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Lithium-Ionen-Akkus: Wie man Akkus das Explodieren (fast) abgewöhnte

Lithium ist ein ideales Metall für Energiespeicher - unglücklicherweise ist es sehr reaktiv. Es dauerte fast 30 Jahre, bis man diesen explosiven Nachteil in den Griff bekam.
Ein explodierter Handyakku vor der Ladestation.

Einige Elemente des Periodensystems möchte man nicht in der Hosentasche haben. So das extrem reaktive Lithium, um das man aber heutzutage nicht mehr herumkommt – aus eben diesem Grund. Das leichteste Metall des Periodensystems gibt seine Energie ebenso bereitwillig an einen Stromkreis ab wie an andere Reaktionspartner, Letzteres oft sehr energisch. Dass dennoch Lithium-Ionen-Akkus heute in den meisten tragbaren elektronischen Geräten stecken, verdanken wir den drei Nobelpreisträgern, die ihnen das Explodieren abgewöhnt haben.

Das allerdings ist bis heute nicht komplett gelungen, wie erst vor kurzer Zeit wieder die Bewohner eines Mehrfamilienhauses in Mainz feststellten, als im Innenhof der Akku eines E-Bikes in Brand geriet. Solche Fälle sorgen jedes Mal für Schlagzeilen, aber nicht, weil sie so oft vorkommen – Unfälle sind extrem selten im Verhältnis zur Menge der Akkus, die man nicht mehr zählt, sondern in tausenden Tonnen bemisst.

Chemie-Nobelpreisträger 2019 | Den Nobelpreis für Chemie erhalten 2019 (von links nach rechts) John B. Goodenough, M. Stanley Whittingham und Akira Yoshino. Das Nobelkomitee würdigt damit ihre Verdienste um die Entwicklung des modernen Lithiumionenakkus.

Das Prinzip hinter dem Lithium-Ionen-Akku, die galvanische Zelle, ist seit Jahrhunderten bekannt. In ihrer Ursprungsform bestand sie aus zwei Metallen, die durch ein wassergetränktes Material getrennt waren – entscheidend dabei ist, dass eine Seite dieses Sandwiches eine höhere Neigung hat, Elektronen abzugeben, also unedler ist als die andere.

Wenn man dann beide Seiten durch einen weiteren Leiter verbindet, erhält man einen Stromkreis, in dem die fließenden Elektronen Arbeit verrichten können. Angetrieben werden sie durch chemische Reaktionen in den beiden Hälften der galvanischen Zelle: Das unedlere Element gibt Elektronen in den Stromkreis und positiv geladene Metallionen in die Flüssigkeit ab, während Elektronen in das edlere Metall einfließen und dort ebenfalls eine chemische Reaktion erzeugen.

Ein fast normaler Akku

Physikalisch betrachtet ist Lithium das ideale Element für eine Batterie – es hat unter allen Elementen die stärkste Neigung, sein äußerstes Elektron abzugeben, so dass potenziell hohe Spannungen möglich sind. Gleichzeitig ist es das leichteste Metall und gibt gemessen an seinem Gewicht recht viel Energie ab.

Zusätzlich ist eine Batterie wiederaufladbar, wenn alle Reaktionen auch rückwärts ablaufen, sobald der Strom in die Gegenrichtung fließt – das ist im Lithium-Ionen-Akku der Fall. All diese Eigenschaften machen lithiumbasierte Akkus sehr attraktiv. Der Schönheitsfehler dabei ist allerdings, dass Lithium in elementarer Form mit Luft oder Wasser reagiert, und das unter Umständen recht heftig. Lange baute man solche Batterien lieber aus freundlicheren Elementen.

Die Zähmung des Lithiums begann erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, und der erste Schritt war, es strikt von Luft und Wasser zu trennen. Zuvor allerdings war es kaum möglich, bei der Konstruktion von Batterien auf Wasser zu verzichten. Denn wenn das Metall negativ geladene Elektronen an den Stromkreis abgibt, bleiben positiv geladene Lithiumatome, Ionen genannt, zurück. Diese müssen dann zur entgegengesetzten Elektrode wandern, um dort die Ladungen der hereinströmenden Elektronen auszugleichen.

