Quantencomputer: Wofür sind die neuen Rechner eigentlich gut?
Die meisten Menschen haben noch nie überhaupt einen Quantencomputer gesehen. Winfried Hensinger dagegen hat fünf davon. »Aber sie sind alle grauenhaft«, sagt er. »Sie können nichts Nützliches tun.«
Tatsächlich könnte man alle bislang existierenden Quantencomputer als grauenhaft bezeichnen. Die jahrzehntelange Forschung hat noch keine Maschine hervorgebracht, die die versprochene Revolution im Computerwesen hätte einleiten können. Doch der Enthusiasmus ist ungebrochen – die Entwicklung gehe sogar besser voran als erwartet, sagen manche Forscherinnen und Forscher. »Ich möchte nicht verhehlen, wie viel Arbeit noch vor uns liegt«, sagt Jeannette Garcia, Leiterin des Teams für Quantenanwendungen und Software beim Technologieriesen IBM in San Jose, Kalifornien, »aber wir sind selbst überrascht, wie viel wir schon erreicht haben«.
Hensinger, Physiker an der University of Sussex im englischen Brighton, veröffentlichte mit seiner Forschungsgruppe im Februar in »Nature Communications« ein Prinzip, wie sich über spezielle Quanten-Materie-Links große, modulare Quantencomputer realisieren lassen könnten. Das von ihm mitgegründete Unternehmen Universal Quantum arbeitet nun mit dem Ingenieurbüro Rolls-Royce in London und anderen zusammen, um mit dem langwierigen und mühsamen Prozess des Baus zu beginnen.
Glaubt man dem Hype, so könnten Computer, die sich die seltsamen Eigenheiten des subatomaren Bereichs zu Nutze machen, eines Tages bei der Entdeckung neuer Medikamente helfen, Verschlüsselungen knacken, die Entscheidungsfindung bei Finanztransaktionen beschleunigen, das maschinelle Lernen verbessern, revolutionäre Werkstoffe entwickeln und sogar den Klimawandel bekämpfen. Diese vollmundigen Behauptungen der zurückliegenden Jahre werden jetzt zunehmend glaubwürdiger – und sind möglicherweise sogar zu zurückhaltend.
Nach Ansicht des Mathematikers Steve Brierley könnte der »sweet spot« der Quantenphysik spektakulärer sein als alles, was wir uns heute vorstellen können – wenn man der Forschung nur die nötige Zeit gibt. »Der kurzfristige Hype, den wir gerade sehen, ist etwas übertrieben«, sagt Brierley, Gründer und Geschäftsführer des Quantencomputerunternehmens Riverlane in Cambridge. »Aber der langfristige Hype kann nicht groß genug sein.«
Berechtigte Skepsis
Bis jetzt gab es guten Grund, skeptisch zu sein. Die Forschungsgruppen erbrachten bisher lediglich theoretische Beweise dafür, dass Quantencomputer bei der Simulation von Quantenphysik und -chemie oder dabei, herkömmliche Verschlüsselungssysteme zum Schutz sensibler Kommunikation zu knacken, Vorteile gegenüber den derzeitigen klassischen Computern bieten. »Alle anderen Anwendungsfälle, von denen die Rede ist, sind entweder marginal, spekulativ oder beides«, sagt Scott Aaronson, Informatiker an der University of Texas. Quantenspezialisten haben noch nichts Brauchbares erreicht, das nicht auch mit klassischen Computern möglich wäre.
Das Problem wird dadurch noch verschärft, dass nicht nur die künftigen Algorithmen eine Herausforderung sind und ein völlig neues Denken erfordern, sondern auch die Hardware selbst. Quantencomputer speichern Daten in Quantenbits, auch Qubits genannt, die mit verschiedenen Technologien hergestellt werden können, darunter supraleitende Schaltkreise, optische Ionenfallen und Lichtteilchen. Einige Technologien erfordern Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt, andere funktionieren auch bei Raumtemperatur. Hensingers Entwurf sieht eine Maschine von der Größe eines Fußballfeldes vor, andere könnten auch in Autos passen. Die Forscher sind sich nicht einmal darin einig, wie die Leistung von Quantencomputern gemessen werden soll.
