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Der Mathematische Monatskalender: Giuseppe Peano (1858–1932): Erfinder einer universellen Sprache

Als einer der Begründer der formalen Logik genießt Peano bis heute weltweiten Ruhm. Doch nicht immer waren seine Arbeiten allen zugänglich.
Giuseppe Peano

1891 erschien in den »Mathematischen Annalen« der Aufsatz David Hilberts »Ueber die stetige Abbildung einer Linie auf ein Flächenstück«, in dem er ein Verfahren beschrieb und durch Skizzen (siehe unten) verdeutlichte, wie man das Einheitsquadrat mit einem unendlich langen Streckenzug füllen kann. Er bezog sich dabei auf einen Beitrag des italienischen Mathematikers Giuseppe Peano, der im Jahr zuvor in derselben Zeitschrift abgedruckt worden war (»Sur une courbe, qui remplit toute une aire plane«). Peano hatte dort als Erster ein Beispiel einer flächenfüllenden Kurve beschrieben, aber auf eine Veranschaulichung verzichtet. Denn Peano ging es in seinem Beitrag nur um den formalen Beweis, dass die von ihm angegebene (heute nach ihm benannte) rekursiv definierte Kurve die postulierte Eigenschaft hat, und er hatte bewusst auf eine Abbildung verzichtet, um die Leser nicht »abzulenken«.

Die erste der folgenden Abbildungen zeigt die Peano-Kurve erster Ordnung im Einheitsquadrat, das dazu in neun gleich große Quadrate zerlegt ist. Die Peano-Kurve zweiter Ordnung setzt sich dann aus neun verkleinerten Peano-Kurven erster Ordnung zusammen, entsprechend die Peano-Kurve dritter Ordnung aus neun Peano-Kurven zweiter Ordnung und so weiter.

Giuseppe Peano wächst in der Nähe von Cuneo auf, einem piemontesischen Städtchen, wo die Eltern als Landarbeiter tätig sind. Als einem in Turin lebenden Onkel auffällt, dass Giuseppe ein sehr intelligenter Junge ist, nimmt er den Zwölfjährigen bei sich auf. Mit seinen Möglichkeiten als Priester und Rechtsgelehrter kann der Onkel ihn so fördern, dass Giuseppe die Schule (»Ginnasio« und »Liceo«) erfolgreich absolvieren und mit 18 Jahren ein Studium an der Universität in Turin aufnehmen kann.

Insbesondere die Professoren des ersten und zweiten Studienjahrs, Enrico D'Ovidio (Geometrie und Algebra) und Angelo Genocchi (Analysis), nehmen sich des talentierten Studenten an, der sich – im Unterschied zu seinen Kommilitonen – nicht für einen ingenieurwissenschaftlichen Schwerpunkt des Studiums entscheidet, sondern für »reine« Mathematik. Mit 22 Jahren promoviert Peano zum Doktor der Mathematik und erhält eine Anstellung als Assistent von D'Ovidio, anschließend bei Genocchi, dessen Vorlesungen er nach und nach übernimmt.

Genocchi war der erste Mathematikprofessor in Italien, der – im Stile Cauchys – bei den Beweisführungen auf eine besondere Strenge achtete. Als 1884 die Ausarbeitungen seiner Analysis-Vorlesungen erscheinen (»Calcolo differenziale e principii di calcolo integrale publicate con aggiunto dal Dr. Peano«), stellt er fest, dass es nicht angemessen sei, Peano nur als jemanden zu erwähnen, der einige Ergänzungen hinzugefügt (»aggiunto«) habe; vielmehr sei das Werk vor allem das Verdienst dieses »überragenden jungen Mannes«, der die von ihm selbst stammenden Texte durch zahlreiche Anmerkungen und Änderungen entscheidend gestaltet habe.

Nach seiner Habilitation im Jahr 1886 übernimmt Peano zusätzlich Lehraufträge an der Militärakademie in Turin und veröffentlicht mehrere Beiträge zur Lösbarkeit von Differenzialgleichungen. In seinem 1888 erschienenen Buch (»Calcolo geometrico secondo l'Ausdehnungslehre di H. Grassmann, preceduto dalle operazioni della logica deduttiva«) setzt er sich als Erster mit den bis dahin unverstandenen Ideen Grassmanns zur Vektorrechnung auseinander und führt den Begriff des Vektorraums ein. Das Buch beginnt mit einem Kapitel über mathematische (deduktive) Logik; durch diesen ungewöhnlichen Vorspann macht er deutlich, dass exakte Mathematik nicht ohne ein logisches Fundament auskommen kann.

