Der Mathematische Monatskalender: Christopher Clavius (1538–1612)
Ob der ursprüngliche Name von Christopher Clavius einmal Christoph Clau oder Christoph Schlüssel war (von lateinisch clavis = Schlüssel), wird sich wohl nicht mehr klären lassen. Fest steht nur, dass der junge Franke, der im Alter von 17 Jahren dem Orden der Jesuiten beitritt, irgendwann den latinisierten Namen annimmt.
Von Bamberg aus geht er nach Rom und dann weiter zum Studium an das Jesuitenkolleg an der altehrwürdigen Universität in Coimbra (Portugal).
In den Kursen für Mathematik fällt seine besondere Begabung für dieses Fach auf, und durch seinen Lehrer Pedro Nunes, einen der bedeutendsten Mathematiker seiner Zeit, erfährt Christopher Clavius eine optimale Ausbildung. Das eindrucksvolle Erlebnis einer totalen Sonnenfinsternis im August 1560 weckt darüber hinaus sein besonderes Interesse an astronomischen Fragen.
Im Collegio Romano setzt er seine Studien in Theologie fort. Ab 1564 wird er an dieser Hochschule der Jesuiten als Mathematikdozent tätig. Dort erlebt er 1567, zum zweiten Mal in seinem Leben, das bewegende Naturschauspiel einer totalen Sonnenfinsternis.
1570 beschreibt Christopher Clavius diese beiden Erlebnisse detailliert in einem Kommentar zum »Tractatus de Sphaera« des englischen Mathematikers und Astronomen Joannis de Sacro Bosco (John of Holywood, 1195–1256), der an der Universität Paris lehrte. Bis ins 17. Jahrhundert war die Abhandlung des Joannis Pflichtlektüre für Studenten der Astronomie an allen Universitäten Europas. Vor 1472 kursieren zahlreiche Handschriften des Werks, bevor es dann zum ersten Mal gedruckt wird und bis 1650 über 200 Auflagen erfährt. Joannis de Sacro Bosco hatte 1235 auch eine Kritik am bestehenden Julianischen Kalender verfasst, einschließlich eines Vorschlags für eine Änderung der Schalttagsregelung. Aber es dauerte 350 Jahre, bis seine Ideen im Rahmen der Gregorianischen Kalenderreform berücksichtigt wurden.
Heftige Kritik am bestehenden Julianischen Kalender, also an den von Julius Caesar im Jahr 45 vor Christus für das römische Reich festgelegten Kalenderregelungen, war auch von Nikolaus von Kues (1401–1464) und Regiomontanus (1436–1476) vorgebracht worden, bis dann endlich im Konzil von Trient (1563) der Druck auf den Papst so groß wurde, dass dieser eine Reformkommission unter Leitung des aus Spanien stammenden Astronomen Aloisius Lilius (1510–1576) einsetzte.
Zur Zeit Julius Caesars gingen die Astronomen davon aus, dass ein Sonnenjahr, also die Zeit zwischen zwei Frühlings-Äquinoktien (Tag-und-Nacht-Gleiche), genau 365 1⁄4 Tage dauert, sodass ein 365-Tage-Jahr alle vier Jahre um einen Schalttag verlängert werden muss. Tatsächlich dauert aber ein Sonnenjahr im Mittel nur 365 Tage, 5 Stunden, 48 Minuten und circa 45 Sekunden. (Heute weiß man, dass die Zeit zwischen zwei Frühlingspunkten – bedingt durch Unregelmäßigkeiten in der Erdbahn – um mehrere Minuten schwanken kann.) Das Konzil von Nicäa hatte im Jahre 325 festgelegt, dass das Frühlings-Äquinoktium auf den 21. März fallen soll und dass sich von diesem Tag aus das Osterdatum berechnet.
Als die Kommission tagt, ist die Abweichung bereits auf 10 Tage angewachsen. Clavius lässt den Reformentwurf drucken und zur Stellungnahme an die christlichen Fürsten und Universitäten schicken.
Nachdem nur wenige Änderungsvorschläge eingegangen sind, setzt Papst Gregor XIII. die Kalenderreform am 24. Februar 1582 durch die Bulle »Inter gravissimas« in Kraft. (Päpstliche Dekrete werden nach ihren Anfangsworten zitiert, diese hier beginnt so: Zu den wichtigsten Aufgaben unseres Hirtenamtes gehört ...).
