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Raumfahrt: Wohin fliegt Europa im All?

Europa steckt in der Krise - das schlägt sich auch im Budget der Europäischen Raumfahrtbehörde nieder. Jetzt wird diskutiert, welche Projekte die ESA finanzieren soll - und wer davon profitieren darf. Deutschland und Frankreich haben dabei durchaus andere Vorstellungen.
Start einer Ariane 5 Rakete

Alle paar Jahre verwandelt sich Europas Raumfahrt in einen Basar. Statt penibler Checklisten, hochgenauer Messungen und Arbeiten im Reinraum steht dann Schachern auf der Tagesordnung. Es wird geblufft und gefeilscht, es werden Allianzen geschmiedet und Animositäten gepflegt. Am Dienstag und Mittwoch ist es wieder so weit: Dann kommen im italienischen Neapel die Raumfahrtminister der Europäischen Weltraumorganisation ESA zu ihrem großen Planungstreffen zusammen. Gemeinsam wollen sie abstecken, welche Richtung Europas Raumfahrt bis zum Ende des Jahrzehnts einschlagen soll – und wie viel Geld dafür in den kommenden Jahren zur Verfügung gestellt wird.

Vor allem der letzte Punkt dürfte heikel werden. Auf vier Milliarden Euro beläuft sich derzeit das jährliche Budget der ESA. Etwa ein Drittel davon macht das Pflichtprogramm aus, an dem sich jeder der 20 Mitgliedsstaaten entsprechend seines Bruttoinlandsprodukts beteiligen muss. Die wissenschaftlichen Missionen werden aus diesem Topf finanziert. Der deutlich größere Batzen ist allerdings die Kür: Hier versucht jedes Land, genau jene Projekte durchzudrücken, bei denen es selbst am besten aufgestellt ist und von denen es sich am meisten Vorteile für die eigene Wirtschaft verspricht. Denn jeder investierte Euro – das ist das Grundprinzip der ESA – soll in Form von Industrieaufträgen zurück ins Land fließen. Im Grunde ist Europas Raumfahrt damit ein einziges großes Investitionsprogramm.

Start einer Ariane 5 Rakete | Sie ist der Lastesel der europäischen Raumfahrt – doch ihre Zukunft ist ungewiss: Eine Ariane 5 Rakete hebt vom europäischen Raumfahrtbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana ab.

In Zeiten der Krise ist solch ein Konstrukt besonders anfällig. ESA-Generaldirektor Jean-Jacques Dordain hofft zwar, wie er vor zwei Monaten auf der Berliner Luftfahrtmesse ILA erklärte, den Etat einigermaßen konstant halten zu können, ohne Reibereien wird das allerdings nicht abgehen: Spanien, vor allem aber Italien möchte zwar seinen Einfluss behalten, beiden Ländern fehlt allerdings das Geld. Großbritannien dagegen, das sich bislang bei der bemannten Raumfahrt stark zurückgehalten hat, will seine Ausgaben um ein Viertel steigern – und damit eigene Interessen durchsetzen. Es wird Verwerfungen geben in Europas fein austarierter Raumfahrtszene. Das Treffen in Neapel verspricht interessant zu werden.

Gefahr für die ESA?

"Vor vier Jahren war ich sehr entspannt, als ich zur damaligen Ministerratskonferenz gefahren bin", sagt Johann-Dietrich Wörner, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). "Dieses Mal bin ich dagegen äußerst angespannt. Das wird wirklich schwierig." Auch ESA-Chef Dordain klingt vorsichtig pessimistisch. "Die ESA war nie so erfolgreich wie heute", sagt der Franzose. "Sie war aber auch nie so bedroht wie heute."

Einer der Knackpunkte in Neapel dürfte die Internationale Raumstation ISS werden. Da die Europäer keine eigene bemannte Rakete besitzen, sind sie auf die Hilfe ihrer Verbündeten angewiesen. Die ESA kauft den Amerikanern daher einige Mitfluggelegenheiten ab, die die USA ihrerseits in russischen "Sojus"-Kapseln gebucht haben. Gezahlt wird allerdings nicht mit Geld, sondern in Form von Sachleistungen. Derzeit lösen die Europäer diese Eintrittskarte in den Erdorbit mit Hilfe ihres Raumfrachters ATV. Das unbemannte Versorgungsschiff wird allerdings nur noch zweimal zur ISS fliegen – das reicht lediglich, um die europäischen Kosten bis ins Jahr 2017 zu begleichen. Für die Zeit danach muss eine neue Lösung gefunden werden.

Die US-Raumfahrtbehörde NASA sieht hierfür, glaubt man den Deutschen, nur eine Option: Sie hat vorgeschlagen, das ATV in ein so genanntes Servicemodul für die neue US-Kapsel "Orion" zu verwandeln. Die Europäer sollen sich dabei, so der Vorschlag aus Washington, um die Entwicklung und den Bau des Moduls für eine unbemannte Demonstrationsmission kümmern. "Das wäre eine fantastische Perspektive für Europas bemannte Raumfahrt auch jenseits der ISS", sagt ESA-Direktor Thomas Reiter. "Erstmals wäre damit eine nichtamerikanische Agentur an kritischen Komponenten eines US-Transportsystems beteiligt."

