Supernova-Experte: »Wir bewegen uns am absoluten Limit«
Spektrum.de: Herr Professor Janka, im September 2016 hat der argentinische Schlosser Victor Buso auf seinem Dach per Zufall einen explodierenden Stern beobachtet, eine Supernova. Wären Sie gerne dabei gewesen?
Janka: Das war sicherlich ein tolles Erlebnis, aber es trifft nicht unbedingt meine Interessen. Ich will verstehen, was einen Stern zum Explodieren bringt, also was für physikalische Abläufe einer Supernova vorausgehen. Man darf auch nicht vergessen: Das, was der Hobbyastronom da gesehen hat, ist statistisch gesehen extrem unwahrscheinlich, ein Lottogewinn. Und Lotto spiele ich nicht.
Was hat Herr Buso denn genau beobachtet?
Er hat mit seiner Astrokamera gerade den Moment eingefangen, als die Stoßwelle eines kollabierenden Sterns dessen oberste Schicht durchdrungen hat. Für mich und viele Kollegen ist diese Lichterscheinung aber nur von zweitrangiger Bedeutung. Sie verrät einem noch lange nicht, was im Inneren des Sterns passiert ist.
Was weiß man bisher über diese Abläufe?
Man muss grob zwei Fälle oder Überkategorien unterscheiden. Da sind zunächst Explosionen vom Typ Ia: Bei ihnen entzündet sich ein kompakter Stern, ein so genannter Weißer Zwerg, der aus stark zusammengepresstem Kohlen- und Sauerstoff besteht. Einmal entfacht, erfasst der Brand letztlich den gesamten Stern und zerreißt ihn. Dabei wird schlagartig sehr viel Energie frei, ganz ähnlich wie bei der Explosion einer Wasserstoffbombe.
Und bei dem anderen Fall?
Bei diesem Typ II geht großen Sternen der Brennstoff aus. Sie haben also in einem Kernbereich alle Wasserstoffatomkerne zu Helium verschmolzen, dann sämtliches Helium zu Kohlenstoff und Sauerstoff, dann zu Silizium und schließlich zu Eisen. Wenn es so weit ist, fallen Sterne in sich zusammen, wir sprechen daher von Kernkollaps-Supernovae.
Wie entsteht aus solch einem Kollaps denn eine Explosion?
Im Inneren des Sterns bildet sich am Ende dieses Brennzyklus ein fester Kern. In ihm sind Elektronen so dicht zusammengepackt, wie es die Quantenphysik zulässt. Dadurch entsteht ein »Entartungsdruck«, welcher der nach innen gerichteten Schwerkraft entgegenwirkt, den Kollaps also zunächst aufhält.
Aber nicht für immer?
Bei großen Sternen mit einem Kern aus Eisen nicht, nein. Fällt immer mehr Materie auf den Kern, fangen Atomkerne zunehmend Elektronen ein und wandeln sich in andere Elemente um. Dadurch bricht mit einem Mal der Entartungsdruck weg, was den Kern instabil macht. Letztlich kollabiert er zu einem noch kompakteren Objekt, einem Neutronenstern. Für kurze Zeit regnet die Materie des alten Sterns auf diesen drauf. An der Oberfläche prallt sie ab und wird nach außen reflektiert, wodurch sich eine Stoßwelle bildet.
Und diese rast dann ins Weltall und breitet sich blasenförmig aus?
Ja, aber erst muss die Stoßwelle es nach außen schaffen, und das ist gar nicht so einfach. Denn eigentlich ist ein kollabierender Stern viel zu dicht dafür. Die Stoßwelle muss dadurch sehr viel Materie überwinden. Sie verliert dabei ihre Energie und kann sich so zunächst nicht über weite Strecken ausbreiten.
Aber irgendwie gelangt die Explosion trotzdem ins Freie, sonst würden wir sie ja nicht sehen.
Ja, aber wie das vor sich geht, war lange ein Rätsel. Heute wissen wir, dass dabei Neutrinos eine Schlüsselrolle spielen. Das sind extrem flüchtige Elementarteilchen, die unter normalen Umständen fast gar nicht mit Materie interagieren. Sie können als einzige durch die dichte und heiße Materie in einem kollabierenden Stern schlüpfen und eine nennenswerte Strecke zurücklegen, ehe sie wieder absorbiert werden. So fließt Energie nach außen und beschleunigt die Stoßwelle wieder, wodurch diese letztlich ins Freie gelangt. Sie strahlt dann das Licht ab, das wir auf der Erde auffangen können.