Bereits Richard Dedekind hatte 1888 in der Schrift »Was sind und was sollen die Zahlen« versucht, den Aufbau der natürlichen Zahlen durch mengentheoretische Überlegungen zu begründen. Peano greift diese Ansätze auf und veröffentlicht im darauf folgenden Jahr seine »Arithmetices principia: nova methodo« – in lateinischer Sprache (!). Es enthält unter anderem die berühmten, nach ihm benannten Peano-Axiome, mit denen die Menge der natürlichen Zahlen charakterisiert werden kann. Später ersetzt er in den Axiomen die Zahl Eins durch die Zahl Null als kleinste natürliche Zahl.

Als Genocchi 1889 stirbt, kann sich Peano endlich auf dessen Lehrstuhl bewerben; da es aber Schwierigkeiten bei der Besetzung der Auswahlkommission gibt, verzögert sich die Ernennung bis zum Dezember 1890. In der Zwischenzeit hat Peano durch die Entdeckung einer flächenfüllenden Kurve (siehe oben) erneut auf sich aufmerksam gemacht.

1891 gründet Peano die Zeitschrift »Rivista di Mathematica« für Logik und Grundlagen der Mathematik. Mit großer Genauigkeit redigiert er die eingereichten Beiträge, und immer wieder sieht er sich veranlasst, Autoren darauf hinzuweisen, dass sie die Voraussetzungen von mathematischen Sätzen nicht sorgfältig genug überprüft haben oder dass die vorgelegten Beweisführungen lückenhaft sind.

Peano-Axiome der natürlichen Zahlen

    (P1)          1 ist eine natürliche Zahl.
    (P2)           Jede natürliche Zahl \(n\) hat eine natürliche Zahl \(n'\) als Nachfolger.
    (P3)          1 ist kein Nachfolger einer natürlichen Zahl.
    (P4)           Natürliche Zahlen mit gleichem Nachfolger sind gleich.
    (P5)           Enthält die Menge \(X\) die 1 und mit jeder natürlichen Zahl \(n\) auch deren Nachfolger \(n'\), so bilden die natürlichen Zahlen eine Teilmenge von \(X\).

Im Jahr 1892 beginnt er ein neues, ehrgeiziges Projekt: »Formulario Mathematico«, eine Sammlung aller mathematischen Sätze und aller Methoden – notiert mit den Symbolen der formalen Logik. Er ist überzeugt, dass in zukünftigen Vorlesungen die Professoren ihren Studenten nur noch erläutern müssen, wie die »Formeln« zu lesen sind. Während er selbst von seiner Idee begeistert ist, stößt diese bei seinen Kollegen auf einhellige Ablehnung. Als der Band zur Analysis fertig gestellt ist, setzt er ihn selbst in seiner Vorlesung ein, und es geschieht das, was seine Kollegen befürchtet haben: Die Studenten sind hoffnungslos überfordert! Peano, der in der Vergangenheit als Lehrender stets verehrt worden war, wird zum unbeliebten Dozenten. Die Militärakademie kündigt ihm, und auch einige seiner Universitätskollegen würden es am liebsten sehen, wenn er seine Lehrtätigkeit beenden oder wenigstens zu seinem früheren Vorlesungsstil zurückkehren könnte. Aber es gehört zu den Privilegien der Universitätsprofessoren, die Vorlesungen so zu halten, wie sie es selbst für richtig halten, und Peano setzt seine Arbeit unbeirrt fort.

Auf den beiden im Jahr 1900 nacheinander in Paris durchgeführten internationalen Kongressen für Philosophie und Mathematik stehen Peanos Beiträge zur formalen Logik im Mittelpunkt des Interesses. Bertrand Russell notiert später in seinen Erinnerungen voller Bewunderung, dass kein anderer Vortragender bei ihm einen so überzeugenden Eindruck hinterlassen hat wie Peano.

Nach Hilberts Vortrag über die 23 Jahrhundert-Probleme spielt Peano vorübergehend mit dem Gedanken, sich mit der Lösung des zweiten Problems zu beschäftigen, nämlich, ob das von ihm 1889 beschriebene »Axiomensystem zur Arithmetik« widerspruchsfrei ist.

Dann aber ist Peano von der Idee einer universellen Sprache so fasziniert, dass er sich von da an fast nur noch mit diesem Projekt beschäftigt: Er entwickelt die Sprache »Latino sine flexione« (später »Interlingua« genannt), die im Wesentlichen lateinische Wörter verwendet (ergänzt durch Vokabeln anderer Sprachen), aber ohne Grammatik. Dass er den letzten Band seiner »Formulario Mathematico« in dieser Kunstsprache verfasst, hat sicherlich dazu beigetragen, dass dieses Werk, das mehr als 4000 mathematische Sätze und Formeln umfasst, kaum Beachtung findet.

Der vielfach geehrte Mathematiker und Logiker stirbt 1932 an Herzversagen.

Giuseppe Peano (1858-1932)

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