Amerikas frühe Entdecker
Haben die Wikinger bereits um das Jahr 1000 herum Amerika entdeckt – also fast 500 Jahre, bevor Christoph Kolumbus auf der Insel San Salvador landete? Eine Frage, die Forscher bereits seit dem 19. Jahrhundert umtreibt. Zu dem Thema sind unzählige Veröffentlichungen erschienen.
Auch der Bonner Skandinavist Rudolf Simek nimmt sich des Rätsels an. Im vorliegenden Buch schildert er die Geschichte der Entdeckung Amerikas durch die Wikinger, wobei er sich auf mittelalterliche Erzählungen – die isländischen Sagas – und auf archäologische Funde stützt, die seit den 1960er Jahren vorliegen. Dabei präsentiert der Autor verschiedene Denkansätze, die er für ein breites Publikum verständlich aufbereitet darlegt.
Sehr gut lesbar umreißt Simek in elf Kapiteln die Entdeckungsreisen der Wikinger, dem Wortsinn nach vermutlich Seeräuber oder Seekrieger. Eingangs geht er kurz auf den spektakulären Siedlungsfund in L'Anse aux Meadows an der Nordspitze Neufundlands ein, lenkt den Blick des Lesers dann aber zunächst zurück nach Europa. Die folgenden Kapitel erläutern das Expansionsstreben der frühmittelalterlichen Skandinavier innerhalb Europas, deren Suche nach neuen Siedlungsgebieten, und liefern einen differenzierten Blick auf die Herkunft der Entdecker. Gut nachvollziehbar legt der Autor dar, dass es sich bei den Wikingern nicht nur um Piraten, sondern überwiegend um Bauern gehandelt haben muss, die Eirik dem Roten von Island aus nach Grönland folgten, um dort eine neue Lebensgrundlage zu finden.
An Neufundlands Ufern
Im Zentralteil stellt Simek die beiden Haupttexte über die Fahrten der Nordleute – die Saga von Eirik dem Roten und die Saga von den Bewohnern Grönlands – quellenkritisch gegenüber und extrahiert den historischen Aussagewert dieser literarischen Auftragsarbeiten des 13. Jahrhunderts. Er macht deutlich, dass die neu entdeckte Welt – das Vínland – hier in stark idealisierter Form als Gelobtes Land überhöht wird. Auch wenn die Sagas als eine Art historischer Roman angesehen werden müssen, kann Simek zahlreiche Belege dafür finden, dass isländische und grönländische Siedler die Neue Welt erreichten. Neben einzelnen Haushaltsobjekten oder Resten von Schmuckstücken sind es vor allem die Überreste in L'Anse aux Meadows selbst, die für den Autor keinen Zweifel daran lassen, dass es sich bei den Siedlern um Skandinavier gehandelt haben muss. Die Bauten dort schienen ein Basislager zu sein, von wo aus Expeditionen in Richtung Süden stattfanden.
Spannend zu lesen sind die Darstellungen zum Schiffbau und zu den nautischen Fähigkeiten der nordischen Seefahrer – und ihr dadurch geprägtes Weltbild. Letzteres hat Eingang in die mittelalterliche Geografie gefunden, was mit sehr anschaulichen, wenngleich etwas klein gedruckten Karten illustriert wird.
Die informativen Texte Simeks und die immer wieder eingestreuten Auszüge aus den Sagas ergeben eine gelungene Mischung – eine angenehm zu lesende Lektüre, die zu dem ein oder anderen Blick in den Atlas anregt. Da die einzelnen Kapitel in sich abgeschlossene Einheiten darstellen, kommt es hin und wieder zu Redundanzen, die bei einem Buch dieses Umfangs nicht zwingend erforderlich wären. Auch geht das Werk nicht auf die neuesten mutmaßlichen Wikingerfunde in Amerika ein. Insgesamt jedoch ist der Band, den ein Glossar mit Personen- und Ortsnamen sinnvoll ergänzt, sehr lesenswert.
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