Technik: Der Weg zu vielseitigeren Computerchips
Silizium ist das elektronische Pendant einer Dampfmaschine. Das erstaunliche Material ist der Grund für den jahrzehntelangen Boom der Halbleitertechnologien. Die Geräte werden immer leistungsfähiger. Doch die Anzahl der Transistoren, die auf einen winzigen Computerchip passen, stößt an eine Grenze. Deshalb verkleinern Fachleute die Chips auf Siliziumbasis bereits, indem sie die dritte Raumdimension ausnutzen. Allerdings scheint Silizium nicht am besten für diese Aufgabe geeignet. In der Zeitschrift »Nature« haben Forschende um den Ingenieur Darsith Jayachandran im Januar 2024 dreidimensionale Bauteile vorgestellt, die aus zweidimensionalen Materialien bestehen. Die ultradünnen Halbleiterschichten umgehen dabei viele Probleme, die Silizium mit sich bringt.
Die Anzahl der Transistoren auf einem Computerchip verdoppelt sich etwa alle 18 Monate. Diese als mooresches Gesetz bekannte Beobachtung ist eine Bürde für die Halbleiterindustrie, die immer kleinere und leistungsfähigere Chips bauen muss. Doch nun steht sie vor einer weiteren Schwierigkeit, die als »mehr als Moore« (englisch: more than Moore) bezeichnet wird: Geräte wie Smartphones erfordern mitunter Computerchips mit nichtdigitalen Komponenten (etwa Sensoren). Die Herstellung dreidimensionaler Chips bietet eine Möglichkeit, diese Herausforderung zu bewältigen. Aber es bleibt kompliziert, da die Verarbeitungsbedingungen von Schicht zu Schicht variieren. So darf beispielsweise die Temperatur der obersten Ebenen 450 Grad Celsius nicht überschreiten, was für die Halbleiterfertigung relativ niedrig ist. Zudem beeinträchtigen die rauen Oberflächen der unteren Lagen die Qualität der darüberliegenden.
Jayachandran und sein Team haben solche Probleme nun überwunden. Sie haben einen Wafer (das Substrat, das zur Produktion von Chips verwendet wird) hergestellt, der aus zwei Transistorschichten besteht. Die Ebenen enthalten jeweils mehr als 10 000 Transistoren aus Molybdändisulfid (MoS2) mit einer Dicke eines einzelnen Atoms. Die Autoren erzeugten die MoS2-Schichten separat und übertrugen sie erst anschließend auf den Wafer – ein Vorgehen, das keine hohen Temperaturen erfordert.
Ein vielseitiges Verfahren
Diese Errungenschaft ist an sich schon ausreichend, um das Interesse der Halbleiterindustrie an zweidimensionalen Materialien zu wecken. Die Forscherinnen und Forscher gingen jedoch weiter, um die Vielseitigkeit ihres Verfahrens zu verdeutlichen. Sie fertigten eine Struktur aus drei Ebenen an, die MoS2-Transistoren mit solchen aus Wolframdiselenid (WSe2) kombinierte. Die Forschungsgruppe konnte zeigen, dass die Transistoren auf jeder Stufe eine recht hohe Leistung erbringen. Anschließend verkleinerte sie die Anordnung, indem sie die Transistoren auf nur zwei Schichten anbrachte, was die Kanäle (die Strukturen, durch welche die Ladungsträger fließen) auf 45 Nanometer verkürzte. Das entspricht etwa einem Sechstel der Länge der kürzesten Kanäle in den beiden anderen Systemen. Mit dieser Technik ließe sich ein voll funktionsfähiger dreidimensionaler Schaltkreis herstellen.
Jedes Jahr gibt es neue Ideen, aus welchen Materialien Transistoren der nächsten Generation bestehen könnten. Der Hype um zweidimensionale Stoffe begann mit Graphen, einer einzelnen Schicht aus Kohlenstoffatomen. Nach jahrelanger Forschung wurde Graphen jedoch hauptsächlich in den Bereich der Elektroden verbannt, da es keine halbleitenden Eigenschaften besitzt. Andere 2-D-Materialien wie MoS2 haben dieses Problem nicht. Außerdem eignen sich die Stoffe für dreidimensionale Halbleiter, weil sie kürzere Kanallängen ermöglichen. Deshalb bergen zweidimensionale Materialien ein enormes Potenzial für die Elektronikindustrie. Das spiegelt sich auch im Interesse wider, das Unternehmen wie Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) und Intel an MoS2 und WSe2 zeigen.
