Psychosoziale Erkrankungen: Wenn die Sonne falsch sinkt
Die Ursachen von Schwermut auf den Punkt zu bringen, fällt schwer genug - dass sie mit einem einzigen Schlag per Knopfdruck zu beiseitigen und heilen sind, erscheint noch schwerer zu glauben. Bei saisonal auftretenden Depressionen schöpfen die Forscher nun aber Hoffnung auf schnelle Erfolge.
Ein Blick nach draußen am frühen Abend belehrt: Die Saison ist vorbei – gottlob. Zum Abschied der dunklen Jahreszeit und pünktlich vor dem Tanz in den Mai hellt sich die Stimmung all jener langsam wie von selbst wieder auf, die ab Oktober unter einer so genannten Winterdepression zu leiden begannen. Diese psychosoziale Störung – Ärzte bezeichnen sie als saisonal abhängige Depression (SAD) – ist seit langem bekannt. Seit nicht ganz so langem wird sie auch als ernst zu nehmende Krankheit akzeptiert. Ihr Auslöser ist mittlerweile klar – ihre tieferen Ursachen bleiben zugleich mysteriös.
So steht etwa längst außer Zweifel, dass der Lichtwechsel der Jahreszeiten entscheidenden Anteil an saisonalen depressiven Verstimmungen hat: SADs sind Zivilisationskrankheiten, die nichts mit zivilisatorischem Stress an sich, sondern der geografischen Lage der hoch entwickelten Nationen zu tun haben. Überall, wo die Tageslichtlängen in Sommer und Winter stark unterschiedlich sind, wird dies für Empfindliche zu einer alljährlichen psychischen Belastung. Schätzungen variieren stark – aber zwischen fünf und zwanzig Prozent der Bevölkerung, sehr oft Frauen, scheinen anfällig für die Saison-Schwermut zu sein. Vielen Betroffenen hilft mittlerweile eine konsequent durchgeführte Lichttherapie – oder schlicht ein häufigerer, aktiver Aufenthalt im hellen Freien auch im Winter.
"Lichtmangel" als Erklärung ist indes unzureichend, um wirklich zu erklären, was den Saisondepressiven fehlt. Schließlich findet die Winterschwermut ihr Gegenstück in der symptomatisch ähnlichen, wenn auch seltener diagnostizierten Sommerdepression bei entgegen gesetzten Lichtverhältnissen. Was könnte da das Gemeinsame aller saisonalen Depressionen sein?
Eine Störung des zirkadianen Rhythmus, so eine Antwort der Saison-Depressions-Forscher. Vielleicht, so ihre Hypothese, können Betroffene ihren Tagesryhthmus nicht gut an kurze und lange, helle und dunkle Tage anpassen? Sie reagieren mit den üblichen Symptomen: Müdigkeit – bei sogar verlängertem, aber unerquicklichem Schlaf –, sozialer Isolation, unerklärlichem Zucker-Heißhunger.
Unauffälligere, viel kurzzyklischere Anpassungsprobleme der inneren Uhr kennt jeder, der schon einmal weite Strecken mit dem Flugzeug zurückgelegt hat: den Jetlag. Und konsequenterweise glauben Alfred Lewy von der Oregon Health and Science University und seine Kollegen nun, saisonale Depressionen ebenso behandeln zu können wie die Auswirkungen reisebedingte Zeitverschiebungsprobleme. Ihr Allheilmittel heißt Melatonin.
Der körpereigene Stoff wird täglich bei Anbruch der Dämmerung im Organismus ausgeschüttet – scheint hingegen die Sonne, nehmen dies spezialisierte Fotorezeptoren im Auge wahr und blockieren die Freisetzung der Melatoninreservoirs. Das ausgeschüttete Hormon bereitet den Körper physiologisch darauf vor, ins Bett zu gehen und einzuschlafen. Melatonin dient so als interner Zeitgeber – mit dem die innere Uhr auch von außen neu gestellt werden kann, wie bei der Behandlung von Jetlag-Geschädigten gezeigt werden konnte: Eine Dosis Melatonin zum rechten Zeitpunkt half ihrem Körper offenbar, sich auf den ungewohnten neuen Tag-Nachtrhythmus zu rejustieren.
Die Forscher testeten den Wirkstoff nun an 68 Freiwilligen mit saisonaler Depression – ein Teil von ihnen erhielt ein Placebo, zwei weitere Gruppen täglich – morgens beziehungsweise nachmittags – geringdosierte Melatonininjektionen. Tatsächlich erwies sich gerade der Zeitpunkt der Melatoningabe als entscheidend: Die Probanden, die eine nachmittägliche Dosis erhalten hatten, berichteten von deutlich verbesserter Stimmung – jene, die morgens behandelt worden waren, ging es dagegen viel seltener besser, während die Placebogruppe unbeeindruckt weiter nur auf das Frühjahr hoffen konnte.
Offenbar ist der Tagesrhythmus bei der Mehrzahl der Winterdepressiven also lichtbedingt zu weit nach hinten gerutscht, interpretiert Lewy das Resultat: Die Melatoningabe brachte dem Körper bei, zeitgerecht gegen Abend den Tag ausklingen zu lassen. Nach wenigen Zyklen reagierte die innere Uhr mit einer Neujustierung, welche die Patienten abends besser einschlafen ließ und morgens schneller in den Tag kommen ließ. Die Melatonin-Morgengabe hatte dagegen bei den meisten Patienten keine Wirkung – Winterdepression, so die Schlussfolgerung, rührt aus einer mangelhaften Justage der Tages-Rhythmik bei schwindenden Lichtmengen.
