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»Austern«: Schwer zugänglich, aber köstlich

Ein Genuss mit Herz und Magen, aber ohne Hirn. Andreas Ammer schreibt nicht nur über die kulinarischen Eigenschaften von Austern, sondern offenbart auch überraschende Fakten, etwa dass sie ihr Geschlecht je nach Witterung wechseln.
Tote Pazifische Austern nach einer Hitzewelle im Sommer 2021

Die ersten Seiten des Buchs sind nichts für schwache Nerven. Andreas Ammer schildert im Detail, wie es ist, wenn der Mensch ein lebendiges Wesen hinunterschlingt. Der Autor liebt den Genuss von Austern und beschreibt dennoch schonungslos, wie es ist, diese Meerestiere zu essen: »Vor mir ein Teller mit Eis, darauf ein Dutzend geöffneter Tiere. Nach dem Öffnen gilt: Die Auster sollte tunlichst noch leben … Mit einem Messer wird der Muskel, mit dem das kleine Wesen sich mit aller Kraft wehrt, einfach durchgeschnitten … Jetzt ist es ein todgeweihtes Wesen … Sobald der feste Muskel des beim Verzehr noch lebenden Tiers durchtrennt ist, offenbart sich die darin lebende Molluske: Sie hat ein Herz, aber kein Gehirn, dafür Magen, Darm und After.«

Doch ist der Verzehr von totem Fleisch aus Massentierhaltung besser? »Fühlt der Mensch sich als Gott«, als »höheres Wesen«, wenn die Auster exakt in dem Moment stirbt, wenn sie zerbissen und verschlungen wird? Würde er Austern essen, wenn sie rot bluten würden? Woher kommt die Faszination für dieses glibberige Wesen (die wohlgemerkt nicht jeder teilt), das aus Eiweiß, Mineralien und Meerwasser besteht? Haben Austern Gefühle? Haben sie Todesangst? Nicht alle Fragen kann Ammer beantworten. Denn einige Geheimnisse halten die Tiere wohl verschlossen.

Austern: Glibbrige Meereswesen in harter Schale

Ammer geht in seinem kleinen, unterhaltsam geschriebenen Kompendium auf Spurensuche. Er startet mit einem Streifzug durch die Literatur und zitiert Schriftsteller, die ihr erstes Austernmahl beschreiben, erwähnt, wie die Auster in der Malerei für erotische Fantasien inszeniert wurde und dass sie, bevor sie zur Delikatesse wurde, »ein Arme-Leute-Essen« war. Dazu reist er rund um die Welt, von den amerikanischen Küsten bis ins Wattenmeer der Nordsee. Er besucht Fischmärkte, Hafenlokale, Schiffe und Institute, um dort Menschen zu befragen, die Austern fangen, zubereiten, züchten oder dazu forschen.

Mitten im Buch sind wunderschöne Illustrationen vom Inneren einer Auster, historische Abbildungen und zum Schluss ein paar Steckbriefe mit Zeichnungen einiger Austern zu finden. Darunter auch die Europäische Auster, die Stachelauster und die Pazifische Felsenauster Crassostrea gigas, die in Deutschland den Fantasienamen »Sylter Royal« trägt und in China gezüchtet wird.

Zu oft steht der kulinarische Genuss im Vordergrund und der Nachgeschmack beim Hinunterschlucken. Doch Ammer schreibt auch über die Probleme der Austernfischerei durch Überfischung und Krankheiten auf Grund verschlechterter Umweltbedingungen. So blieb fast nur noch die Pazifische Auster übrig. Er erklärt den ungewöhnlichen Sex der Tiere und wie sie sich im Meer fortpflanzen. Und dass die Austern wahre Meister in der Geschlechtsumwandlung sind, wenn sie mehrmals in ihrem Leben je nach Witterung ihr Geschlecht wechseln.

Trotz der vielen Verzehr-Beschreibungen lohnt sich das Buch – schon allein wegen des letzten Kapitels: »Vom glücklichen Ende«. Ammer stellt darin die Meerbiologin Bernadette Pogoda vom Alfred-Wegener-Institut vor. Im Projekt RESTORE will sie in der Nordsee zusammen mit anderen Forschenden ein ganzes Austernriff wiederherstellen und siedelt die hier einst heimische und ausgerottete Europäische Auster Ostrea edulis wieder an.

Austern existieren seit mehr als 250 Millionen Jahren. Dennoch war es für Pogoda nicht leicht, genügend Europäische Austern für die Zucht aufzutreiben. Für das neue Riff in der Nordsee suchte sie mühsam einzelne Exemplare auf der ganzen Welt zusammen. Doch vielleicht, so Ammer, könnte die Auster den Menschen überleben. Das Potenzial dafür hat sie, und vielleicht ist dies ein glückliches Ende – jedenfalls für die Auster.

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