Typ I und Typ II sind nur grobe Überkategorien, haben Sie vorhin gesagt. Im Detail ist das mit den Supernovae also noch komplizierter?
Astronomen haben in den letzten Jahrzehnten mit groß angelegten Suchkampagnen zehntausende Supernovae beobachtet, aktuell kommen pro Jahr mehrere Tausend hinzu. Die Fülle an Daten hat gezeigt: Es gibt einen ganzen Zoo von Supernova-Typen, die im Detail alle unterschiedlich ablaufen. Supernovae vom Typ Ib und c erwachsen zum Beispiel aus kollabierenden Sternen, die ihre Oberflächenschichten verloren haben. Beim Typ II gibt es unter anderem die Unterkategorien L und P, deren Helligkeitskurve mit der Zeit linear abnimmt beziehungsweise eher einem Plateau ähnelt. Und es gibt noch exotischere Abläufe.
Wieso fallen Supernovae denn so unterschiedlich aus?
Sterne sind ganz verschieden, sowohl was ihre Masse als auch ihre Vergangenheit angeht. Sie haben auch stets andere Umgebungen, werden also beispielsweise oft von einem Begleiter umkreist oder sind von Staub oder Gas umgeben. All das hat einen großen Einfluss auf den Verlauf einer Supernova.
Welcher Typ explodiert denn am heftigsten?
Das sind wohl die »Hypernovae«, die besonders hohe Energien erreichen und sehr viel Nickel ins All feuern. Dann gibt es noch »superluminous«, also superleuchtstarke Supernovae, sie explodieren weniger kräftig, sind aber heller als Hypernovae. Diese Klassen sind allerdings extrem selten. Eine Hypernova, die man erstmals im April 1998 beobachtet hat, ist zum Beispiel nur ein Ereignis unter 1000. Superleuchtstarke Supernovae sind noch deutlich seltener, zu dieser Klasse zählt gerade mal eine von 10 000 Sternexplosionen. Bisher hat man nur einige Dutzend davon beobachtet.
Unter welchen Umständen kommt es denn zu solch einer Supersupernova?
Das hat man noch nicht genau verstanden. Bisher passen die Beobachtungen noch nicht so recht zu den Modellen. Ein Problem ist, dass man den Vorläuferstern nicht erkennen kann, dazu finden diese Ereignisse in zu großer Entfernung von der Erde statt. Nur so viel ist wohl klar: Es scheinen sehr schwere Sterne zu sein.
Und mehr weiß man nicht?
Es gibt natürlich Theorien. Einer dieser Erklärungsversuche sind so genannte »Paarinstabilitäts-Supernovae«. Sie könnten auf superschwere Sterne mit mehr als 100 Sonnenmassen zurückgehen. Diese müssten am Ende ihres Brennzyklus so heiß und dicht sein, dass sich Lichtteilchen immer wieder in Elektronen-Positronen-Paare umwandeln. Dadurch bricht plötzlich der Strahlungsdruck weg, wodurch der Stern abrupt in sich zusammensacken kann. Das erhöht die Dichte im Kern dann so weit, dass Sauerstoff- sowie Siliziumatomkerne explosionsartig zu Nickel verschmelzen.
Aber diese Erklärung überzeugt Sie noch nicht?
Das Problem ist: Bei diesem Szenario würde man viel radioaktives Nickel erwarten. Das passt aber nicht zu allen Beobachtungen; das Modell ist also allenfalls für einen Teil der beobachteten Ereignisse richtig. Sie sind leider so selten, dass man bisher einfach noch nicht genügend Daten hat. Das macht es für Theoretiker schwierig.
Wie sieht es bei eher konventionellen Supernovae aus? Verstehen Sie und Ihre Kollegen in diesen Fällen, was genau im Inneren vor sich geht?
Mit unseren Computersimulationen hinken wir den Beobachtungen hinterher, denn die Programme sind extrem aufwändig. Erst seit rund fünf Jahren gibt es Supercomputer mit vielen zehntausend parallel arbeitenden Prozessoren, die solche enorm aufwändigen Rechnungen überhaupt ausführen können.
Was ist so schwierig daran, eine Supernova zu simulieren?
Ich kann es Ihnen für mein Fachgebiet der Kernkollaps-Supernovae erklären. Hier hat man es mit einem Gemisch verschiedener physikalischer Phänomene zu tun. Man startet mit einem normalen Stern, aber der kollabiert dann zu einem Neutronenstern oder Schwarzen Loch. Der Innenbereich des Sterns stürzt also in einen sehr tiefen Gravitationstopf. Und dann kehrt sich das Ganze um – so entsteht die Stoßwelle der Supernova.