Danach soll der auf den 4. Oktober 1582 folgende Tag das Datum 15. Oktober erhalten. Zukünftig soll, wenn beim Jahrhundertwechsel die Jahrhundert-Zahl nicht durch 4 teilbar ist, der 29. Februar als Schalttag entfallen (also zum Beispiel im Jahr 1700). Für die Umstellung des Kalenders wird der Monat Oktober ausgewählt, weil er die geringste Anzahl an Heiligen-Gedenktagen hat und somit der Ablauf des regulären Kirchenjahrs nur wenig gestört wird.
Die Reform wird in zahlreichen Ländern mit katholischer Herrschaft gemäß dem päpstlichen Dekret umgesetzt. Die protestantisch regierten Länder sperren sich zunächst dagegen, eine »Anweisung« aus Rom anzunehmen. Vielfach geschieht die Umstellung in diesen Ländern erst im 18. Jahrhundert, woraus sich erklärt, dass zahlreiche Verträge aus dieser Zeit zweifach (julianisch und gregorianisch) datiert sind.
In den Jahren nach 1582 muss sich Clavius immer wieder für die Notwendigkeit der Kalenderreform rechtfertigen. Das einfache Volk fühlt sich von der Kirche um zehn Tage seines Lebens beraubt; in Frankfurt kommt es sogar deswegen zu Aufständen. 1588 verfasst er die Rechtfertigungsschrift »Novi calendarii romani apologia«. 1603 folgt noch einmal eine ausführliche Begründung in »Romani calendarii a Gregorio XIII P. M. restituti explicatio«.
Es wäre falsch, die Bedeutung von Clavius nur auf die letztlich von ihm verantwortete Kalenderreform zu reduzieren. Er ist ein begnadeter Lehrer der Mathematik; 1574 veröffentlicht er eine ausführlich kommentierte und ergänzte Fassung der »Elemente« des Euklid, weswegen er von der Nachwelt als »Euklid des 16. Jahrhunderts« bezeichnet wird.
Sein bekanntester Schüler, der Jesuit Matteo Ricci, nimmt das Werk sogar zur Missionierung mit nach China und übersetzt es in Zusammenarbeit mit Xu Gunagqi ins Chinesische. In der klassischen Logik wird die Methode der Consequentia mirabilis (bewundernswerte Folgerung) auch als Clavius-Gesetz bezeichnet. Clavius verwendet diese, mit der Reductio ad absurdum verwandte Schlussweise, in seinem Euklid-Kommentar: Die Gültigkeit einer Behauptung lässt sich aus der Ungültigkeit der Negation beweisen, in formaler Schreibweise: \( (\lnot p \to p) \to p\).
Ob Clavius tatsächlich der »Erfinder« des Dezimalpunkts ist (Abtrennung des ganzzahligen Teils einer Dezimalzahl vom Zehntel), wird wohl nicht mehr zu klären sein. Fest steht, dass sich diese Schreibweise allgemein durchsetzt, nachdem er sie in den von ihm im Jahr 1593 herausgegebenen astronomischen Tabellen konsequent verwendet hat. Sein Algebra-Buch aus dem Jahr 1608 erfährt eine weite Verbreitung und wird sogar noch von Leibniz und Descartes geschätzt. Seine Vorschläge für den Mathematikunterricht werden an den zahlreichen neu entstehenden Schulen der Jesuiten als verbindliches Curriculum umgesetzt.
Darüber hinaus beschäftigt sich Clavius mit der Verbesserung der Messtechniken; er entwickelt eine Idee seines Lehrers Pedro Nunes (latinisiert: Nonius) weiter, die 1631 zur Erfindung des uns heute bekannten Nonius durch den Franzosen Pierre Vernier führt.
Clavius pflegt einen freundschaftlichen Kontakt zu Galileo Galilei. In der Neuauflage des Kommentars zum »Tractatus de Sphaera« aus dem Jahr 1610 erwähnt er Galileis Schrift »Sidereus Nuncius« und bestätigt dessen sensationelle Beobachtungen, unter anderem die Entdeckung von vier Jupiter-Monden. Die Tatsache, dass sich aus den Galileischen Beobachtungen der Venus ergibt, dass diese nicht selbst leuchtet, sondern ihr Licht von der Sonne erhält, ist für ihn Anlass zur vorsichtigen Mahnung, die bisherigen Vorstellungen über das Planetensystem zu überdenken; dennoch lehnt er bis zu seinem Tod im Jahr 1612 das kopernikanische Weltbild ab.
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