»Eine verdrießliche Nacht-Music«: Wie ein Barock-Arzt die Schlafapnoe entdeckte
»Das Schlafen mit offenem Munde ist meistens der Fresser und Säufer Art.« Was nach Beleidigung schnarchender Menschen klingt, ist in Wahrheit eine recht akkurate Beschreibung der Risikofaktoren für nächtliche Atemstörungen. Denn Übergewicht und Alkohol vor dem Zubettgehen gelten in der Tat als Risikofaktoren für nächtliche Atemstörungen. Entnommen ist die Passage dem 1688 erschienenen Werk »Hypnologia« des Jenaer Arztes Georg Grau, das Schlafmediziner aus Jena und Dresden wiederentdeckt haben. In einem kurzen Fachartikel im »European Respiratory Journal« stellen sie es ihren Kollegen vor.
In 30 Fragen beschreibt der Mediziner Grau darin unter anderem, unter welchen Umständen das Schnarchen, in seinen Worten »eine verdrießliche, beschwerliche und unannehmliche Nacht-Music«, gehäuft auftritt. Wie das Team um Sven Rupprecht vom Universitätsklinikum Jena erläutert, erkenne Grau neben Übergewicht und Alkoholgenuss auch das Schlafen in Rückenlage als Risikofaktor und identifiziere darüber hinaus die gesundheitlichen Folgen der Schlafapnoe »als der Alp oder Nachtdrücken, schwere Noth, Gicht, Krampff, Schlag und andere mehr«, schreiben die Forscher in einer Mitteilung. Auch Grau weiß, dass es mitunter nicht beim bloßen Schnarchen bleibt, sondern dass eine Verengung der Luftwege »dem Athem seinen Raum benehmen«. Dass eine solche Schlafapnoe, wie Mediziner heute sagen würden, zu Schläfrigkeit am Tage führt, scheint Grau hingegen nicht aufgefallen zu sein.
Graus medizinische Ansichten sind durchweg in der Säftelehre der Zeit verhaftet, der zufolge Krankheiten durch ein Ungleichgewicht der vier Körpersäfte Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle entsteht. Am besten schläft darum in seinen Augen derjenige, der in der Nacht dem Abtransport schädlicher Säfte und Gase durch Mund, Nase, Darm, aber auch den Augen am wenigsten Widerstand entgegensetzt – darum ist »das Rückliegen … allzeit abscheulich, und den todten Cörpern gleich«. Hier muss die Atemmuskulatur nämlich gegen die Schwerkraft arbeiten.
Uneins sind sich die medizinischen Kapazitäten seiner Zeit, ob das Schlafen mit offenem Mund Schaden bringe, eine Frage, in der sich auch Grau nicht festlegt – zumal ohnehin nur die wenigsten eine echte Wahl hätten. Neben den bereits genannten »Fressern und Säufern« schliefen nämlich jene mit offenem Mund, deren Nasenlöcher natürlicherweise zu eng seien oder die aus Faulheit »ihre Nasenlöcher von dem Koth, so darinnen stecket, nicht säubern mögen«. Während die einen nun argumentieren, dass durch den offenen Mund schädliche Dämpfe besser abgeführt würden, vertreten andere den Standpunkt, dass ein geschlossener Mund die schädliche Nachtluft am Eindringen hindert.
Grau – dessen Name sich auch als Grav, Graven, Grauen oder Graff findet – stammte aus dem fränkischen Coburg und immatrikulierte sich den Forschern zufolge 1650 an der Jenaer Universität, wo er 1660 zum Doktor der Medizin promoviert wurde. Anschließend habe er als Arzt in Römhild und Behrungen in Thüringen gearbeitet und weitere Bücher veröffentlicht, darunter auch ein Lehrbuch für Hebammen.
Seine »Hypnologia«, die im Original hier eingesehen werden kann, macht ihn in den Augen seiner modernen Berufsgenossen zu einem »Pionier in der Schlaf- und Atemwegsmedizin«. Vor der Wiederentdeckung seines Werks habe die Beschreibung der extremen Schläfrigkeit des dicken Joe in Charles Dickens' »Die Pickwickier« als die erste Schilderung der Schlafapnoe bei sehr beleibten Menschen in der Belletristik gegolten. Diese Form der Schlafapnoe wird deshalb auch Pickwick-Syndrom genannt. Mit seiner Schrift hat Grau die Erstbeschreibung dieser Störung um knappe 200 Jahre vorverlegt.
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