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Der Mathematische Monatskalender: Carl Gustav Jacob Jacobi (1804–1851)

Jacobi muss vier Jahre lang die oberste Klasse des Gymnasiums besuchen, weil er erst mit 16 Jahren Abitur machen darf.
Carl Gustav Jacob Jacobi

Jacques Simon Jacobi, der zweitälteste Sohn des vermögenden jüdischen Bankiers Simon Jacobi, erhält bis zu seinem 11. Lebensjahr Privatunterricht durch einen Onkel. Erst dann tritt er in ein Gymnasium ein; aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten wird er in die oberste Klasse (Prima) eingestuft. Da er jedoch am Ende des Schuljahrs noch zu jung ist, um ein Studium an der Universität aufzunehmen, muss er vier Jahre lang die gleiche Klasse besuchen. Sein Mathematiklehrer bemerkt bald, dass er ihn nicht mit dem normalen Unterrichtsstoff behelligen darf; während die Mitschüler sich noch mit den Anfangsgründen der Algebra beschäftigen, arbeitet der Junge selbstständig EulersIntroductio in analysin infinitorum durch und versucht, ein allgemeines Verfahren zur Lösung von Gleichungen 5. Grades durch Radikale (das heißt mit Hilfe von Wurzelausdrücken) zu finden. Als er 16 Jahre alt ist, kann er endlich das Gymnasium verlassen, mit ausgezeichneten Abschlussnoten in Mathematik, den alten Sprachen und Geschichte.

An der Universität in Berlin belegt er Vorlesungen über Philosophie, die alten Sprachen und Mathematik. In Mathematik, dem Fach, für das er sich nach zwei Jahren als Schwerpunktfach entscheidet, werden jedoch kaum Vorlesungen auf höherem Niveau angeboten, sodass er sich auch hier selbstständig über den aktuellen Stand der Forschung informieren muss. Mit 19 Jahren reicht er seine Dissertation ein (über die Zerlegung algebraischer Brüche und Umformungen unendlicher Reihen). Gleichzeitig legt er Prüfungen ab, die ihn berechtigen, an Gymnasien die Fächer Mathematik, Griechisch und Latein zu unterrichten.

Als Jude hat er eigentlich keine Aussichten, eine Stelle als Lehrer zu finden, jedoch hat sich wohl herumgesprochen, welche besonderen Fähigkeiten in diesem jungen Mann stecken. Und so bietet das angesehene Joachimsthal'sche Gymnasium ihm eine Stelle an; Jacobi jedoch arbeitet bereits an seiner Habilitationsschrift.

Zwar hatte der preußische König im Rahmen der Hardenberg'schen Reformen 1812 auch den Juden Niederlassungsfreiheit und Bürgerrechte eingeräumt, darunter auch das Recht, einen akademischen Beruf zu ergreifen, aber diese wurden 1822 wieder zurückgenommen und alle Juden aus dem Staatsdienst entlassen. Wie zahlreiche andere gebildete Juden wählt auch Jacobi einen Ausweg: Um das Jahr 1825 konvertiert er zum Christentum (verbunden mit der Änderung seines Vornamens) – jetzt steht ihm der Weg für eine Karriere als Hochschullehrer offen. Seine erste Vorlesung erteilt der Privatdozent an der Universität Berlin über die Theorie der Flächen und Kurven im Raum.

Angeregt durch die Gauß'schen Untersuchungen zu quadratischen und biquadratischen Resten beschäftigt sich Jacobi mit kubischen Resten und teilt seine Ergebnisse Gauß mit. Dieser ist beeindruckt und wendet sich an seinen Freund, der Königsberger Astronomen Friedrich Wilhelm Bessel, um mehr über den 21-Jährigen zu erfahren, der in der Zwischenzeit eine frei gewordene Dozentenstelle an der Universität Königsberg angetreten hat.

Auch wendet sich Jacobi in einem Brief an Adrien-Marie Legendre (1752 – 1833), den führenden Experten zum Thema Elliptische Funktionen, da er hierzu neue Ideen entwickelt hat. Auch dieser stellt fest, dass Jacobi entscheidende Fortschritte gelungen sind. Allerdings ist es nicht nur Jacobi, der die Legendre'schen Ansätze längst hinter sich gelassen hat. Auch der Norweger Niels Henrik Abel hat – unabhängig von Jacobi – mit ähnlichen Ansätzen die Theorie weiterentwickelt.

Die Bogenlänge einer Ellipse mit den Halbachsen \(a, b\) und der numerischen Exzentrizität \(\epsilon \) kann man mithilfe eines Integrals berechnen:

\(f(x)= a \cdot \int_0^x \sqrt{1-\epsilon^2 \ \cos^2(t)}\ dt\),

dabei wird jedem Mittelpunktswinkel \(x\) die Bogenlänge \(f(x)\) zugeordnet. Ein solches Integral ist nicht elementar berechenbar, das heißt, man kann keine elementare Funktion angeben, deren Ableitung gleich der Integrandfunktion ist – die Funktionswerte von \(f\) können nur numerisch bestimmt werden. Abel und Jacobi untersuchen Eigenschaften der zugehörigen Umkehrfunktion und begründen so die Theorie der elliptischen Funktionen.

