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»Die Kunst des Lebens, die Kunst des Sterbens«: Die Rückeroberung des Sterbens

Unter Rückgriff auf die christliche Tradition möchte Lorenz Jäger das Reden über den Tod wieder menschlicher gestalten. Sein Buch wirkt etwas aus der Zeit gefallen.

Der kommunikative Graben zwischen Wissenschaft und Gesellschaft scheint sich in den letzten Jahren vertieft zu haben. Hier drängt sich nicht nur die Erinnerung an die Pandemie auf, in der die Wissenschaftskommunikation, die diese Kluft eigentlich überwinden sollte, oft zwischen die politischen Fronten geriet. Auch bei Debatten zur künstlichen Intelligenz oder dem Klimawandel wird »die Wissenschaft« häufig zum Kampfbegriff und damit ihrer Rolle als unabhängiger Instanz beraubt. So geführte Debatten werden dann der Komplexität insbesondere solcher Themen nicht gerecht, für die Technologien maßgeblich sind. Deren wissenschaftlicher Hintergrund bleibt uns meist rätselhaft – und zwar nicht nur im Alltag, sondern auch bei Existenziellem: dem Sterben.

Während noch vor zweihundert Jahren die meisten Menschen zu Hause aus dem Leben schieden, findet dies heute überwiegend in dafür vorgesehenen Institutionen statt. Hochtechnologisierte Krankenhäuser sowie Pflegeheime und Palliativpflegeeinrichtungen, die von Menschen mit spezieller Ausbildung betrieben werden, werden zu den üblichen Orten des Todes. Dass er heute, anders als früher, eigene Orte zu haben scheint, erleichtert es gesunden und jungen Menschen, dieses unangenehme Thema zu verdrängen. So hat sich der Diskurs darüber zu Wissenschaftlern, Medizinern und anderen Fachpersonen verlagert.

Alte Texte, merkwürdige Thesen

In »Die Kunst des Lebens, die Kunst des Sterbens« will Lorenz Jäger diesem Trend, den er »Expertokratisierung des Todes« nennt, etwas entgegensetzen. Der Soziologe, Germanist und Journalist plädiert für eine Wiederaneignung des Lebens und vor allem des Sterbens in der westlichen Welt. Wem übrigens der Name des Autors bekannt vorkommt: Jäger wurde zeitweise der sogenannten Neuen Rechten zugeordnet, distanzierte sich aber schon 2011 von deren Vertretern.

Dieses philosophische Werk, das neben Prolog und 19 Kapiteln noch Anmerkungen und ein Personenregister enthält, schöpft hinsichtlich der verwendeten literarischen Beispiele aus dem Vollen – nahezu jede europäische Nationalliteratur darf ihren Teil beitragen. Am dominantesten sind aber jene Schriften, die in der Zeit sehr weit zurückliegen – vor allem die Werke Homers und die Bibel –, wovon sich Jäger einen gewissen Perspektivenwechsel erhofft. So klingt auch der schwülstige Stil des Autors etwas altmodisch, seine teils stark von Metaphern bestimmten Gedankengänge wirken – nicht zuletzt auch wegen ihrer deutlich christlichen Untertöne – etwas aus der Zeit gefallen. Die einzelnen Kapitel, die sich eher wie voneinander unabhängige Essays lesen, enthalten zudem regelmäßig merkwürdig anmutende Einlassungen, die etablierte Fakten ignorieren.

So heißt es in einem Abschnitt über das Nehmen des Lebens, James Earl Ray, der 1968 Martin Luther King (1929–1968) getötet hat, habe dies aus Neid auf Kings Charisma getan: Er habe einen, mit Max Scheler (1874–1928) gesprochen, »Existenzialneid« verspürt, sei also neidisch darauf gewesen, nicht selbst Martin Luther King zu sein. Diese Argumentation erscheint vor dem Hintergrund, dass Ray nachgewiesenermaßen und offen ein Rassist war, der sogar ins damalige Apartheid-Rhodesien (das heutige Zimbabwe) auswandern wollte, extrem unplausibel.

Doch nicht nur solche Gedanken, die vor dem politischen Hintergrund Jägers ein gewisses »Gschmäckle« bekommen, sind problematisch. Auch der schon angesprochene christliche Unterbau des Werks könnte manchen Leser abschrecken. So befasst sich das letzte Kapitel, nach einigen Überlegungen zu »Finnegans Wake« von James Joyce (1882–1941), mit den letzten Sätzen Jesu im Neuen Testament. Ein Satz wie »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun« wird als Ausdruck des Verzeihens auch dem Leser als einer seiner letzten Sätze empfohlen. Wenngleich gegen das Verzeihen an sich nichts einzuwenden ist, fragt man sich doch, ob eine so stark religiös inspirierte Empfehlung in einer pluralistischen und säkularen Gesellschaft auf die gewünschte Resonanz stoßen kann. Insgesamt ist »Die Kunst des Lebens, die Kunst des Sterbens« ein sprachlich etwas archaisch anmutendes, philosophisch sehr assoziatives, religiös fundiertes Buch, das durchaus seine Stärken hat, aber nur einem sehr begrenzten Publikum zu empfehlen sein dürfte.

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