Wie auch immer das Design aussehen mag, der eigentliche Trick ist, dass die Qubits in einen »Überlagerungszustand« (Superposition) gebracht werden, während dessen sie weder eine digitale Eins noch eine Null sind, sondern kurzzeitig unbestimmt und gewissermaßen beides gleichzeitig. Bei der Ausführung von Algorithmen auf einem Quantencomputer muss die Änderung dieser Überlagerungszustände gesteuert werden. Die Regeln der Quantenwelt ermöglichen es den Qubits, miteinander zu interagieren und Berechnungen durchzuführen, die mit klassischen Computern praktisch unmöglich sind.
Wirklich nützliche Berechnungen sind jedoch nur auf Quantencomputern mit einer riesigen Anzahl von Qubits möglich, und die gibt es noch nicht. Darüber hinaus müssen die Qubits und ihre Wechselwirkungen robust gegenüber Fehlern sein, die durch thermische Einflüsse, kosmische Strahlung, elektromagnetische Interferenzen und andere Störquellen verursacht werden. Diese Störungen können dazu führen, dass ein Teil der für die Berechnung erforderlichen Informationen verloren geht, eine Situation, die als Dekohärenz bekannt ist. Das bedeutet, dass ein großer Teil der Qubits für Fehlerkorrekturmechanismen verwendet werden muss, um die Berechnung aufrechtzuerhalten.
Und hier beginnt die Skepsis gegenüber dem Quantencomputing. Der weltweit größte Quantencomputer mit Blick auf die Anzahl der Qubits ist der Osprey-Prozessor von IBM mit 433 Qubits. Aber selbst mit zwei Millionen Qubits könnten einige Berechnungen in der Quantenchemie ein Jahrhundert dauern, schreiben Forscher von Microsoft Quantum und der ETH Zürich in einem noch nicht begutachteten Fachartikel aus dem Jahr 2022. In einer 2021 veröffentlichten Studie schätzen der Wissenschaftler Craig Gidney von Google und Martin Ekerå von der Königlichen Technischen Hochschule in Stockholm, dass 20 Millionen Qubits erforderlich wären, um moderne Kryptografieverfahren in acht Stunden zu knacken.
Solche Berechnungen stimmen allerdings optimistisch. Denn auch wenn 20 Millionen Qubits zum aktuellen Zeitpunkt unerreichbar scheinen, so sind es doch viel weniger als die eine Milliarde Qubits früherer Schätzungen. Der Forscher Michael Beverland von Microsoft Quantum, Erstautor des Preprints von 2022, ist der Meinung, dass einige der Hürden, denen sich die quantenchemischen Fragestellungen gegenübersehen, mit Durchbrüchen im Hardware-Bereich überwinden lassen.
So hat Nicole Holzmann, die das Anwendungsteam bei Riverlane leitet, zusammen mit ihren Kollegen gezeigt, dass Quantenalgorithmen zur Berechnung der Grundzustandsenergien von Molekülsystemen wesentlich effizienter gestaltet werden können. Bisherige Schätzungen zur Laufzeit solcher Algorithmen lagen bei mehr als 1000 Jahren. Holzmann und ihre Kollegen stellten jedoch fest, dass sich die Berechnungszeit, etwa indem sie die Verteilung der algorithmischen Aufgaben auf die verschiedenen Quantenlogikgatter veränderten, auf wenige Tage verkürzen lässt. Das ist ein Geschwindigkeitsgewinn von fünf Größenordnungen. »Verschiedene Optionen führen zu unterschiedlichen Ergebnissen«, sagt Holzmann, »und über viele dieser Optionen haben wir noch gar nicht nachgedacht.«
Fortschritte in der Quanteninformatik
Bei IBM beginnt Jeannette Garcia damit, diese Optionen zu nutzen. Das bringt Vorteile in mehrfacher Hinsicht: Der potenzielle Quantenvorteil ist nicht auf Berechnungen mit riesigen Molekülanordnungen beschränkt.