Abwechselnd reichen beide Beiträge bei einer neu gegründeten Fachzeitschrift ein, Crelles Journal für die reine und angewandte Mathematik. Neue Ansätze des einen führen zu neuen Ideen beim anderen; innerhalb weniger Monate erlebt die Theorie der elliptischen Funktionen eine gewaltige Entwicklung. In einem Brief stellt Legendre später fest: Sie machen so schnelle Fortschritte, meine Herren, in Ihren Vermutungen, dass es kaum möglich ist, Ihnen zu folgen, insbesondere für einen alten Mann … Ich beglückwünsche mich, dass ich lange genug gelebt habe, um Zeuge dieses edelmütigen Wettstreits zwischen zwei jungen, gleich starken Athleten zu werden, die ihr ganzes Bemühen zum Nutzen der Wissenschaft darauf richten, die Grenzen (der Erkenntnis) immer weiter hinauszuschieben.

Der »edelmütige Wettstreit« wird jäh durch den frühen Tod Abels im April 1829 beendet. Noch im selben Jahr veröffentlicht Jacobi die zusammenfassende Schrift Fundamenta nova theoriae functionum ellipticarum.

Die positiven Einschätzungen von Gauss und Legendre tragen mit dazu bei, dass Jacobi bereits kurz nach seinem 23. Geburtstag zum außerordentlichen Professor ernannt wird und im Alter von 27 Jahren eine ordentliche Professur erhält. Durch den ausgezeichneten Ruf, den Jacobis Vorlesungen haben, kommen immer mehr Studenten an die Universität Königsberg. Er macht es sich zur Gewohnheit, die neuesten Ergebnisse der mathematischen Forschung in seine Vorlesungen einzubeziehen. Als Erster richtet er – nach dem Vorbild der klassischen Fächer – auch im Fach Mathematik Seminare ein.

1842 besuchen Bessel und Jacobi als Vertreter Preußens einen Kongress der British Association for the Advancement of Science in Manchester. Dort kommt es auch zu einer Begegnung mit dem irischen Astronomen und Mathematiker William Rowan Hamilton, aus der sich eine Reihe von zukünftigen Arbeiten Jacobis zur Mechanik des Planetensystems ergeben. Auf dem Rückweg über Paris hält Jacobi einen Vortrag in der Académie des Sciences. Er ist auf dem Höhepunkt seines Ruhm angekommen.

Als 1843 bei ihm Diabetes festgestellt wird, empfiehlt ihm der Arzt, sich in einer Gegend mit milderem Klima zu erholen. Allerdings ist Jacobi nicht in der Lage, einen solchen Aufenthalt zu finanzieren – das geerbte Vermögen ist durch den Konkurs der Bank verloren gegangen. Alexander von Humboldt, mit dem Jacobi seit 1828 in brieflichem Kontakt steht, unterstützt seinen Antrag an den preußischen König, und so kann er nach Italien reisen – in seiner Begleitung ist Dirichlet, mit dem er sich angefreundet hat. Im milden Klima Italiens erholt er sich zusehends und beginnt wieder wissenschaftlich zu arbeiten. In Rom vertieft er sich in der Arithmetica des Diophant, die sich in den Archiven des Vatikan befindet.

Jacobi, dem der Klimawechsel offensichtlich gut bekommen ist, möchte nicht wieder nach Königsberg zurückkehren. In Anerkennung seiner Verdienste stimmt der preußische König einem Wechsel nach Berlin zu (verbunden mit einer Gehaltserhöhung – wegen der höheren Lebenshaltungskosten in der Großstadt – und einem Zuschlag wegen der zu erwartenden Krankheitskosten). Als Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften ist er berechtigt, aber nicht verpflichtet, Vorlesungen zu halten.

Während der Revolution 1848 hält Jacobi eine politische Rede im Konstitutionellen Club der liberalen Partei, mit der er Monarchisten und Republikaner zugleich verprellt. Nach Niederschlagung der revolutionären Bewegungen wird sein Antrag, auch formal an die Universität Berlin versetzt zu werden, abgelehnt. Auch wird ihm, der sich als undankbar gegenüber seinem König erwiesen hat, der Gehaltszuschlag gestrichen. Jacobi kann sich das Leben in Berlin nicht mehr leisten; ein Freund nimmt ihn und seine Familie in einem Haus in Gotha auf (Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha).

Erst als Jabobi eine Professur an der Universität Wien angeboten wird, realisiert die preußische Regierung, dass der nach Gauß berühmteste Mathematiker Europas dabei ist, das Land zu verlassen. Um eine solche Blamage zu vermeiden, bietet man ihm jetzt doch eine feste Stelle in Berlin an. Seine Frau und seine sieben Kinder, die weiterhin in Gotha wohnen, kann er allerdings nur in den Semesterferien besuchen.

