Multi-Purpose Crew Vehicle: Zurück zum Mond und weiter
Es war ein gewaltiger Satz: Mehr als 393 000 Kilometer trennten den Astronauten Neil Armstrong von der Erde, als er vor 45 Jahren, am 20. Juli 1969, seinen ersten kleinen Schritt auf dem Mond unternahm. Seitdem, seit Ende der Apollo-Flüge im Dezember 1972, müssen sich Raumfahrer mit deutlich kleineren Sprüngen zufrieden geben: Das amerikanische Space Shuttle entfernte sich nie weiter als 580 Kilometer von der Erde. Und der deutsche Astronaut Alexander Gerst, der derzeit auf der Internationalen Raumstation ISS lebt und forscht, dreht seine Runden in gerade einmal 430 Kilometer Höhe.
Der Glanz der Apollo-Ära ist längst verflogen, die Menschen sind seit mehr als vier Jahrzehnten im niedrigen Erdorbit gefangen. Nun allerdings planen sie den Ausbruch: Die US-Raumfahrtbehörde NASA will wieder zum Mond und weiter zu einem Asteroiden. Irgendwann, in vielen Jahren, ist sogar eine bemannte Landung auf dem Mars angepeilt. Noch in diesem Jahr, voraussichtlich Anfang Dezember, soll das Abenteuer beginnen. Der erste Flug wird allerdings – verglichen mit der Reise von Neil Armstrong – einmal mehr nur ein kleiner Hüpfer werden.
Orion heißt das Raumschiff, mit dem die Amerikaner zu neuen Höhen aufbrechen wollen. Gleichzeitig kehren sie damit zurück zu ihren Wurzeln: Während das Space Shuttle eine hochkomplexe Maschine war, die wie ein Segelflugzeug auf der Erde landen konnte, setzt Orion auf das bewährte Kapselkonzept aus den 1960er Jahren. Der Neubau, auch Multi-Purpose Crew Vehicle (MPCV) genannt, ist lediglich ein bisschen sicherer, ein bisschen moderner, ein bisschen größer.
Zurück zu den Wurzeln
Etwa neun Kubikmeter Wohn- und Arbeitsraum stehen der Crew nun zur Verfügung. Das sind gut 50 Prozent mehr als zu Zeiten des Apollo-Programms. Allerdings müssen sich künftig vier Astronauten bis zu 21 Tage lang in die enge Büchse quetschen – und nicht drei wie bei den ersten Mondflügen. Die größte Errungenschaft von Orion, abgesehen von einem mehr als 4000-mal so schnellen Bordrechner wie bei Apollo, ist allerdings höchst menschlicher Natur: Es wird eine (primitive) Bordtoilette geben. Die Plastikbeutel, mit denen sich die ersten Raumfahrer herumschlagen mussten, haben ausgedient.
Sonst hat sich wenig geändert: Auch die Orion-Kapsel wird mit einem zylinderförmigen Servicemodul verbunden sein, dass die Crew-Behausung antreibt und mit Wasser, Strom, Sauerstoff versorgt. Auch Orion wird unter einem Fallschirm zurück zur Erde schweben – und sie wird im Pazifik aufschlagen. Pläne, einen Airbag für Landungen auf festem Grund einzubauen, mussten als zu schwer und zu teuer verworfen werden. Auch ohne ihn wiegt das Crew-Modul, das derzeit vom US-Konzern Lockheed Martin gebaut wird, knapp zehn Tonnen – fast doppelt so viel wie die Kapseln aus dem Apollo-Programm.
Auch wenn das neue Raumschiff noch nie geflogen ist, kann es bereits auf eine lange, wechselvolle Geschichte zurückblicken: Im Januar 2004 kündigte der damalige US-Präsident George W. Bush den Bau der Kapsel an. 2008 sollte sie fertig sein und bis zu sechs Astronauten zur ISS und darüber hinaus transportieren. Im Februar 2010 zog Bushs Nachfolger Barack Obama schließlich die Reißleine: Das Programm, damals noch Constellation genannt, lag weit hinter dem Zeitplan zurück, kostete dafür deutlich mehr als ursprünglich veranschlagt. Es wurde eingedampft und neu strukturiert. Den Transport von Menschen und Fracht zur ISS sollten private Firmen übernehmen. Übrig blieb Orion – für alle Ziele, die jenseits des Erdorbits liegen.
Wäre es nach Bush gegangen, hätte die Kapsel bereits dieses Jahr Menschen ins All bringen sollen. Nun ist immerhin ein erster Testflug anvisiert, unbemannt und halb fertig: Wenn Orion wie geplant am 4. Dezember in Cape Canaveral abhebt, wird das Servicemodul mit seinen Solarzellen komplett fehlen. Auch das Rettungssystem, das die Crew bei Problemen während des Starts in Sicherheit bringen soll, wird nicht einsatzbereit sein. Und statt der neuen Schwerlastrakete für Flüge zum Mond soll eine handelsübliche Delta IV Heavy den nötigen Schub erzeugen.
Die Zuversicht ist groß
Mark Geyer, Orion-Programmmanager bei der NASA, ist dennoch zuversichtlich: "Der Testflug wird uns wichtige Daten liefern, mit denen wir unsere Systeme überprüfen und das Design weiter verfeinern können", sagt der Ingenieur. Da Orion größtenteils im Rechner entworfen und verifiziert wird, sollen die Informationen aus dem Test vor allem dazu benutzt werden, um die Computermodelle mit der Realität abzugleichen. Die Mission im Dezember folgt daher einem Profil, das bereits 1967 in den Anfangstagen des Apollo-Programms geflogen worden ist. Orion wird dabei etwa viereinhalb Stunden unterwegs sein. Die Kapsel wird zweimal um die Erde kreisen und sich weiter von der Oberfläche entfernen als jedes andere für Menschen gemachte Raumschiff in den vergangenen vier Jahrzehnten – immerhin 5800 Kilometer oder fast 15-mal so weit wie die Internationale Raumstation.
