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Mein Erbgut und ich

Wenn eine Genanalyse etwas Aufregendes ergibt, dann geht es stets um Mutationen. Und das bedeutet in der Regel: schlechte Nachrichten. So erklärt die dänische Journalistin Lone Frank die Krux der Erbgutsequenzierung, einer für viele Menschen heute schon erschwinglichen Untersuchung. Die studierte Neurobiologin erprobt am eigenen Leib, was uns in der schönen neuen Welt der Gendiagnostik erwarten könnte. Sie testet kommerzielle Anbieter und stellt sich als Forschungsobjekt zur Verfügung, besucht wissenschaftliche Tagungen und diskutiert mit Fachleuten über Chancen und Risiken der Genanalyse, der personalisierten Medizin und der Präimplantationsdiagnostik.

Bevor sich Frank ausführlich den Anwendungsgebieten und damit verbundenen ethischen Fragen widmet, rekapituliert sie die Geschichte der Genforschung und den Stand der Wissenschaft. In den 1980er Jahren startete das Humangenomprojekt mit dem Ziel, das menschliche Genom komplett zu entziffern. 2001 lag eine vollständige Kartierung der mehr als 20 000 Erbanlagen vor.

Allerdings unterscheide nur ein halbes Prozent genetischer Information einen Menschen vom anderen. Ursache sind Mutationen, darunter fehlende, vertauschte, verschobene oder vervielfältig­te Stücke von DNA. Wenn eine oder mehrere dieser Mutationen bei Menschen mit einer Erkrankung häufiger auftreten als bei gesunden, dann gilt die Mutation als Marker für die Krankheit, wie zum Beispiel bei der altersabhängigen Makula­degeneration.

Über 400 solche Assoziationen habe man bisher aufgedeckt, berichtet Frank. Anhand der genetischen Marker schätzen Unternehmen, die für Privatpersonen kommerzielle Genprofile anfertigen, das Risiko für bestimmte Erkrankungen ein. Das Personal Genome Project bietet das auch kostenlos an. Gesucht sind dafür 100 000 Freiwillige, die sich einverstanden erklären, für eine kostenlose Sequenzierung ihres Genoms ihre persönlichen Daten und Gesundheitsinformationen frei zugänglich ins Web zu stellen.

Zu intim? Erbanlagen seien etwas Abstraktes, findet die Autorin und hält mit ihren eigenen Ergebnissen nicht hinterm Berg. Sie neigt laut Testergebnis zum Beispiel zu Lungenkrebs. Aber das bedeute nicht viel. »Selbst wenn Sie genetisch vorbelas­tet sind, geht Ihr Risiko gegen null, wenn Sie nicht rauchen«, erfährt sie vom Fachmann. Wie stark sich die Gen­varianten beim einzelnen Menschen auswirken, bleibe ein Rätsel.

Franks offener und persönlicher Erzählstil vermittelt einen authentischen Eindruck davon, wie es sich für sie anfühlt, die eigene DNA entziffert zu bekommen. Es sei schlicht "überwältigend", wenn auch auf ganz andere Art und Weise als erwartet. Denn mit dem Wust an In­formationen über Genanomalien und Krankheitsrisiken könne Otto Normal­verbraucher nicht viel anfangen, solange ihm niemand die Ergebnisse erklärt. Zweites Problem bei einer kompletten Sequenzierung: Von 90 Prozent unserer Gene wisse man gar nicht, welche biologische Funk­tion sie erfüllen. Jedes Jahr entdecken Forscher neue Risikogene; die Interpretation eines sequenzierten Genoms verändere sich deshalb ständig.

Was spricht dann noch für eine Genana­lyse? Langfristig werde sie die Grundlage der personalisierten Medizin bilden, also erlauben, Prävention und Behandlung »genau auf die Physiologie eines bestimmten Menschen« zuzuschneiden. Das zentrale Argument für Gentests laute deshalb, es könne unethisch sein, eine Technologie nicht zu nutzen. Eine Frage aber bleibe unbeantwortet: Wer definiere, ob ein laut Gentest erhöhtes Krankheitsrisiko eine Abtreibung rechtfertigt?

Die komplizierte Faktenlage erläutert Frank fundiert und leicht verständlich, schreckt dabei aber auch vor diffizilen molekularbiologischen Zusammenhängen und Fachbegriffen nicht zurück. Nur selten sind ihr oder der Übersetzerin fragwürdige Formulierungen durchgerutscht, etwa dass bei Probanden mit einer bestimmten Genvariante diese oder jene Hirnregion »wie ein Feuerwerkskörper« leuchte.

Einem allein an der Wissenschaft in­teressierten Leser gehen die ausführlich protokollierten Gedankengänge der Autorin vielleicht zu weit. Für interessierte Laien jedoch veranschaulichen gerade diese Passagen, vor welchen Fragen der Mensch künftig stehen könnte. Wie wird uns das Wissen um die eigenen Erbanlagen verändern? Frank hat ihre Antwort gefunden. Sie betrachtet ihre Gene nicht als Schicksal, sondern als ein Blatt Karten, das ihr zugeteilt wurde – und ihr einen gewissen Spielraum lässt.
  • Quellen
Gehirn & Geist 12/2011

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