Ein Beispiel für eine kleine, aber klassischerweise schwer durchführbare Berechnung, die auf einer Quantenmaschine möglich sein könnte, ist die Ermittlung der Energien von Grund- und angeregten Zuständen kleiner photoaktiver Moleküle, was die Lithografietechniken für die Halbleiterherstellung verbessern und die Entwicklung von Medikamenten revolutionieren könnte. Ein weiteres Ziel ist die Simulation der Singulett- und Triplett-Zustände eines einzelnen Sauerstoffmoleküls, was für Batterieforscher von Interesse ist.
Im Februar 2023 veröffentlichte Garcias Team Quantensimulationen des Sulfonium-Ions (H3S+). Dieses Molekül ist verwandt mit Triphenylsulfonium (C18H15S), einem in der Lithografie verwendeten Photosäuregenerator, der auf Licht bestimmter Wellenlängen reagiert. Das Verständnis seiner molekularen und photochemischen Eigenschaften könnte zum Beispiel die Halbleiterherstellung effizienter machen. Als das Team mit der Arbeit begann, schienen die Berechnungen unmöglich zu sein, aber die Fortschritte in der Quanteninformatik in den vergangenen drei Jahren haben es den Forschern ermöglicht, die Simulationen mit relativ bescheidenen Mitteln durchzuführen: Die H3S+-Berechnung lief auf dem Falcon-Prozessor von IBM, der nur aus 27 Qubits besteht.
Teilweise sind die Fortschritte, die das IBM-Team erzielen konnte, das Ergebnis von Quantenfehlerkorrektur-Maßnahmen. Dazu gehört etwa, das Rauschen mit Algorithmen zu unterdrücken, die denen in Kopfhörern mit Rauschunterdrückung ähneln, und die Verschränkungssimulation, bei der Teile des Quantenschaltkreises identifiziert werden, die herausgetrennt und auf einem klassischen Computer nachgestellt werden können, ohne dass Quanteninformationen verloren gehen. Die letztgenannte Technik, mit der sich die verfügbaren Quantenressourcen effektiv verdoppeln lassen, wurde erst 2022 erfunden.
Michael Biercuk, Quantenphysiker an der University of Sydney in Australien sowie Geschäftsführer und Gründer des dort ansässigen Start-ups Q-CTRL, ist der Ansicht, dass solche operativen Kniffe noch besser erforscht werden sollten. Seine Arbeit zielt darauf ab, die Schnittstellen zwischen Quantenschaltkreisen und den klassischen Computern, die zu ihrer Steuerung verwendet werden, zu verbessern sowie die Details anderer Komponenten zu verstehen, aus denen ein Quantencomputer besteht. Es sei noch »wahnsinnig viel möglich«, sagt Biercuk; frühe Berichte über Fehler und Einschränkungen seien naiv und vereinfachend gewesen. »Wir sehen, dass wir zusätzliche Leistung in der Hardware freisetzen können und damit Dinge tun können, die die Leute nicht erwartet haben.«
In ähnlicher Weise macht Riverlane die gewaltigen Anforderungen an einen brauchbaren Quantencomputer beherrschbarer. Geschäftsführer Brierley merkt an, dass für die Arzneimittelforschung und für manche materialwissenschaftliche Anwendung Quantencomputer erforderlich sein könnten, die nach derzeitigen Schätzungen eine Billion dekohärenzfreie Operationen durchführen können müssen – und das sei eine gute Nachricht. »Vor fünf Jahren waren es noch eine Trillion«, sagt er.Einige Unternehmen sind so optimistisch, dass sie sogar echte kommerzielle Anwendungen für die nahe Zukunft versprechen. Die Gründer des in Helsinki ansässigen Start-ups Algorithmiq beispielsweise sind sich sicher, dass sie in fünf Jahren in der Lage sein werden, praktische Quantenfortschritte in der Arzneimittelentwicklung und -entdeckung zu demonstrieren. »Wir sind da sehr zuversichtlich«, sagt Sabrina Maniscalco, Mitgründerin und Geschäftsführerin von Algorithmiq und Physikerin an der Universität von Helsinki.
