichsten Versionen austauschten.

Damit erwachte auch das Interesse der Mathematiker. Carl Friedrich Gauß war 1794 einer der Ersten, die das Thema aufgriffen, als er den Elektromagnetismus studierte und mögliche Formen der Feldlinien beschreiben wollte. Es waren aber vorrangig seine Schüler, die das Gebiet voranbrachten. Um Knoten zu untersuchen, projizierten sie die dreidimensionalen Gebilde auf eine Ebene, wodurch ein Bild verschlungener Kurven entstand. Dabei kann ein und derselbe Knoten verschiedene zweidimensionale Darstellungen haben, abhängig davon, wie man die Projektionsebene wählt. Zwei völlig unterschiedliche Diagramme können daher zum gleichen Objekt gehören. Mathematiker stellten sich daraufhin die Frage, wann zwei Knotendiagramme gleich sind. Ihr Ziel war es, alle möglichen Knoten zu klassifizieren, beginnend mit dem einfachsten hin zu immer komplizierteren Strukturen – eine Aufgabe, die bis heute nicht gelöst ist.

Knotendiagramm | Beide Knotendiagramme entsprechen dem gleichen Knoten – oder besser gesagt: dem gleichen Nichtknoten.

Um zu verstehen, warum das Problem so kompliziert ist, muss man wissen, dass sich mathematische Knoten von denen unterscheiden, die uns im Alltag begegnen. Möchte man etwa zwei Seile aneinanderbinden, hat man zwei Schnüre zur Verfügung, die man umeinanderwindet und festzieht. Mathematische Knoten sind dagegen immer geschlossen: Sie bestehen aus einer einzigen, mit sich selbst verbundenen Schnur.

Grund dafür ist die Topologie. In diesem abstrakten mathematischen Bereich geht es darum, Objekte nach ihren groben Eigenschaften zu sortieren. Für Topologen sind beispielsweise zwei Figuren identisch, wenn man sie ineinander verformen kann, ohne dabei Löcher in sie zu reißen. Topologisch gesehen ist eine Tasse etwa nicht von einem Donut unterscheidbar, denn man kann sie ineinander umwandeln, wobei der Henkel der Tasse zum Loch des Gebäcks wird.

Knotentabelle | Liste der topologisch unterschiedlichen Knoten, sortiert nach der Anzahl ihrer Kreuzungen.

Knoten lassen sich auf die gleiche Weise topologisch untersuchen. Kann man einen Knoten durch bloßes Ziehen und Lockern – ohne die Schnur durchzuschneiden – zu einem anderen verformen, dann sind sie gleich. Wenn es offene Enden gibt, so wie bei Schnürsenkeln, lässt sich ein Knoten immer lösen; er ist dadurch identisch zu einem »Nicht-Knoten«. Daher gibt es aus topologischer Sicht keine Knoten mit offenen Enden.

Mathematiker konzentrierten sich zunächst auf »richtige« Knoten, die wenig mit denen aus unserem Alltag zu tun haben. Um sie zu klassifizieren, gingen sie wie in der Topologie üblich vor: Sie suchten nach so genannten Invarianten, die ein Objekt charakterisieren und erlaubte Verformungen unverändert überstehen. Bei zweidimensionalen Oberflächen ist die Anzahl der Löcher eine solche Invariante, wie das Beispiel der Tasse und des Donuts zeigt. Derartige Invarianten bei Knoten zu identifizieren ist dagegen eine extrem komplexe Aufgabe.

Es ist naheliegend, Knoten nach der Anzahl gekreuzter Schnüre einzuteilen. Allerdings ist es schwierig, die Zahl der so genannten Kreuzungen aus einem Diagramm zu bestimmen. Denn davon können mal mehr oder mal weniger entstehen, je nachdem, wie man einen Knoten auf eine zweidimensionale Ebene abbildet. Jeder mathematische Knoten besitzt aber eine Mindestzahl an Kreuzungen – unabhängig davon, wie man die Projektionsebene wählt, es werden niemals weniger auftauchen. Bei komplizierten Objekten ist es jedoch äußerst schwer, die Darstellung mit der kleinsten Anzahl an Kreuzungen zu finden.