Und das zwingt Computer in die Knie?
Nun, man braucht einerseits die Kernphysik im Neutronenstern, andererseits eine exzellente Beschreibung davon, wie Neutrinos Energie in dieser Umgebung transportieren. Beides ist sehr kompliziert, viel komplizierter als die bloße Beschreibung des heißen Gases in einem Stern, zumal auch allgemeine und spezielle Relativitätstheorie ins Spiel kommen – schließlich geht es um gewaltige Massen, die sich mit riesiger Geschwindigkeit verschieben.
Gibt es noch weitere Probleme?
Man muss generell eine große Spannbreite von Größenordnungen und Zeitskalen überbrücken. Von der Oberfläche des Neutronensterns, wo relevante Ereignisse binnen Mikrosekunden ablaufen, bis zur Sternoberfläche, wo sich das Ganze eher über Minuten und Stunden hinweg entfaltet. Man macht das schritt- und abschnittsweise und muss dafür ein System von partiellen Differenzialgleichungen numerisch lösen. Das stellt extreme Anforderungen an die Rechenleistung, insbesondere bei den Neutrinos.
Wie lange braucht denn eines Ihrer Programme, um eine Simulation zu berechnen?
Wenn man vom Beginn des Kollapses bis zum Einsetzen der Explosion simulieren will – das ist gerade mal die erste Sekunde der Supernova –, müssen wir unser Programm ein halbes bis dreiviertel Jahr rechnen lassen, und zwar auf einem Supercomputer mit 16 000 Prozessorkernen.
Aufwändiger geht es kaum, würde man meinen ...
Na ja, wenn man alle relevanten Prozesse bis ins letzte Detail simulieren wollte, würde man etwa zehnmal so lang brauchen. Das kann vielleicht die nächste Supercomputer-Generation. Wir machen daher Vereinfachungen, die das Ergebnis nicht zu stark verfälschen, aber die Prozesse berechenbar machen. Das ist immer eine Abwägung. Und wir gehen dabei ans absolute Limit.
Wir haben nun von Kernkollaps-Supernovae geredet. Ist es bei explodierenden Weißen Zwergen vom Typ Ia einfacher?
Hier ist der Vorteil, dass Neutrinos keine Rolle spielen. Die sind zwar vorhanden, aber die muss man in den Simulationen eigentlich gar nicht benutzen. Dafür haben Sie in diesen Sternen eine thermonukleare Brennfront, die sehr kompliziert sein kann. Kohlenstoff und Sauerstoff fangen irgendwo an zu brennen. Aber die Übergangsfront zwischen verbranntem und intaktem Material breitet sich nicht schön sphärisch im Stern aus, sondern wird von allen möglichen Turbulenzen zerfleddert. Das hat man zum Glück in den letzten zehn Jahren in den Griff bekommen.
Aber andere Probleme bleiben bestehen?
Ja, unter anderem kennt man die Anfangsbedingungen nicht so recht. Was ist denn das Vorläuferobjekt bei solch einer Typ-Ia-Supernova? Ist es ein einzelner Weißer Zwerg, der von einem Begleitstern Masse absaugt und dann die so genannte Chandrasekhar-Massegrenze überschreitet, bis zu der sich ein Weißer Zwerg dank dem Entartungsdruck zwischen den Elektronen dem Kollaps entgegensetzen kann? Oder handelt es sich um einzelne Weiße Zwerge, die schon explodieren, obwohl sie noch weit von dieser Grenze entfernt sind? Denkbar ist auch, dass es sich um Doppelsternsysteme aus zwei Zwergsternen handelt. Aber wie schwer sind diese dann, und woraus bestehen sie genau? All diese Fragen sind für Leute, die so etwas simulieren, eine große Herausforderung.
Im August 2017 hat man erstmals die Gravitationswellen von zwei verschmelzenden Neutronensternen nachgewiesen und konnte den resultierenden Gammablitz mit Teleskopen beobachten. Hat man bei solchen Ereignissen die Prozesse in den ersten Sekunden verstanden?