Maniscalco glaubt wie viele andere, dass die ersten kommerziellen Anwendungen des Quantencomputings im Bereich der besseren Kontrolle molekularer Reaktionen liegen werden. Aber auch Finanzanwendungen wie das Risikomanagement sowie die Optimierung der Logistik haben gute Chancen, in naher Zukunft davon zu profitieren, sagt Biercuk. Dennoch verliert derzeit niemand die langfristigen, eher spekulativen Anwendungen aus den Augen – einschließlich Quantenversionen des maschinellen Lernens.
Ära der Quantenunterlegenheit klug nutzen
Solche KI-Algorithmen erfüllen Aufgaben wie die Bilderkennung, indem sie verborgene Strukturen und Muster in Daten finden und dann mathematische Modelle erstellen, die es dem Algorithmus ermöglichen, die gleichen Muster in anderen Datensätzen zu erkennen. Um erfolgreich zu sein, sind in der Regel eine große Anzahl von Parametern und riesige Mengen von Trainingsdaten erforderlich. Doch bei den Quantenversionen des maschinellen Lernens bedeutet die riesige Bandbreite an verschiedenen Zuständen, die den Qubits offenstehen, dass die Berechnungen weniger Parameter und deutlich weniger Trainingsdaten benötigen könnten.
In Zusammenarbeit mit dem südkoreanischen Automobilhersteller Hyundai haben Jungsang Kim von der Duke University in Durham, North Carolina, und Forscher der Firma IonQ in College Park, Maryland, Quanten-KI-Algorithmen entwickelt, die in Labortests den Unterschied zwischen zehn Verkehrszeichen erkennen können. Ihr quantenbasiertes Modell verwendet nur 60 Parameter, um die gleiche Genauigkeit zu erreichen wie ein klassisches neuronales Netz mit 59 000 Parametern. »Wir kommen deshalb mit viel weniger Trainingswiederholungen aus«, sagt Kim. »Ein Modell mit 59 000 Parametern erfordert mindestens 100 000 Datensätze, um es zu trainieren.« Bislang sei man zwar noch nicht in der Lage, die klassischen Algorithmen zu übertreffen, »aber es gibt noch viel Luft nach oben«, sagt Kim.
In der Zwischenzeit bietet diese Ära der Quantenunterlegenheit die Möglichkeit, die Leistung von Quantenalgorithmen und -rechnern im Vergleich mit klassischen Computern zu validieren. So könne man sicher sein, was man in Zukunft liefern werde, sagt IBM-Forscherin Garcia. »Das wird uns Selbstvertrauen geben, wenn wir anfangen, über das hinauszugehen, was klassisch möglich ist.«
»Was jetzt wirklich wichtig ist, ist die Ausbildung von Fachkräften mit Quantenkenntnissen«Winfried Hensinger, Physiker und Unternehmer
Für die meisten Anwendungen wird das nicht so bald der Fall sein. Silicon Quantum Computing, ein ebenfalls in Sydney ansässiges Start-up, hat bereits eng mit Finanz- und Kommunikationsunternehmen zusammengearbeitet und rechnet damit, »dass es noch viele Jahre dauern wird, bis der Zahltag kommt«, sagt Geschäftsführerin Michelle Simmons, die auch Physikerin an der University of New South Wales in Sydney ist. Das sei aber kein Problem: Man habe geduldige Investoren. Das gelte auch für Riverlane, sagt Brierley. »Die Leute verstehen, dass es sich um ein langfristiges Projekt handelt.«
Und ein sich langsam fortentwickelndes noch dazu, ergänzt Winfried Hensinger – trotz des ganzen Hypes. »Es wird nicht den einen Moment geben, an dem plötzlich ein Regenbogen aus unserem Labor kommt und alle Probleme gelöst werden können«, sagt er. Stattdessen handle es sich um einen zähen Verbesserungsprozess, der durch neue Ideen für die Nutzung der Maschinen – und durch clevere Programmierer, die neue Algorithmen entwickeln – vorangetrieben wird. »Was jetzt wirklich wichtig ist, ist die Ausbildung von Fachkräften mit Quantenkenntnissen«, sagt er. Um Tempo in die Entwicklung zu bekommen – und damit mehr Menschen von sich behaupten können, schon mal einen Quantencomputer gesehen zu haben.
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