Inzwischen wissen Mathematiker, dass es keine Knoten mit nur einer oder zwei Kreuzungen gibt. Es existieren aber je eine Art von Knoten mit drei und vier Kreuzungen, zwei mit fünf, drei mit sechs, sieben mit sieben Kreuzungen und so weiter. Die Anzahl der topologisch verschiedenen Knoten wächst rasant an, es gibt beispielsweise 1 388 705 Knoten mit 16 Kreuzungen. Doch wie diese Folge weitergeht, ist noch unklar. Bis heute sind Mathematiker noch weit davon entfernt, alle Knoten zu kategorisieren.

Reidemeister-Bewegungen | Die drei Reidemeister-Bewegungen lassen ein Knotendiagramm topologisch gesehen unverändert.

Daher entwickelten sie Mitte des 20. Jahrhunderts neue Ansätze, um sich dem Problem zu widmen. Der englische Mathematiker John Horton Conway war einer der Ersten, der vorschlug, Knoten in kleinere Bestandteile zu zerlegen und diese zu studieren. Die Segmente, für die er sich interessierte, enthielten vier freie Enden, die miteinander verwoben sind, genau wie bei den uns geläufigen Knoten. Diese Objekte heißen in der Fachsprache Zöpfe. Knoten, die man in der Seefahrt oder beim Klettern benutzt, sind also streng genommen keine Knoten, sondern zwei Stränge, die einen Zopf bilden.

Mit Hilfe der Topologie lassen sich drei »Reidemeister-Bewegungen« ausmachen, die eine bestimmte Zopfstruktur nicht verändern. Doch außerhalb der abstrakten Welt der Mathematik stimmt das so nicht ganz, wenn man die Stabilität eines Knotens (oder Zopfes) betrachtet. Die erste Reidemeister-Bewegung erzeugt zum Beispiel Spannung in einem Strang. Möchte man daher beurteilen, ob ein in der Seefahrt genutzter Knoten stabil ist, genügt es nicht, bloß topologische Prinzipien zu betrachten. Man muss auch Konzepte aus der Mechanik und der Elastizitätstheorie berücksichtigen. Doch wie geht man dabei vor, ohne sich in extrem komplizierten Berechnungen zu verlieren?

Diebesknoten versus Kreuzknoten | Obwohl beide Knoten gleich erscheinen, zieht man bei ihnen an unterschiedlichen Enden (lange Linie).

Patil und seine Kollegen fanden eine Möglichkeit, die vereinfachten topologischen Knotendiagramme mit groben mechanischen Informationen zu verbinden. In ihrer Arbeit untersuchten sie das Problem, zwei Seile durch einen Knoten zu einem längeren zu verknüpfen. Mathematisch gesehen hat man also einen Zopf aus zwei Strängen mit vier offenen Enden. Die Forscher wollten herausfinden, ob sich ein Knoten festigt, wenn man an zwei der losen Enden zieht – und wenn ja, wie viel er aushält. Daher untersuchten sie, welche Mechanismen einen Knoten beim Zuziehen stabilisieren.

An jedem Punkt, wo sich zwei Stränge kreuzen, entsteht Reibung, die eine Rollbewegung bedingt. Wenn ein Strang bei jeder Kreuzung in die gleiche Richtung verdreht wird, kann er wegrollen. Unterscheiden sich die Drehrichtungen dagegen, ist das System stabil und der Knoten kann sich schlechter lösen. Patil und seine Kollegen wogen die möglichen Verdrehungen eines Knotendiagramms deshalb durch eine einfache Formel gegeneinander auf, wodurch sie eine Kenngröße τ erhielten. Je größer τ ausfällt, desto mehr Drehbewegungen verlaufen entgegengesetzt, das heißt der Knoten ist stabil. Mit dieser Größe machten die Forscher bereits den Hauptunterschied zwischen einem Kreuz- und einem Altweiberknoten aus: Bei letzterem ist die Drehrichtung immer gleich, so dass er sich einfacher löst. Das ist der Grund, warum Schnürsenkel einfach aufgehen.