Die Entfernung ist nötig, um beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre genügend Schwung für den Test des Hitzeschilds mitzubringen: Mit etwa 32 000 Kilometern pro Stunde soll das Multi-Purpose Crew Vehicle nach dem kurzen Abstecher ins All auf die Atmosphäre prallen. Die Temperaturen auf der Unterseite der Kapsel werden dabei fast 2200 Grad Celsius erreichen. Ingenieure haben dort jede der 320 000 wabenförmigen Zellen in der Glasfaseraußenhaut mit einem Gemisch aus Epoxidharz und Silikatfasern gefüllt. Der zunächst vier Zentimeter dicke Hitzeschild soll beim Wiedereintritt langsam verbrennen und so Wärme abführen. Ob das wie geplant funktioniert, muss der Testflug zeigen. Zwar ist das Material bereits bei den Apollo-Kapseln zum Einsatz gekommen, einen derart großen Schild wie für Orion hat aber noch niemand gebaut.
Sollte die Testkapsel den wilden Ritt überstehen, ist das nächste System gefordert: der Bremsfallschirm. "Wir haben die Fallschirme bei Boden- und Falltests auf Herz und Nieren geprüft und jede denkbare Situation simuliert", versichert Flugmanager Geyer. Der echte Flug und die damit verbundenen aerodynamischen Effekte werden sich dennoch vom Abwurf aus einer "Globemaster" Frachtmaschine in lediglich elf Kilometer Höhe unterscheiden. Die Vorgaben sind jedenfalls klar: Die beiden Steuer- und die drei Hauptfallschirme, die gemeinsam beinahe die Fläche eines Fußballfelds einnehmen, müssen die Kapsel von etwa 30 000 auf nur noch 30 Kilometer pro Stunde abbremsen.
Verläuft alles wie geplant und treten auch beim weiteren Bau und dessen Finanzierung keine Probleme mehr auf, wird Orion Ende 2017 zur ersten echten Mission starten. Sieben Tage lang soll es dann rund um den Mond und wieder zurück zur Erde gehen. Eine ähnliche Mission hatte bereits Apollo 8 im Dezember 1968 absolviert – der erste bemannte Mondflug, noch ohne Landung. Der große Unterschied bei Orion: Auch beim zweiten Test dürfen keine Astronauten in der Kapsel Platz nehmen.
Menschen an Bord erst 2021
Menschen werden frühestens 2021 mit dem neuen Raumschiff ins All fliegen. Derzeit ist eine rund 2,6 Milliarden Dollar teure Mission zu einem Asteroiden geplant, den unbemannte Sonden zuvor in eine Mondumlaufbahn bugsiert haben. Eine ursprünglich angedachte Landung auf dem Mond soll es dagegen nicht geben. Die benötigte Landefähre hat sich als zu teuer, zu schwer, zu komplex erwiesen. Sofern weder private Unternehmen noch die chinesische Regierung einen Schnellschuss starten, werden somit auch am 50. Jahrestag der ersten Mondlandung noch keine Menschen zum Erdtrabanten zurückgekehrt sein.
Selbst der Flug Ende 2017 ist derzeit nicht gesichert: Während die Konstruktion der Orion-Kapsel voranschreitet, steckt das zwölf Tonnen schwere Servicemodul noch in der Planungsphase. Es wird in Europa vom Raumfahrtkonzern Airbus Defence and Space gebaut. Die Europäische Raumfahrtagentur ESA will damit ihre Schulden bei den Amerikanern begleichen, die durch die Nutzung der ISS in den kommenden Jahren entstehen werden.
Erst Mitte Mai hat die NASA jedoch – mit mehreren Monaten Verspätung – die Systementwürfe des Moduls genehmigt, dessen Technik auf dem europäischen Raumfrachter ATV beruht. Nun kann mit dem Bau eines Testmodells begonnen werden. "Das war für uns ein Riesenschritt, für den wir unglaublich hart gearbeitet haben", sagt Bart Reijnen, Leiter der bemannten Raumfahrt bei Airbus DS. "Dennoch: Der Zeitplan ist und bleibt sportlich." Ende des kommenden Jahres muss das Design festgelegt werden, bereits Anfang 2017 will die NASA das fertige Modul in ihren Reinräumen stehen haben.
Doch auch die US-Raumfahrtbehörde muss noch Hausaufgaben erledigen. An der knapp 100 Meter hohen Rakete, die das 18 Milliarden Dollar teure Orion-Programm 2017 zum Mond katapultieren soll, wird intensiv gearbeitet. Mindestens 70 Tonnen soll das so genannte Space Launch System in einen niedrigen Erdorbit befördern, angetrieben von zehn Prozent mehr Schub als die mächtige "Saturn V aus dem Apollo-Programm. Um Geld zu sparen, sollen dazu Triebwerke und Feststoffraketen aus der Shuttle-Ära genutzt werden. Für eine ebenfalls geplante größere Version, die mit 130 Tonnen ähnlich viel Nutzlast transportieren kann wie die Saturn V, wird das nicht reichen. Hierfür müssen neue Triebwerke und Booster entwickelt werden. Frühestens 2030, so die aktuellen Überlegungen, soll die Rakete einsatzbereit sein. Die erste Landung auf dem Mond wird dann schon mehr als 60 Jahre zurückliegen.
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