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Gedächtnis: Zementierte Erinnerung

Je besser wir etwas lernen, umso mehr Hände reichen sich die Nervenzellen im Gehirn und umso fester halten sie diese gegenseitig fest. Dass Lernen tatsächlich nach diesem Prinzip abläuft, konnte nun endlich direkt gezeigt werden.
Wie prägt sich die Information ins Gedächtnis ein? Ganz einfach: Im Gehirn verknüpfen sich die beteiligten Nervenzellen fester miteinander, indem sich die Verbindungen zwischen den Neuronen, die Synapsen, durch die so genannte Langzeitpotenzierung verstärken. Entdeckt wurde das Phänomen der Langzeitpotenzierung bereits vor mehr als dreißig Jahren – indes ist immer noch nicht eindeutig bewiesen, dass sie auch wirklich eine Folge des Lernens ist. Jetzt endlich ist zwei voneinander unabhängigen Arbeitsgruppen zu dieser Theorie die Probe und die Gegenprobe gelungen.

Jonathan Whitlock vom Howard Hughes Medical Institute nahm zusammen mit seinem Team das Problem um den Lernprozess von vorne her in Angriff: Er testete, ob ein Lernvorgang tatsächlich Langzeitpotenzierung induziert [1]. Dazu pflanzte er Ratten feine Elektroden in den Hippocampus ein, jenen Bereich des Gehirns, in dem die Tiere räumliche Informationen lernen und abspeichern. Anschließend brachte er den Nagern bei, einen verlockend dunklen Raum zu meiden, da den Tieren dort ein leichter Elektroschock verabreicht wurde.

"Wir beweisen, was alle immer geglaubt haben"
(Mark Bear)
Als die Wissenschaftler dann die Nervenaktivität im Hippocampus vor und nach dem Training miteinander verglichen, ließ sich bei einem Teil der Elektroden nach dem Training eine Langzeitpotenzierung erkennen. Sie war offensichtlich eine Folge des Lernvorgangs. Zusätzliche biochemische Untersuchungen bestätigten, dass tatsächlich das Lernen die Langzeitpotenzierung hervorrief. "Wir beweisen, was alle immer geglaubt haben", freut sich denn auch Kollege Mark Bear. Da sich die Veränderungen nur an einem Teil der implantierten Elektroden zeigte, sind an diesem Lernprozess offenbar nur einzelne Nervenzellen beteiligt.

Eva Pastalkovas Team vom State University of New York rollte das Problem von hinten her auf: Die Arbeitsgruppe ging von der Hypothese aus, dass Gelerntes verlorengehen sollte, wenn die Langzeitpotenzierung gezielt unterbunden wird [2]. Bisher war dies nicht durchführbar, da es keine Substanz gab, die wie ein Radiergummi eine bereits bestehende Langzeitpotenzierung wieder hätte entfernen können. Pastalkova setzte nun eine neue Substanz namens ZIP ein, die ein Protein hemmt, das zur dauerhaften Etablierung einer Langzeitpotenzierung notwendig ist.

Der Weg auf der Plattform | Die gelbe Linie zeichnet den Weg nach, den die Ratte auf der rotierenden Plattform zurücklegt. Wird ihre Erinnerung an den Sektor, in dem sie einen Elektroschock erhält, durch die Substanz ZIP getilgt, läuft sie auch in den unangenehmen Bereich. Dieser ist hier abgedeckt durch Salvador Dalís Gemälde "Die Beständigkeit der Erinnerung“.
Auch ihr Team brachte Ratten bei, einen bestimmten Ort zu meiden. Die Tiere wurden auf eine rotierende Plattform gesetzt, die überwiegend sicher war, an der in einem bestimmten stationären Sektor aber ein leichter Elektroschock verabreicht werden konnte. War der Strom abgeschaltet, bewegten sich die Tiere auf der gesamten Plattform. Wurde jedoch die Schockfunktion angeschaltet, lernten die Tiere sehr schnell, den unangenehmen Bereich zu meiden, wenn die rotierende Platte sie dorthin trug, und sie merkten sich die gefährliche Stelle für mindestens einen Tag.

Als die Nager nun ihre Aufgabe gelernt hatten, spritzten ihnen die Wissenschaftler 22 Stunden nach dem Lernprozess ZIP in den Hippocampus. Prompt gaben sich die Tiere wieder vollkommen ahnungslos und ließen sich – ganz genau wie vor ihrem Training – widerstandslos von der rotierenden Platte in die Gefahrenzone tragen: Sie hatten das Gelernte vergessen. Selbst nach Ablauf einer Woche, als die Substanz schon längst aus dem Körper der Tiere verschwunden war, erinnerten sich die ZIP-behandelten Ratten nicht an die Gefahrenzone.

Vergleichstiere hingegen, die eine Salzlösung ins Gehirn gespritzt bekamen, wussten auch nach der Injektion noch ganz genau, wo es unangenehm werden würde und vermieden weiterhin den gefährlichen Bereich. ZIP hatte demnach durch Beseitigung des zur Etablierung einer Langzeitpotenzierung notwendigen Proteins diese erfolgreich ausgelöscht und damit die Erinnerung der Tiere nachhaltig ausradiert.

Die Experimente der beiden Arbeitsgruppen zusammengenommen bestätigen also – jedes aus einem anderen Blickwinkel auf den Prozess der Verfestigung von Gelerntem im Gehirn – die gängige Ansicht, nach der Lernen die Verbindungen zwischen den betroffenen Nerven festigt und die Erinnerungen so quasi zementiert.
  • Quellen

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