τ allein genügt allerdings nicht, um die Stabilität aller gängigen Knoten zu unterscheiden. Das lässt sich am Beispiel des Diebesknotens erkennen: Das Knotendiagramm ist das gleiche wie das des Kreuzknotens, außer dass man dabei an einem anderen Strang zieht. Beide Knoten verdrehen sich durch Zug auf gleiche Weise, dennoch lässt sich der Diebesknoten leichter lösen.

Patil und sein Team suchten deshalb nach weiteren stabilisierenden Faktoren. Wie sich herausstellt, halten Knoten besser, wenn nebeneinander verlaufende Stränge sich beim Ziehen in entgegengesetzte Richtungen bewegen. Die Wissenschaftler definierten eine zweite Größe Γ, die im Wesentlichen zählt, wie viele Strangabschnitte sich entgegengesetzt zusammenziehen. Während der Kreuzknoten beispielsweise über vier solche Abschnitte verfügt, hat der Diebesknoten bloß einen. Das erklärt, warum der Kreuzknoten besser hält.

Indem die Forscher die Anzahl der Kreuzungen N, die Verdrehungen τ und die entgegengesetzten Strangabschnitte Γ für gängige Knotenfamilien bestimmten, konnten sie beurteilen, welche Knoten gut halten und welche sich einfach lösen. Dafür brauchten sie weder aufwändige Computersimulationen noch detaillierte Berechnungen, sondern zählten bloß Eigenschaften, die sich einfach aus einem Knotendiagramm bestimmen lassen.

All diese Überlegungen sind nicht viel wert, wenn man sie nicht überprüft. Daher führten Patil und seine Kollegen Experimente mit farbverändernden Seilen durch. Diese bestehen aus einem elastischen Kern, der von mehreren Schichten transparenter Elastomere mit unterschiedlichen Brechungsindizes umgeben ist. Sobald man ein solches Seil verbiegt oder daran zieht, ändert sich die Dicke der Elastomere und damit auch ihre Farbe. Dadurch lassen sich die Kräfte abbilden, die auf einen Knoten wirken.

»Wir können jetzt endlich Knoten miteinander vergleichen, die man beim Nähen, Segeln, Klettern und Bauen verwendet«Matthias Kolle, Mechanikprofessor

Auf diese Weise analysierten die Forscher einfache Knoten und verglichen die Resultate mit dazugehörigen Computersimulationen und ihrem theoretischen Modell. Alle drei Methoden führten dabei zu den gleichen Ergebnissen. Anschließend simulierten die Forscher auch kompliziertere Knoten, wie den Schmetterlingsknoten mit zwölf oder den Zeppelinstek mit zehn Kreuzungen. Die dazugehörigen drei Größen (N, τ, Γ) legen nahe, dass der unter Bergsteigern verbreitete Schmetterlingsknoten schlechter hält als der Zeppelinstek. Auch dieses Resultat bestätigten die Computersimulationen.

»Betrachtet man eine Familie ähnlicher Knoten, von denen nach empirischen Erkenntnissen einer als ›der beste‹ gilt, dann können wir nun erklären, warum er diese Auszeichnung verdient«, sagt der Mechanikprofessor Matthias Kolle, Mitautor der Studie in einer Pressemitteilung des MIT. »Wir können jetzt endlich Knoten miteinander vergleichen, die man beim Nähen, Segeln, Klettern und Bauen verwendet. Das ist wunderbar!«

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