Ionen wandern am besten, wenn sie in einer Flüssigkeit gelöst sind, doch die war in Batterien bis dahin immer ausgerechnet Wasser. Es gab zwar andere Lösungsmittel wie Diethylether oder Kohlenwasserstoffe, aber in diesen sind geladene Teilchen kaum löslich. Die missliche Lage änderte sich um 1960 herum, als Fachleute die ersten organischen Flüssigkeiten entwickelten, in denen sich Metallionen lösen. Es waren Karbonate – nicht etwa Metallsalze wie Natriumkarbonat oder Kalk, sondern Verbindungen, in denen die anorganische Karbonatgruppe an ein Molekülteil aus Kohlenstoff und Wasserstoff gekoppelt ist. Stoffe wie Ethylenkarbonat transportieren auch heute noch die namensgebenden Lithiumionen.

Den Pionieren der Technik schien offensichtlich, dass eine der beiden Elektroden aus metallischem Lithium sein müsse – sie konzentrierten sich deswegen auf die andere Hälfte der Batterie, auf jenes Material, das die Elektronen wieder aufnehmen muss. Diese sollte idealerweise Lithiumionen leicht ein- und wieder auslagern können, ohne dabei zu Schaden zu kommen, ohne unerwünschte Stoffe aufzunehmen oder die aufgenommenen Gäste zu fest zu binden.

Der Aufstieg der Schichtmaterialien

Günstige Kandidaten dafür sind Materialien mit Schichtstrukturen: Feststoffe aus übereinandergestapelten Lagen, die untereinander nur geringe Bindungskräfte aufweisen und leicht gegeneinander zu verschieben sind. Zwischen den einzelnen Schichten können sich dann fremde Ionen als Gäste einquartieren und ihre Herberge auch wieder verlassen.

Der nun mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Stanley Whittingham stieß schließlich auf das hervorragend geeignete Titandisulfid: TiS2 sei leicht, elektrisch leitfähig und Lithiumionen könnten darin gut diffundieren, schrieb der Forscher 1976 in der Fachzeitschrift »Science«. Tatsächlich lagerte das Material bereitwillig Lithiumionen ein, und zwar, bis auf jede TiS2-Einheit ein Lithiumteilchen kommt, also die Formel Li1TiS2 erreicht wird.

Man kann sich die Struktur von Titandisulfid wie ein Gitter aus negativ geladenen Sulfidionen (S2-) vorstellen, die in jeder zweiten Schicht positiv geladene Titan4+-Ionen beherbergen. Es ist also zwischen den titanhaltigen Lagen reichlich Platz, um andere Stoffe aufzunehmen. Und nicht nur das: Während die Ionen innerhalb der einzelnen Schichten relativ fest miteinander verbunden sind, herrschen zwischen den Lagen nur schwache Kräfte. Aus diesem Grund wandern Lithiumionen leicht in das Material hinein und wieder hinaus.

Der erste Lithium-Ionen-Akku | Stanley Whittingham entwickelte Kathoden aus Titandisulfid, in die beim Entladen Lithiumionen eingelagert werden (rechte Seite). Beim Laden wandern diese wieder aus dem Material zurück zur Anode (links), wo sie zu metallischen Lithium werden. Damit schuf er den ersten funktionierenden Lithium-Ionen-Akku – das sehr reaktive Metall allerdings verhinderte, dass der Hersteller das Konzept weiterverfolgte.

Whittingham zeigte, dass die Lithiumionen nach und nach die freien Plätze im Gitter besetzen, bis in der Verbindung zu gleichen Teilen Lithium- und Titanionen vorliegen. Um die positive Ladung der eingelagerten Li+-Teilchen wieder auszugleichen, nehmen die Titanionen die gleiche Menge an Elektronen aus dem Stromkreis auf. Jedes von ihnen ist nun nur noch dreifach statt vierfach positiv geladen. Das Beste: Kehrt man die Stromrichtung um, läuft auch die chemische Reaktion rückwärts – die Batterie ist wiederaufladbar.

