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Essay: Zwangsläufiger Glaube?

Religion ist ein beinahe unschlagbares Konzept, sagt der französische Anthropologe und Religionsphilosoph Pascal Boyer. Seine These: Der Glaube an eine übernatürliche Instanz knüpft an einige Eigenschaften unseres Denkvermögens an - und nötigt uns geradezu, ihm zu folgen. Eine Auseinandersetzung.
Tanja Krämer
Pascal Boyer ist einer, der es geschafft hat. Seine Bücher über die Entstehung der Religion wurden in mehrere Sprachen übersetzt, Geistesgrößen wie Richard Dawkins reiben sich an ihm im intellektuellen Diskurs, und auch die Presse ist längst hellhörig geworden. Kein Wunder. Schließlich versucht Boyer nichts Geringeres, als Religion zu erklären – aus neurologischer und kognitionspsychologischer Perspektive.

Dies gilt auch für sein aktuelles Essay "Religion: Bound to believe?". Der Untertitel macht deutlich, wohin die Reise gehen soll: "Atheismus wird sich immer schwieriger verkaufen lassen als Religion", steht da. Der Grund: Unser Denkvermögen treibe uns förmlich in die Arme der Religion.

Schon das Konzept des göttlichen Wesens bezieht sich nach Ansicht des Forschers auf unsere Kognitionsfähigkeit: Religiöse Kräfte, meint Boyer, seien nichts anderes als stark vereinfachte Versionen von abwesenden menschlichen Akteuren. Sie denken wie wir, sie handeln wie wir – nur haben sie zusätzlich Superkräfte.
"Religiöse Gedanken und religiöses Verhalten sind Teil der natürlichen menschlichen Fähigkeiten, so wie Musik, politische Systeme, Familienbindungen oder ethnische Koalitionen."
(Pascal Boyer)
Das macht sie für uns sympathisch. Und hilft Boyer zufolge auch unserem Gedächtnis: Experimente zumindest hätten ergeben, dass wir uns besser an Geschichten erinnern könnten, wenn sie plausible menschliche Empfindungen mit unplausiblen physikalischen Fähigkeiten verknüpfen. Zu deutsch: Geschichten von Geistern, die durch Wände gehen, sind darum so erfolgreich, weil wir sie uns so gut merken können.

Von fiktiven Freunden und Comic-Helden

Dank unseres Denkvermögen seien wir zudem in der Lage, zu diesen fiktiven Gestalten eine Beziehung aufzubauen. So wie Kinder häufig erdachte Spielkameraden hätten oder sich in die Abenteuer ihrer Comic-Helden einfinden könnten, empfinden Gläubige demnach eine intuitive Nähe zu ihrem Gott. Unser Gehirn also befähige uns zu einem fiktiven Denken, das den Glauben an eine Religion begünstigt.

Auf den ersten Blick wirken diese Thesen schlüssig. Hieraus jedoch zu folgern, dass Religion eine natürliche Folgeerscheinung unserer Fähigkeiten zu Abstraktion und Empathie ist, ist mehr als gewagt. Schließlich wird eine Beziehung zu einem unsichtbaren Freund nie die Intensität haben, die wir in echten, zwischenmenschlichen Beziehungen verspüren.

Der Kontakt zu Familie oder Freunden nämlich weckt in uns völlig andere Empfindungen als die imaginierte Verbindung zu einem fiktiven Freund oder einem Gott. Denn anders als diese können Menschen aus Fleisch und Blut direkt auf uns reagieren. Sie können uns umarmen, anschreien, zärtlich sein – und so in uns Empfindungen wecken, die in ihrer Emotionalität tiefer in uns eindringen, als es ein fiktiver Geist vermag. Wenn unsere Empathie uns also ermöglicht, Liebe für Gott zu empfinden, müsste sie uns noch viel stärker Liebe für unsere Nachbarn, Kollegen oder Mitmenschen fühlen lassen.

Ist der Drang zu Glauben natürlich?

Abstraktions- und Einfühlungsvermögen mögen ein Grundbaustein sein, auf dem Religion aufbaut. Aber sie sind genauso gut ein Grundbaustein jeder Form von Gruppenzuhörigkeit, von Staat oder Moral. Wenn Boyer also sagt, dass wir von unseren kognitiven Fähigkeiten eher zur Religion hingezogen werden als zum Atheismus, so müsste er erst einmal erklären, warum wir uns nicht genauso gut von atheistischer Moral oder eben solchem Staatsempfinden angesprochen fühlen.

Diesen Argumentationsschritt allerdings liefert der Autor nicht. Warum Menschen ausgerechnet der Religion den Vorzug geben sollten, bleibt darum offen.

Aber Rascal Boyer hat noch einen weiteren Joker im Ärmel. Religiöse Riten nämlich befriedigen seiner Ansicht nach unsere ureigensten Instinkte: Reinigung und Vorsicht.
"Bestimmte Formen religiösen Denkes scheinen für unser kognitives System der Weg des geringsten Widerstandes zu sein"
(Pascal Boyer)
Beide seien evolutionär wichtig, um das Überleben zu sichern. Wenn eine Religion in ihren Riten also Waschungen vornehme oder vor gefährlichen Feinden warne – etwa dem Teufel oder Dämonen –, wirke das auf uns ansprechend.

Willkürliche Thesen

Doch auch hier stellt sich die Frage: Ist der Glaube aus diesem Grund wirklich verführerischer als der Atheismus? Oder knüpft hier ein Autor möglicherweise willkürlich an einen Aspekt des Menschseins an, der auch für viele andere entscheidend ist? Schließlich könnte man auch argumentieren, dass uns die archaische Furcht vor Feinden dereinst in Dörfern und Städten zusammentrieb, uns Allianzen bilden lässt oder wir darum Staatsverträge schließen.

Letztlich sind alle kognitiven Prozesse, die Boyer für den Glauben als folgerichtige evolutionäre Entwicklung aufzeigt, auch für zahlreiche andere Aspekte des Lebens wichtig – und für diese häufig auch entscheidender als für eine vermeintlich "natürliche" Religion. Darum ist auch der Schlusssatz seines Essays schlichtweg falsch. Im Gegensatz zum quasi natürlichen Glauben sei "der Nicht-Glauben generell ein Resultat von freiwilliger, harter Arbeit gegen unsere natürlichen kognitiven Dispositionen – und darum nicht gerade die einfachste Ideologie, um sie zu verbreiten."

In der Tat ist der Kampf gegen fundamentalistische Ideen harte Arbeit. Erst recht, wenn sie biologistisch erklärt werden. Aber wer sich auf einen Diskurs einlässt, muss sich auch an ihm messen können. Mit seiner willkürlich anmutenden Gedankenkette weicht Boyer einer logischen Überprüfung jedoch aus. Seine Beispiele sind so gewählt, dass man sie weder bestätigen noch verwerfen kann. Eine Argumentation jedoch, die sich weder verifizieren noch falsifizieren lässt, gilt in Philosophenkreisen immer noch als Metaphysik – und damit als ein Glauben, und keine Theorie.

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