Im Januar 1851 erkrankt er an einem grippalen Infekt, und bevor er sich von der Krankheit erholen kann, infiziert er sich an Pocken. Wenige Tage später stirbt er im Alter von gerade einmal 46 Jahren. In der Gedächtnisfeier der Akademie der Wissenschaften würdigt Dirichlet das Lebenswerk des Verstorbenen und vergleicht es mit dem Eulers: Zwar kommt Jacobi mit 180 Veröffentlichungen nicht an die über 800 Schriften Eulers heran, aber was wäre noch alles von Jacobi zu erwarten gewesen, wenn dieser so lange wie Euler (1707 – 1783) gelebt hätte!

Wie Euler verfasste Jacobi bedeutsame Schriften zu sehr unterschiedlichen Gebieten: Wichtige Ergebnisse erzielte er bei der Entwicklung der Theorie der Differenzialgleichungen, in der Variationsrechnung (von der Untersuchung der Auswirkung von kleinen Veränderungen schließt man auf Extrema), in der Differenzialgeometrie (zum Beispiel Bestimmung von geodätischen Linien auf Ellipsoiden), in der analytischen Mechanik.

In zahlreichen Begriffen wird auch heute noch der Name Jacobis verwendet, beispielsweise bei der Jacobi-Matrix (Volumen- und Oberflächenbestimmung in mehrdimensionalen Räumen) oder beim Jacobi-Verfahren (Weiterentwicklung des Gauß-Algorithmus zur Lösung von linearen Gleichungssystemen).

Die Reihe der Veröffentlichungen zur Zahlentheorie hatte Jacobi mit Untersuchungen zu kubischen Resten begonnen, danach fortgesetzt mit Ergänzungen zum Vier-Quadrate-Satz von Lagrange. Dieser hatte 1770 den Satz bewiesen, dass sich jede natürliche Zahl als Summe von höchstens vier Quadratzahlen darstellen lässt.

Bereits Fermat hatte herausgefunden, dass sich jede Primzahl \(p\), die bei Division durch 4 den Rest 1 lässt (\(p \equiv 1\ \text{mod}\ 4\) ), als Summe zweier Quadratzahlen darstellen lässt. Jacobi leitet hieraus den Satz her:

Eine natürliche Zahl \(n\) ist genau dann als Summe von zwei Quadratzahlen darstellbar, wenn die Primafaktoren \(p\) von \(n\), die bei der Division durch 4 den Rest 3 lassen, geradzahlig oft vorkommen.

Legendre hatte ein Kriterium herausgefunden, wann eine natürliche Zahl als Summe von höchstens drei Quadratzahlen darstellbar ist. Unter den natürlichen Zahlen, für die man tatsächlich vier Quadratzahlen als Summanden benötigt, gibt es auch solche, für die man mehrere Darstellungen angeben kann, z. B. kann \(28\) geschrieben werden sowohl als \(4^2 + 2^2 + 2^2 + 2^2\) wie auch als \(3^2 + 3^2 + 3^2 + 1^2\); die Zahl \(55\) auf dreierlei Arten: \(7^2 + 2^2 + 1^2 + 1^2\) und \( 5^2 + 5^2 + 2^2 + 1^2\) und \(6^2 + 3^2 + 3^2 + 1^2\); für \(87\) gibt es vier Darstellungsmöglichkeiten \(9^2 + 2^2 + 1^2 + 1^2\) und \(7^2 + 6^2 + 1^2 + 1^2\) und \( 7^2 + 5^2 + 3^2 + 2^2\) und \( 6^2 + 5^2 + 5^2 + 1^2.\)

Mithilfe elliptischer Funktionen beweist Jacobi eine Formel, mit der man die Anzahl \(r(n)\) der Darstellungsmöglichkeiten einer natürlichen Zahl \(n\) als geordnete Summe der Quadrate von vier ganzen Zahlen bestimmen kann (also einschließlich aller Vertauschungen der Reihenfolge und unter Berücksichtigung unterschiedlicher Vorzeichen):

Ist \(n\) durch \(4\) teilbar, dann gilt: \( r(n) = 8 \cdot \sigma(n) – 32 \cdot \sigma( \frac{1 }{4 } n)\). Ist \(n\) nicht durch \(4\) teilbar, dann gilt: \(r(n) = 8 \cdot \sigma(n)\). Dabei ist \(\sigma(n)\) gleich der Summe aller Teiler von \(n\). (Satz von Jacobi)

Während Euler sich gleichermaßen mit Problemen der angewandten wie der reinen Mathematik beschäftigte, liegt der Schwerpunkt Jacobis in der reinen Mathematik – gemäß seiner ersten These der Königsberger Antrittsvorlesung: Mathesis est scientia eorum, quae per se clara sunt. (Mathematik ist die Wissenschaft von den Dingen, die aus sich klar sind.)

Jacques Simon Jacobi (1804-1851)

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