Mit diesem viel versprechenden Stoff konstruierte Whittingham, der damals für den Energiekonzern Exxon forschte, im Jahr 1976 den ersten Lithium-Ionen-Akkumulator mit TiS2-Elektrode. Alle Zeichen deuteten auf einen Erfolg hin: Die Zelle erreichte eine Spannung von 2,5 Volt, und mit optimierten Elektrolyten und einer verbesserten Kathode konnte der Akku 1100-mal ohne große Verluste wiederaufgeladen werden.

Eine Explosion zu viel?

Das metallische Lithium blieb derweil ein hartnäckiges Problem – auch weil ein bisher unerwarteter Effekt den Entwicklern einen Strich durch die Rechnung machte. Sie stellten schnell fest, dass bei jedem neuen Ladezyklus in der Batterie kleine Bäumchen aus Lithium von der einen Elektrode zur anderen wuchsen. Sobald diese als Dendriten bezeichneten Strukturen beide Elektroden verbanden, gab es einen Kurzschluss, durch den immer wieder Batterien in Flammen aufgingen. Schließlich kapitulierte das Unternehmen vor dem renitenten Element.

Andere dagegen glaubten weiter an das Konzept – und trieben die Suche nach noch besseren Kathodenmaterialien voran. Whittighams Mit-Laureat John B. Goodenough, damals an der University of Oxford, sah in Whittinghams Arbeiten enormes Potenzial. Statt Sulfiden wählte er aber Oxide, also Verbindungen, in denen sich an Stelle der relativ großen Schwefelatome kleinere Sauerstoffatome befanden. Diese Veränderung sollte, so seine Hypothese, die Einlagerung der Lithiumionen noch verbessern: Sauerstoffatome sind kleiner als die dickeren Schwefelatome und außerdem ziehen sie ihre Elektronen stärker an sich; aus diesen beiden Gründen sollten sie noch bereitwilliger positiv geladene Teilchen in ihrem Gitter beherbergen.

Das Problem mit metallischem Lithium | Wenn sich die Lithiumionen beim Laden in Metall zurückverwandeln, tun sie das besonders gerne an Stellen mit gekrümmter Metalloberfläche. Das führt dazu, dass sich Metall bevorzugt an den Spitzen der als Dendriten bezeichneten Gewächse anlagert. Erreichen die Gebilde die gegenüberliegende Elektrode, schließen sie die ganze Batterie kurz.

Der entscheidende Vorteil: Beim Einlagern von Lithiumionen würde so mehr Energie frei, wodurch die mit der Batterie mögliche Spannung stiege. Tatsächlich fand er 1979 mit Kobaltdioxid das passende Material. Es ist gleich aufgebaut wie Titandisulfid, liefert aber mehr Energie. Kombiniert mit einer Lithiumelektrode erreicht es eine Spannung von bis zu 5 Volt. In heutigen Lithiumionenakkus befinden sich hauptsächlich Weiterentwicklungen der ursprünglichen CoO2-Kathode mit Mischungen aus Nickel, Mangan und Kobalt.

Mit den neuen Stoffen war jene Grundannahme plötzlich hinfällig, die das gesamte Konzept nicht nur unbequem, sondern auch explosiv machte: dass der Akku unbedingt metallisches Lithium enthalten müsse. Denn mit so leistungsfähigen Elektroden war man nun nicht mehr auf das unberechenbare Metall angewiesen, um hohe Spannungen zu erzeugen. Bereits Goodenough demonstrierte dies, indem er die Lithiumelektrode durch Vanadiumdioxid ersetzte, das geringe Mengen an eingelagertem Lithium enthielt.

Davon beflügelt wandte sich das Feld einem anderen Prinzip zu, den Ionentransferzellen. In diesen findet man kein metallisches Lithium mehr, sondern an beiden Elektroden Materialien, die Lithiumionen binden und deren Ladungen mit zusätzlichen Elektronen in ihrer eigenen Struktur ausgleichen. Die Lithiumatome reagieren nicht mehr vom Metall zum Ion und zurück, sondern wandern nur noch zwischen den Elektroden hin und her. Daher der Name.

