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»Die Evolution des Wissens«: Aus dem Maschinenraum der Wissenschaft

Der Physiker Jürgen Renn beschreibt, wie sich Wissen vom Anbeginn des menschlichen Denkens bis heute entwickelt hat. Eine Rezension
Hände halten schützend ein Gehirn

Die »Evolution des Wissens« beschreibt die Geschichte des Wissens von den Ursprüngen des menschlichen Denkens bis heute. Der Physiker Jürgen Renn, Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, stellt diese Geschichte aus einer globalen Perspektive vor, die wissenschaftshistorische, kulturelle und geografische Aspekte berücksichtigt. Das ist ein sehr ambitioniertes Ziel, was sich im Umfang des Werks widerspiegelt: Inklusive eines Glossars und umfangreichen Literaturverzeichnisses liegen knapp 1100 Seiten vor.

Das Buch ist in fünf Teile gegliedert, die von der Definition von Wissen und Wissenschaft über die Strukturen des Wissens und ihren Einfluss auf die Gesellschaft sowie die weltweite Verbreitung von Wissen reichen. In dem abschließenden Teil »Von welchem Wissen unsere Zukunft abhängt« präsentiert Renn eine Zukunftsperspektive der Wissenschaft, um den Herausforderungen der Menschheit zu begegnen.

Die technologische Entwicklung hat nicht nur Vorteile

Die Bedeutung des Untertitels »Eine Neubestimmung der Wissenschaft für das Anthropozän« wird in den letzten Kapiteln deutlich. Während der frühen Entwicklung der Menschheit wurden Technologien entwickelt, die sich nur begrenzt auf die Umwelt auswirkten. Insbesondere im 20. Jahrhundert hat jedoch nicht nur die Weltbevölkerung stark zugenommen, sondern auch die menschliche Aktivität auf Basis des fortgeschrittenen Wissens über Physik, Chemie und Biologie. Das hat die Umwelt stark und meist sehr negativ beeinflusst: Es sterben zahlreiche Tier- und Pflanzenarten aus, außerdem verändern wir Umwelt und Klima. Renn sieht viele der Entwicklungen kritisch: »Menschen sind mittlerweile in der Lage, Forschungsexpeditionen in den Weltraum zu entsenden, doch nach wie vor gelingt es nicht, hunderte Millionen von Mitmenschen … vor Armut oder Hunger zu bewahren.« Dabei handelt es sich zwar vorrangig um Probleme von Politik und Wirtschaft, »doch es sind eben auch Fragen des Wissens und der Wissenschaft«, wie der Autor betont.

Renn verwendet eine breite Sichtweise: Wissen bestehe nicht nur aus wissenschaftlichen Ergebnissen, sondern auch aus Kompetenzen wie die Erfindung der Schrift, der frühneuzeitlichen wissenschaftlichen Revolution, Agrarwirtschaft oder Techniken zur Errichtung von Gebäuden bis hin zum Bau technischer Geräte, der Industrialisierung sowie Digitalisierung. All das wirkt sich drastisch auf das tägliche Leben der Menschen und die Umwelt aus, in der wir leben. Deshalb gehören aus Sicht des Autors auch soziale Strukturen, Wirtschaft, Politik und Kultur zur Wissensökonomie einer Gesellschaft.

In dem Buch untersucht Renn, wie Wissen entsteht, sich verändert und weltweit verbreitet. Dabei will er über die traditionelle lineare Darstellung der Wissensentwicklung hinausgehen: »Wir sollten nach neuen Vorgehensweisen suchen und eher vergleichende und systemische Perspektiven einbeziehen. All das können wir allerdings nicht als eine reflexive Übung im Schutze des Elfenbeinturms unternehmen. Wir müssen dazu in den Maschinenraum der Wissenschaft hinabsteigen und an denjenigen tagtäglichen Anstrengungen mitwirken, deren Ziel es ist, das Anthropozän in eine lebenswerte Umwelt für die Menschheit zu verwandeln.«

Das Buch ist stellenweise recht akademisch, sonst aber flüssig geschrieben und somit sicher für die kommenden langen Winterabende geeignet. Angesichts der thematischen Breite gewinnt man einen guten und detailreichen Überblick über die Entwicklung von Wissen und Wissenschaft der letzten Jahrhunderte – und über die komplexen Herausforderungen, mit denen sich die Menschheit im Anthropozän auseinandersetzen muss.

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