Was Genies ausmacht
Als hochbegabt gilt, wer einen Intelligenzquotienten von über 130 hat. Das trifft nur auf etwa zwei Prozent der Bevölkerung zu. Die meisten Menschen bewegen sich dagegen um einen Mittelwert von 100 IQ-Punkten.
In Fachkreisen begegnet man zuweilen auch dem Superlativ der »Höchstbegabten«. Das sind Personen mit einem IQ von über 145. Nur einer von 1000 erreicht diesen Wert. Diese außerordentlich klugen Menschen unterscheiden sich in einigen Merkmalen von Normalos und moderat Hochbegabten, davon ist die Psychologin und Verhaltenstherapeutin Andrea Brackmann überzeugt. Sie arbeitete viele Jahre mit betroffenen Kindern und Erwachsenen und verbindet in ihrem neuen Buch »Extrem begabt« ihre persönlichen Erfahrungen mit neuesten Erkenntnissen aus der Hochbegabtenforschung.
Ungewöhnliche Begeisterung für abstrakte Konzepte
In zehn Kapiteln nähert sie sich dem Phänomen Höchstbegabung aus verschiedenen Blickwinkeln. Zu Beginn trägt sie mögliche Anzeichen zusammen: darunter eine extreme Leistungsfähigkeit und ein ungebremster Schaffensdrang, ein außerordentliches Gedächtnis, die Suche nach Mustern und Bedeutungen in der Welt, ein starkes Verlangen nach Logik und Präzision sowie eine ungewöhnlich emotionale Reaktion auf abstrakte wissenschaftliche Konzepte. So soll die österreichische Kernphysikerin Lise Meitner (1878-1968) als Kind mit ihrem Mathematikbuch unter dem Kopfkissen geschlafen und später gesagt haben: »Herzlich liebe ich die Physik.«
Paradoxerweise fallen Höchstbegabte laut Brackmann oft durch scheinbar dumme Fragen auf und scheitern mitunter an den einfachsten Aufgaben eines Intelligenztests. Das liege daran, dass sie – anders als moderat Hochbegabte – alles bis aufs Äußerste hinterfragen und ihnen zu jedem Gedanken Unmengen von möglichen Ausnahmen und Alternativen durch den Kopf schießen.
Im Anschluss postuliert Andrea Brackmann basierend auf Untersuchungen verschiedene Typen von Hochbegabten und unterscheidet sie anhand der Domänen, in denen sie brillieren. Sie nennt etwa »strebsame Experten«, die meist in der Wissenschaft zu finden sind, »kreative Erneuerer«, die mit ihrer Innovationskraft die Grenzen ihres Fachgebiets sprengen, breit gebildete »Generalisten« und »hochbegabte Dilettanten«, die so vielseitig interessiert sind, dass sie sich selten auf einem Gebiet profundes Wissen aneignen können.
Einen Großteil des Buchs machen psychologische Porträts berühmter Genies aus, mit Hilfe derer die Autorin die Merkmale der Höchstbegabung illustriert, darunter Albert Einstein, Hildegard von Bingen, Marie Curie, Vincent van Gogh, die zeitgenössische Musikerin Björk und viele andere. Ein Unterkapitel widmet Andrea Brackmann genialen Frauen, die in der Erzählung des männlichen Geniekults oft untergehen. Diese biografischen Auszüge sind so lebendig und spannend, dass man meinen könnte, man lese einen Roman.
Des Weiteren geht die Autorin den Fragen auf den Grund, ob Genie und Wahnsinn zusammengehören, wie sich Hoch- und Höchstbegabte am besten fördern lassen und was diese Personen zu unserer Gesellschaft beitragen können. Ihre Faszination für das Thema fasst sie in einem Satz zusammen: »Ich möchte wissen, welche Sicht die klügsten Menschen der Geschichte auf das Leben haben und wie sie es gestalten.«
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