Frankreich ziert sich, Deutschland drängelt

Noch ist unklar, ob es dazu kommen wird. Die Franzosen zieren sich, die Deutschen, die schon beim bisherigen ATV die Führungsrolle innehaben, drängeln. "Wenn wir uns in Neapel nicht entscheiden, vergibt die NASA den Bau an amerikanische Firmen, und unsere Eintrittskarte ist weg", sagt DLR-Chef Wörner. Im schlimmsten Fall müsste der Ticketpreis dann direkt in die USA überwiesen werden. Da die ESA ihre Ausgaben aber stets damit rechtfertigt, dass sie ihre Euros nicht im All, sondern auf der Erde – sprich: in europäische Firmen – investiert, wäre das eine herber Rückschlag.

Und es könnte sogar noch schlimmer kommen: Vergangenes Jahr hat die ESA-Führung ihren internationalen Partnern versprochen, sich mindestens bis zum Jahr 2020 am Betrieb der ISS zu beteiligen – in der Hoffnung, die europäischen Raumfahrtminister würden diese Entscheidung in Neapel bereitwillig abnicken. Offensichtlich ist dem aber nicht so. Noch wird hart um die nötigen Beiträge gerungen, doch eine Lösung scheint in Sicht. "Wir hoffen, dass sich die Engländer engagieren und dass vielleicht auch die Europäische Kommission Geld für wissenschaftliche Experimente beisteuert", sagt Wörner. "Deutschland will jedenfalls unbedingt, dass es mit der ISS weitergeht."

"Die ESA war nie so erfolgreich wie heute. Sie war aber auch nie so bedroht wie heute"
Jean-Jacques Dordain

Thomas Reiter sieht das ähnlich. Der ehemalige Astronaut plädiert dafür, nun verstärkt die wissenschaftlichen Früchte des 13 Jahre langen Aufbaus der ISS zu ernten. Reiter geht es aber auch darum, dass Europa als verlässlicher Partner wahrgenommen wird: "Wenn man erst zusagt und dann doch wackelt, wäre das politisch ausgesprochen schwierig und würde sich auch auf Kooperationen in anderen Bereichen auswirken", warnt der ESA-Direktor.

Welche Zukunft hat die Ariane?

Ein weiterer Streitpunkt ist die "Ariane": Bei ihrem Treffen vor vier Jahren haben die ESA-Minister beschlossen, Europas größte Trägerrakete weiterzuentwickeln. Ihre Nutzlast soll um knapp zwei auf dann zwölf Tonnen gesteigert werden, ihre Oberstufe soll sich mehrmals zünden lassen, was komplexere Missionen und einen kontrollierten Eintritt in die Erdatmosphäre ermöglicht. Deutschland leitet die Weiterentwicklung. Seitdem hat sich aber einiges getan: In den USA konnte das Unternehmen SpaceX zeigen, dass sich Raketen mit privatem Engagement einfacher, günstiger, vor allem aber schneller entwickeln lassen. Zudem geht der Trend beim Satellitenstart hin zu kleineren Raketen. Ein Monstrum wie die "Ariane" wird eigentlich nur noch für das auslaufende ATV-Programm und für einige wissenschaftliche Missionen wie den Start des James-Webb-Weltraumteleskops benötigt.

ATV | Ein ATV-Raumtransporter der ESA dockt von der Internationalen Raumstation ab. Auch über ihn beziehungsweise seinen Nachfolger wird diese Woche diskutiert.

Frankreich macht sich daher dafür stark, eine neue, kompaktere "Ariane" zu bauen – natürlich unter französischer Führung. Anfang des nächsten Jahrzehnts könnte die Rakete erstmals abheben. Braucht es dann überhaupt noch eine aufpolierte "Ariane 5"? Die Frage ist politisch höchst umstritten. "Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir uns jedenfalls schnellstmöglich entscheiden", sagt ESA-Chef Dordain. "Gleichzeitig müssen wir aber auch eine Lösung für die Übergangsperiode finden." Für beides ist derzeit allerdings kein Geld vorhanden.

Auch bei den Flügen zu anderen Himmelskörpern schaut nicht alles rosig aus: Die "ExoMars"-Mission, mit der 2016 und 2018 eine Sonde sowie ein Rover zum Roten Planeten geschickt werden sollen, wird in Neapel erneut ein Thema sein. Nach wie vor steht die Finanzierung des europäisch-russischen Gemeinschaftsprojekts auf wackligen Beinen. Deutschland sieht sich dabei bewusst als "Juniorpartner", wie Johann-Dietrich Wörner es ausdrückt. Der DLR-Chef sagt aber auch: "Wenn alle anderen Staaten in den von Deutschland geführten Projekten ebenfalls Juniorpartner spielen würden, wären wir sehr viel weiter."

Danach sieht es jedoch nicht aus: Für die geplante unbemannte Landung am Südpol des Monds, eines der deutschen Lieblingsprojekte, wird sich in Neapel offensichtlich keine Mehrheit finden. Zunächst hieß es noch, man wolle eine weitere Studie starten. Nun verlautete aus der deutschen Delegation, dass nicht einmal das mehr versucht werden soll. Aber so läuft das eben auf dem Basar der europäischen Raumfahrt: hoch pokern, manchmal alles verlieren, dafür bei einem anderen Geschäft – hoffentlich – erfolgreich sein.

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