Gaslecks vor Bornholm: Wie man Nord Stream reparieren könnte
Die Umstände bei Nord Stream mögen ungewöhnlich sein, aber dass untermeerische Pipelines beschädigt werden, ist beinahe Alltag. Korrosion durch Salzwasser kann Lecks verursachen, und immer wieder kommt es zu Unfällen durch die kommerzielle Schifffahrt. Auch die Rohre von Nord Stream liegen unter einigen der am stärksten befahrenen Schiffsrouten der Welt. Deswegen gibt es für Pipelines ausgeklügelte Schutzmaßnahmen, Reparaturtechniken und schon beim Bau der Leitungen formuliert man Pläne für den Umgang mit Lecks und Unfällen.
Besonders die massiven Anker großer Containerschiffe oder Tanker können die Rohre beschädigen – so geschehen 2008 bei der Kvitebjørn-Pipeline in der Nordsee vor der norwegischen Küste. Auch von Schiffen herabfallende Objekte wie Container und sogar sinkende Schiffe selbst können die Pipeline treffen. Ebenso stellen Erosion und Hangrutschungen unter Wasser eine mögliche Gefahr dar. Deswegen schützt man die Rohre je nach Umständen und Risiko mit unterschiedlichen Verfahren. So kann man sie mit großen Steinen umgeben, die Anker abwehren, mit Betonmatten abdecken oder ganz im Meeresboden vergraben.
Bei den mehr als 1000 Kilometer langen Leitungen von Nord Stream wären solche Maßnahmen allerdings sehr teuer gewesen. Die Pipelines liegen auf dem Meeresboden oder, wo dieser nicht stabil oder eben genug ist, auf einem Bett aus Kies. Lediglich nahe dem Ufer sind sie unter dem Meeresboden verlegt. Geschützt sind die Rohrleitungen durch ihre 2,7 bis 4,1 Zentimeter dicken Stahlwände sowie einen bis zu elf Zentimeter dicken Betonmantel, der auch als zusätzliche Beschwerung dient. Ohne den Beton wäre die Pipeline schlicht zu leicht und würde aufschwimmen.
Explosionsgefahr auf der Pipelinestrecke
Tatsächlich ist die Möglichkeit einer Explosion nahe den Rohrleitungen bei den Planungen berücksichtigt worden. In der Ostsee liegen bis heute unzählige Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg – speziell in der Gegend um Bornholm. Entlang der Pipeline räumten deshalb Fachleute einen Streifen von 50 Meter Breite; ausschließen könne man jedoch nicht, dass Strömungen Munition in die Nähe der Trasse verfrachten, heißt es in der Risikoeinschätzung von Nord Stream. Nach den Angaben des Betreibers würden die Rohre eine Explosion von zwei Tonnen Sprengstoff in einer Entfernung von zwölf Meter zur Pipeline überstehen, ohne leckzuschlagen.
Wie groß die aktuellen Schäden an der Pipeline sind, ist schwer einzuschätzen. Zwar kann man mit Hilfe von Computeranalysen, zum Beispiel mit der Finite-Elemente-Methode, den Zustand der Pipeline präzise berechnen. Dazu muss man allerdings recht genau wissen, welchen Kräften das Material ausgesetzt war. Bisher deuten die Indizien, zum Beispiel die Größe des Gasaustritts, darauf hin, dass die massiven Rohre sehr stark beschädigt oder gar komplett durchtrennt sind.
Das Ausmaß der Zerstörungen entscheidet darüber, wie die Pipeline repariert werden muss. Die meisten heute konstruierten Pipelines haben eine eigens ausgearbeitete »repair strategy«, die das Vorgehen bei Schäden an der Pipeline beschreibt. Bei Nord Stream umfasst diese Strategie nach Angaben der Betreiber fünf verschiedene Szenarien unterschiedlicher Schwere – einschließlich einem kompletten Bruch der Pipeline.