Man hat ähnliche Dichten, jedoch noch einen viel größeren Einfluss der allgemeinen Relativitätstheorie, und man hat natürlich auch hier Neutrinoproduktion in heißer Materie. Insofern kämpfen die Modellierer in vielerlei Hinsicht mit den gleichen Problemen. Allerdings mit einem großen Vorteil: Bei verschmelzenden Neutronensternen gibt es diesen ganzen »Dreck« aus Staub und Gas nicht, der einen normalen kollabierenden Stern umgibt.
Bei diesen Ereignissen ist man mit dem Verständnis der physikalischen Prozesse also weiter als bei Supernovae?
Bei den Neutronensternen im letzten August hatte man das große Glück, dass man genau die vorhergesagten Signale bekommen hat, auch wenn Astrophysiker noch über die Details streiten. Aber es lief schon so ab wie erwartet: Gravitationswellen, Gammablitz, Kilonova. Das hat man vor 10 oder 20 Jahren schon so vorhergesagt. Letztlich haben hier schon die simplen Modelle mehr oder weniger ins Schwarze getroffen.
Was erwarten Sie in Ihrem Gebiet allgemein für Fortschritte in den nächsten Jahren?
Wir alle warten gespannt auf eine galaktische Supernova. Die ist längst überfällig. In einer Galaxie wie der Milchstraße müsste es pro Jahrhundert ein bis zwei solcher Ereignisse geben. Aber wir haben hier seit 1680 keine Kernkollaps-Supernova mehr beobachtet und seit Ende des 19. Jahrhunderts keine Typ-Ia-Supernova. Dabei wäre solch ein Ereignis insbesondere für Neutrinophysiker sehr wichtig. Für diese ist nach wie vor die Supernova 1987A die Referenz; die explodierte in der Großen Magellanschen Wolke, einer 150 000 Lichtjahre entfernten Satellitengalaxie der Milchstraße. Damals hat man lediglich 24 Neutrinos aufgefangen. Bei einer galaktischen Supernova wären es mit den heutigen Neutrino-Observatorien hunderttausende. Das würde ganz neue Einblicke ermöglichen.
Wie weit entfernt müsste solch eine Supernova denn sein, dass sie für uns auf der Erde unbedenklich ist?
Bei 300 Lichtjahren oder weniger Abstand wird es problematisch, unter 100 Lichtjahren kritisch. Ab da schädigt die Strahlung der Supernova unsere Ozonschicht, was das Leben auf der Erde extrem gefährden würde.
Wie wahrscheinlich ist so etwas?
Wir müssten schon enorm viel Pech haben, um in solch einem Abstand eine Supernova zu erleben – die Milchstraße hat ja einen Durchmesser von rund 100 000 Lichtjahren und umfasst gut 100 Milliarden Sterne. Etwas mehr Sorgen können einem Gammastrahlenausbrüche machen, wie sie beim Zusammenstoß zweier Neutronensterne oder beim Kollaps extrem schwerer Sterne auftreten.
Wieso das?
Hier entweicht viel mehr Gammastrahlung entlang zwei enger Kegel, die Strahlung ist also auch viel stärker gebündelt als bei einer Supernova, wo sie in alle Richtungen entweicht. Dadurch sind Gammastrahlenausbrüche auch in mehreren tausend Lichtjahren Entfernung noch eine Bedrohung. Wenn Sie nun vergleichen, wie viele Sterne es innerhalb von 100 und innerhalb von etlichen 1000 Lichtjahren gibt, ist das ein gewaltiger Unterschied. Das ist sofort ein viel zehntausendfach größeres Volumen. Selbst wenn Gammablitze nur 0,1 Prozent aller Supernovae ausmachen und die Gammastrahlenbündel auf uns zeigen müssen, sind sie damit statistisch gesehen die größere Bedrohung.
Ließen sich so vielleicht vergangene Massenaussterben auf der Erde erklären, etwa das im Ordovizium vor 440 Millionen Jahren?
Das ist eine nette und auch ernst zu nehmende Idee, aber wie wollen Sie die verifizieren? Man kann natürlich Wahrscheinlichkeitsrechnungen darüber anstellen, wie häufig solche Ereignisse in Erdnähe auftreten und ob sie uns treffen können. Dann kommt man eben genau auf solche Schätzungen: Alle paar hundert Millionen Jahre passiert so etwas mal im näheren Umfeld der Erde. Es könnte aber auch ganz andere Ereignisse geben, die periodisch auftreten und Massensterben bewirken können – man weiß es einfach nicht. Wir können nur hoffen, dass sich solch ein Strahlungsausbruch zu unseren Lebzeiten nicht in unserer Nähe ereignet.
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