Ob Melatonin als Mittel gegen Winterdepressionen also eine Zukunft hat – wenn auch nur bei der Mehrzahl der Patienten – dürfte weiter getestet werden. Auch von Lewy und Co: Dass die Forscher schon vor der jüngsten Veröffentlichung einige Patente auf Melatonin-Anwendungen einreichten und dies auch öffentlich machte, sollte an ihren publizierten Ergebnissen nicht grundsätzlich zweifeln lassen. Die Chance, eine komplexe psychosoziale Störung quasi per Druck auf einen einzigen Knopf zu lindern, bietet sich schließlich nicht alle Tage – und klingt fast ein wenig zu schön, um die letzte Wahrheit zu sein.
So steht etwa längst außer Zweifel, dass der Lichtwechsel der Jahreszeiten entscheidenden Anteil an saisonalen depressiven Verstimmungen hat: SADs sind Zivilisationskrankheiten, die nichts mit zivilisatorischem Stress an sich, sondern der geografischen Lage der hoch entwickelten Nationen zu tun haben. Überall, wo die Tageslichtlängen in Sommer und Winter stark unterschiedlich sind, wird dies für Empfindliche zu einer alljährlichen psychischen Belastung. Schätzungen variieren stark – aber zwischen fünf und zwanzig Prozent der Bevölkerung, sehr oft Frauen, scheinen anfällig für die Saison-Schwermut zu sein. Vielen Betroffenen hilft mittlerweile eine konsequent durchgeführte Lichttherapie – oder schlicht ein häufigerer, aktiver Aufenthalt im hellen Freien auch im Winter.
"Lichtmangel" als Erklärung ist indes unzureichend, um wirklich zu erklären, was den Saisondepressiven fehlt. Schließlich findet die Winterschwermut ihr Gegenstück in der symptomatisch ähnlichen, wenn auch seltener diagnostizierten Sommerdepression bei entgegen gesetzten Lichtverhältnissen. Was könnte da das Gemeinsame aller saisonalen Depressionen sein?
Eine Störung des zirkadianen Rhythmus, so eine Antwort der Saison-Depressions-Forscher. Vielleicht, so ihre Hypothese, können Betroffene ihren Tagesryhthmus nicht gut an kurze und lange, helle und dunkle Tage anpassen? Sie reagieren mit den üblichen Symptomen: Müdigkeit – bei sogar verlängertem, aber unerquicklichem Schlaf –, sozialer Isolation, unerklärlichem Zucker-Heißhunger.
Unauffälligere, viel kurzzyklischere Anpassungsprobleme der inneren Uhr kennt jeder, der schon einmal weite Strecken mit dem Flugzeug zurückgelegt hat: den Jetlag. Und konsequenterweise glauben Alfred Lewy von der Oregon Health and Science University und seine Kollegen nun, saisonale Depressionen ebenso behandeln zu können wie die Auswirkungen reisebedingte Zeitverschiebungsprobleme. Ihr Allheilmittel heißt Melatonin.
Der körpereigene Stoff wird täglich bei Anbruch der Dämmerung im Organismus ausgeschüttet – scheint hingegen die Sonne, nehmen dies spezialisierte Fotorezeptoren im Auge wahr und blockieren die Freisetzung der Melatoninreservoirs. Das ausgeschüttete Hormon bereitet den Körper physiologisch darauf vor, ins Bett zu gehen und einzuschlafen. Melatonin dient so als interner Zeitgeber – mit dem die innere Uhr auch von außen neu gestellt werden kann, wie bei der Behandlung von Jetlag-Geschädigten gezeigt werden konnte: Eine Dosis Melatonin zum rechten Zeitpunkt half ihrem Körper offenbar, sich auf den ungewohnten neuen Tag-Nachtrhythmus zu rejustieren.
Die Forscher testeten den Wirkstoff nun an 68 Freiwilligen mit saisonaler Depression – ein Teil von ihnen erhielt ein Placebo, zwei weitere Gruppen täglich – morgens beziehungsweise nachmittags – geringdosierte Melatonininjektionen. Tatsächlich erwies sich gerade der Zeitpunkt der Melatoningabe als entscheidend: Die Probanden, die eine nachmittägliche Dosis erhalten hatten, berichteten von deutlich verbesserter Stimmung – jene, die morgens behandelt worden waren, ging es dagegen viel seltener besser, während die Placebogruppe unbeeindruckt weiter nur auf das Frühjahr hoffen konnte.
Offenbar ist der Tagesrhythmus bei der Mehrzahl der Winterdepressiven also lichtbedingt zu weit nach hinten gerutscht, interpretiert Lewy das Resultat: Die Melatoningabe brachte dem Körper bei, zeitgerecht gegen Abend den Tag ausklingen zu lassen. Nach wenigen Zyklen reagierte die innere Uhr mit einer Neujustierung, welche die Patienten abends besser einschlafen ließ und morgens schneller in den Tag kommen ließ. Die Melatonin-Morgengabe hatte dagegen bei den meisten Patienten keine Wirkung – Winterdepression, so die Schlussfolgerung, rührt aus einer mangelhaften Justage der Tages-Rhythmik bei schwindenden Lichtmengen.
Ob Melatonin als Mittel gegen Winterdepressionen also eine Zukunft hat – wenn auch nur bei der Mehrzahl der Patienten – dürfte weiter getestet werden. Auch von Lewy und Co: Dass die Forscher schon vor der jüngsten Veröffentlichung einige Patente auf Melatonin-Anwendungen einreichten und dies auch öffentlich machte, sollte an ihren publizierten Ergebnissen nicht grundsätzlich zweifeln lassen. Die Chance, eine komplexe psychosoziale Störung quasi per Druck auf einen einzigen Knopf zu lindern, bietet sich schließlich nicht alle Tage – und klingt fast ein wenig zu schön, um die letzte Wahrheit zu sein.
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