Wie man die Pipeline repariert
Sollten tatsächlich große Sprengladungen die Pipeline beschädigt haben, wie Sicherheitsbehörden laut Medienberichten vermuten, muss wahrscheinlich jeweils ein längeres Segment der Leitungen erneuert werden. Es gibt verschiedene Techniken, einen solchen Schaden zu reparieren. Diese als »tie-in« bezeichnete Reparatur kann man auf verschiedene Arten durchführen. In manchen Fällen fügt man den neuen, unbeschädigten Rohrabschnitt über der Wasseroberfläche ein. So zum Beispiel, als ein Anker im Jahr 2008 eine Leitung des Transmediterranean Pipeline System vollständig durchtrennte und eine zweite schwer beschädigte.
Die Rohrleitung lag in etwa 70 Meter Tiefe, ähnlich wie die Sektion von Nord Stream nahe Bornholm. Wegen der vergleichsweise geringen Wassertiefe hob man die beschädigten Enden der Rohrleitung mit Spezialschiffen über die Wasseroberfläche. Anschließend passte man ein neues Segment ein und verschweißte die Verbindungen an beiden Enden.
Auf diese Weise fügte 2019 das Team eines Spezialschiffs die Einzelsegmente von Nord Stream 2 zusammen. Man kann die Enden von Pipelinestücken jedoch auch direkt unter Wasser verbinden – eine Technik, die bei Nord Stream 1 zum Einsatz kam. Dabei führt man die Enden der Rohrleitung in eine spezielle Überdruckkammer und verschweißt sie, ein Verfahren, das man als »hyperbaric tie-in« bezeichnet. Diese Technik ist bereits bei Nord Stream erprobt – zum Beispiel 2011, um die einzelnen, jeweils von einem anderen Spezialschiff verlegten Abschnitte der ersten Pipeline miteinander zu verbinden.
Die Reparatur dauert Monate
Etwas weniger aufwändig sind andere Arten, die getrennten Enden dicht aneinanderzukoppeln, ohne sie zu verschweißen. Man kann die Rohrenden mit Hilfe von Spezialflanschen verbinden, ganz wie bei gewöhnlichen Rohren. Solche Bauteile sind kommerziell erhältlich und können entweder von Tauchern oder auch mit Hilfe unbemannter Unterwasserfahrzeuge installiert werden.
Bei der Reparatur der Kvitebjørn-Pipeline in 210 Meter Wassertiefe schnitt die staatliche norwegische Ölfirma Statoil ein etwa 25 Meter langes Teilstück um die beschädigte Stelle heraus und befestigte das neue Segment mit Hilfe von speziellen Hülsenverbindungen. Diese werden über die Rohrenden geschoben und schließen dann mit einer Hydraulik die Verbindung dicht ab.
Wenn die Pipeline selbst repariert ist, muss man das eingedrungene Wasser aus der Leitung pumpen, das Innere mit einem Luftstrom trocknen und gegebenenfalls den Korrosionsschutz erneuern. Dieser besteht bei Nord Stream aus einer Kunststoffbeschichtung sowie so genannten Opferanoden aus Zink und Aluminium, die elektrochemische Korrosion verhindern.
Welche Technik tatsächlich bei der Reparatur von Nord Stream zum Einsatz kommen wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Nicht zuletzt entscheidet das Ausmaß der Schäden darüber, eine wichtige Rolle spielt aber auch, welche Art von Gerät zur Verfügung steht. Ein zentraler Faktor bei der Reparatur des Transmediterranean Pipeline System über der Wasseroberfläche war zum Beispiel, dass ein geeignetes Spezialschiff in der Region war.
Wie schnell Spezialschiffe, Gerät und Fachleute zur Verfügung stehen, bestimmt mit darüber, wie lange es dauert, die Pipelines zu reparieren. Immerhin hat Nord Stream nach eigenen Angaben Zugriff auf einen Pool von Reparaturausrüstung, den mehrere Pipelineunternehmen gemeinsam betreiben. Auch das Ausmaß der Schäden, die Wassertiefe und die Bedingungen am Ort des Schadens bestimmen darüber, wie lange es dauert, bis die Pipelines wieder betriebsbereit sein könnten. Bei der Kvitebjørn-Pipeline dauerte die Reparatur fünf Monate, die Mittelmeerpipeline war neun Monate nach dem Unglück wieder einsatzbereit. Bei Nord Stream dürfte es wegen der ungewöhnlichen Umstände eher noch länger dauern.
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