Ein Akku ohne metallisches Lithium

Für ein solches Konzept an die guten Erfahrungen mit Schichtmaterialien anzuknüpfen, bot sich an. Das bekannteste elektrisch leitende Schichtmaterial ist Graphit, von dem Fachleute gleichzeitig wussten, dass es mit Vorliebe Ionen einlagert. Doch diese nahe liegende Lösung erwies sich als zu schön, um wahr zu sein. Die Metallionen lagerten sich nicht annähernd so bereitwillig zwischen die Lagen, wie es bei den Schichtmaterialien der anderen Elektrode der Fall war – und kaum weniger willig kamen sie wieder heraus.

Schlimmer noch: Die bislang so verlässlichen Karbonate, die bisher das Lithium ohne Probleme von einer Elektrode zur anderen geleitet hatten, begannen ihrerseits, zwischen die Schichten zu dringen und sie auseinanderzustemmen. Die Graphitelektroden wurden – immerhin ohne dass irgendwas explodierte – schon nach wenigen Ladezyklen unbrauchbar.

In den 1980er Jahren versuchte deswegen der dritte Nobelpreisträger von 2019, Akira Yoshino, bei der Asahi Kasei Corporation, die damals recht neuen leitfähigen Polymere dazu zu bringen, Lithiumionen einzulagern. Der Chemiker kam jedoch bald zu dem Schluss, dass Schichten aus reinem Kohlenstoff die besten Chancen boten – trotz des Scheiterns von Graphit.

Graphitartige Schichtstrukturen kommen in vielen Formen vor. Yoshino versuchte es zuerst mit Kohlefasern, die er im Vakuum wachsen ließ, um sie mit möglichst geordneten Strukturen auszustatten. Wäre er mit diesem aufwändigen Prozess erfolgreich gewesen, wären die Batterien heute womöglich ein gutes Stück teurer. Aber dazu kam es nicht, denn die Arbeitsgruppe landete einen Volltreffer am anderen Ende der Preisskala – bei Petrolkoks.

Ein nützliches Abfallprodukt

Petrolkoks entsteht bei der Verarbeitung von Erdöl und ist im Wesentlichen Abfall. Aber eine spezielle Variante des Materials vereint nach einer Hitzebehandlung alle gewünschten Eigenschaften: Sie enthält graphitartige Bereiche, die große Mengen Lithiumionen binden, aber gleichzeitig auch ungeordnete Zonen, die anscheinend das Graphit stabilisieren und verhindern, dass es auseinanderfällt. Dabei gibt es immer noch viel bereitwilliger Elektronen ab als die andere Elektrode aus Kobaltoxid – und kann dadurch viel Energie liefern.

Mit diesen beiden Materialien konstruierte Yoshino den ersten Lithium-Ionen-Akku, der kein metallisches Lithium mehr enthielt; theoretisch sollte man damit vor Feuer und Explosionen gefeit sein. Allerdings ging der Chemiker wohlweislich auf Nummer sicher. Er überprüfte die theoretische Vorhersage mit einem eigens gebauten Testgerät, mit dem er schwere Gewichte auf die neu konstruierte Batterie fallen ließ. Per Fernsteuerung natürlich.

Sein Akku bestand den Test ohne Explosionen, ältere, metallhaltige Konstruktionen schnitten weniger gut ab. 1991 kam der erste Lithium-Ionen-Akku nach Yoshinos Modell auf den Markt. Er ebnete den Weg für leichtgewichtige elektronische Geräte wie Laptops, aber auch die viel beschworene Elektromobilität.

Bei all dem können die Akkus ihr explosives Erbe nicht völlig verleugnen. Die Batterien enthalten zwar nicht mehr das hochreaktive Metall, Explosionen kommen wegen der energiereichen Elektrodenmaterialien dennoch bis heute immer wieder vor. So zum Beispiel bei einem inzwischen berüchtigten Smartphone-Modell eines großen Herstellers, das hastig zurückgerufen werden musste. Auch Laptop-Batterien können Probleme verursachen, und 2013 fing sogar eine Batterie in einer Boeing 787 Feuer. Ganz gezähmt ist das widerspenstige Lithium also immer noch nicht.

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