Der Herstellungsprozess eines integrierten Computerschaltkreises besteht aus zwei Teilen. Die erste Phase wird als »front-end of the line« (kurz: FEOL, deutsch: vorderes Ende der Produktionslinie) bezeichnet und umfasst die Anordnung von Komponenten wie Transistoren auf dem Halbleiterchip. Die zweite Phase, als »back-end of the line« (BEOL, hinteres Ende der Produktionslinie) bekannt, bezog sich ursprünglich auf die Verdrahtung der Komponenten. Mit dem Aufkommen von »mehr als Moore« werden bei dem Schritt aber auch Bauteile wie Sensoren hinzugefügt. Das würde Halbleitermaterialien erfordern, die BEOL-kompatibel sind. Zweidimensionale Stoffe sind für die Aufgabe wahrscheinlich am besten geeignet. Fachleute sind daher auf der Suche nach einem leistungsstarken 2-D-Material, das sich zusammen mit Silizium in einem dreidimensionalen Gerät integrieren lässt.
Mehr als Moore
Um dieses Ziel zu erreichen, haben mehrere Studien die Verwendung von 2-D-Materialien für BEOL-kompatible Prozesse untersucht. Dabei wurde MoS2 bei niedrigen Temperaturen auf Wafern mit einem Durchmesser von 200 Millimetern angebracht, zudem hat man Transistoren auf MoS2-Basis entwickelt, die auch als Ferroelektrika bekannte Materialien enthalten. Eine hohe Materialqualität führt jedoch nicht zwangsläufig zu leistungsstarken Geräten. Fachleute untersuchen in solchen Studien oft nur etwa 100 Bauelemente, was nicht ausreicht, um eine Erfolgsquote zu belegen und die Halbleiterindustrie zur Entwicklung neuer Produkte anzuregen.
Die Halbleiterindustrie hat nun genügend Beweise dafür, dass sich 2-D-Stoffe hervorragend für Transistoren der nächsten Generation eignen
In dieser Hinsicht stellt die Arbeit von Jayachandran und seinen Kollegen einen entscheidenden Fortschritt dar. Das Team hat rund 20 000 Bauelemente hergestellt und charakterisiert, womit es 2-D-Materialien aus der Nische einer akademischen Kuriosität hebt. Die Halbleiterindustrie hat nun genügend Beweise dafür, dass sich zweidimensionale Stoffe durch ihre kurzen Kanallängen hervorragend für Transistoren der nächsten Generation eignen. Die Autoren haben auch gezeigt, dass sich Speicherelemente und Photodetektoren in großem Maßstab mit 2-D-Stoffen realisieren lassen, was darauf hindeutet, dass sie den Pfad zu »mehr als Moore« ebnen könnten.
Allerdings sind noch nicht alle Hürden überwunden. Die Transistoren von Jayachandran und seinen Kollegen sind »back-gated«, das heißt, sie werden durch eine Art Schalter gesteuert, der sich unterhalb des Kanals befindet. Um die Leistung der Transistoren zu verbessern, muss oberhalb des Kanals ein »Gate-Dielektrikum« angebracht werden, das noch nicht in geeignetem Maßstab verfügbar ist. Ziel ist es jedoch, irgendwann Bauelemente zu entwickeln, die vollständig von einem Gate umhüllt sind, um die Transistorkanäle möglichst gut zu kontrollieren. Das erfordert bessere Gate-Technologien für 2-D-Kanäle.
Obwohl Jayachandran und sein Team von zehntausenden funktionsfähigen Transistoren berichten, ist unklar, ob die Bauelemente von typischen Problemen anderer Kurzkanaltransistoren betroffen sind. Solange diese Frage nicht geklärt ist, lässt sich nicht beurteilen, ob sich die Bauteile für die ehrgeizigen Ziele eignen. Dennoch haben die Fachleute bewiesen, dass 2-D-Materialien das Interesse – und die Investitionen – der Halbleiterindustrie verdienen.
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